OGH 10ObS70/05z

OGH10ObS70/05z6.9.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Wolf (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Hauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Haluk Ö*****, ohne Beschäftigung, *****, vertreten durch Dr. Helge Doczekal, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert- Stifterstraße 65, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. April 2005, GZ 8 Rs 21/05z-29, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die beklagte Partei macht in ihrem Rechtsmittel geltend, das Berufungsgericht habe im Rahmen der von ihm vorgenommenen Beweisergänzung bzw -wiederholung gegen die Verpflichtung zur amtswegigen Beweisaufnahme gemäß § 87 Abs 1 ASGG und gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz verstoßen.

Das Berufungsgericht hatte Bedenken gegen die Richtigkeit der vom Kläger in seiner Berufung allein bekämpften entscheidungswesentlichen Feststellung des Erstgerichtes, wonach ein Auftrags eines Dienstgebers am Unfallstag zu einer Fahrt von Wien nach Schwechat und zurück nicht feststellbar sei. Es hat daher einen Beschluss auf „Beweisergänzung“ zur entscheidungswesentlichen Frage, ob der Unfall des Klägers in der Nacht vom 21. auf den 22. 11. 1999 im Zusammenhang mit seiner Beschäftigung im Cafe „Z***** N*****“ gestanden sei und ob Stella K***** befugt gewesen sei, an den Kläger dienstliche Aufträge zu erteilen, durch Einsichtnahme in die Vorakten, Vernehmung der Zeugen Stella K***** und Sinisa M***** sowie durch Parteienvernehmung des Klägers gefasst. Nach ständiger Rechtsprechung kommt, soweit das Berufungsgericht nur eine Beweisergänzung vornimmt, § 281a ZPO ohne die Beschränkung des § 488 Abs 4 ZPO zur Anwendung (3 Ob 68/04b mwN). Im vorliegenden Fall hat jedoch das Berufungsgericht, wie es selbst in seiner Entscheidung ausführt, tatsächlich auch eine Beweiswiederholung durchgeführt, da es Bedenken gegen die Richtigkeit der oben erwähnten negativen Feststellung des Erstgerichtes hatte und von dieser Feststellung in der Folge auch abgegangen ist.

Nach § 488 Abs 4 ZPO darf das Berufungsgericht, wenn es erwägt, von den Feststellungen des Erstgerichtes abzuweichen, nur dann von der neuerlichen Aufnahme eines in erster Instanz unmittelbar aufgenommenen Beweises Abstand nehmen und sich mit der Verlesung der Protokolle hierüber begnügen, wenn es vorher den Parteien bekannt gegeben hat, dass es gegen die Würdigung dieses Beweises durch das Erstgericht Bedenken habe und ihnen Gelegenheit gegeben hat, eine neuerliche Aufnahme dieses Beweises durch das Berufungsgericht zu beantragen. Unterlässt das Berufungsgericht eine solche vorherige Bekanntgabe und führt es, ohne den Parteien Gelegenheit zu geben, sich dagegen auszusprechen, trotzdem die Beweisaufnahme nur gemäß § 281a ZPO mittelbar durch, dann verursacht es einen Verfahrensmangel, der eine erhebliche Verletzung des Prozessrechtes im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO begründen kann (EvBl 2000/26; 10 Ob 67/00a mwN).

Das Berufungsgericht fasste in der mündlichen Berufungsverhandlung am 17. 3. 2005 den Beschluss auf „Beweisergänzung zur Frage, ob der Unfall in der Nacht vom 21. zum 22. 11. 1999 im Zusammenhang mit der Beschäftigung des Klägers im Cafe vom N***** stand. ob Stella K***** befugt war, an den Kläger dienstliche Aufträge zu erteilen, durch Einsichtnahme in die Vorakten, durch Vernehmung von Stella K*****, Sinisa M***** und PV des Klägers“. In der mündlichen Berufungsverhandlung am 28. 4. 2005 wurden vom Berufungsgericht der Akt sowie verschiedene Urkunden verlesen und die Parteienvernehmung des Klägers durchgeführt. Eine Einvernahme der beiden Zeugen Stella K***** und Sinisa M***** konnte nicht durchgeführt werden, weil die beiden Zeugen nicht zur Verhandlung gekommen waren. Von den Parteienvertretern wurde daraufhin auf die Einvernahme dieser beiden Zeugen verzichtet.

