Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 166,66 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 27,78 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist seit 7. 1. 1983 bei der Beklagten beschäftigt. In seiner derzeitigen Planstelle als Qualitätszugschef begleitet er Fern- und Regionalzüge als Zugbegleiter und führt betriebliche und kundendienstliche Tätigkeiten, größenteils in fahrenden Zügen, aus.
Am 4. 11. sowie vom 12. 11. bis 14. 11. 2003 fand wegen der geplante Eingriffe in die privatrechtlichen Dienstverträge der EisenbahnerInnen durch die von der Regierung vorgelegten Gesetzesentwürfe und wegen der von der Regierung geplanten Umstrukturierung der Beklagten ein von der Gewerkschaft der EisenbahnerInnen organisierter Streik statt. Durch die Streikmaßnahmen kam es zu einem völligen Erliegen des Zugverkehrs.
Am 4. 11. 2003 um 1.18 Uhr trat der Kläger seinen Dienst zeitgemäß an und meldete sich beim Fahrdienstleiter zum Dienstantritt. Da seit Streikbeginn (Mitternacht) keine Züge mehr fuhren, konnte er seinen Dienst nicht versehen. Der Kläger wartete im Aufenthaltsraum für Zugbegleiter auf das Streikende. Streikende war am 4. 11. 2003 mittags. Der Dienst des Klägers hätte um 7.47 Uhr geendet.
Am 14. 11. 2003 trat der Kläger um 5.27 Uhr planmäßig seinen Dienst an. Er trug sich in ein Anwesenheitsbuch ein. Der Kläger wartete im Aufenthaltsraum der Zugbegleiter auf sein Dienstende (12.47 Uhr).
Der Kläger meldete sich bei beiden Gelegenheiten beim Streikposten als arbeitsbereit. Dies wurde vom Streikposten in eine Liste eingetragen.
Der Kläger ist kein Gewerkschaftsmitglied.
Der Kläger begehrt 183,40 EUR brutto. Die Beklagte habe zu Unrecht einen Lohnabzug für die beiden Streiktage vorgenommen. Er habe sich an beiden Tagen arbeitsbereit gemeldet. Sein Entgeltanspruch gründe sich auf § 1155 ABGB.
Die Beklagte wendet ein, dass die Streikmaßnahmen im Streikzeitraum zu einem völligen Erliegen des Zugverkehrs geführt hätten. Der Beklagten sei es daher nicht möglich gewesen, den Kläger zu beschäftigen. Die Umstände, die zum Nichtzustandekommen der Dienstleistungen an den Streiktagen führten, seien nicht auf Seiten der Beklagten gelegen. Der Kläger habe nachweislich vom Streik profitiert: Die Streikmaßnahmen hätten tatsächlich bewirkt, dass die Bundesregierung von ihren geplanten Eingriffen in die privatrechtlichen Dienstverträge durch Gesetz Abstand genommen und den geplanten Entwurf des Dienstrechtsänderungsgesetzes zurückgezogen habe. Der von der Gewerkschaft initiierte rechtswidrige „politische Streik", der zur Unmöglichkeit der Beschäftigung des Klägers geführt habe, sei nicht der Sphäre der Beklagten zuzurechnen.
Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren - unter rechtskräftiger Abweisung eines Zinsenmehrbegehrens - statt. Es erachtete rechtlich zusammengefasst, dass dem arbeitswilligen Kläger deshalb ein Entgeltanspruch zustehe, weil das Entgeltrisiko der nicht streikenden Arbeitnehmer der Arbeitgeber zu tragen habe. Für eine „objektive Interessensolitarität" der Arbeitnehmer biete die Rechtsordnung keine so starke Grundlage, dass ein Durchgriff auf einen einzelnen Dienstnehmer gerechtfertigt erscheinen könnte.
Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Beklagten erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Frage des Entgeltsanspruchs nicht streikender arbeitswilliger Arbeitnehmer, die auf Grund des Streiks an ihrer Arbeitsverrichtung gehindert seien, neuere Rechtsprechung fehle.
Rechtlich billigte das Berufungsgericht die Rechtsauffassung des Erstgerichtes. Der Streik stelle eine Betriebsstörung dar, die dem Dienstgeber zuzurechnen sei.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen von der Beklagten erhobene Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.
