OGH 10ObS102/04d

OGH10ObS102/04d27.7.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Carl Hennrich (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerhard Loibl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Christine M*****, Pensionistin, *****, vertreten durch Rechtsanwälte Summer Schertler Stieger, Bregenz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Ausgleichszulage, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. März 2004, GZ 25 Rs 20/04h-23, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 1. Dezember 2003, GZ 34 Cgs 157/02a-19, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Rekurs der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Klägerin ist am 8. 7. 1979 geboren. Seit 1. 12. 2000 bezieht sie von der Pensionsversicherungsanstalt (früher Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten) eine Berufsunfähigkeitspension.

Mit Bescheid vom 16. 7. 2002 stellte die beklagte Partei die der Klägerin gewährte Ausgleichszulage unter Anrechnung eines Unterhaltsanspruchs gegenüber ihrem Vater ab 1. 4. 2002 neu mit 274,75 EUR monatlich fest.

Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen, auf Gewährung einer Ausgleichszulage im monatlichen Betrag von 483,03 EUR ab dem 1. 3. 2002 gerichteten Klage statt. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die Klägerin lebt seit 28. 3. 2002 nicht mehr im gemeinsamen Haushalt mit ihren Eltern. Sie bezieht von der beklagten Partei eine Pension in der Höhe von 147,89 EUR monatlich. Der Vater der Klägerin hat ein monatliches Nettoeinkommen von 2.095,10 EUR, leistet aber keinen Unterhalt an die Klägerin.

Bei der Klägerin finden sich schwere Entwicklungsstörungen mit traumatisierenden Erlebnissen, die von Missbrauch und Vergewaltigungen geprägt sind. Es besteht eine sehr ambivalente Beziehung zu ihren Eltern. Nach wie vor finden sich Zeichen einer ausgeprägten emotional instabilen Persönlichkeit mit stark verminderter Frustrationstoleranz. Bereits alltägliche Situationen führen bei der Klägerin zu psychischen Belastungen, einhergehend mit Angstzuständen. Sie ist nicht in der Lage, gegenüber ihrem Vater, der zu einer freiwilligen Unterhaltsleistung nicht bereit ist, einen Unterhalt im Wege eines gerichtlichen Verfahrens durchzusetzen. Ein solches Verfahren würde zu einer erheblichen gesundheitlichen Gefährdung der Klägerin bis hin zu Suizidgefahr führen, dies auch dann, wenn ein solcher Prozess durch einen bevollmächtigten Vertreter geführt würde und es dabei nicht zu einer persönlichen Konfrontation zwischen der Klägerin und ihrem Vater käme.

In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, dass an sich ein Unterhaltsanspruch der Klägerin gegenüber ihrem Vater in Höhe von 208,28 EUR zu bejahen wäre. Bei der Feststellung, ob der Versicherten eine Ausgleichszulage gebühre, seien zu ihrem Pensionsbezug auch allfällige Unterhaltsansprüche hinzuzurechnen. Greife keine Pauschalierung ein, könne als Einkunft iSd § 292 Abs 3 ASVG nur ein tatsächlich realisierter Bezug gewertet werden; der bloße Anspruch auf bestimmte Geld- und Sachleistungen reiche nicht aus. Der subsidiäre sozialhilfeähnliche Charakter der Ausgleichszulage verbiete es jedoch, dass der Berechtigte rechtsmissbräuchlich von sich aus auf realisierbare Einkünfte verzichte. Ein Rechtsmissbrauch werde nicht vermutet, sondern sei von demjenigen darzutun und zu beweisen, der sich darauf berufe. Ein solcher Rechtsmissbrauch sei aber von der beklagten Partei gar nicht behauptet worden. Dass die Klägerin gegen ihren Vater den Unterhalt nicht gerichtlich durchsetze, hänge ausschließlich mit der Familiengeschichte und der massiven psychischen Erkrankung der Klägerin zusammen und habe auf keinen Fall den Zweck, die beklagte Partei zu schädigen. Das unbefriedigende Ergebnis, dass der an sich unterhaltspflichtige Vater der Klägerin auf diese Weise entlastet werde, ändere nichts an der Beurteilung, dass die beklagte Partei der Klägerin die Ausgleichszulage weiterhin ohne Anrechnung eines fiktiven Unterhalts zu gewähren habe.

Über Berufung der beklagten Partei hob das Berufungsgericht das Ersturteil insoweit, als die beklagte Partei verpflichtet wurde, der Klägerin zu ihrer Berufsunfähigkeitspension von 1. 3. 2002 bis 31. 3. 2002 eine Ausgleichszulage von 483,03 EUR zu bezahlen, als nichtig auf. Hinsichtlich der Zuerkennung einer Ausgleichszulage ab 1. 4. 2002 in der Höhe von 483,03 EUR monatlich wurde das Ersturteil aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde zugelassen.

