OGH 9ObA124/05h

OGH9ObA124/05h29.3.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Komm.Rat Mag. Paul Kunsky und Robert Hauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. Alois B*****, Pensionist, *****, vertreten durch Dr. Jürgen Brandstätter, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A***** ***** GmbH, *****, vertreten durch Dorda Brugger Jordis, Rechtsanwälte GmbH Wien, wegen EUR 8.630,02 brutto abzüglich EUR 3.319,02 netto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. April 2005, GZ 8 Ra 43/05k-38, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 16. Dezember 2004, GZ 12 Cga 124/03x-32, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird als nichtig aufgehoben und die Rechtssache zur Verhandlung und neuerlichen Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Das Erstgericht wies das Klagebegehren auf Zahlung von EUR 8.630,02 brutto (Zuschusspension und Sonderzahlung für Oktober 2002, der Höhe nach unstrittig) abzüglich der Konkursquote von EUR 3.319,02 netto ohne Durchführung eines Beweisverfahrens ab.

In der dagegen erhobenen Berufung beantragte der Kläger „Das Berufungsgericht möge der Berufung Folge geben und 1. nach Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung das angefochtene Urteil dahingehend abändern, dass dem Klagebegehren kostenpflichtig stattgegeben wird; 2. in eventu, das angefochtene Urteil aufheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverweisen; 3. jedenfalls die beklagte Partei zum Ersatz der Kosten des Berufungsverfahrens verpflichten."

Das Berufungsgericht entschied über die Berufung in nichtöffentlicher Sitzung und gab ihr nicht Folge. Weiters sprach das Berufungsgericht aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. In seiner außerordentlichen Revision releviert der Kläger unter anderem eine Nichtigkeit der Berufungsentscheidung, weil das Berufungsgericht trotz des ausdrücklichen Antrages des Klägers, eine mündliche Berufungsverhandlung anzuberaumen, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden habe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil eine dem Berufungsgericht unterlaufene Nichtigkeit wahrzunehmen ist (Kodek in Rechberger, ZPO² Rz 4 zu § 502; 7 Ob 131/00s ua); sie ist im Sinne des Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Wurde von einer Partei eine mündliche Berufungsverhandlung (nach § 492 Abs 1 ZPO) beantragt, eine solche jedoch nicht abgehalten, so wird nach herrschender Auffassung der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO erfüllt (Kodek aaO Rz 7 zu § 477; RZ 1990/18; RZ 1993/80; SSV-NF 7/53; 2 Ob 78/97b; 8 ObA 373/97d ua; RIS-Justiz RS0042118 und RS0042245). Eine solche Vorgangsweise hat die Nichtigkeit der berufungsgerichtlichen Entscheidung zur Folge, welche nur dann unbeachtet bleiben könnte, wenn sie den Revisionswerber nicht beschwerte (RS0042208), wovon hier jedoch schon aufgrund des ausdrücklich darauf hinweisenden Rechtsmittels nicht ausgegangen werden kann (10 ObS 113/03w).

Das Berufungsgericht hat im vorliegenden Fall nicht begründet, warum es trotz des ausdrücklichen Antrages des Klägers auf Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung in nichtöffentlicher Sitzung entschieden hat. Es kann nur vermutet werden, dass es diesen Antrag übersehen oder als unbeachtlichen Eventualantrag beurteilt hat. Letzteres ist jedoch genausowenig vertretbar wie die in der Revisionsbeantwortung geäußerte Meinung, der Kläger habe keine Tagsatzung zur mündlichen Berufung, sondern nur eine Tagsatzung „zum Zwecke der Verkündung der Entscheidung" beantragt. Da es beim Verzicht auf eine Berufungsverhandlung (§ 492 Abs 1 ZPO) um den tragenden Verfahrensgrundsatz des Parteiengehörs geht, sind zweifelhafte Parteierklärungen zugunsten der Wahrung dieses Grundsatzes auszulegen, allenfalls wäre im Wege eines Verbesserungsverfahrens Klarheit zu schaffen gewesen (10 ObS 113/03w = RIS-Justiz RS0042208 [T6]). Dem Berufungsantrag des Klägers ist aber - ohne dass eine Klarstellung durch ein Verbesserungsverfahren erforderlich wäre - ohne weiteres zu entnehmen, dass auch die Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung ausdrücklich (§ 492 Abs 1 ZPO) beantragt wurde. Durch die Berufungsentscheidung in nichtöffentlicher Sitzung wurde der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO verwirklicht (RIS-Justiz RS0042208; RS0042118). In Stattgebung der Revision ist daher das Urteil des Gerichts zweiter Instanz als nichtig aufzuheben. Eine Befassung des Obersten Gerichtshofs mit den weiters geltend gemachten Revisionsgründen ist im derzeitigen Verfahrensstadium nicht zulässig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO. Da nur die Entscheidung des Berufungsgerichts ohne ein vorausgegangenes Verfahren aufgehoben wurde, findet § 51 ZPO nicht Anwendung (M. Bydlinski in Fasching II/12 Rz 2 zu § 51 ZPO mwN; 1 Ob 89/05b).

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