Die Revisionsausführungen entsprechen dem bereits in erster Instanz vertretenen Standpunkt der Beklagten: Der „politische Streik" habe auch den Interessen des Klägers gedient. Aus der in der österreichischen Arbeits- und Sozialrechtsordnung anerkannten Interessensolidarität der in einer solidarischen Betriebsgemeinschaft verbundenen Arbeitnehmer und dem Gebot der Kampfmittelparität folge, dass das Entgeltrisiko bei einem Streik nicht allein nach § 1155 ABGB zu beurteilen sei. Dem Arbeitgeber dürfe das Entgeltrisiko für kollektive Aktionen der Arbeitnehmerschaft nicht aufgebürdet werden, wenn diese Aktionen Ursache dafür seien, dass Arbeitswillige nicht beschäftigt werden könnten.
Im Anlassfall ist zu beurteilen, ob dem Kläger trotz Unterbleibens einer Dienstleistung am 4. bzw. 14. 11. 2003 wegen der von der Gewerkschaft initiierten Bestreikung des Gesamtbetriebes der Beklagten (vgl. zu den „Novemberstreiks" Marhold, Entgeltanspruch für Trittbrettfahrer? ASoK 2005, 78) ein Lohnanspruch zusteht.
Die österreichische Rechtsordnung kennt zwar den Begriff „Streik", definiert ihn jedoch nicht. Der Gesetzgeber enthält sich vielmehr in den zentralen Fragen (Rechtmäßigkeit bzw Rechtswidrigkeit des Streikes; Lohnansprüche in bestreikten Betrieben; sonstige Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis; Schadenersatzansprüche) einer Aussage. Aus dem Fehlen eines geschlossenen Systems von Normen, die den Arbeitskampf regeln, aber auch aus dem Inhalt der wenigen Bestimmungen, die auf den Arbeitskampf Bezug nehmen (etwa § 10 AuslBG; § 9 AÜG; § 11 Abs 1 AMFG) wird der Grundsatz der Neutralität des Staates bei Arbeitskämpfen abgeleitet. Diese „aktive" Neutralität des Staates ist in der Lehre weitgehend unumstritten (Krejci, Lohnzahlung bei Teilstreik [1988] 58; Strasser/Jabornegg; Arbeitsrecht II4 194; Schindler, Rechtsfragen des Streiks unter besonderer Berücksichtigung der Entgeltfortzahlung in Resch/Reinhard, Fragen der Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers, [2004], 65 [70ff]; Löschnigg, Arbeitsrecht10, 775; Tomandl,Arbeitsrecht II5 354f).
Das hier interessierende Thema wird hingegen in der österreichischen Lehre kontroversiell behandelt: Schon in der Frage, ob ein Streik, der den Gesetzgeber als Adressaten hat, als „politischer Streik" stets rechtswidrig ist, also auch dann, wenn der Staat selbst Arbeitgeber ist, bestehen Auffassungsunterschiede (vgl. dazu Rebhahn, Der Arbeitskampf bei weitgehend gesetzlicher Regelung der Arbeitsbedingungen, Teil II, DRdA 2004, 503ff; ferner Anmerkungen zu diesem Beitrag von Firlei, DRdA 2004, 584ff und Schindler, DRdA 2004, 586ff; Grillberger, Außenseiter Österreich in Der Staatsbürger [20.5.2003]; zur konkreten Situation der ÖBB Marhold, ASoK 2005, 78 ).
Tomandl ( Der Lohnanspruch Arbeitswilliger im Arbeitskampf [1964], 223; ferner Der Lohnanspruch Arbeitswilliger in Tomandl, Streik und Aussperrung als Mittel des Arbeitskampfes [1965], 343ff) gelangt zu dem Ergebnis, dass der Arbeitnehmer - echte Arbeitsbereitschaft vorausgesetzt - beim Teilstreik seinen Lohnanspruch nur dann behalte, wenn der Arbeitgeber den Streik verschuldet habe oder wenn sich der Streik gegen die Interessen des Arbeitswilligen richte. Bleibe trotz des Streiks die Arbeitsleistung möglich und sei ihre Entgegennahme dem Arbeitgeber zumutbar, bestehe der Lohnanspruch ebenfalls. Bewirke der Streik dagegen eine Betriebsstörung oder die Unzumutbarkeit der Leistungsannahme, so verliere auch der echt Arbeitswillige seinen Lohnanspruch, wenn die Kampfziele tendenziell in seinem Interesse lägen. Das ergebe sich aus dem vom Gesetzgeber anerkannten Prinzip der Interessensolidarität der Belegschaft, das sich durch die Normen des kollektiven Rechts als rechtliche Kategorie manifestiere. Dazu komme, dass der Lohnentfall auch vom Standpunkt einer gerechten Verteilung der Gefahr und vom Standpunkt der Kampfparität die einzig richtige Lösung darstelle.
