European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2005:E78009
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei zu Handen ihrer Vertreter binnen 14 Tagen die mit EUR 665,66 (hierin enthalten EUR 110,94 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Begründung:
Der am 12. 6. 1995 geborene Kläger hielt sich am 12. 6. 2001 (in Begleitung einer nur kurz abwesenden Tagesmutter) auf einem Kinderspielplatz auf, wo sich auch der am 9. 11. 1992 geborene außereheliche Sohn des Beklagten befand. Letzterer zeigte dem auf einem Holzschaukelpferd sitzenden Kläger ein kleines rotes Taschenmesser, welches „kleiner als ein Schweizer Messer" war. Nachdem der Sohn des Beklagten das Messer zunächst an einem Baum ausprobiert hatte, begann er damit am Schaukelpferd „herumzuschnitzen", rutschte dabei ab und geriet mit der Messerklinge in das Gesicht des Klägers, der hiedurch im Augenbereich erheblich verletzt wurde.
Mit der am 11. 6. 2004 per Fax eingebrachten (und am 14. 6. 2004 per Schriftsatz nachgereichten und pflegschaftsgerichtlich genehmigten) Klage begehrt der Kläger vom Beklagten die Zahlung eines Schmerzengeldes von EUR 7.000 samt 4 % Zinsen seit 1. 7. 2001 sowie die Feststellung seiner Haftung für alle künftigen Schäden aus diesen Vorfall. Dazu wurde (lediglich) vorgebracht, dass der Beklagte seinem Sohn ein scharfes Messer geschenkt habe und daher damit habe rechnen müssen, dass dieser damit unsachgemäß und in einer andere gefährdenden Weise hantieren würde.
Der Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach im Wesentlichen mit der Begründung, seinem Sohn kein scharfes Messer gegeben zu haben. Die Obsorge sei am Unfalltag auch nicht ihm, sondern der außerehelichen Mutter zugekommen, mit der die seinerzeitige Lebensgemeinschaft schon längst gelöst sei. Der zunächst ebenfalls erhobene Verjährungseinwand ist im Revisionsverfahren nicht mehr aufrecht.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf die eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Feststellungen (samt weiteren zu den Unfallverletzungen) und führte weiters noch (vor Beginn der rechtlichen Würdigung) aus, dass „die Lösung der Beweisfrage, ob das kleine Taschenmesser, mit dem Rene E* dem mj. Kläger die streitgegenständliche Verletzung zugefügt hat, ihm vom Beklagten geschenkt wurde, aus rechtlichen Erwägungen nicht erforderlich" sei. In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, eine Haftung des Beklagten käme schon deshalb nicht in Betracht, weil selbst bei Übergabe des Messers an einen Schüler von annähernd neun Jahren ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten iSd §§ 1295 ff ABGB nicht angenommen werden könne; der Besitz eines so kleinen Taschenmessers sei insbesondere im ländlichen Raum bei Kindern im Alter von neun Jahren durchaus üblich; die Bewertung der Übergabe eines solchen Messers an einen fast neunjährigen Schüler als Verschulden würde eine Überspannung der allgemeinen Sorgfaltspflichten bedeuten. Bei einem Taschenmesser handle es sich um durchaus nicht unübliche Geschenke an Kinder dieses Alters. Weitergehende Verletzung von Aufsichtspflichten des Beklagten seien gar nicht vorgebracht worden.
Das Berufungsgericht verwarf die Berufung des Klägers wegen Nichtigkeit (nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO) und gab seiner Berufung im Übrigen nicht Folge. Es sprach weiters aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes EUR 4.000, nicht jedoch EUR 20.000 übersteige und die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig sei. Das Fehlen von Feststellungen (zur Frage, ob das Messer vom Beklagten seinem Sohn tatsächlich geschenkt worden sei und der Beklagte diesen Umstand der obsorgeberechtigten Mutter bekanntgegeben habe), begründe keine Nichtigkeit, sondern allenfalls einen sekundären Feststellungsmangel. Mit Rücksicht auf die unbekämpft festgestellte Art des Messers einerseits und das Alter des „vermuteten Geschenknehmers" andererseits erachtete das Berufungsgericht die Argumentation des Erstgerichtes, wonach die als nicht unübliches altersgemäßes Geschenk zu wertende allfällige Übergabe eines derartigen Taschenmessers an einen Volksschüler ohne Überspannung der allgemeinen Sorgfaltspflichten dem Beklagten nicht als Verschulden angelastet werden könne, als stichhältig. Dass der damals achteinhalbjährige Bub etwa aufgrund eines altersmäßigen Entwicklungsrückstandes oder im Hinblick auf eine allfällige aggressive Charaktereigenschaft hinsichtlich seiner Tauglichkeit für den Besitz eines derartigen kleinen Taschenmessers gegenüber gleichaltrigen Kindern negativer einzustufen wäre, sei nicht vorgebracht worden.
