European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2005:E76967
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Die beklagte Partei hatte auf dem Gehsteig neben ihrem Geschäftslokal Verkaufsständer aus nicht bruchsicherem Plexiglas aufgestellt, ohne dass dafür eine Bewilligung nach § 82 StVO vorlag. Infolge Montage des (verstellbaren ) Einlegebodens weit oben und Bestückung mit schweren Waren war der Schwerpunkt eines der Verkaufsständer hoch gelegen. Im Zuge eines Handgemenges nach einem vor dem Geschäftslokal stattgefundenen Messerattentat fiel dieser Verkaufsständer um und zerbrach; einer der Splitter verletzte die Klägerin, als diese nach einem Einkauf gerade das Geschäftslokal verließ.
Rechtliche Beurteilung
Um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den im konkreten Fall eingetretenen Schaden verhindern sollte, ist das anzuwendende Schutzgesetz - im vorliegenden Fall § 82 StVO - teleologisch zu interpretieren (ZVR 1991/130 ua). Maßgeblich ist dabei der Inhalt der Norm (ZVR 1995/75; 1995/110). Es genügt, dass die Verhinderung des Schadens bloß mitbezweckt ist; die Norm muss aber die Verhinderung eines Schadens wie des später eingetretenen zumindest intendiert haben (JBl 1993, 788; SZ 61/189; ecolex 1994, 534). Wie weit der Normzweck reicht, ist Ergebnis der Auslegung im Einzelfall (JBl 1999, 192; 1 Ob 200/04z uva).
Gegenstand der StVO ist die Straßenpolizei , also die Sorge um die Sicherheit, Flüssigkeit und Leichtigkeit des Verkehrs auf Straßen und Wegen (ZVR 1966/109 uva). Unter diesem Gesichtspunkt ist vom Schutzzweck des § 82 StVO die Verhinderung der Verengung der Gehsteigbreite durch verkehrsfremde Benützung des Gehsteigs und aller in diesem Zusammenhang auftretenden Gefahren für die körperliche Sicherheit von Fußgängern umfasst, um deren leichtes, flüssiges und sicheres Vorankommen zu ermöglichen. Beispielsweise ist eine Bewilligung nach § 82 StVO zu versagen, wenn durch die beabsichtigte gewerbliche Benützung des Gehsteigs eine Stauung der Fußgänger und deren Ausweichen auf die Fahrbahn zu befürchten ist (VwGH 4. 2. 1994, 93/02/0219). Die Verhinderung von Gefahren, die sich für Passanten allein aus dem allfälligen Umstürzen von am Gehsteig zu Werbezwecken aufgestellten, nicht standsicheren Verkaufsständern ergeben, ist vom Normzweck des § 82 StVO hingegen nicht mitumfasst. Derartige Gefahren liegen außerhalb des Schutzbereichs dieser Norm.
Dennoch ist daraus für den Standpunkt der Revisionswerberin nichts gewonnen. Sowohl im Verfahren erster Instanz wie auch im Berufungsverfahren hat sich die klagende Partei nicht nur auf § 82 StVO berufen, sondern auf „jede erdenkliche Rechtsgrundlage", insbesonders auf die Verletzung von Schutzpflichten. Die Verletzung solcher Schutzpflichten ist zu bejahen:
Schon unabhängig von vertraglichen Sonderbeziehungen muss jeder, der eine Gefahrenquelle schafft, nach ständiger Rechtsprechung die notwendigen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um eine Gefährdung oder Schädigung anderer zu vermeiden (vgl die Nachweise bei Reischauer in Rummel ABGB³, Rz 4 f zu § 1294; Harrer in Schwimann, ABGB², § 1295 Rz 42). Auf Grund allgemeiner Verkehrssicherungspflichten wird beispielsweise einem Geschäftsinhaber die Verpflichtung auferlegt, für die sichere Benutzung der Geschäftsräumlichkeiten und deren Eingangsbereich zu sorgen. Die Klägerin war darüber hinaus Vertragspartnerin der beklagten Partei. Damit ergeben sich Schutz- und Sorgfaltspflichten auch als vertragliche Nebenpflichten. Die daraus erwachsenden Verpflichtungen enden nicht mit der Vertragserfüllung durch Übergabe der gekauften Waren gegen Hingabe des Preises, sondern bestehen darüber hinaus als nachvertragliche Pflichten fort, sich im Hinblick auf die Rechtsgüter des Vertragspartners sorgfältig zu verhalten (vgl RZ 2002/4). Demnach hatte die beklagte Partei ihre das Geschäftslokal verlassenden Kunden vor im Gehsteigbereich drohenden Gefahren, soweit diese bei Anwendung