OGH 1Ob255/04p

OGH1Ob255/04p10.5.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Höllwerth und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) H***** GesmbH & Co KG, 2) M***** GesmbH, und 3) Dr. Rudolf H*****, alle *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen Feststellung (Streitwert EUR 36.336,42) und EUR 1,018.364,42 sA hinsichtlich erst- und zweitklagender Partei sowie EUR 1,380.783,85 sA hinsichtlich drittklagender Partei, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. September 2004, GZ 14 R 1/04a-57, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens iSd § 503 Z 2 ZPO ist nur dann gegeben, wenn bei Sammlung des Prozessstoffs ein Verfahrensgesetz verletzt wurde und diese Gesetzesverletzung geeignet war, eine erschöpfende und gründliche Beurteilung der Sache zu hindern (RIS-Justiz RS0043058). Einen derartigen Fehler zeigen die Kläger nicht auf. Das Berufungsgericht hat sich mit der Verfahrens-, Tatsachen- und Beweisrüge der Kläger - soweit deren Berufungsargumente nicht ohnehin die Rechtsfrage betrafen - im Einklang mit der Aktenlage nachvollziehbar befasst und ist insoweit seiner Prüfpflicht nachgekommen; es kann dann - unabhängig davon, ob dabei auf jedes einzelne Argument der Berufungswerber eingegangen wurde - von einem Mangel des Berufungsverfahrens keine Rede sein (7 Ob 184/02p; RIS-Justiz RS0043162).

2. Die im Amtshaftungsverfahren vorzunehmende Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung als Verschuldenselement ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig und entzieht sich deshalb regelmäßig einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0110837); eine solche läge nur im Falle einer gravierenden Fehlbeurteilung vor (1 Ob 291/01b), wenn die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts über die Vertretbarkeit der in den Anlassverfahren geäußerten Rechtsansichten des Kreisgerichts Wels und des Oberlandesgerichts Linz einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte. Dies trifft hier nicht zu:

3. Die Kläger halten die in den Anlassverfahren angeordnete Einstellung der Ausgleichsverfahren nach § 67 Abs 1 Z 8 und 9 AO idF des IRÄG 1982 (= aF) deshalb für unvertretbar, weil vor diesen Entscheidungen ein angeordnetes Sachverständigengutachten nicht abgewartet und dem Drittkläger, selbst Ausgleichsschuldner und Vertreter der erstklagenden Ausgleichsschuldnerin, das rechtliche Gehör verweigert worden sei.

4. Die Ausgleichsverfahren waren über Antrag der Ausgleichsschuldner eingeleitet worden. Gemäß § 2 Abs 2 Z 1 und 2 AO waren diesen Anträgen ein genaues Vermögensverzeichnis samt Anlagen und eine Übersicht über den Vermögens- und Schuldenstand, die die Hauptbestandteile des Vermögens und die Summe der Schulden unter Angabe der Fälligkeit zu enthalten hat (Status), beizulegen. Schon diese Angaben der Ausgleichsschuldner waren zu beachtende und in den Berichten der Ausgleichsverwalter auch tatsächlich verarbeitete Beurteilungsgrundlage für die Einstellungsentscheidung nach § 67 Abs 1 Z 8 und 9 AO aF.

Nach § 76 AO iVm § 176 Abs 2 KO können in Rekursen neue Tatsachen, soweit sie bereits zur Zeit der Beschlussfassung in erster Instanz entstanden waren, und neue Beweismittel angeführt werden. Im Konkursverfahren (RIS-Justiz RS0043943; 8 Ob 342/98x = SZ 72/113) und iVm § 76 AO auch im Ausgleichsverfahren galt und gilt das Neuerungsverbot für Rekursausführungen nicht. Vielmehr ist im Hinblick auf § 176 Abs 2 KO idF des IRÄG 1982 (BGBl 1982/370) die Sachlage im Zeitpunkt der Beschlussfassung in erster Instanz und die Bescheinigungslage im Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel maßgebend (vgl 5 Ob 303/86); insoweit stand es den Klägern in den von ihnen gegen die Einstellung der Ausgleichsverfahren erhobenen Rekursen auch frei, gegebenenfalls neue, gegen die angenommenen Einstellungsgründe sprechende Bescheinigungsmittel vorzulegen, von welcher Möglichkeit sie im wesentlichen Punkt allerdings keinen Gebrauch machten. Schließlich ist das Rekursgericht in den Anlassverfahren auf die von den Ausgleichsschuldnern in den Rekursen vorgetragenen Sachargumente auch inhaltlich eingegangen und hat diese - soweit nach der Aktenlage vertretbar - zu deren Gunsten berücksichtigt. Wenn das Berufungsgericht unter diesen Umständen eine relevante Verletzung des Parteiengehörs in den Anlassverfahren verneinte, so ist darin keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende gravierende Fehlbeurteilung zu erkennen.

5. Nach § 67 Abs 1 Z 9 AO aF hatte das Ausgleichsgericht das Ausgleichsverfahren einzustellen, wenn die Erfüllung des Ausgleichs voraussichtlich nicht möglich sein wird. Dieser Einstellungsgrund war - wie alle nach Abs 1 leg. cit. und im Gegensatz zu § 67 Abs 2 AO aF - zwingend (Bartsch/Heil, Grundriss des Insolvenzrechts4, Rz 174; Feil, Konkurs-, Ausgleichs- und Anfechtungsordnung³, § 67 AO Rz 1). Ob die Erfüllung des Ausgleichs „voraussichtlich" nicht möglich sein wird, erfordert, was die Kläger selbst erkennen, eine Wahrscheinlichkeitsabwägung, die wie jede Prognose mit Unsicherheiten behaftet ist und einen gewissen Bewertungsspielraum eröffnet. Zur Beurteilung dieser Frage ist der Bericht des Ausgleichsverwalters wesentliche Grundlage, weil sich dieser über die wirtschaftliche Lage und die bisherige Geschäftsführung des Schuldners, über die Ursachen seines Vermögensverfalls, über die Einbringlichkeit der Außenstände, den Stand der Aktiven und Passiven, die Angemessenheit des angebotenen Ausgleichs, über das Vorliegen von Haftungserklärungen Dritter und über alle für die Entschließung der Gläubiger wichtigen Umstände genaue Kenntnis zu verschaffen (§ 30 Abs 1 AO) und auf das Vorliegen der im § 67 AO bezeichneten Gründe Bedacht zu nehmen hat (§ 31 Abs 1 AO; vgl auch Petschek/Reimer/Schiemer, Das österr. Insolvenzrecht 803).

In den Anlassverfahren sind Erst- und Rekursgericht von den jeweils eindeutig für die Ausgleichseinstellung sprechenden Berichten der Ausgleichsverwalter ausgegangen und das Rekursgericht hat auch unter Zugrundelegung der Rekursargumente plausible und ebenfalls die Unerfüllbarkeit des Ausgleichs indizierende Berechnungen angestellt. Das seinerzeitige Fehlen eines Bewertungsgutachtens über die Beteiligung des Drittklägers hatte bereits der Ausgleichsverwalter bedacht und ist deshalb im Grundsatz ohnehin der eigenen Bewertung des Drittklägers gefolgt (Blg /I). Auch im Verneinen einer unvertretbaren Prognoseentscheidung iSd § 67 Abs 1 Z 9 AO aF ist daher keine krasse Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zu erkennen. Ob noch zusätzlich die Einstellung der Ausgleichsverfahren nach § 67 Abs 1 Z 8 AO aF vertretbar war, darauf kommt es dann nicht mehr an.

Die Kläger haben damit keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt, weshalb die Revision zurückzuweisen ist.

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