Krejci (Lohnzahlung bei Teilstreik 33, 45ff; siehe ders. in Rummel³ § 1155 ABGB Rz 19-21) verneint ebenfalls Lohnansprüche auch ernsthaft Arbeitswilliger bei teilstreikbedingten Betriebsstörungen. Diese Ergebnis lasse sich nicht allein mit § 1155 ABGB begründen, wohl aber mit einem richtig verstandenen Solidaritätsgedanken. Der Solidaritätsgedanke stelle ein im kollektiven Arbeitsrecht angelegtes Ordnungskonzept dar. Allerdings solidarisierten sich am Arbeitskampf in keiner Weise Mitwirkende nicht. Die kollektivvertragsrechtliche Außenseiterwirkung spreche jedoch dafür, auch gewerkschaftlich nicht organisierten Arbeitswilligen bei Teilstreiks, die auch im Außenseiterinteresse geführt würden, das Lohnrisiko bei Fehlen einer Beschäftigungsmöglichkeit tragen zu lassen. Die Teleologie des Kollektivvertragsrechts, aus der sich auch das Gebot der Kampf(mittel)parität ergebe, gebiete eine ihren Ordnungszielen entsprechende Anwendung des § 1155 ABGB.
Auch Binder ( Das Zusammenspiel arbeits- und sozialrechtlicher Leistungsansprüche [1980], 121) zieht das Rechtsprinzip der Arbeitnehmersolidarität und den Grundsatz der Kampfparität zur inhaltlichen Umgrenzung der durch § 1155 ABGB bestimmten Arbeitgebersphäre heran. Ein durch Teilstreik bedingter Betriebsstillstand sei nicht mehr der Arbeitgebersphäre zurechenbar, sondern ein vom Arbeitnehmer selbst zu vertretender Umstand.
Schnorr (Entgeltansprüche bei Nichtleistung der Arbeit in Tomandl, Entgeltprobleme aus arbeitsrechtlicher Sicht [1979] 42f) verneint den Lohnanspruch bei streikbedingtem Betriebsstillstand unter Berufung auf die gesellschaftspolitische Motivation unserer Arbeitsrechtsordnung: Mache die Arbeitnehmerschaft von ihrer kollektivrechtlichen Befugnis zum Arbeitskampf Gebrauch, dürften die nachteiligen Folgen aus individualrechtlicher Sicht nicht auf den Arbeitgeber überwälzt werden.
Beumer (Individuelles Streikrecht [1990], 107ff) folgt im Ergebnis den referierten Auffassungen Tomandls und Krejcis.
Marhold (ASoK 2005, 78) bezeichnet als tragendes Argument für die Tragung des Lohnrisikos durch die streikbedingt nicht beschäftigten Arbeitnehmer die Relevanz der Außenseiterwirkung: § 12 ArbVG schließe die arbeitsbereiten und die streikenden Arbeitnehmer zu einer gemeinsamen Gruppe der Kollektivvertragsangehörigen zusammen. Es könne daher nicht davon gesprochen werden, dass der Umstand der Dienstverhinderung in der Sphäre des Arbeitgebers liege. In § 13 AlVG komme gleichfalls zum Ausdruck, dass der Staat Arbeitskampfparität zumindest in dem Sinn herstellen wolle, dass die Lasten im Arbeitskampf (Produktionsausfall; Lohnausfall) nicht einseitig durch staatliche Anordnung der einen oder der anderen Kampfseite zugeordnet würden.