gebotener Sorgfalt erkennbar waren, zu schützen (RIS‑Justiz RS0023597; bbl 2004, 32 mwN). Diese Pflicht darf allerdings auch bei der Vertragshaftung nicht überspannt werden; sie wird durch die Zumutbarkeit möglicher Maßnahmen der Gefahrenabwehr begrenzt (Harrer aaO § 1295 Rz 55; ZVR 1989/28; ZVR 2000/94 uva). Bei der gegebenen Sachlage wäre es den Erfüllungsgehilfen der beklagten Partei ohne weiteres möglich gewesen, den Verkaufsständer durch entsprechend tiefes Einlegen des (verstellbaren) Einlegebodens so mit den Waren zu beladen, dass dessen Schwerpunkt weiter unten gelegen wäre. Dies wäre umso mehr erforderlich gewesen, als der Verkaufsständer aus nicht bruchsicherem Plexiglas bestand und vorhersehbar war, dass er bei schwerer Beladung und zu hohem Schwerpunkt umstürzen und zersplittern könnte. Zusätzlich wäre es durchaus zumutbar gewesen, den Verkaufsständer derart abgesichert (etwa angebunden oder entsprechend umwickelt) aufzustellen, dass er im Falle eines unwillkürlichen An- bzw Umstoßens durch Fußgänger und der dabei zu erwartenden Splitterwirkung nicht zur Gefahr für Kunden (oder sonstige Passanten) hätte werden können.
Grundsätzlich haftet die beklagte Partei daher für die Unterlassung derart zumutbarer Sicherungsmaßnahmen zum Schutz ihrer Kunden - also auch der Klägerin - schon infolge der sie treffenden nachvertraglichen Pflichten.
Zu fragen ist aber, ob das Umstürzen des Ständers auf Grund des Verhaltens des Attentäters und der Verteidigungshandlung des Ehemanns der Angegriffenen nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit lag. War nämlich das schädigende Ereignis nach der allgemeinen Lebenserfahrung für den eingetretenen Schaden nur durch eine außergewöhnliche Verkettung von Umständen eine Bedingung für den Schaden, wäre die Haftung der beklagten Partei dennoch zu verneinen (SZ 62/203; SZ 69/147; SZ 70/11 ua). Dabei kommt es immer auf die Umstände des Einzelfalls an (RIS‑Justiz RS0110361).
Dass ein von einem Geisteskranken auf der Straße begangenes Messerattentat und ein daraus entstehendes Handgemenge nicht vorhersehbar ist, ist klar, aber nicht ausschlaggebend. Maßgeblich ist, ob das Zerbrechen und die Splitterwirkung allein auf eine nur mit einem derartigen Handgemenge in typischem Zusammenhang stehende Gewalteinwirkung zurückzuführen war, beispielsweise auf ein" Zertrümmern " infolge Benützung als Waffe. In dieser Richtung ist aber weder Vorbringen erstattet, noch eine Feststellung getroffen worden. Vorgebracht und festgestellt ist lediglich, dass der Verkaufsständer im Zuge des Handgemenges zu Boden fiel und dadurch zerbrach. Damit ist davon auszugehen, dass sich schon durch einen Stoß die sich aus der speziellen Beladung und Konstruktion der Verkaufsschütte ergebende Gefahr des Umfallens verwirklicht hat, dies insbesonders durch deren nach oben verlagerten Schwerpunkt. Diese sich aus dem Umfallen ergebende Gefahr wäre somit auch ohne das Handgemenge in gleicher Weise dann eingetreten, wenn der Attentäter, der Ehemann der Überfallenen oder ein sonstiger Passant an den Verkaufsständer versehentlich angestoßen oder etwa auf dem Gehsteig zu Sturz gekommen und dabei unwillkürlich gegen den Verkaufsständer gefallen wäre. Ein derartiges Ereignis liegt aber nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit (vgl ZVR 1997/128; 2 Ob 275/97y).
Die Haftung der beklagten Partei aus der Verletzung neben(nach)vertraglicher Verpflichtungen ist daher zu bejahen. Die Revision wäre nur zulässig, wenn dem Berufungsgericht bei Lösung dieser Fragen eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre. Dies trifft aber im Ergebnis nicht zu. Ein Eingehen auf die Frage, ob derselbe Schaden auch bei Vorliegen einer Bewilligung nach § 82 StVO eingetreten wäre, erübrigt sich.
Ein Vorgehen nach § 473a ZPO war nicht erforderlich. Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor.
Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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