Das Berufungsgericht sah eine zur Aufhebung des Ersturteils und Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht führende Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens darin, dass es das Erstgericht unterlassen habe, zur Klärung der Frage, ob der Klägerin Unterhaltsleistungen ihres Vaters zufließen, von Amts wegen den Vater der Klägerin einzuvernehmen. Auf die Beweisrüge der beklagten Partei könne noch nicht eingegangen werden, da eine umfassende Beweiswürdigung, die alle Beweisergebnisse zu berücksichtigen habe, noch nicht möglich sei. Gleiches gelte für die Rechtsrüge, da im Hinblick auf die aufgetragene ergänzende Beweisaufnahme die Sachverhaltsgrundlage noch nicht abschließend feststehe.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei aus folgendem Grund zulässig: Nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofes treffe grundsätzlich die Versicherungsanstalt die Behauptungs- und Beweislast für ein die Ausgleichszulage verminderndes Einkommen. Das Berufungsgericht habe die Frage bejaht, ob die beklagte Partei mit ihrem Vorbringen bzw den Feststellungen des Erstgerichts zum Unterhaltsanspruch der Klägerin gegenüber ihrem Vater dieser Behauptungspflicht nachgekommen sei und das Gericht im Rahmen seiner Verpflichtung nach § 87 Abs 1 ASGG die tatsächliche Realisierung bzw Realisierbarkeit von Amts wegen zu prüfen gehabt habe. Zählte die Frage der außergerichtlichen Realisierung bzw Realisierbarkeit des Unterhaltsanspruchs hingegen selbständig zu jenen anspruchsvernichtenden Umständen, für die der Sozialversicherungsträger behauptungspflichtig sei, bestünde keine Verpflichtung der Sozialgerichte zur amtswegigen Beweisaufnahme, sondern setzte diese entsprechende Behauptungen der beklagten Partei voraus. Diese Frage sei bisher vom OGH nicht entschieden worden.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der klagenden Partei aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und der Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit dem Antrag, "die Berufung der beklagten Partei als unbegründet abzuweisen, in eventu den Beschluss des Berufungsgerichtes aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen."

Die beklagte Partei hat keine Rekursbeantwortung eingebracht.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem Zulassungsausspruch des Gerichts zweiter Instanz liegt eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 519 Abs 2 iVm § 502 Abs 1 ZPO nicht vor.

Die beklagte Partei hat im erstinstanzlichen Verfahren in der am 25. 9. 2002 eingebrachten Klagebeantwortung vorgebracht, dass Unterhaltsansprüche der Klägerin gegenüber ihren Eltern mangels eines gemeinsamen Haushalts ab 28. 3. 2002 nicht mehr durch Pauschalanrechnung zu berücksichtigen seien, sondern es sei der Unterhaltsanspruch iSd § 293 Abs 1 bis 3 ASVG als tatsächliches Einkommen anzurechnen, wobei sich bei Anwendung der "Prozentsatzmethode" ein Unterhaltsanspruch der Klägerin von 356,17 EUR ergebe, der sich durch die (gänzliche) Anrechnung der Eigenpension in Höhe von 147,98 EUR auf 208,28 EUR verringere. In der Streitverhandlung vom 20. 11. 2003 beantragte die beklagte Partei - ohne Bekanntgabe eines Beweisthemas - unter anderem noch die Einvernahme des Vaters der Klägerin als Zeugen. Aus dem Fortgang des Verfahrens und seinen Ergebnissen ist zu ersehen, dass dies im Zusammenhang mit der Frage stand, ob der Vater zu einer tatsächlichen Unterhaltserbringung bereit sei, sodass die Führung eines - der Klägerin möglicherweise unzumutbaren - Unterhaltsprozesses entbehrlich wäre.

Ein Vorbringen in Richtung eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens (siehe dazu die Entscheidungen 10 ObS 37/02t [SSV-NF 16/97] und 10 ObS 223/02w, je vom 17. 9. 2002) wurde von der beklagten Partei im erstinstanzlichen Verfahren nicht erstattet. In der Berufung weist die beklagte Partei ausdrücklich darauf hin, dass der Klägerin kein Rechtsmissbrauch vorgeworfen werde. Die Rechtsmittelgerichte haben sich daher mit der Frage eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens der Klägerin nicht auseinander zu setzen (vgl RIS-Justiz RS0043317 und RS0043338, zuletzt 8 Ob 24/02s und 10 Ob 41/04h), sodass diese Thematik auch nicht die Grundlage für die Zulassung des Rekurses an den Obersten Gerichtshof bilden kann.

Grund für die Aufhebung des Ersturteils durch das Berufungsgericht ist die Unterlassung der (amtswegigen) Prüfung, ob der Klägerin Unterhaltsleistungen ihres Vaters zufließen. Auf die Rechtsrüge ist das Berufungsgericht nicht eingegangen, weil die Sachverhaltsgrundlage im Hinblick auf die aufgetragene ergänzende Beweisaufnahme noch nicht abschließend feststehe. Seitens des Berufungsgerichts liegt daher noch keine Beurteilung einer Rechtsfrage vor, die durch den Obersten Gerichtshof überprüft werden könnte. Wie sich aus der Bezugnahme auf die Entscheidung des Berufungsgerichts in § 502 Abs 1 ZPO ergibt, kann vom Obersten Gerichtshof im Rahmen der Zulassungsrevision bzw des Rekursverfahrens nach § 519 ZPO nur eine Rechtsfrage behandelt werden, die vom Berufungsgericht beantwortet (und nicht nur zur abstrakten Behandlung an die dritte Instanz weitergereicht) wurde.

Im Sinne seiner ständigen Judikatur zur "wiederholten Mängelrüge" (RIS-Justiz RS0042963) kann vom Obersten Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, auch nicht eine vom Berufungsgericht bejahte Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens nach § 496 Abs 1 Z 2 ZPO im Wege des Rekursverfahrens nach § 519 Abs 3 ZPO nachgeprüft werden.

Mangels Vorliegens einer für die Anrufung des Obersten Gerichtshofes notwendigen erheblichen Rechtsfrage iSd §§ 519 Abs 2, 502 Abs 1 ZPO war das unzulässige Rechtsmittel der Klägerin zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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