OGH 10ObS139/04w

OGH10ObS139/04w14.9.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Jörg Krainhöfner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gottfried Winkler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Monica Marinella V*****, vertreten durch Dr. Gerda Schildberger, Rechtsanwältin in Bruck an der Mur, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert Stifter Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. Mai 2004, GZ 7 Rs 38/04v-28, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Nach § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision gegen das Urteil des Berufungsgerichts nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Prozessrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist.

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Zunächst ist festzuhalten, dass dem vorliegenden Fall die §§ 179, 181 ASVG in der vor der 60. ASVG-Novelle BGBl I 2002/140 geltenden Fassung zugrunde zu legen sind, weil die am 1. 1. 2003 in Kraft getretenen Änderungen dieser Bestimmungen durch die 60. ASVG-Novelle nur auf Versicherungsfälle, die nach dem 31. 12. 2002 eintreten, anzuwenden sind (§ 600 Abs 1 Z 3 und Abs 9 ASVG; 10 ObS 131/02s).

Hinsichtlich der Versehrtenrente der Klägerin ist die Höhe der Bemessungsgrundlage iSd § 182 ASVG strittig; dass diese nicht nur dann gemäß leg cit nach billigem Ermessen festzustellen ist, wenn sie nach den §§ 179 bis 181b nicht errechnet werden kann (§ 182 Satz 1 erster Halbsatz ASVG), sondern auch dann, wenn ihre Errechnung nach diesen Bestimmungen eine Unbilligkeit bedeuten würde (§ 182 Satz 1 zweiter Halbsatz ASVG; stRsp; 10 ObS 170/02a = SSV-NF 16/72; RIS-Justiz RS0084405), was nicht nur für unbillig niedrige sondern auch für unbillig hohe Bemessungsgrundlagen, die sich nach der üblichen Berechnung ergeben würden, gilt (vgl zuletzt: 10 ObS 131/02s; SSV-NF 16/72), zieht die ao Revision allerdings nicht in Zweifel.

Die Revisionswerberin wendet sich vielmehr dagegen, dass das Berufungsgericht die Bemessungsgrundlage - im Einklang mit dem Erstgericht - abweichend von den dazu in der Rsp bisher "festgelegten Kriterien" ausgemittelt habe, ohne dazulegen, weshalb es von den "in Lehre und Judikatur vorgezeichneten Erwägungen" abgegangen sei, und macht zur Zulässigkeit ihres ao Rechtsmittels geltend, das Berufungsgericht habe sich zwar mit der Bestimmung des § 179 aF ASVG befasst und die rechtlichen Argumente der Berufung aufgegriffen, jedoch im Ergebnis - letztlich wiederum aus Gründen der Billigkeit - die vom Erstgericht festgelegte Bemessungsgrundlage, welche "sehr deutlich" unter dem von der Klägerin erzielten und auch festgestellten Einkommen [aus] ihrer Erwerbstätigkeit im Jahr vor dem Unfall liege, übernommen. Auch "Billigkeitsentscheidungen" müssten aber nachvollziehbar sein. Die Revision sei daher zu der iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Frage der "Ausmittlung der Bemessungsgrundlage für den Rentenanspruch" zulässig.

Diese Revisionsausführungen lassen Folgendes außer Betracht:

Für sämtliche Geldleistungen aus der Unfallversicherung ist die Bildung der Bemessungsgrundlage einheitlich geregelt (§§ 178 bis 182 ASVG). Bemessungszeitraum ist stets ein volles Jahr. Einkünfte werden bis zur Höchstbeitragsgrundlage herangezogen. Im Hinblick auf die verschiedenartigen versicherten Personenkreise, die Problematik des Lebensalters zum Unfallszeitpunkt und die Schwierigkeit, den Personenschaden bei nichtversicherten Leistungsberechtigten festzustellen, stellt der Gesetzgeber alternativ verschiedene Bemessungsgrundlagen zur Verfügung. Kann die Bemessungsgrundlage nach den §§ 179 bis 181b ASVG nicht errechnet werden oder würde ihre Errechnung nach diesen Bestimmungen eine Unbilligkeit bedeuten, so ist sie - wie bereits ausgeführt - gemäß § 182 ASVG nach billigem Ermessen festzustellen. Dabei ist - wie die ao Revision selbst festhält - außer den Fähigkeiten, der Ausbildung und der Lebensstellung des Versicherten seine Erwerbstätigkeit zur Zeit des Eintrittes des Versicherungsfalles oder, soweit er nicht gegen Entgelt tätig war, eine gleichartige oder vergleichbare Erwerbstätigkeit zu Bedacht zu nehmen, also die Gesamtsituation des Versehrten zu berücksichtigen (SSV-NF 16/72 mwN; Tomandl System des österr Sozialvericherungsrechts 13. Erg-Lfg 327 Kap 2.3.3.2.1.F).

