OGH 7Ob216/04x

OGH7Ob216/04x29.9.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Lovrek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Reinhard S*****, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei W*****-AG, ***** vertreten durch Emberger Rechtsanwaltskanzlei GmbH in Wien, wegen Feststellung (Streitwert EUR 36.000), über die außerordentliche Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 7. Mai 2004, GZ 4 R 68/04p-14, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Der Kläger ist bei der beklagten Partei seit 1. 9. 2001 unfallversichert. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB 1994) zugrunde, die ua folgende Bestimmungen enthalten:

§ 9 Die Obliegenheiten nach Eintritt eines Unfalles

.....

II. Die vom Versicherer übersandte Unfallanzeige ist wahrheitsgemäß auszufüllen und umgehend an den Versicherer zurückzusenden. ...

§ 10 Folgen von Obliegenheitsverletzungen

Wird eine nach dem Eintritt des Unfalles zu erfüllende Obliegenheit verletzt, so ist der Versicherer von der Leistungspflicht frei, es sei denn, dass die Verletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht. Bei grob fahrlässiger Verletzung bleibt er zur Leistung verpflichtet, soweit die Verletzung weder Einfluss auf die Feststellung des Unfalles noch auf die Bemessung der Leistung gehabt hat.

Weiters wurden dem Versicherungsvertrag der Streitteile die Besonderen Bedingungen zur Maklerpool Gruppenunfall-Versicherung (AUB 94) zugrunde gelegt, die ua folgende Bestimmungen aufweisen:

31. Versehensklausel

Unterbleibt versehentlich eine Anzeige bzw die Erfüllung einer vertraglichen Obliegenheit, so beeinträchtigt das die Leistungspflicht des Versicherers nicht, wenn der Versicherungsnehmer bzw der Versicherte nachweisen, dass es sich hiebei nur um ein Versehen handelte und nach Erkennen die Anzeige unverzüglich nachholen bzw die Obliegenheit unverzüglich erfüllen.

Der Kläger, der sich im November 1998 bei einem Verkehrsunfall das Innenband seines linken Knies eingerissen hatte, verletzte sich am 27. 10. 2001 bei einem Unfall in seinem Garten das linke Knie neuerlich. Feststeht, dass er in seiner betreffenden Schadensanzeige an die Beklagte die Frage nach einer Vorverletzung wahrheitswidrig verneinte.

Über entsprechenden Einwand der Beklagten haben die Vorinstanzen (ua) darin eine gemäß § 10 AUB 94 die Leistungsfreiheit der Beklagten bewirkende Verletzung der in § 9 II. AUB 94 normierten Obliegenheit erblickt und die Deckungsklage des Klägers daher abgewiesen.

Das Erstgericht hat in diesem Zusammenhang die (negative) Feststellung getroffen, es sei nicht erwiesen (iS von nicht feststellbar), warum der Kläger in seiner Unfallanzeige den Unfall vom November 1998 nicht angegeben habe. Das Berufungsgericht hat mit Bezug auf diese negative Feststellung die - ständiger oberstgerichtlicher Judikatur (RIS-Justiz RS0080477 mit zahlreichen Entscheidungsnachweisen) folgende - Rechtsansicht vertreten, der Versicherer könne sich darauf beschränken, die objektive Obliegenheitsverletzung darzulegen und zu beweisen. Vorsatz werde dann - widerlegbar - vermutet, weil für den Vorsatz iSd § 6 Abs 3 VersVG das allgemeine Bewusstsein genüge, dass ein Haftpflichtversicherter bei der Aufklärung des Sachverhalts nach besten Kräften aktiv mitwirken müsse; dieses Bewusstsein sei bei einem Versicherten in der Regel vorauszusetzen, es sei denn, dass sich aus ganz besonderen, vom Versicherungsnehmer zu beweisenden Umständen etwas Anderes ergebe. Solche Umstände habe der Kläger, der selbst Versicherungsangestellter und mit der Abwicklung von Schadensfällen vertraut sei, auch nicht annähernd dargelegt. Er könne sich daher weder auf leichte Fahrlässigkeit noch auf ein Versehen (im Sinne der Versehensklausel der Besonderen Bedingungen zur Maklerpool Gruppenunfall-Versicherung) berufen. Den nach § 6 Abs 3 VersVG möglichen Kausalitätsgegenbeweis habe der Kläger im Verfahren erster Instanz nicht angetreten.

Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht, das weiters aussprach, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes EUR 20.000 übersteige, für nicht zulässig erklärt, weil es sich bezüglich der maßgeblichen Rechtsfrage der Beweislast auf eine einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs stützen habe können.

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger macht in der Zulassungsbeschwerde seiner außerordentlichen Revision hingegen geltend, zur Frage, unter welchen Voraussetzungen von den Beweislastregeln abgegangen werden könne und das Gericht mangelndes Verschulden oder fehlende Kausalität auch ohne konkrete Beweismittel prüfen müsse, liege keine bzw widersprüchliche Rechtsprechung vor, weshalb die außerordentlichen Revision zulässig sei.