Im vorliegenden Fall hat daher das Berufungsgericht nach dem Inhalt des Protokolls über die mündliche Berufungsverhandlung entgegen der Bestimmung des § 488 Abs 4 ZPO den Parteien nicht bekanntgegeben, dass es gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichtes Bedenken habe, es war jedoch offensichtlich auch der beklagten Partei von vornherein klar, was Gegenstand der vom Berufungsgericht beschlossenen „Beweisergänzung“ (=Beweiswiederholung) war (vgl RIS-Justiz RS0113504). Ein allfälliger Verstoß des Berufungserichtes gegen die Bekanntgabepflicht im Sinne des § 488 Abs 4 ZPO wird jedenfalls in den Revisionsausführungen der beklagten Partei nicht releviert. Das Berufungsgericht muss eine unmittelbre Beweiswiederholung nur auf Antrag einer Partei durchführen (Zechner in Fasching/Konecny2 IV/1 § 503 Rz 132 mwN). Eine unmittelbare Beweisaufnahme durch die Einvernahme der beiden Zeugen Sinisa M***** und Stella K***** im Berufungsverfahren wurde von der beklagten Partei nicht beantragt, sodass auch insoweit eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nicht vorliegt.

Im Fall einer Beweisergänzung gilt zwar anders als bei einer Beweiswiederholung das Neuerungsverbot nicht, weil das Berufungsgericht hier als erste Instanz tätig ist (Kodek in Rechberger ZPO2 § 482 Rz 5 mwN). Die beklagte Partei hat jedoch im Rahmen einer vom Berufungsgericht vorgenommenen Beweisergänzung keine weiteren Beweisanträge gestellt, insbesondere auch nicht im Hinblick auf die nunmehr in der außerordentlichen Revision gerügten unterlassenen weiteren Beweisaufnahmen. Im Übrigen betrifft die Frage, ob das Berufungsgericht mit den aufgenommenen Beweisen das Auslangen finden durfte oder ob es weitere Beweise aufnehmen hätte müssen, die Beweiswürdigung, die vom Revisionsgericht nicht überprüft werden kann (10 ObS 2117/96p ua).

Es entspricht der stRsp, dass auch bei Ansprüchen aus der gesetzlichen Unfallversicherung eine Umkehr der Beweislast nicht eintritt. Abgesehen von einer hier nicht in Betracht kommenden Sonderbestimmung des § 87 Abs 4 ASGG ist auch in Sozialrechtssachen von der Geltung der allgemeinen Grundsätze für die Beweisverteilung auszugehen. Es kann daher ungeachtet des Fehlens einer subjektiven Beweispflicht ein Anspruch nach den Regeln der objektiven Beweislast nur bejaht werden, wenn die anspruchsbegründenden Tatsachen erwiesen sind. Einen Grundsatz, dass „im Sinne einer sozialen Rechtsanwendung“ im Zweifel zu Gunsten des Versicherten zu entscheiden ist, gibt es nicht (10 ObS 419/02v mwN).

Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht in seiner Entscheidung nicht abgewichen. Mit den in der außerordentlichen Revision dazu vorgetragenen Ausführungen wird in Wahrheit nur die in dritter Instanz nicht mehr angreifbare Beweiswürdigung des Berufungsgerichtes und die Richtigkeit der daraus resultierenden Tatsachenfeststellungen bekämpft. Der Oberste Gerichtshof, der keine Tatsacheninstanz ist, ist jedoch an die vom Berufungsgericht auf Grund der Beweisergänzung bzw -wiederholung getroffenen Tatsachenfeststellungen gebunden.

Das Vorbringen, der Kläger habe zum Unfallszeitpunkt über keine Beschäftigungsbewilligung verfügt, ist eine im Revisionsverfahren unzulässige Neuerung und deshalb unbeachtlich.