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senates stehen die hier anzustellenden Erwägungen bezüglich der Billigkeit daher grundsätzlich unter dem Aspekt, dass die Bemessungsgrundlage "ein Spiegel der wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten im letzten Jahr vor dem Unfall sein soll" (RIS-Justiz RS0084405 [T4] = SSV-NF 16/72; zuletzt: 10 ObS 131/02a); es handelt sich also um eine nur nach den Umständen des Einzelfalls zu lösende Rechtsfrage. Demgemäß kommt ihr - auch wenn ein völlig gleichartiger Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof noch nicht entschieden wurde - eine grundsätzliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 nicht zu (RIS-Justiz RS0107773; vgl zuletzt: 10 ObS 72/04t mwN). Die in leg cit normierte Voraussetzung für die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision wäre vielmehr (weil es sich um eine Abwägung im Einzelfall [RIS-Justiz RS0042405; RS0044088] handelt) erst dann erfüllt, wenn der (Ermessens-)Spielraum derart überschritten wurde, dass eine Korrektur im Interesse der Rechtssicherheit geboten erscheint (10 ObS 81/04s mwN; vgl auch: RIS-Justiz RS0021095 [T3]; RS0113693 [T1]; zuletzt: 10 Ob 42/04f und 10 ObS 72/04t; Kodek in Rechberger² Rz 3 Abs 4 zu § 502 ZPO).

Davon kann hier aber keine Rede sein; was die am 5. 9. 1976 geborene, aus Rumänien stammende Klägerin (die dort eine 4-jährige Berufsschule für Handel im Gastronomiegewerbe samt Abschlussprüfung im Handwerk "Händler, Gastwirt, Barmann, Verkäufer" absolvierte und im Jahr 1995 nach Österreich kam) betrifft, war in diesem Zusammenhang (also für das letzte Jahr vor ihrem Arbeitsunfall vom 9. 9. 1998) nämlich Folgendes zu berücksichtigen:

Sie war zunächst nur von September bis November 1997 (als geringfügig beschäftigt) und im April 1998 (als Arbeiterin mit einem Bruttobezug von S 6.872) sowie schließlich (infolge Nachversicherung im Konkurs ihres letzten Arbeitgebers) auch noch ab 22. 7. 1998 (mit S 16.440 Beitragsgrundlage) bei der Sozialversicherung angemeldet, woraus die Beklagte nach § 179 Abs 2 ASVG eine Bemessungsgrundlage von EUR 13.019,37 (= S 179.150,40) ermittelte. Außerdem ist nach den für den genannten Zeitraum getroffenen Feststellungen davon auszugehen, dass die Klägerin den (hohen) Nettoverdienst als Kellnerin und "Stripperin" von monatlich S 42.000 (darin S 12.000 für erstere und S 28.000 für letztere Tätigkeit sowie S 2.000 an Provisionen für verkaufte Getränke) lediglich vom 22. 7. 1998 bis zum 9. 9. 1988 erzielte, während sie in der übrigen Zeit mehr als 6 Monate ohne Beschäftigung war und im Monat April 1998 als Kellnerin S 5.000 netto sowie zweieinhalb Monate im Herbst 1997 einen Verdienst in ungeklärter Höhe bezog.

Wenn die Vorinstanzen auf dieser Grundlage - nach Billigkeit - eine Bemessungsgrundlage von EUR 22.383,62 (= S 308.005,33, also rund S 22.000 x 14) ermittelt haben, die in etwa dem entspreche, was eine qualifizierte Kellnerin verdienen könne, ist dazu (weil diese [Einzelfall-]Entscheidung - entgegen der Ansicht der Revisionswerberin - durch den Obersten Gerichtshof nur dann überprüfbar wäre, wenn im Interesse der Rechtssicherheit ein grober Fehler bei der Auslegung der anzuwendenden Norm korrigiert werden müsste [RIS-Justiz RS0044088; 10 ObS 81/04s mwN]) lediglich festzuhalten, dass dem Berufungsgericht ein derartiger Beurteilungsfehler nicht unterlaufen ist: Geht es doch - wie bereits die Berufungsentscheidung zutreffend festhält - ohnehin von [tatsächlich gar nicht erzielten, durchgehenden] Monatseinkünften der Klägerin im Jahr vor Eintritt des Versicherungsfalles in Höhe von S 25.666,66 (= 22.000 x 14 geteilt durch 12) sowie (offenbar) davon aus, dass die Errechnung der Bemessungsgrundlage nach § 179 Abs 2 ASVG (in der hier anzuwendenden, vor der 60. ASVG-Novelle BGBl I 2002/140 geltenden Fassung, wonach es noch auf das Jahr - und nicht wie ab 1. 1. 2003 auf das Kalenderjahr - vor Eintritt des Versicherungsfalles ankommt [Teschner/Widlar 87. Erg-Lfg FN 4 zu § 179 ASVG]) eine Unbilligkeit bedeuten würde, weil dabei ein darüber hinausgehendes, im relevanten Zeitraum aber nur kurzfristig (etwas mehr als 6 Wochen) erzieltes Einkommen berücksichtigt würde.

Mangels erheblicher, für die Entscheidung des Verfahrens relevanter Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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