OGH 9ObA99/04f

OGH9ObA99/04f17.11.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Kaszanits und Mag. Thomas Kallab als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Leopold B*****, Fahrlehrer, *****, vertreten durch Dr. Helge Doczekal, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Ing. Andrea S*****, Inhaberin der Fahrschule *****, *****, vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl Kommandit-Partnerschaft in Wien, wegen EUR 25.044,64 brutto sA (Revisionsinteresse EUR 22.799,76), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Mai 2004, GZ 8 Ra 68/04k-37, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 25. Februar 2004, GZ 15 Cga 39/01s-21, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird nicht Folge gegeben. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.189,44 (darin enthalten EUR 198,24 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Im Revisionsverfahren ist nur mehr die Frage des Verfalls der Ansprüche des Klägers auf Kündigungsentschädigung, anteilige Sonderzahlungen, Motorradstundenzulage und Urlaubsentschädigung strittig. Sie wurde vom Berufungsgericht verneint, auf dessen zutreffende Begründung verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Die gegen die Berufungsentscheidung erhobene Revision der Beklagten ist zufolge über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung der Auslegung der Bezug habenden Bestimmung des anzuwendenden Kollektivvertrages (KollV) zulässig (§ 502 Abs 1 ZPO); sie ist jedoch nicht berechtigt.

Konkret wird von der Revisionswerberin die berufungsgerichtliche Auslegung des Punktes XIII. des KollV für die Angestellten in den Fahrschulen Österreichs bekämpft, der wie folgt lautet:

"Verfall von Ansprüchen

Alle Ansprüche aus dem Dienstverhältnis müssen innerhalb von 6 Monaten nach Fälligkeit beim Dienstgeber schriftlich geltend gemacht werden. Bei rechtzeitiger Geltendmachung bleibt die gesetzliche Verjährungsfrist von 3 Jahren gewahrt."

Das Berufungsgericht ging rechtlich davon aus, dass die sechsmonatige Verfallsfrist nach § 34 AngG relativ zwingend sei, daher zwar nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers durch KollV verkürzt, wohl aber zu seinem Vorteil verlängert werden könne. Schon durch die Titulierung des Punktes XIII. des KollV "Verfall von Ansprüchen" sei klargestellt, dass sich die Regelung auf eine Verfallsfrist beziehe, die bei rechtzeitiger schriftlicher Geltendmachung zu Gunsten des Arbeitnehmers nicht zur Anwendung kommen solle. Der Zweck derartiger Verfallsfristen liege darin, für eine rasche Bereinigung der nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses noch offenen Ansprüche zu sorgen, indem der Vertragspartner dazu angehalten werde, seine Ansprüche möglichst bald geltend zu machen. Bei schriftlicher Geltendmachung innerhalb von sechs Monaten trete kein Verfall ein und es könne der Arbeitnehmer sämtliche Ansprüche innerhalb einer Verjährungsfrist von drei Jahren geltend machen. Dies sei hier der Fall. Die Revisionswerberin bestreitet nicht die schriftliche Geltendmachung binnen sechs Monaten; sie hält jedoch die Auslegung der KollVbestimmung durch das Berufungsgericht für unrichtig. Die Annahme, die KollVparteien wollten die sechsmonatige Verfallsfrist verlängern, widerspreche dem offenkundigen Zweck kollektivvertraglicher Verfallsfristen. Eine Frist könne nur dann "gewahrt" werden, wenn sie von vornherein bestehe. Für jene Ansprüche, die nach § 34 AngG innerhalb von sechs Monaten gerichtlich geltend gemacht werden müssen, könne keine gesetzliche Verjährungsfrist von drei Jahren "gewahrt" werden. Das gänzliche Schweigen der KollVbestimmung zur Präklusivfrist nach § 34 AngG könne nicht in der Weise umgedeutet werden, dass sich diese Bestimmung zur Verjährung ohne weiteres auch auf die Verfallsfrist nach § 34 AngG erstrecke. Die Auffassung des Berufungsgerichtes, eine Verfallsklausel bezwecke die Verlängerung einer gesetzlichen Verfallsfrist, sei unhaltbar. Die gegenständliche Verfallsklausel könne nur dahin verstanden werden, dass auch Ansprüche, für welche an sich die Verjährungsfrist des § 1486 Z 5 ABGB offen stünde, innerhalb von sechs Monaten beim Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden müssen, widrigenfalls sie verfallen seien. Bei rechtzeitiger Geltendmachung innerhalb von sechs Monaten, bleibe die gesetzliche Verjährungsfrist gewahrt. Dies ändere aber nichts daran, dass sonstige gesetzliche Verfallsfristen, insb jene nach § 34 AngG, § 1162d ABGB zu beachten seien.

Rechtliche Beurteilung

Dem Auslegungsergebnis der Revisionswerberin, es wäre der Verfall der klägerischen Ansprüche eingetreten, kann nicht beigetreten werden. Unstrittig unterlag das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien dem AngG und dem KollV für die Angestellten in den Fahrschulen Österreichs. Es wurde durch ungerechtfertigte Entlassung beendet; auch das ist in der Revision nicht mehr strittig. Nach § 34 Abs 1 AngG, der als sondergesetzliche Regelung einer Anwendung des § 1162d ABGB vorgeht (Krejci in Rummel, ABGB³ § 1162d Rz 1), müssen Ersatzansprüche wegen vorzeitiger Entlassung iSd §§ 28 und 29 AngG, also solche auf Schadenersatz und/oder Kündigungsentschädigung, bei sonstigem Ausschluss binnen sechs Monaten gerichtlich geltend gemacht werden. Die Frist beginnt nach § 34 Abs 2 AngG mit dem Ablauf des Tages, an dem die Entlassung stattfand. Die Ausschlussfrist des § 34 AngG gilt insb für die Kündigungsentschädigung, nicht jedoch für andere Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis wie etwa Abfertigung, Urlaubsentgelt, laufendes Gehalt oder Sonderzahlungen. Für sie gilt die dreijährige Verjährungsfrist des § 1486 Z 5 ABGB (Wöss, DRdA 1988, 216 [217]; SZ 48/79; RIS-Justiz RS0028477, RS0028735, RS0029680 ua).

§ 34 AngG normiert eine Fallfrist, die gemäß § 40 AngG nur zugunsten, nicht aber auch zum Nachteil des Arbeitnehmers zwingend ist (RIS-Justiz RS0029673). Diese Frist kann daher nicht verkürzt, sie kann aber zugunsten des Arbeitnehmers verlängert werden (Spielbüchler in Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht I4 264; Arb 7048; Arb

10.174 ua; vgl zu § 1162d ABGB Krejci aaO § 1162d Rz 1; Schwimann/Pfeil, ABGB² V § 1162d Rz 6). Die grundsätzliche Kompetenz der kollektivvertragschließenden Parteien, Geltendmachungsfristen in KollV zu normieren, ist § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG zu entnehmen, wo es heißt, durch KollV können "die gegenseitigen aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer" geregelt werden (Pfeil, RdW 1986, 343 [344]; Wöss aaO 221). Wenn im KollV enthaltene Fallfristen zum Nachteil der Arbeitnehmer gegen zwingende gesetzliche Bestimmungen über die Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen verstoßen, wie etwa gegen § 34 AngG, sind sie nichtig (Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht10 312; Arb

10.219 ua).