Bydlinski (Rechtsfragen des Arbeitskampfes, Sozialpolitik und Arbeitsrecht 1962, 3f; ders, Die Stellung der Rechtsordnung zu Arbeitskämpfen in Floretta/Strasser, Die kollektiven Mächte im Arbeitsleben [1963] 92f) vertrat zunächst generell die Auffassung, dass sich aus § 1155 ABGB ein Lohnanspruch des ernstlich Arbeitswilligen, der streikbedingt nicht arbeiten könne, ergebe. Für den Teil- oder Schwerpunktstreik hält er allerdings an dieser Auffassung nicht fest: Geschickt ausgewählte kleine Arbeitnehmergruppen könnten unter Schonung der Streikkasse der Gewerkschaft eine Betriebsstilllegung bewirken. Eine unmodifizierte Anwendung des § 1155 ABGB führe in diesen Fällen sehr rasch zur Widerstandsunfähigkeit des Arbeitgebers, der nicht nur nichts verdienen könne, sondern auch dem Großteil der Belegschaft Lohn zahlen müsste. Der Grundsatz der Kampfparität gebiete daher die Auslegung, dass Arbeitshindernisse, die auf gezielte Kampfmaßnahmen von Arbeitnehmern zurückzuführen seien, keine Umstände iSd § 1155 ABGB darstellten, die auf Seite des Dienstgebers lägen (System und Prinzipien des Privatrechts [1996], 594).
Nach Adler/Höller (Klang V², 284) trifft den Arbeitgeber gemäß § 1155 ABGB das Betriebsrisiko. Das gelte auch für einen durch einen Teilstreik bewirkten Betriebsstillstand. Nur wenn zwischen Streikenden und Arbeitswilligen ein engerer Zusammenhang bestehe oder gar von ihnen gemeinsam die Betriebsstilllegung durch Teilstreiks geplant sei, sei eine andere Lösung gerechtfertigt.
Strasser/Jabornegg (Arbeitsrecht II4 , 224ff mH auf Strasser/Reischauer, Der Arbeitskampf [1972), 66ff) differenzieren: Nur jene Störungen seien nicht dem Arbeitgeber zuzurechnen, die die Allgemeinheit beträfen (bloß mittelbar vom Arbeitskampf betroffene Betriebe). Betriebliche Teilstreiks seien hingegen iSd § 1155 ABGB der Sphäre des Arbeitgebers zuzuordnen.
Pfeil (in Schwimann/Harrer, ABGB² VI, § 1155 Rz 13) sieht in der behaupteten Interessensolidarität der Arbeitnehmer keine ausreichende Grundlage, die einen „Durchgriff" auf den einzelnen Arbeitnehmer rechtfertigen könne. Aus der staatlichen Neutralität könne für die Zuordnung des Entgeltrisikos im Arbeitskampf gerade nichts gewonnen werden. Der aus der deutschen Betriebsrisiokolehre entlehnte Begriff der „Kampfparität" müsse in Österreich an der Existenz des § 1155 ABGB scheitern.
Löschnigg (Arbeitsrecht10 391f) begründet die Bejahung des Lohnzahlungsanspruches des Arbeitswilligen damit, dass nach der österreichischen Lehre - die die „Einheitstheorie" ablehne -, individualrechtliche und kollektivrechtliche Gesichtspunkte getrennt beurteilt würden.
Laminger (Entgeltfortzahlungsanspruch nicht streikender Arbeitnehmer, ecolex 2003, 537) ordnet einen streikbedingten Betriebsstillstand, im Zuge dessen einzelnen nicht streikenden Dienstnehmern die Erbringung der Dienstleistung unmöglich gemacht werde, der Dienstgebersphäre zu. Keinen die Sphäre des Arbeitgebers betreffenden Hinderungsgrund stelle hingegen der Schlüsselstreik dar, wenn sich die übrigen Arbeitnehmer zwar arbeitsbereit erklärten, in Wahrheit aber den Streik mittrügen.
Nach Schindler (Rechtsfragen des Streiks, 65 [83 ff]) kann es keinem Zweifel unterliegen, dass ernsthaft arbeitswillige Streikbrecher Anspruch auf Entgelt haben, wenn ihre streikbedingte Beschäftigung unmöglich werde. Das Streikrisiko falle grundsätzlich in die Arbeitgebersphäre iSd § 1155 ABGB. Anerkennenswerte Beweisprobleme bei der Feststellung der Arbeitswilligkeit könnten an der Rechtslage nichts ändern. Sie müssten mit zivilprozessualen Mitteln gelöst werden. Aber auch beim Teilstreik (Schwerpunktstreik) verlören nicht am Streik beteiligte Arbeitnehmer ihren Entgeltanspruch nur, wenn ihre Arbeitsbereitschaft Teil des Arbeitskampfkonzeptes sei und sie den Arbeitskampf diesem Konzept entsprechend unterstützten. Für eine „Zwangskollektivierung" fehle jeglicher gesetzliche Anhaltspunkt. Eine Dispositionsmöglichkeit der Streikenden über den Entgeltanspruch der Streikgegner sei nicht erklärlich. Gegebenenfalls könne sich der Arbeitgeber durch eine Defensivaussperrung zur Wehr setzen. Aus den Wertungen des § 13 AlVG lasse sich ableiten, dass § 1155 teleologisch dahin zu reduzieren sei, dass während einer Defensivaussperrung kein Entgeltanspruch bestehe.