Schließlich macht die beklagte Partei noch geltend, auf Grund der bindenden Wirkung des rechtskräftigen Bescheides der Wiener Gebietskrankenkasse vom 25. 6. 2003 sei davon auszugehen, dass der Kläger in der maßgebenden Zeit auf Grund seiner Beschäftigung als Kellner beim Dienstgeber Sinisa M***** der Vollversicherungspflicht unterlegen sei und Stella K***** ihm daher keine arbeitsvertraglichen Weisungen erteilen habe können, sodass es an einem örtlichen, zeitlichen und vor allem ursächlichen Zusammenhang des gegenständlichen Verkehrsunfalles mit der die Versicherung des Klägers begründenden Beschäftigung zu Sinisa M***** fehle.

Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, dass nach den maßgebenden Feststellungen des Berufungsgerichtes Stella K***** vom 13. 12. 1995 bis 3. 2. 2000 Geschäftsführerin der Stella K***** GmbH war, die das Cafe „Z***** N*****“ in Wien betrieb. Obwohl Stella K***** infolge eines schweren Unfalles am 13. 4. 1999 die Führung und den Betrieb des Lokales Sinisa M***** überlassen hatte, hielt sie sich weiterhin fallweise im Lokal auf und sie hatte auch ungefähr Anfang Oktober 1999 den Kläger als Kellner für dieses Lokal eingestellt. Am Unfallstag wurde der Kläger während seiner Arbeitszeit im Lokal von Stella K***** angerufen und wurde ihm der Auftrag erteilt, einen Stammgast von einem Flughafenhotel in Schwechat abzuholen und ihn in das Lokal zu bringen. Der Kläger machte von diesem Telefonat Sinisa M***** Mitteilung, der mit dieser Fahrt des Klägers nach Schwechat einverstanden war. Der Kläger übergab ihm daraufhin seine Kellnertasche und fuhr zum Flughafen Schwechat. Auf der Rückfahrt in das Lokal erlitt er bei einem Verkehrsunfall schwere Verletzungen.

Nach stRsp ist die Frage, ob die unfallverursachende Handlung in einem örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit dem die Versicherung begründenden Dienstverhältnis stand, nach subjektiven und objektiven Kriterien zu beurteilen: Die betreffende Handlung muss vom Versicherten mit der Intention gesetzt werden, seiner - versicherungspflichtigen - Erwerbstätigkeit nachzukommen (subjektive Seite); die Handlung muss darüber hinaus auch objektiv, dh von der Warte eines Außenstehenden, als Ausübung oder als Ausfluss dieser Erwerbstätigkeit angesehen werden können. Dabei handelt es sich in erster Linie um Handlungsweisen, die in Erfüllung des Arbeitsvertrages verrichtet werden und die der Arbeitgeber auf Grund seiner Weisungsbefugnis anordnen kann. Dazu gehören aber auch solche Handlungsweisen, zu denen kein Weisungsrecht besteht, die der Versicherte aber auf Grund seiner persönlichen Abhängigkeit nicht ablehnen kann. Selbst wenn daher eine arbeitsvertraglich unzulässige Weisung des Dienstgebers vorliegt, diese aber in einem inneren Zusammenhang mit dem Arbeitsvertrag steht, ist die auf Grund der unzulässigen Weisung ausgeübte Tätigkeit dennoch Teil der geschützten Beschäftigung (SSV-NF 16/36 mwN ua; RIS-Justiz RS0084668).

Das Berufungsgericht hat daher zu Recht die Fahrt des Klägers nach Schwechat und zurück objektiv als Ausfluss seiner Berufstätigkeit als Kellner gewertet. Auch in der weiteren Beurteilung des Berufungsgerichtes, der Kläger habe auf Grund der festgestellten besonderen Umstände auch subjektiv die ihm von Stella K***** aufgetragene Fahrt nach Schwechat als Ausfluss seiner Berufstätigkeit ansehen können, kann keine vom Oberste Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung im Einzelfall erblickt werden, da Stella K***** gegenüber dem Kläger bei dessen Einstellung als Vorgesetzte aufgetreten ist und auch Sinisa M***** als festgestellter Dienstgeber des Klägers (§ 35 ASVG) mit dieser Verrichtung des Klägers einverstanden war. Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO wird jedenfalls auch in diesem Zusammenhang nicht aufgezeigt.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte