OGH 6Ob173/04s

OGH6Ob173/04s25.11.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. K***** GmbH, ***** und 2. Dr. Peter S*****, als Masseverwalter im Konkurs der K*****-B***** Gesellschaft m.b.H., *****, beide vertreten durch Univ. Doz. Dr. Johannes Reich-Rohrwig, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei D***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Karl Hochhaltinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung, hilfsweise Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 26. November 2003, GZ 41 R 169/03m-28, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Donaustadt vom 31. Oktober 2002, GZ 6 C 853/02v-16, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird abgewiesen.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Nach ständiger Rechtsprechung gehört die Auslegung einer Vertragsurkunde allein nach deren Text zur rechtlichen Beurteilung. Wenn sich aber eine Partei bezüglich des Inhalts der Vereinbarung außer auf die Vertragsurkunde auch auf die Einvernahme von Parteien und Zeugen beruft, ist davon auszugehen, dass sie auch behauptet, die Urkunde sei nicht die einzige Erkenntnisquelle des Vertragsinhalts (RIS-Justiz RS0017842). Werden einem solchen Beweisantrag entsprechend zur Auslegung der einer Urkunde zugrunde liegenden Absicht der Parteien andere Beweismittel herangezogen, so werden damit Tatsachenfeststellungen getroffen. Dem Tatsachenbereich ist auch der Schluss von bestimmten Lebenssachverhalten auf die Parteienabsicht zuzuordnen (1 Ob 66/01i). Die Auslegung einer Urkunde allein aus deren Text kann vom Obersten Gerichtshof unter dem Gesichtspunkt der unrichtigen rechtlichen Beurteilung überprüft werden. Dies ist aber dann nicht möglich, wenn die Vorinstanzen eine bestimmte Parteiabsicht festgestellt und hiezu auch andere Beweismittel als die Urkunde herangezogen haben. Die Erforschung der Parteienabsicht ist eine Frage der Beweiswürdigung, deren Überprüfung dem Obersten Gerichtshof entzogen ist (RIS-Justiz RS0017849).

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die dieses nach Beweiswiederholung insbesondere aufgrund von Aussagen neuerlich einvernommener Zeugen getroffen hat, einigten sich die Mietvertragsparteien nach intensiven Verhandlungen schließlich auf die Kompromisslösung, zwar den in den Standardmietverträgen enthaltenen Ausschluss des Konkurrenzschutzes nicht zu streichen, aber die hier strittige Klausel in eine Zusatzvereinbarung aufzunehmen, wobei die Vertragspartner davon ausgingen, dass die Mieterin damit mehr als ein bloßes Informationsrecht eingeräumt erhalten sollte. Damit ist aber der von der Beklagten auch noch in der Revision aufrecht erhaltenen Ansicht, die strittige Klausel sei, soweit sie überhaupt rechtsgültig sei, bloß im Sinn einer Verpflichtung der Beklagten zur Information und Anhörung der Meinung der Mieterin (als bloße "Sprechklausel") zu verstehen, der Boden entzogen. Die Negativfeststellung des Berufungsgerichts, es könne - darüber hinaus - nicht festgestellt werden, was die Parteien unter "zeitgerecht das Einvernehmen herstellen" verstanden haben, ist - wie sich aus der Beweiswürdigung des Berufungsgerichts ergibt - darin begründet, dass die Vertragsverhandlungen viele Jahre zurückliegen, woraus sich nahezu zwingend Erinnerungslücken und Widersprüche in den Zeugenaussagen erklären, denen insoweit daher weder in die eine noch in die andere Richtung zu folgen war. Die Negativfeststellung bedeutet aber im Gegensatz zu den Ausführungen in der Revision nicht, dass die Parteien bei Vertragsabschluss selbst nicht wussten, was sie nun tatsächlich vereinbaren wollten. Aus ihr kann daher nicht der Schluss gezogen werden, dass die Rechtswirksamkeit der strittigen Klausel schon am Erfordernis der bestimmten (eindeutig bestimmbaren) Willenserklärung iSd § 869 ABGB gescheitert sei.