Die Zulässigkeit der Revision wurde damit begründet, dass - soweit für das Berufungsgericht überblickbar - noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu einer vergleichbaren Sachverhaltskonstellation vorliege, ob und in welchem Umfang denjenigen Verkehrssicherungspflichtigen zum Schutz Dritter treffen, der einem Volksschüler ein „gefährliches Geschenk" in Form eines Taschenmessers macht; darüber hinaus komme auch mit Rücksicht auf die vom Erstgericht bereits angesprochene Üblichkeit derartiger Geschenke an Kinder im Alter von acht oder neun Jahren der gegenständlichen Entscheidung wohl auch eine über den bloßen Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu.
Gegen dieses Urteil richtet sich die abermals auf den Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO sowie den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, in Stattgebung des Rechtsmittels die bekämpfte Entscheidung im Sinne einer vollständigen Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in welcher primär die Zurückweisung des gegnerischen Rechtsmittels (mangels Erfüllung der Zulässigkeitsvoraussetzungen), in eventu diesem keine Folge zu geben beantragt wird.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig, wobei sich der Oberste Gerichtshof gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO begründungsmäßig auf die Zurückweisungsgründe beschränken kann.
Der Oberste Gerichtshof hat bereits in einer Vielzahl von Entscheidungen allgemein ausgesprochen, dass von Zweitgerichten verwendete Formulierungen wie etwa das (bloße) Fehlen von Rechtsprechung zu einer vergleichbaren Sachverhaltskonstellation (oäm) regelmäßig bloße Leerformeln sind, ohne wirklich konkret aufzuzeigen, worin die erhebliche Rechtsfrage gelegen sein soll (RIS‑Justiz RS0107773; 2 Ob 301/04k; 1 Ob 23/04w uvm); Besonderheiten der Fallgestaltung schließen eine richtungsweisende, die Rechtsentwicklung vorantreibende und für zukünftige Entscheidungen nutzbringende Judikatur sogar eher aus (RIS‑Justiz RS0102181).
Wie schon das Berufungsgericht hervorgehoben hat, wird dem Beklagten vom Kläger einzig zum haftungsbegründenden Vorwurf gemacht, dass dieser seinem Sohn „ein scharfes Messer" geschenkt habe, womit dieser sodann in einer den Kläger gefährdenden (und verletzenden) Weise hantiert habe.
Entgegen der Auffassung des Revisionswerbers kommt der Klärung der Frage der Herkunft des unstrittig den verfahrensgegenständlichen Körperschaden beim Kläger verursachenden Messers keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu. Die von den Vorinstanzen unterstellte Annahme, (speziell im ländlichen Raum) sei das Verschenken eines so kleinen Taschenmessers wie des hier von den Vorinstanzen näher festgestellten „üblich" und ein durchaus „altersgemäßes Geschenk", ist lebensnah und zu billigen. Der Sohn des Beklagten stand zwar erst im neunten Lebensjahr, also noch in einem Alter, in dem Kinder erfahrungsgemäß vom Spieltrieb und einer großen Bewegungsfreude beherrscht sind und Spieltrieb und Bewegungsfreude eine in jeder Hinsicht ruhige, vernünftige Kontrolle des Spiel- und Bewegungsverhaltens unter Umständen begrenzen; typisch für diese Altersgruppe ist damit auch eine noch unzureichend ausgeprägte Entwicklung der Fähigkeit, die Gefährlichkeit von Gegenständen in allen Konsequenzen einzuschätzen. Der Bub verwendete das Messer allerdings (gerade) nicht in einer typisch gefahrengeneigten Ausprägung, etwa zum Werfen oder als Waffe, sondern (bloß) zum „Herumschnitzen", wobei er jedoch ausrutschte und den daneben befindlichen Kläger verletzte. Selbst durch ein bloßes Verschenken des erwiesenermaßen sehr kleinen Taschenmessers hätte der Beklagte damit keine Gefahrenquelle geschaffen, für die er beim Alter seines Sohnes, von dem er annehmen durfte (und konnte), dass dieser über die grundsätzliche Gefährlichkeit eines Messers Bescheid wissen muss, noch besondere zusätzliche Vorkehrungen zur Hintanhaltung von Schädigungen hätte treffen müssen. Wenn das Berufungsgericht Gegenteiliges als unzumutbare Überspannung eingestuft hat, so begegnet dies keinen Bedenken, sondern handelt es sich um eine typische von den singulären Verhältnissen des konkreten Falles abhängige Einzelfallbeurteilung ohne erheblichen Rechtsfragencharakter iSd § 502 Abs 1 ZPO. Ob unter diesen Gegebenheiten den Sohn des Beklagten selbst als unmittelbaren Täter iSd § 1310 ABGB eine allfällige schadenersatzmäßige Verantwortung und damit Haftung trifft, ist nicht Gegenstand des Verfahrens.
Die Revision ist daher als unzulässig zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat zutreffend auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittel hingewiesen.
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