Der gegenständliche KollV normiert in Punkt XIII. ein zweistufiges System, indem er zunächst in Satz 1 anordnet, dass alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von sechs Monaten nach Fälligkeit beim Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden müssen; sonst - dies kann der Überschrift "Verfall von Ansprüchen" entnommen werden - tritt deren Verfall ein. Satz 2 sieht dann als zweite Stufe vor, dass bei rechtzeitiger Geltendmachung die gesetzliche Verjährungsfrist von 3 Jahren gewahrt bleibt (vgl Arb 10.062 = DRdA 1987/9 [Holzner] und 9 ObA 80/98z zum Abschnitt A Z 4 der Gehaltsordnung des KollV für die Handelsangestellten Österreichs; ähnlich auch Punkt XX. des KollV für das eisen- und metallverarbeitende Gewerbe). Mangels anderer Hinweise genügt die außergerichtliche Geltendmachung. Die Ansprüche müssen dabei aber soweit konkretisiert werden, dass der Arbeitgeber erkennen kann, welche Ansprüche ihrer Art nach gemeint sind (vgl Schwarz/Löschnigg aaO 313; DRdA 1981, 328; Arb 10.889; 9 ObA 80/98z ua).

KollV sind im normativen Teil nach den Regeln, die für die Auslegung von Gesetzen gelten (§§ 6, 7 ABGB), auszulegen. Sie sind als Ergebnis der Verhandlung der KollVparteien häufig Kompromisse. Bei ihrer Auslegung ist im Zweifel davon auszugehen, dass die KollVparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchzuführende Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten (RIS-Justiz RS0008807, RS0010088 ua).

Richtig ist, dass es Zweck der Regelung des § 34 AngG ist, für eine möglichst rasche Bereinigung der nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses noch offenen Ansprüche zu sorgen. Die Vertragspartner sollen dazu angehalten werden, möglichst bald ihre Ansprüche geltend zu machen; andernfalls droht Bereinigung durch Verfall (vgl Krejci aaO § 1162d Rz 3; Arb 10.475 ua). Allerdings gilt die sechsmonatige Verfallsfrist nach § 34 AngG nicht für alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, sondern eben soweit hier relevant nur für Ersatzansprüche wegen vorzeitiger Entlassung iSd §§ 28 und 29 AngG. Die Besonderheit des Punktes XIII. des KollV liegt nun darin, dass nach dem eindeutigen Wortlaut in Satz 1 über § 34 AngG hinaus "alle" Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erfasst werden. Hierin liegt auch der von der Revisionswerberin negierte Vorteil der Arbeitgeberseite. Im Gegenzug ordnet dann Satz 2 an, dass bei rechtzeitiger Geltendmachung die gesetzliche Verjährungsfrist von drei Jahren gewahrt bleibt. Der Revisionswerberin ist zuzugeben, dass der Ausdruck "gewahrt" gewisse Auslegungsprobleme bereiten kann, wenn man sich dem Thema von ihrem Standpunkt nähert. Satz 2 bringt aber in keiner Weise zum Ausdruck, dass mit der Anordnung der "Wahrung" der gesetzlichen Verjährungsfrist nicht alle Ansprüche des Satzes 1, nämlich alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, gemeint sein sollen. Die Auslegung der Revisionswerberin, Satz 2 würde sich nur auf jene Ansprüche beziehen, die nicht unter § 34 AngG fallen, findet im KollVwortlaut keine Stütze. Hierin liegt gerade der sichtbare Kompromiss der Kollektivvertragsparteien. Während zunächst in Satz 1 "alle" Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis der sechsmonatigen Verfallsfrist unterworfen werden, gilt anschließend für "alle" Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis die dreijährige Verjährungsfrist, sofern sie rechtzeitig binnen sechs Monaten schriftlich geltend gemacht wurden (und daher noch nicht verfallen sind). Die Auffassung der Revisionswerberin, die berufungsgerichtliche Auslegung des Kollektivvertrages laufe dem Zweck jeder Verfallsfrist, nämlich der raschen Klärung offener Ansprüche, diametral zuwider, trifft nicht zu. Durch die gegenständliche Regelung ist vielmehr sichergestellt, dass sich der Arbeitnehmer hinsichtlich aller Ansprüche rasch artikulieren muss, indem er sie binnen sechs Monaten geltend macht. Der Arbeitgeber kann daher nicht durch die erstmalige gerichtliche Geltendmachung offener Ansprüche unmittelbar vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist überrascht werden. Sie ist nur mehr möglich, wenn schon vorher binnen sechs Monaten die außergerichtliche Geltendmachung erfolgt ist.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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