Damit vermag der Kläger einen tauglichen Grund für die Zulassung seines außerordentlichen Rechtsmittels aber nicht aufzuzeigen, zumal seine Behauptung, es mangle an einschlägiger oberstgerichtlicher Judikatur bzw diese sei widersprüchlich, unrichtig ist: In ganz einhelliger, auch von der Lehre gebilligter Rechtsprechung wird vom Obersten Gerichtshof judiziert, dass nur die Beweislast für das Vorliegen des objektiven Tatbestandes einer Obliegenheitsverletzung den Versicherer trifft. Sache des Versicherungsnehmers ist es hingegen, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen habe (RIS-Justiz RS0081313 mit zahlreichen Entscheidungsnachweisen). Gelingt dem Versicherungsnehmer der Nachweis, dass die Obliegenheitsverletzung als eine unverschuldete anzusehen ist (§ 6 Abs 1 VersVG), oder dass sie von ihm nur mit einfacher bzw leichter Fahrlässigkeit begangen wurde, hat die Obliegenheitsverletzung keine Einschränkung der Leistungspflicht des Versicherers zur Folge. Gelingt dem Versicherungsnehmer dieser Beweis nicht, steht ihm bei grober Fahrlässigkeit der Kausalitätsgegenbeweis offen (Schauer, Versicherungsvertragsrecht³ 261 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rsp); ebenso bei schlichtem Vorsatz (RIS-Justiz RS0086335). Unter Kausalitätsgegenbeweis ist der Nachweis zu verstehen, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalles noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluss gehabt hat (7 Ob 238/98w, VersR 2000, 1396 uva).

Es trifft zwar nun zu, dass der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt darauf hingewiesen hat, dass das Gericht auch ohne formellen Beweisantritt durch den Versicherungsnehmer einen Mangel an Verschulden oder Kausalität berücksichtigen muss, wenn die Sachlage dazu Anlass bietet (7 Ob 2/80, SZ 53/22; 7 Ob 10/89, VersE 1428; 7 Ob 97/97h). Ob eine Sachlage gegeben ist, die die Annahme minderen Verschuldens an der Obliegenheitsverletzung oder auch ein Gelingen des Nachweises, dass die Obliegenheitsverletzung keinen Einfluss auf Feststellung oder Umfang der Leistungspflicht des Versicherers gehabt habe, nahelegt, hängt selbstredend von den Umständen des Einzelfalls ab und kann wegen dieser Einzelfallbezogenheit nur dann eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO darstellen, wenn dem Berufungsgericht eine Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, die aus Gründen der Rechtssicherheit vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden müsste. Davon kann aber im vorliegenden Fall gar keine Rede sein:

Dass falsche Angaben gegenüber dem Versicherer Folgen nach sich ziehen, zählt zum Allgemeinwissen (7 Ob 43/98v; 7 Ob 74/00h; 7 Ob 232/02x ua). Da der Kläger Versicherungsangestellter ist, kann bei ihm darüber hinaus nicht nur das - Versicherungsnehmern allgemein zu unterstellende Bewusstsein, bei der Aufklärung des Sachverhalts nach besten Kräften aktiv mitwirken zu müssen (RIS-Justiz RS0080477), sondern im besonderen Maße auch die Einsicht vorausgesetzt werden, dass der Bestimmung des § 9 II. AUB 94 Beachtung zu schenken ist. Davon ausgehend könnte nur der Nachweis besonderer Umstände die Annahme vorsätzlichen oder zumindest grob fahrlässigen Verhaltens des Klägers bei der unrichtigen Beantwortung der Frage nach Vorverletzungen in Frage stellen (vgl 7 Ob 170/99x mwN; 7 Ob 17/01b, VersR 2001, 1539 ua). Wie schon das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, sind nach dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt aber nur Indizien vorhanden, die dafür sprechen, dass der Kläger die Frage nach Vorverletzungen vorsätzlich, jedenfalls aber grob fahrlässig unrichtig beantwortet hat. Nach dem "gegebenen Sachverhalt" wäre es daher am Kläger gelegen, zu behaupten und zu beweisen, dass ihn an der objektiv falschen Beantwortung der Frage nach Vorverletzungen kein Verschulden treffe bzw sich die Obliegenheitsverletzung nur als Versehen darstelle. Diesen Beweis hat der Kläger aber nicht einmal angetreten.

Ebenso verhält es sich hinsichtlich des ebenfalls dem Kläger obliegenden Kausalitätsgegenbeweises. Diesen anzutreten hätte sich nur dann erübrigt, wenn nach menschlichem Ermessen durch die gegenständliche Obliegenheitsverletzung eine Beeinträchtigung der Beklagten nicht eingetreten sein könnte (vgl SZ 53/22 ua). Dies ist hier keineswegs der Fall; Dass das Verschweigen der Vorverletzung grundsätzlich geeignet war, den Umfang der Versicherungsleistung zu beeinflussen, liegt vielmehr auf der Hand. Auch hier wäre es daher Sache des Klägers gewesen, zu behaupten und zu beweisen, dass seine Obliegenheitsverletzung doch keinen Einfluss auf Feststellung und Umfang der Leistungspflicht der beklagten Partei gehabt habe. Da er auch diesbezüglich nichts vorgebracht, den Kausalitätsgegenbeweis also gar nicht angetreten, geschweige denn erbracht hat, steht die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts keineswegs im Widerspruch, sondern im Einklang mit der einschlägigen oberstgerichtlichen Judikatur.

Die Annahme des Berufungsgerichts, die Revision sei mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig, ist daher richtig. Das Rechtsmittel des Klägers muss zurückgewiesen werden.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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