Soweit die Vorinstanzen zur Auslegung auf den Text der Urkunde selbst zurückgegriffen und hieraus rechtliche Schlussfolgerungen gezogen haben, berühren diese keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO. Die Auslegung einer Vereinbarung stellt keine Rechtsfrage dar, deren Entscheidung zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukäme (RIS-Justiz RS0113785; RS0042936; RS0042776), es sei denn, die Entscheidungen der Vorinstanzen beruhten auf einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage, sodass die Revision aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit für zulässig zu erachten wäre (RIS-Justiz RS0042769). Dies gilt selbst bei Vertretbarkeit (auch) der vom Rechtsmittelwerber angestrebten Vertragsauslegung (4 Ob 134/02p). Eine aufzugreifende Fehlbeurteilung dahin, dass die Auslegung des Berufungsgerichts, mit dem Wortsinn oder den Gesetzen der Logik oder der Übung des redlichen Verkehrs nicht in Einklang zu bringen wäre, ist nicht zu erkennen. Wenngleich die Vertragsparteien den einen Konkurrenzschutz grundsätzlich ausschließenden Vertragspunkt des Standardmietvertrags nicht gestrichen haben, zwingt dies nicht zu der von der Beklagten angestrebten Auslegung, weil, wie das Berufungsgericht in nicht zu beanstandender Weise begründet, die Zusatzvereinbarung diesen grundsätzlichen Ausschluss nur umfänglich (hinsichtlich Warenangebot und Betriebsfläche) einschränkt. Die Beibehaltung der Bestimmung im Standardmietvertrag wird im Übrigen der Interessenlage des Betreibers eines Einkaufszentrums an zumindest "nach außen hin" standardisierten Bestandverträgen gerecht, hindert ihn aber nicht daran, bestimmten Mietinteressenten, an denen ihm - wie hier - besonders gelegen ist, entgegenzukommen und mit ihnen "intern" abweichende Sondervereinbarungen zu schließen.

In der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 4 Ob 216/03y stand nicht die Auslegung der hier strittigen Klausel im Vordergrund, sondern die Rechtsfrage, ob die Vereinbarung einer "Ausstiegsklausel" zwischen dem den Vertragsbrüchigen und dem den Vertragsbruch Ausnützenden die Sittenwidrigkeit des Ausnützens fremden Vertragsbruchs begründet. Der Oberste Gerichtshof bestätigte dort die klageabweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen, weil der behauptete Wettbewerbsverstoß der Beklagten zu Recht verneint worden sei und ließ daher die Frage, wie die - auch hier strittige - Klausel auszulegen sei, ausdrücklich offen. Der dessen ungeachtet angefügte Hinweis, dass die Auslegung der Klausel im Sinn eines Konkurrenzschutzes in einem unauflösbaren Widerspruch zum Inhalt der Bestimmung stehe, die sie ergänzen solle und einen Konkurrenzschutz gewähren würde, den der Mietvertrag ausdrücklich ausschließe, erfolgte obiter. Insbesondere aber führt das hier vom Berufungsgericht gefundene Auslegungsergebnis schon deshalb nicht zu einem Widerspruch zur zitierten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, weil hier ein die Auslegung als Konkurrenzklausel stützendes Beweisergebnis, das in den Feststellungen des Berufungsgerichts einen entsprechenden Niederschlag fand, vorliegt. Aus diesem Grund ist auch keine für andere Verfahren, in denen dieselbe Klausel eine Rolle spielen könnte, richtungsweisende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über ihre Auslegung zu erwarten, weil jeweils die im Einzelfall zur Parteienabsicht getroffenen Feststellungen, die keine Bindungswirkung über den vorliegenden Fall hinaus entfalten, maßgebend sind.

Die in § 879 Abs 1 ABGB als Nichtigkeitssanktion verankerte Sittenwidrigkeit ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die vorzunehmende Abwägung eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen oder bei Interessenkollision ein grobes Missverhältnis zwischen den durch entsprechende Vertragsbestimmungen geförderten Interessen des einen Vertragsteils und den zurückgesetzten Interessen des anderen ergibt. Der Umstand, dass die Vertragspartner Kaufleute sind, steht zwar der Beurteilung einer vertraglichen Abrede als sittenwidrig nicht grundsätzlich entgegen, allenfalls ist aber im Einzelfall eine besonders gravierende Ungleichgewichtslage in den durch den Vertrag festgelegten Rechtspositionen zu fordern. Je weniger die Bevorzugung eines Vertragspartners - am dispositiven Recht gemessen - sachlich gerechtfertigt erscheint, desto eher wird auch im Handelsverkehr die Sittenwidrigkeit zu bejahen sein (1 Ob 144/04i mwN). Eine diese Grundsätze bei der Sittenwidrigkeitsprüfung außer Acht lassende Fehlbeurteilung ist dem Berufungsgericht im vorliegenden Einzelfall nicht anzulasten, hat es doch in nicht zu beanstandender Weise dem Umstand, dass die Beklagte die Vertragspartnerin unbedingt als zugkräftige Mieterin im Einkaufszentrum gewinnen bzw behalten wollte und diese schließlich eine sehr große Fläche mietete, womit auch ein entsprechendes Umsatzsrisiko verbunden war, besonderes Gewicht beigemessen.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO ist der Antrag der Kläger auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung abzuweisen.

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