Während sich die deutsche Rechtsprechung mit Streik und Aussperrung im Allgemeinen und der Tragung des Lohnrisikos der Nichtstreikenden im Besonderen mehrfach auseinander zu setzten hatte (vgl. die Darstellung bei Schaub, ArbR-HdB11 ab § 192; zum Lohnrisiko der arbeitswilligen, Nichtstreikenden bei Betriebseinstellung § 194 RN 4) fehlt in Österreich höchstgerichtliche Rechtsprechung nahezu gänzlich. Auch die aus 1921 stammende Entscheidung SZ 3/84 ist für den Anlassfall nur bedingt verwertbar: Der Oberste Gerichtshof hatte die Berechtigung der Entlassung des der christlich-sozialen Organisation angehörenden Klägers zu beurteilen, die der Dienstgeber ausgesprochen hatte, nachdem die sozialdemokratischen Arbeiter des Betriebes ihre Arbeit niederlegten und erklärten, die Arbeit erst wieder aufzunehmen, wenn der Kläger ihrer Fachorganisation beitrete, was der Kläger verweigerte. Der Versuch, den Kläger zum Beitritt in die sozialdemokratische Organisation zu bewegen, wurde als rechtswidrig beurteilt. Der Streik im Allgemeinen sei als Betriebsstörung anzusehen, die den Unternehmer nicht berechtige, seine Verpflichtungen gegenüber unbeteiligten Arbeitswilligen zu verweigern.
Eine nähere Auseinandersetzung mit den referierten Ansichten erübrigt sich allerdings aus folgenden Überlegungen ebenso wie ein Eingehen darauf, ob es sich bei den Streikmaßnahmen im November 2003 um einen „politischen" Streik handelte und ob die Lohnzahlungsansprüche arbeitswilliger Arbeitnehmer in einem „echten" Teil- oder Schlüsselstreik anders zu beurteilen sind als in einem „schlichten" Teilstreik, also einer als Totalstreik geplanten Aktion, die von einigen Streikbrechern nicht befolgt wird:
Ausgangspunkt der Prüfung der Berechtigung des Lohnanspruches ist § 1155 ABGB, der von der überwiegenden Lehre und der herrschenden Rechtsprechung auf alle Dienstverhinderungen und somit auch auf den Annahmeverzug des Dienstgebers angewendet wird (siehe die Darstellung bei Schrammel, ZAS 1983,63 [zu 4 Ob 18/81]; 9 ObS 34/93; 9 ObA 24/01x; 9 ObA 115/03g = ZAS 2005/9 [kritisch im Zusammenhang mit der Anwendung der Anrechnungsregel des § 1155 ABGB Eypeltauer]).
§ 1155 Abs 1 ABGB 1. Halbsatz idF der III.TN bestimmt, dass dem Dienstnehmer auch für Dienstleistungen, die nicht zustande gekommen sind, das Entgelt gebührt, wenn er zur Leistung bereit war und nur durch Umstände, die auf Seiten des Dienstgebers liegen, daran verhindert worden ist.
Wie aufgezeigt, besteht in der Lehre Übereinstimmung dahin, dass bei streikbedingter Unmöglichkeit der Beschäftigung die Arbeitsbereitschaft des Dienstnehmers streng zu prüfen ist. Ebenfalls weitgehend Einigkeit herrscht darüber, dass der den Entgeltanspruch erhebende Arbeitnehmer seine Leistungsbereitschaft zu behaupten und zu beweisen hat (Krejci, Lohnzahlung bei Teilstreik, 12; Bydlinski, Rechtsfragen des Arbeitskampfes, 4; Tomandl, Der Lohnanspruch Arbeitswilliger, 337; siehe auch Schindler, Rechtsfragen des Streiks, 83, der eine analoge Anwendung der in § 105 Abs 5 ArbVG vorgesehenen Regeln über die Glaubhaftmachung befürwortet). Die Richtigkeit dieser Auffassung ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 1155 ABGB, der die Leistungsbereitschaft als Anspruchsvoraussetzung normiert. So wurde auch in der Rechtsprechung stets betont, dass für den Entgeltanspruch nach § 1155 ABGB entscheidend ist, dass der Dienstnehmer zur Leistung bereit war (RIS-Justiz RS00021428). Aus § 1155 ABGB ergibt sich im Übrigen auch der in Lehre und Rechtsprechung unbestrittene Grundsatz, dass streikende Arbeitnehmer mangels Leistungsbereitschaft grundsätzlich keinen Entgeltanspruch haben (9 ObA 347/89 = EvBl 1990/94 = ZAS 1994/1 [Aigner] mwN).
