OGH 1Ob155/02d

OGH1Ob155/02d30.9.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Otto Holter, Dr. Gerald Wildfellner, Dr. Klaus Holter, Dr. Stefan Holter und Mag. Mario Schmieder, Rechtsanwälte in Grieskirchen, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Leistung und Feststellung (Streitwert EUR 72.672,83) infolge ordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 11. März 2002, GZ 14 R 119/01z-23, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 17. April 2001, GZ 32 Cg 30/99p-16, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 1.545,60 bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die österreichischen Behörden nahmen eine Mitteilung der italienischen Veterinärverwaltung vom 14. 7. 1998, in aus Österreich importierten Rinder-Vordervierteln seien stark krebserregende Hormone festgestellt worden, sowie eine darauf gestützte "Einladung", die Rindfleischexporte nach Italien vorübergehend einzustellen, zum Anlass, nach einer Besprechung zwischen Vertretern der österreichischen Veterinärbehörde, des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, der Wirtschaftskammer Österreichs sowie der Marktordnungsstelle Agrarmarkt Austria (AMA) am 30. 7. 1998 das italienische Gesundheitsministerium davon in Kenntnis zu setzen, dass bis zum Vorliegen weiterer Ergebnisse eine temporäre Einstellung der Lieferungen von Rindfleisch aus Österreich nach Italien erfolge. Am nächsten Tag (31. 7. 1998) gab die zuständige Bundesministerin in einer Pressekonferenz die Ergebnisse der italienischen Untersuchungsbefunde bekannt und riet in ihrer Eigenschaft als Konsumentenschutzministerin bis zur Klärung der Frage, ob sich auch auf dem österreichischen Markt hormonbelastetes Fleisch befinde - Gegenstand der Exporte waren lediglich die Vorderteile der Rinder gewesen - vom Verzehr von Rindfleischprodukten ab. Am 1. 8. 1998 verfügte Italien eine generelle Einfuhrsperre für österreichisches Rindfleisch. Weitere Untersuchungen des aus Italien zurückgelangten Fleischs sowohl in Österreich als auch in einem EU-Referenzlabor ergaben, dass die italienischen Befunde falsch und das Rindfleisch in Wahrheit nicht hormonbelastet gewesen war.

Die von der klagenden Partei erhobene Amtshaftungsklage, mit der den österreichischen Behörden rechtswidriges und schuldhaftes Fehlverhalten vorgeworfen wurde, das zu einem "Zusammenbruch" des österreichischen Rindfleischmarkts und damit zu einem erheblichen Einnahmenentgang der klagenden Partei geführt habe, wurde von den Vorinstanzen übereinstimmend abgewiesen. Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil zur Frage der Haftung eines Bundesministers für die Information der Öffentlichkeit über bestimmte Gefahren keine (höchstgerichtliche) Rechtsprechung vorliege.

Da die klagende Partei in ihrer Revision keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, erweist sich ihr Rechtsmittel entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch des Gerichts zweiter Instanz als unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Soweit sich die Revisionswerberin darauf beruft, dass höchstgerichtliche Judikatur zur Frage, ob § 25a LMG (in der am 31. 7. 1998 geltenden Fassung) auch als Schutzgesetz zu Gunsten der Produzenten zu qualifizieren sei, nicht vorliege, ist ihr entgegenzuhalten, dass auch bei Fehlen von Judikatur des Obersten Gerichtshofs keine erhebliche Rechtsfrage vorliegt, wenn Gesetzesbestimmungen so eindeutig sind, dass vernünftigerweise nur eine Auslegung in Betracht kommen kann (AnwBl 1992, 753, RZ 1994/45, MietSlg 51.487 ua). Es kann nun keinem Zweifel unterliegen, dass § 25a Abs 1 LMG eine Verpflichtung des Bundesministers für Gesundheit und Umweltschutz normiert, die Öffentlichkeit zu informieren, wenn sich auf Grund des Befundes und Gutachtens einer Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung oder einer solchen Untersuchungsanstalt anderer Gebietskörperschaften die Gesundheitsschädlichkeit von Lebensmitteln und die daraus resultierende Gefährdung einer größeren Bevölkerungsgruppe herausstellt. Inwiefern mit den anerkannten Mitteln der rechtswissenschaftlichen Methodenlehre aus dieser Regelung ein Informationsverbot für andere Fälle abgeleitet werden könnte, etwa wenn sich der ernsthafte Verdacht einer Gesundheitsgefährdung größerer Bevölkerungsgruppen aus anderen Umständen ergibt, vermag auch die Revisionswerberin nicht nachvollziehbar darzulegen; insbesondere ergeben sich dafür auch aus den Gesetzesmaterialien (693 BlgNR 16. GP 42) keine Anhaltspunkte. Dass sich ein solches Verbot ausschließlich aus anderen gesetzlichen Regelungen, etwa aus Art 20 Abs 3 B-VG, ergeben könnte, erkennt die klagende Partei im Übrigen selbst, indem sie sich auf die von Barfuß ua, Lebensmittelrecht2, Teil I A, Komm zu § 25a, Seite 3, vertretene Rechtsansicht beruft, eine Information der Öffentlichkeit verstoße gegen Art 20 Abs 3 B-VG, sofern die Voraussetzungen des § 25a nicht gegeben seien; auch nach dieser Ansicht kann sedes materiae eines Veröffentlichungsverbots daher keineswegs § 25a LMG selbst sein.

