OGH 1Ob87/04g

OGH1Ob87/04g17.5.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** Versicherungs AG, ***** vertreten durch Tramposch & Partner, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen EUR 20.244,66 sA infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 11. Februar 2004, GZ 5 R 5/04a-12, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Im vorliegenden Verfahren ist die Frage zu beantworten, ob die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts im vorangegangenen Amtshaftungsverfahren (Anlassverfahren) die Entscheidung im Vorverfahren (Deckungsprozess), nach der dem Versicherungsnehmer der Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin kein grobes Verschulden an der Herbeiführung des Versicherungsfalls anzulasten sei, sei nicht als unvertretbare Rechtsansicht zu qualifizieren, vertretbar war.

Rechtliche Beurteilung

Die Frage, ob einer Person grobe oder leichte Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, kann stets nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden, sodass sich insoweit eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO regelmäßig nicht stellt. Dies muss umso mehr dort gelten, wo - wie im Amtshaftungsverfahren - nur zu prüfen ist, ob die Annahme eines bestimmten Verschuldensgrads als vertretbar angesehen werden kann. Das Berufungsgericht ist weder von den vom Höchstgericht entwickelten Judikaturgrundsätzen abgegangen, noch kann ihm sonst eine grobe Fehlbeurteilung vorgeworfen werden, die vom Obersten Gerichtshof im Sinne der Rechtssicherheit aufgegriffen werden müsste.

Bereits die Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung als Verschuldenselement ist ganz von den Umständen des Einzelfalls abhängig und entzieht sich deshalb regelmäßig einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0110837, 1 Ob 155/02d uva). Ähnliches gilt für die Beurteilung eines Verhaltens als grob oder leicht fahrlässig. Nach herrschender Rechtsprechung liegt grobe Fahrlässigkeit dann vor, wenn ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß bei Würdigung aller Umstände des konkreten Falls auch subjektiv schwerstens vorwerfbar ist (RIS-Justiz RS0030272). Es muss sich um ein Versehen handeln, das sich aus den alltäglich vorkommenden Fahrlässigkeitshandlungen erheblich und ungewöhnlich heraushebt, wobei der Eintritt eines Schadens als wahrscheinlich voraussehbar ist (RIS-Justiz RS0030477). Grobe Fahrlässigkeit ist nur anzunehmen, wenn eine auffallende und ungewöhnliche Sorglosigkeit vorliegt, wie sie nur bei besonders nachlässigen oder leichtsinnigen Menschen vorzukommen pflegt (RIS-Justiz RS0030438). Im Bereich des Versicherungsrechts ist grobe Fahrlässigkeit dann gegeben, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen, die jedermann einleuchten müssen, insbesondere wenn den unter den gegebenen Umständen offenbar notwendigen Vorkehrungen völlige Gleichgültigkeit entgegengebracht wird, nicht ergriffen werden (RIS-Justiz RS0080371). In der Regel wird ein Verhalten vorausgesetzt, von dem der Versicherungsnehmer wusste oder wissen musste, dass es geeignet ist, die Gefahr des Eintritts eines Versicherungsfalls herbeizuführen oder zu vergrößern (RIS-Justiz RS0030324, RS0080414).

Auch wenn der Oberste Gerichtshof in einzelnen Fällen grobe Fahrlässigkeit eines Versicherungsnehmers angenommen hat, der während des Schmelzens von Speisefett bzw -öl auf dem Herd die Wohnung verlassen und auf den ablaufenden Schmelzvorgang vergessen hatte (etwa VersR 1994, 248 = 7 Ob 24/92, VersRdSch 1994, 218 = 7 Ob 33/93; 7 Ob 170/03f), haben die Gerichte im Vorverfahren und im Anlassverfahren - ebenso auch das Berufungsgericht in diesem Verfahren - auf einen ihrer Ansicht nach maßgeblichen Unterschied in den Sachverhaltselementen hingewiesen. Während in den den zitierten Entscheidungen zugrunde liegenden Fällen der Versicherungsnehmer im Bewusstsein, Öl auf dem Feuer zu haben, die Wohnung verlassen habe, habe der Versicherungsnehmer im vorliegenden Fall einfach darauf vergessen, die Herdplatte bereits eingeschaltet zu haben, weshalb er keine Veranlassung gesehen habe, sich vor dem Verlassen der Wohnung um das auf den Herd gestellte Speiseöl zu kümmern.

Soweit das Berufungsgericht die Auffassung vertrat, dem Berufungsgericht im Anlassverfahren könne allein deshalb, weil dieses die Beurteilung im Deckungsprozess, das Verhalten des Versicherungsnehmers sei als nur leicht fahrlässig einzustufen, als vertretbar angesehen hat, nicht der Vorwurf einer unvertretbaren Rechtsansicht gemacht werden, ist dies noch nicht als krasse Fehlbeurteilung zu qualifizieren.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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