OGH 12Os105/05s

OGH12Os105/05s17.11.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. November 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Philipp, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Besenböck als Schriftführer, in der Strafsache gegen Saihou C***** wegen mehrerer Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall und Abs 4 Z 2 SMG sowie einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 14. Juli 2005, GZ 12 Hv 93/05b-110, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch I und demzufolge auch im Strafausspruch sowie in der Abschöpfung der Bereicherung aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung sowie Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Landesgericht für Strafsachen Graz zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf den kassatorischen Teil dieser Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch rechtskräftige (Teil-)Freisprüche enthaltenden Urteil wurde der Angeklagte mehrerer Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall und Abs 4 Z 2 SMG (I) sowie des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278a StGB (II) schuldig erkannt.

Danach hat er

I. den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer mehrfach großen Menge (§ 28 Abs 6 SMG) in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, sowie als Mitglied einer Verbindung einer größeren Zahl von Menschen zur Begehung solcher strafbarer Handlungen in Verkehr gesetzt, wobei er es in subjektiver Hinsicht zumindest ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, als Mitglied einer solchen Verbindung zu fungieren und deren Ziele mit seiner Tat zu unterstützen, indem er in mehreren Angriffen in seiner Funktion als Mittäter der kriminellen Organisation Cannabis sowie Heroin in einer insgesamt nicht näher bekannten, jedenfalls aber mehrfach die große Menge überschreitenden Gesamtmenge einerseits an namentlich genannte Abnehmer, aber auch an weitere unausgeforscht gebliebene Suchtgiftkonsumenten mit Gewinnaufschlag verkaufte und an einzelne, als sogenannte Streetrunner tätige Mitglieder der Organisation auf Kommission zum gewinnbringenden Verkauf weitergab sowie bei der Beschaffung dieser Suchtgifte, welche gewinnbringend weiterverkauft wurden, mitwirkte, wobei hinsichtlich 23 im Urteilstenor namentlich angeführter Abnehmer die Weitergabe von insgesamt mindestens 1.161 Gramm Marihuana und drei bis vier Kugeln Heroin nachgewiesen und die insgesamt von ihm in Verkehr gesetzte Suchtgiftmenge mit „die Größenordnung von 4 Kilogramm Marihuana bei weitem übersteigend" angenommen wurde (US 18), sowie

II. im Zeitraum von zumindest April 2002 bis Mitte Juni 2004 sich an einer auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Anzahl von Personen, die auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich des unerlaubten Verkehrs mit Suchtmitteln ausgerichtet war, eine Bereicherung in großem Umfang anstrebte und sich auf besondere Weise, wie etwa durch Verwendung falscher Namen und Identitäten der Mitglieder sowie auch durch gelegentlichen Mobiltelefonwechsel und Verwendung einer codierten Geheimsprache in Telefongesprächen gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen versuchte, beteiligt, wobei er im Rahmen dieser kriminellen Organisation Aktivitäten auf höherer Ebene setzte, die neben den dem Schuldspruch I zugrundeliegenden Tathandlungen auch die Beschaffung und Verteilung für andere Mitglieder im Zusammenwirken mit Lamene S***** beinhalteten.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 3, 4, 5, 5a, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist teilweise im Recht.

Die Mängelrüge (Z 5, inhaltlich Z 10) weist im Ergebnis zutreffend darauf hin, dass die Konstatierungen zu den in Verkehr gesetzten Suchtgiftquanten den Schuldspruch wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall und Abs 4 Z 2 SMG (I) nicht tragen. Ausgehend von einem (gerichtsnotorischen) THC-Gehalt der Droge Marihuana von 0,25 % bis 8 % (14 Os 8/96, 11 Os 2/04) kann nämlich aufgrund fehlender Feststellungen zum Wirkstoffgehalt nicht beurteilt werden, ob die Grenzmenge (§ 28 Abs 6 SMG) in concreto erreicht ist (vgl ÖJZ-LSK 2001/99).

Aufgrund dieses Mangels an Feststellungen war der Nichtigkeitsbeschwerde im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort Folge zu geben (§ 285e StPO), wobei mit der gänzlichen Aufhebung des Schuldspruchs I vorzugehen war, weil nach Beseitigung eines Schuldspruchs nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG bei Fraglichkeit der Beurteilung einer in Verkehr gesetzten Menge als groß (§ 28 Abs 6 SMG) auch jene Annahmen, die einen (nicht erfolgten) Schuldspruch nach § 27 Abs 1 sechster Fall SMG allenfalls zu tragen vermögen, für sich allein nicht bestehen bleiben (15 Os 82/03, 12 Os 105/04). Das Eingehen auf die weiteren den Schuldspruch I betreffenden Beschwerdeausführungen erübrigt sich somit.