Für den Arbeitgeber ist im Streikfall in der Regel nicht leicht durchschaubar, welche Arbeitnehmer tatsächlich arbeitsbereit sind. Es besteht die in der Lehre aufgezeigte Gefahr, dass die Arbeitsbereitschaft nur zum Schein erklärt wird: So ist einerseits denkbar, dass der Arbeitnehmer, weil er bereits weiß, dass der Streik zu einer Betriebsstilllegung führt, die seine Beschäftigung unmöglich macht, Leistungsbereitschaft vortäuscht, um sich den Entgeltanspruch zu erhalten. Andererseits liegt insbesondere bei einem „echten" Teilstreik die Vermutung nahe, dass es zu dem auch vom scheinbar Arbeitswilligen mitgetragenen Arbeitskampfkonzept gehört, mit der Bestreikung von Schlüsselstellen eine Betriebslahmlegung unter gleichzeitiger Schonung der Streikkassa zu erreichen. Aus diesen Gründen ist der Auffassung beizupflichten, dass gerade im Streikfall an die Erklärung der Arbeitsbereitschaft durch den Arbeitnehmer strenge Anforderungen zu stellen sind: Er muss seine Dienste dem Dienstgeber ausdrücklich anbieten, seine Arbeitsbereitschaft also klar zu erkennen geben. Das ergibt sich im Übrigen gerade für den hier zu beurteilenden Fall auch aus der Überlegung, dass der Dienstgeber nur durch eine entsprechende Bekanntgabe überhaupt in die Lage versetzt wird, die streikenden Arbeitnehmer von den „Streikbrechern" unterscheiden zu können. Es kann als notorisch vorausgesetzt werden, dass sich an den von der Gewerkschaft als Totalstreik initiierten Streiktagen im November 2003 auch streikende Arbeitnehmer an ihrem Dienstort aufhielten.
Eine entsprechende ausdrückliche Erklärung seiner Arbeitsbereitschaft gab der Kläger jedoch hier ab: Wenngleich dafür die Feststellung, der Kläger habe sich bei den Streikposten arbeitsbereit gemeldet, mangels näherer Klärung der dienstlichen Funktion der Streikposten nicht ausreicht, steht doch fest, dass sich der Kläger beim Fahrdienstleiter zum Dienstantritt meldete. Dieser ist als Vorgesetzter des Klägers anzusehen und daher zur Entgegennahme der Erklärung des Klägers über seine Arbeitsbereitschaft befugt. Auch sonst bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Erklärung nur zum Schein erfolgte. Im Unterschied zum „echten" Teilstreik besteht hier auch keine Vermutung dahin, dass eine bloß vorgetäuschte Arbeitsbereitschaft des Klägers Teil des Arbeitskampfkonzeptes der Gewerkschaft war.
Die Arbeitsbereitschaft des Klägers als erste Anspruchsvoraussetzung, die im Übrigen in erster Instanz von der Beklagten nie ernstlich in Abrede gestellt wurde und die in der Revision nicht bezweifelt wird, ist daher zu bejahen.
Zu prüfen ist nun, ob und welche Erklärungen vom Arbeitgeber zu verlangen sind, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsbereitschaft bekundet hat, die Leistungserbringung aber nicht möglich ist. Es ist daher die Frage zu stellen, ob das tatsächliche Vorliegen eines Dienstverhinderungsgrundes immer schon ausreicht, die Dienstleistung als iSd § 1155 ABGB nicht zustande gekommen zu beurteilen (vgl dazu, dass der wesentliche Inhalt der Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers grundsätzlich darin besteht, im Betrieb für bestimmte Arten von Arbeitsleistungen dem Arbeitgeber „zur Verfügung" zu stehen etwa Schrammel, Arbeitsrecht 25, 96 f; vgl dazu auch OGH 11. 8. 1993, 9 ObA 119/93 - zur Sicherung der Verfügungsmöglichkeit durch eine bloß auf jederzeitigen Widerruf erfolgende Dienstfreistellung). Nur bei Bejahung dieser Frage bedürfte es einer Prüfung, ob das Unterbleiben der Dienstleistung der Dienstgebersphäre zuzurechnen ist.
In einem - wie dargelegt - ebenfalls § 1155 ABGB zu unterstellenden Fall des Annahmeverzuges wurde (im Zusammenhang mit einer Anrechnungsverpflichtung) ausgesprochen, dass der Arbeitnehmer nicht mehr verpflichtet sei, sich zur jederzeitigen Aufnahme der Arbeit bereit zu halten, wenn der Arbeitgeber die Dienste des Arbeitnehmers willkürlich und erkennbar endgültig nicht zulasse (4 Ob 18/81 = ZAS 1983, 62 [Schrammel]). Allgemein gilt, dass der Arbeitnehmer wegen des Fortbestehens des Hinderungsgrundes nicht verpflichtet ist, täglich zur Arbeitsstätte zu kommen und seine Leistungsbereitschaft zu erklären. Er muss aber dafür sorgen, dass er ab dem Wegfall des Hindernisses unverzüglich seine Arbeit wieder antreten kann (9 ObA 602/90 = Arb 10.896 mwN). In 9 ObA 134/98s = DRdA 1999/49 [Löschnigg] war das Vorliegen des Entlassungsgrundes des § 27 Z 4 AngG zu beurteilen: Der Kläger, der sich einer einseitigen Arbeitszeitänderung des Arbeitgebers widersetzte, erschien an drei aneinanderfolgenden Tagen zum ursprünglich vereinbarten Dienstantrittszeitpunkt, konnte aber wegen einer vom Dienstgeber vorgenommenen Schlossänderung bzw. wegen des Widerstandes eines vom Arbeitgeber instruierten anderen Arbeitnehmers das Betriebsgelände nicht betreten. Am vierten Tag erschien der Kläger nicht mehr. Dieses Verhalten wurde mit der Begründung, der Kläger habe am vierten Tag damit rechnen dürfen, dass er wie an den ersten drei Tagen ausgesperrt würde, nicht als Entlassungsgrund gewertet. Es fehle jedenfalls an „Beharrlichkeit" iSd § 27 Z 4 AngG.
Aus diesen von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen ist unter Berücksichtigung der wechselseitigen, aus dem Arbeitsverhältnis resultierenden Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien abzuleiten, dass im Allgemeinen eine Verpflichtung des Arbeitgebers besteht, den Arbeitnehmer darauf hinzuweisen, dass er die angebotene Arbeitsleistung nicht annehmen will oder kann. Ohne eine entsprechende Erklärung des Arbeitgebers, die auch schlüssig (9 ObA 134/98s) erfolgen kann, dürfte nämlich der Arbeitnehmer nicht darauf vertrauen, dass seine Dienste an dem betreffenden Arbeitstag endgültig nicht angenommen werden. Er dürfte sich dementsprechend auch nicht vom Betriebsgelände entfernen, will er nicht ein vertragswidriges Verhalten, das den Dienstgeber in letzter Konsequenz sogar zu einer Entlassung berechtigen könnte, setzen. Von diesem Grundsatz werden dann Ausnahmen zuzulassen sein, wenn die Tatsache der Unmöglichkeit der Diensterbringung an einem bestimmten Tag (in einer bestimmten Zeitspanne) auch für den Dienstnehmer derart evident ist (z.B. völlige Zerstörung des Betriebsgeländes durch eine Naturkatastrophe), dass es einer ausdrücklichen oder schlüssigen Erklärung des Dienstgebers nicht bedarf. Denkbar ist auch, dass Umstände vorliegen, aus denen der Dienstnehmer ableiten kann, dass dem Dienstgeber eine entsprechende Erklärung objektiv unmöglich oder unzumutbar ist.