Nach Art 20 Abs 3 B-VG sind die mit Verwaltungsaufgaben betrauten Organe der Körperschaften des öffentlichen Rechts unter anderem zur Verschwiegenheit über ihnen ausschließlich aus ihrer amtlichen Tätigkeit bekannt gewordene Tatsachen verpflichtet, deren Geheimhaltung im überwiegenden Interesse der Parteien geboten ist. Dabei handelt es sich um eine ganz allgemeine Anordnung; die in der Revision vertretene Auffassung, die angeordnete Interessenabwägung ("... im überwiegenden Interesse der Parteien ...") sei auf die Fälle eines Auskunftsbegehrens im Sinn des Art 20 Abs 4 B-VG beschränkt, ist unverständlich und wird auch nicht begründet.

Ob nun eine solche Geheimhaltung im "überwiegenden Interesse" des von einer Veröffentlichung erkennbar betroffenen Personenkreises (hier: der österreichischen Rindfleischproduzenten und -verarbeiter einschließlich der klagenden Partei) liegt, kann regelmäßig nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls beurteilt werden; dabei ist die Behörde verpflichtet, das Informationsinteresse der Öffentlichkeit bzw einzelner gefährdeter Personen gegen das Interesse der durch eine Bekanntgabe möglicherweise benachteiligten Personen an der Geheimhaltung abzuwägen (s. dazu auch VwGH, ecolex 1994, 62). Voraussetzung für eine Haftung nach dem AHG wäre es insbesondere, dass bei einer solchen (schadensverursachenden) Veröffentlichung aus einer unvertretbaren Rechtsansicht das überwiegende Interesse der potentiell betroffenen Personen an der Geheimhaltung missachtet worden wäre. Hat das Berufungsgericht nun angesichts der konkreten Umstände die Information der Öffentlichkeit bei einer dazu anberaumten Pressekonferenz als "zumindest vertretbar" angesehen, so liegt darin zweifellos keine erhebliche Fehlbeurteilung, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte. Die Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung als Verschuldenselement ist stets von den Umständen des Einzelfalls abhängig und entzieht sich deshalb regelmäßig einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0110837, 1 Ob 291/01b, 8 Ob 72/02z uva).

Hier waren die österreichischen Behörden von der italienischen Veterinärverwaltung davon informiert worden, dass in einem ihrer Labors bei einer Kontrolluntersuchung stark krebserregende Hormone in aus Österreich exportiertem Fleisch festgestellt worden seien. Nachdem die italienischen Behörden eine Gegenprobe durch ein italienisches Referenzlabor ablehnten und Ergebnisse der von den österreichischen Behörden in Auftrag gegebenen Untersuchungen noch nicht vorlagen, hielt es die Bundesministerin für angezeigt, die österreichische Öffentlichkeit darüber zu informieren, dass möglicherweise auch hormonbelastetes Fleisch auf dem österreichischen Markt sein könnte. Die vom Berufungsgericht vertretene Auffassung, ein solches Vorgehen sei rechtlich vertretbar gewesen, begegnet schon deshalb keinen erheblichen Bedenken, weil nicht zu erkennen ist, aus welchen Gründen an der Richtigkeit der italienischen Untersuchungsergebnisse hätte gezweifelt werden müssen, und nicht auszuschließen war, dass gewisse Mengen der nicht exportierten Teile der betroffenen Rinder - oder Produkte aus anderen, ebenso behandelten Tieren - auf den österreichischen Markt gelangt waren. Gerade der Hinweis der Revisionswerberin auf eine Novellierung des § 25a LMG durch Art II BGBl I 2001/21 zeigt deutlich die - aus dem Fortschreiten der europäischen Integration resultierende - Relevanz von in anderen EU-Mitgliedsstaaten erzielten Ergebnissen von Lebensmitteluntersuchungen auf. Wenn damit auch eine behördliche Pflicht zu bestimmten Maßnahmen bei bedenklichen Untersuchungsergebnissen außerhalb Österreichs erst seit Inkrafttreten der Novelle besteht, erscheint es doch vertretbar, bereits nach früherer Rechtslage (unbedenkliche) Untersuchungsergebnisse von Kontrolleinrichtungen anderer Mitgliedsstaaten nicht unbeachtet zu lassen. Entgegen der Auffassung der Revisionswerberin besteht seit der Novellierung eine erweiterte Informationspflicht, was aber keineswegs bedeutet, dass es vorher den Behörden verboten gewesen wäre, Untersuchungsergebnisse ausländischer Einrichtungen ernst zu nehmen und zweckmäßig erscheinende Maßnahmen zu ergreifen.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO. Die Revisionsbeantwortung der beklagten Partei, in der auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen wurde, stellt eine zweckentsprechende Rechtsverteidigungsmaßnahme dar.

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