Die (Teil-)Kassation hat die Aufhebung des Strafausspruchs und des Abschöpfungserkenntnisses zur Folge.

Im zweiten Rechtsgang wird der Wirkstoffgehalt bzw der Reinheitsgrad (der zu konstatierenden Mindestmenge) der in Verkehr gesetzten Drogen festzustellen sein, wobei auf die (Teil-)Modifikation der Anklage hingewiesen wird (S 77, 81/IV).

Zum Schuldspruch wegen des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278a StGB (II) geht die Nichtigkeitsbeschwerde fehl. Soweit sich die Verfahrensrüge (Z 3) gegen die Verlesung (S 19/VI) des Protokolls über die polizeiliche Vernehmung des Zeugen Mario P***** (S 359 bis 365/III) wendet, bezieht sie sich nicht auf den Schuldspruch II, weil dieses Vernehmungsprotokoll diesbezüglich keine Angaben enthält. Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass die Verlesung nach der Aktenlage zu Recht erfolgte, weil der Genannte nach dem Aktenvermerk vom 14. Juli 2005 (S 3q/I) damals unbekannten Aufenthalts war (§ 252 Abs 1 Z 1 StPO).

Das die zeugenschaftliche Vernehmung des Benedikt Sch***** begehrende Vorbringen der weiteren Verfahrensrüge (Z 4) geht schon im Ansatz fehl, weil es sich nicht auf einen Antrag des Beschwerdeführers oder ein gegen seinen Antrag oder Widerspruch gefälltes Zwischenerkenntnis bezieht. Insoweit die Verletzung der Pflicht zu amtswegiger Wahrheitsforschung behauptend (inhaltlich Z 5a) verabsäumt die Rüge darzulegen, wodurch der Beschwerdeführer an der Ausübung seines Rechtes auf zweckdienliche Antragstellung gehindert gewesen sein soll (12 Os 37/04; vgl auch Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480). Den Antrag auf „Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Gebiet der Unternehmensorganisation aus der Sachverständigenliste Nummer 92.75, wobei diesem aufgetragen werden möge, einen Kriminalisten beizuziehen. Dies zum Beweis dafür, dass einerseits objektiv keine kriminelle Organisation vorliegt, da wesentliche Unternehmensmerkmale fehlen, wie Infrastruktur, Aufbau, arbeitsteiliges Vorgehen etc, sowie weiters zum Beweise dafür, dass beim Angeklagten subjektiv die Unternehmensstruktur im Sinn einer kriminellen Organisation nicht erkennbar war" (S 35 f/VI), wies das Erstgericht ohne Verletzung von Verteidigungsrechten ab (S 37 f/VI). Sachverständige iS der StPO sind nämlich (von den Prozesssubjekten verschiedene) Personen, die ihrer Fachkenntnisse wegen über rechtserhebliche Umstände vor Gericht aussagen und aus Tatsachen Schlüsse ziehen sowie begründen (Fabrizy StPO9 § 118 Rz 1). Demgegenüber bedarf es zur Feststellung des Erscheinungsbildes einer Organisation keiner Schlussfolgerungen, sondern nur der Wahrnehmung der tatsächlichen Gegebenheiten. Die Beurteilung der Frage wiederum, ob die Unternehmensstruktur für den Beschwerdeführer „subjektiv erkennbar" gewesen ist, hängt nicht von besonderen Fachkenntnissen ab, sondern ist ausschließlich der freien Beweiswürdigung des erkennenden Gerichts (§ 258 Abs 2 StPO) vorbehalten.

Auf das über den Beweisantrag hinausgehende Beschwerdevorbringen ist nicht einzugehen, weil allein der Antrag den Gegenstand der Entscheidung des Gerichtshofes bildet und demnach auch der Oberste Gerichtshof dessen Berechtigung nur auf den Antragszeitpunkt bezogen überprüfen kann (SSt 41/71; zuletzt 12 Os 84/05b).