Im hier zu beurteilenden Fall sind jedoch solche Ausnahmen nicht ersichtlich: Es wurde zwar durch den Streik der gesamte Zugbetrieb lahm gelegt. Dabei handelte es sich jedoch um ein punktuelles Ereignis. Dem Kläger kann nicht die Verpflichtung auferlegt werden, dass er von sich aus eine Beurteilung der voraussichtlichen Streikfolgen und der Streikdauer hätte vornehmen müssen. Immerhin wäre aus der Sicht des Klägers betrachtet nicht undenkbar gewesen, dass mit den vorhandenen (streikbrechenden) Arbeitskräften zumindest ein eingeschränkter Zugbetrieb organisiert werden könnte. Auch die Einschätzung des zeitlichen Horizontes (Wiederaufnahme der Arbeit durch die Streikenden) kann nicht dem einzelnen Arbeitnehmer zugemutet werden. Vielmehr gehört es zu den Organisationspflichten des Dienstgebers, mit denen auch die arbeitsvertragliche Fürsorgepflicht einher geht, dafür Sorge zu tragen, dass die am Streik nicht beteiligten Arbeitnehmer, die ihre Arbeitsbereitschaft ernstlich und ausdrücklich erklären, darüber informiert werden, dass ihre Dienste streikbedingt nicht in Anspruch genommen werden (vgl dazu, dass ungeachtet der im Rahmen der Betriebsverfassung zustehenden Mitwirkungsrechte der Organe der Arbeitnehmerschaft grundsätzlich dem Arbeitgeber als Betriebsinhaber die Möglichkeit zur und damit auch die Verantwortung für die Gestaltung der Betriebsabläufe zukommt etwa Strasser, ArbVG Kommentar § 39 Rz 23 mwN).
Im konkreten Fall hätte die Beklagte daher - durch Anweisungen an nicht streikende Vorgesetzte der arbeitsbereiten Arbeitnehmer, gegebenenfalls durch Rundschreiben oder Plakataushänge - die Erklärung abgeben müssen, dass die arbeitsbereiten Arbeitnehmer nach Dienstantritt am entsprechenden Arbeitstag (hier: 4. und 14. 11. 2003) wegen Unmöglichkeit der Leistungserbringung ihren Dienst nicht versehen müssen und das Betriebsgelände verlassen können. Hätte der Kläger ohne diese Erklärung das Betriebsgelände verlassen, hätte dieses Verhalten aus den aufgezeigten Gründen als arbeitsvertragswidrig gewertet werden können.
Diese Beurteilung steht auch im Einklang damit, dass der Arbeitgeber auch im Streikfall derjenige ist, dem die betrieblichen Dispositionen, also auch jene über den Einsatz der Arbeitskräfte, obliegen. Es trifft daher auch ihn die Verantwortung dafür, seine Dispositionen den Arbeitnehmern klar zu erkennen zu geben, damit diese Ihrerseits darauf reagieren können. Fordert man dem Arbeitgeber keine Erklärung ab, bestünde einerseits die bereits aufgezeigte Unsicherheit für die Arbeitnehmer, die letztlich - wie es auch im Anlassfall geschah - dazu führt, dass der Arbeitnehmer sich während der gesamten Dienstdauer nicht nur arbeitsbereit halten muss, sondern auch anwesend zu sein hat. Andererseits würde ein „abwartendes" Verhalten des Arbeitgebers gefördert: Der Arbeitgeber könnte nämlich dazu verleitet sein, durch Nichtabgabe einer ausdrücklichen Verhaltensaufforderung an die Nichtstreikenden zu erreichen, dass er - je nach Streikverlauf - entweder sofort und unmittelbar über die Arbeitskräfte verfügen kann oder unter Berufung auf die einem Teil der Lehre entsprechende Auffassung, dass der Streik nicht seiner Sphäre zuzuordnen sei, Lohnzahlungen auch Arbeitswilligen gegenüber verweigern kann.
Daraus ergibt sich zusammengefasst, dass dem ernstlich arbeitswilligen Kläger, der seine Dienstzeiten an den Streiktagen im Aufenthaltsraum der Zugbegleiter zubrachte, Lohn für diese Tage zusteht, weil die Beklagte eine Erklärung, die Dienste des Klägers an diesen beiden Tagen endgültig nicht anzunehmen, nicht abgab. Damit hat der Arbeitgeber im Ergebnis schlüssig die weitere Anwesenheit des Klägers für allenfalls auch während des Streiks erforderliche Arbeiten verfügt und dessen Arbeitsbereitschaft angenommen. Darauf, in wessen Sphäre der Streik bei der Beklagten fiel, ob sich also der Kläger darauf berufen könnte, dass die Voraussetzungen des § 1155 ABGB verwirklicht sind, kommt es daher hier nicht an.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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