OGH 10ObS419/02v

OGH10ObS419/02v13.1.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Prof. Mag. Dr. Günther Schön und Dr. Jörg Krainhöfner (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. Albin O*****, vertreten durch Dr. Margot Tonitz, Rechtsanwältin in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. September 2002, GZ 7 Rs 178/02d-82, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 9. April 2002, GZ 43 Cgs 11/99a-71, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der geltend gemachte Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit betrifft nicht - wie in der Revision behauptet - Feststellungen des Berufungsgerichts, sondern Erwägungen des Berufungsgerichts im Zusammenhang mit der Behandlung der Beweisrüge der Berufung, somit die Beweiswürdigungsfrage. Eigene Feststellungen hat das Berufungsgericht nämlich nicht getroffen, sondern vielmehr die Feststellungen des Erstgerichts als unbedenklich übernommen. Die geltend gemachte Aktenwidrigkeit liegt nicht vor. Aktenwidrigkeit besteht ausschließlich in einem Widerspruch zwischen dem Inhalt eines bestimmten Aktenstücks und dessen Wiedergabe durch das Berufungsgericht; und zwar nur dann, wenn die Tatsachenfeststellung nicht das Ergebnis eines richterlichen Werturteils ist (SSV-NF 7/32). Eine Aktenwidrigkeit liegt nicht vor, wenn eine allenfalls mögliche Feststellung nicht getroffen oder eine Feststellung durch Schlussfolgerung, insbesondere aus einem Sachverständigengutachten - gewonnen wurde (Kodek in Rechberger², ZPO § 503 Rz 4 mwN). Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass die beim Kläger vorhandene Divertikulose (Darmleiden) keine Folge des Arbeitsunfalls ist. Es hat vielmehr die tatsächliche Annahme des Erstgerichts, dass die Kausalität des Arbeitsunfalls für das Darmleiden des Klägers nicht feststellbar sei, aufgrund eines aus richtig wiedergegebenen Äußerungen des Sachverständigen Dr. Außerwinkler gezogenen Schlusses für unbedenklich gehalten. Ob dieser Schluss richtig ist, kann vom Obersten Gerichtshof nicht überprüft werden, weil er ein Akt der unüberprüfbaren Beweiswürdigung ist, aber keine Aktenwidrigkeit begründen kann. Gleiches gilt für den Umstand, dass die aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Koller allenfalls mögliche positive Feststellung der Kausalität des Arbeitsunfalls für das Darmleiden nicht getroffen wurde.

Das Berufungsgericht hat richtig aus dem Gutachten Dr. Fitschas Beilage ./F zitiert und Ausführungen in diesem Gutachten gewürdigt. Dies erkennt der Revisionswerber letztlich selbst, wenn er ausführt, dieses Gutachten sei unrichtig ausgelegt worden. Auch in diesem Punkt - nämlich betreffend die Frage, ob der Unfall ursächlich für eine Thrombose mit nachfolgender Lungenembolie war - liegt ein unüberprüfbarer Akt der Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, nicht aber eine Aktenwidrigkeit vor, wenn dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Koller gefolgt wurde.

Der mit der Revisionsschrift vorgelegte Ambulanzbericht ist nicht zu berücksichtigen. Denn auch in Sozialrechtssachen gilt das Neuerungsverbot des § 504 Abs 2 ZPO (SSV-NF 8/60 ua). Da die rechtliche Beurteilung der Sache durch das Berufungsgericht zutreffend ist, genügt es, auf deren Richtigkeit hinzuweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Der Rechtsrüge ist Folgendes zu erwidern:

Entgegen der Ansicht des Klägers tritt auch bei Ansprüchen aus der gesetzlichen Unfallversicherung eine Umkehr der Beweislast nicht ein. Abgesehen von einer hier nicht in Betracht kommenden Sonderbestimmung des § 87 Abs 4 ASGG ist auch in Sozialrechtssachen von der Geltung der allgemeinen Grundsätze für die Beweisverteilung auszugehen (SZ 60/231 = SSV-NF 1/48 uva). Ungeachtet des Fehlens einer subjektiven Beweispflicht kann ein Anspruch nach den Regeln der objektiven Beweislast nur bejaht werden, wenn die anspruchsbegründenden Tatsachen erwiesen sind (10 ObS 21/01p uva).