Der Einwand der Mängelrüge (Z 5), das Erstgericht begründe die Feststellungen zur Struktur der kriminellen Vereinigung und zur diesbezüglichen subjektiven Tatseite nicht oder nur unzureichend, ignoriert die beweiswürdigenden Darlegungen hiezu (US 21 bis 24). Das stillschweigende Übergehen mehrerer Zeugenaussagen zur Beteiligung des Beschwerdeführers an der kriminellen Organisation monierend verkennt die Beschwerde einerseits, dass der Zeuge Jambo Sa***** nach den Urteilsfeststellungen selbst nicht Mitglied der kriminellen Organisation gewesen ist (US 11) und dass andererseits die Zeugen Ebrahim Ch*****, Yaya T***** und Gideon G***** in der Hauptverhandlung in Abrede gestellt haben, Mitglieder dieser Organisation gewesen zu sein (S 21, 25, 27 f/VI), womit die Erörterung deren Angaben zur Mitgliedschaft des Beschwerdeführers - dem Gebot zur gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend - zu Recht unterblieben ist. Der rechtliche Ansatz, zur Verwirklichung des Tatbestandes des § 278a StGB sei auch der auf die Beteiligung als Mitglied gerichtete Tätervorsatz erforderlich, trifft zwar zu, vermag aber den behaupteten Mangel an Feststellungen (inhaltlich Z 9 lit a) nicht zu begründen, weil die angefochtene Entscheidung die diesbezüglichen Konstatierungen ohnedies trifft (US 10, 13 f).

Indem die Rüge die Feststellung angreift, der Beschwerdeführer sei im Rahmen der Organisation auf „höherer Ebene" tätig gewesen, bezieht sie sich nicht auf schuld- oder subsumtionsrelevante Tatsachen. Die Tatsachenrüge (Z 5a) erschöpft sich darin, aus den - ohne Bezugnahme auf die Aktenlage unterstellten - Umständen, dass einer der Abnehmer des Beschwerdeführers, der die von diesem erworbenen Drogen zum Teil weiterverkauft haben soll, nicht wegen des Vergehens nach § 278a StGB verurteilt worden sei, und dass beim Beschwerdeführer portionierte Drogen sichergestellt worden seien, aus den auch in der Mängelrüge hervorgehobenen Zeugenaussagen sowie aus der leugnenden Verantwortung des Beschwerdeführers anhand eigener Beweiswerterwägungen für diesen günstige Schlüsse abzuleiten, und ist solcherart nicht geeignet, (erhebliche) Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrundegelegten entscheidenden Tatsachen zu wecken.

Der Einwand der Rechtsrüge (Z 9 lit a), der Tatbestand des § 278a StGB erfordere die Feststellung wenigstens zehn namentlich genannter Verbindungsmitglieder, lässt die Ableitung aus dem Gesetz vermissen. Mit Blick auf die Bestimmung des § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO sei festgehalten, dass die Identifizierung der übrigen Mitglieder der kriminellen Organisation nicht Tatbestandsvoraussetzung des § 278a StGB ist (vgl 12 Os 138/90, 14 Os 38/98).

Mit dem Vorbringen, das Erstgericht hätte aufgrund der Angaben der Zeugen Yaya T*****, Jambo Sa*****, Ebrahim Ch*****, Gideon G***** und Lamene S***** in Bezug auf die Mitgliedschaft des Beschwerdeführers zu einer kriminellen Organisation den getroffenen gegenteilige Feststellungen ableiten müssen, wird keine Gesetzesverletzung dargetan, sondern nur nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung in unzulässiger Weise die tatrichterliche Beweiswürdigung bekämpft.

Die Beschwerdeausführungen zur subjektiven Tatseite lassen mit der Behauptung, es hätte Feststellungen dahin bedurft, dass sich der Beschwerdeführer „im Klaren über die tatsächlichen Indikatoren einer kriminellen Organisation wie zB Tatplanung, Tatausführung, Täterverhalten, Tatabsicherung, gruppeninterne Elemente, Monopolisierungstendenzen, flankierte Maßnahmen, etc gewesen" sei, erneut die Ableitung aus dem Gesetz vermissen. Hinsichtlich der Willenskomponente einen Mangel an Feststellungen behauptend lässt die Rüge nicht erkennen, welche über die vom Erstgericht getroffenen hinausgehenden Konstatierungen zur rechtsrichtigen Subsumtion erforderlich gewesen sein sollen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 584). Soweit die Subsumtionsrüge (Z 10) pauschal auf die Ausführungen zur Rechtsrüge verweist, lässt sie die Bezeichnung der angestrebten rechtlichen Unterstellung und solcherart die prozessordnungskonforme Darstellung des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes vermissen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 644).

Die Beschwerdeprämisse, der Tatbestand des § 278a StGB erfordere die Identifizierung der Verbindungsmitglieder, wird (wie schon zu Z 9 lit a) erneut nicht aus dem Gesetz abgeleitet, womit sich auch die darauf gegründeten Erwägungen zu einer allfälligen Strafbarkeit nach § 278 Abs 1 StGB einer inhaltlichen Erledigung entziehen. Der erfolglose Teil der Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Mit seiner Berufung war der Beschwerdeführer auf den kassatorischen Teil der Entscheidung zu verweisen.

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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