Nach ständiger Rechtsprechung sind besonders in Verfahren über einen sozialversicherungsrechtlichen Anspruch aus Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten die Regeln des Anscheinsbeweises modifiziert anzuwenden (SSV-NF 11/41 ua; RIS-Justiz RS0110571). Die Zulässigkeit des Anscheinsbeweises beruht darauf, dass bestimmte Geschehensabläufe typisch sind und es daher wahrscheinlich ist, dass auch im konkreten Fall ein derartiger gewöhnlicher Ablauf und nicht ein atypischer gegeben ist (RIS-Justiz RS0040266 uva). Steht ein typischer Geschehensablauf fest, der nach der Lebenserfahrung auf einen bestimmten Kausalzusammenhang hinweist, gelten diese Tatbestandsvoraussetzungen auch im Einzelfall aufgrund des ersten Anscheins als erwiesen. Die Entkräftung des Anscheinsbeweises geschieht durch den Beweis, dass der typische formelhafte Geschehensablauf im konkreten Fall nicht zwingend ist, sondern dass die ernste Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufes besteht. In Sozialrechtssachen ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes der Anscheinsbeweis nur dann entkräftet, wenn dem atypischen Geschehensablauf zumindest die gleiche Wahrscheinlichkeit zukommt (SSV-NF 5/140 ua). Einen Grundsatz, dass im Zweifel zugunsten des Versicherten zu entscheiden ist, gibt es nicht. Der Anscheinsbeweis ist somit nur dann zulässig, wenn eine typische formelhafte Verknüpfung zwischen der bewiesenen Tatsache und dem gesetzlich geforderten Tatbestandselement besteht. Er darf daher nicht dazu dienen, Lücken der Beweisführung durch bloße Vermutungen auszufüllen (RIS-Justiz RS0040287 ua). Ob in einem bestimmten Fall der Anscheinsbeweis zulässig ist, ob es sich also um einen Tatbestand mit typischem Geschehensablauf handelt, der eine Verschiebung von Beweisthema und Beweislast ermöglicht, ist eine Frage der Beweislast und damit eine Frage der rechtlichen Beurteilung, die im Revisionsverfahren überprüfbar ist (RIS-Justiz RS0022624 ua). Ob der Anscheinsbeweis erbracht oder erschüttert worden ist, ist hingegen eine vom Obersten Gerichtshof nicht mehr überprüfbare Beweiswürdigungsfrage (SSV-NF 4/150 mwN ua).

Von diesen Grundsätzen sind die Vorinstanzen in ihren Entscheidungen nicht abgewichen, da im vorliegenden Fall kein Tatbestand mit typischem formelhaften Geschehensablauf angenommen werden kann. Die aufgrund der aufgenommenen Beweise vorgenommene Feststellung bzw Nichtfeststellung von Tatsachen zur Frage der Kausalität zwischen Arbeitsunfall und Thrombose, Lungenembolie und Darmerkrankung resultiert aus der freien Beweiswürdigung der Vorinstanzen, die vom Obersten Gerichtshof nicht überprüft werden kann (RIS-Justiz RS0043061 [T 11]). Die darauf Bezug nehmenden Ausführungen in der Rechtsrüge stellen den unzulässigen Versuch einer Bekämpfung der Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen dar.

Steht die Kausalität des Arbeitsunfalls für die genannten Leiden nicht fest, so kommt der Frage, ob diese Leiden eine Minderung der Erwerbsfähigkeit begründen können, keine Bedeutung mehr zu. Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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