OGH 10Ob60/03a

OGH10Ob60/03a27.4.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Shaina Mae W*****, geboren am 23. Dezember 2000, in Obsorge ihrer Mutter Christina W*****, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land als Unterhaltssachwalter, infolge Revisionsrekurses des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichtes Wels als Rekursgericht vom 7. Oktober 2003, GZ 21 R 281/03b-10, womit infolge Rekurses des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Linz der Beschluss des Bezirksgerichtes Wels vom 29. August 2003, GZ 2 P 46/03p-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird keine Folge gegeben.

Der Schriftsatz des Unterhaltssachwalters vom 2. 1. 2004 wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Minderjährige ist philippinische Staatsangehörige und lebt mit ihrer (obsorgeberechtigten) Mutter in Österreich. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Wels vom 25. 2. 2002, GZ 1 C 47/02d-11, wurde der ebenfalls in Österreich wohnhafte Pensionist Josef G***** als außerehelicher Vater der Minderjährigen festgestellt und zu einer Unterhaltszahlung von EUR 172,-- monatlich ab 23. 12. 2000 an die Minderjährige verpflichtet.

Die Minderjährige, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land, beantragte am 28. 8. 2003 die Gewährung monatlicher Unterhaltsvorschüsse nach den §§ 3, 4 Z 4 UVG in Titelhöhe mit der Begründung, dass die Vaterschaft des Josef G***** in erster Instanz festgestellt worden sei, jedoch bezüglich des Unterhaltes ein Berufungsverfahren anhängig sei und die Führung einer Exekution aussichtslos erscheine.

Über diesen Antrag gewährte das Erstgericht mit Beschluss vom 29. 8. 2003 Unterhaltsvorschüsse in Höhe von EUR 172,-- monatlich ab 1. 8. 2003 bis 31. 7. 2006.

Das Rekursgericht wies den Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen ab. Es verwies darauf, dass nach § 2 Abs 1 erster Satz UVG mj Kinder, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und entweder österreichische Staatsbürger oder staatenlos sind, Anspruch auf Vorschüsse haben. Auf Grund der Entscheidung des EuGH vom 15. 3. 2001, C-85/99 (Offermanns) seien EWR-Bürger den österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Darüber hinaus existierten auch Assoziationsabkommen (Türkei) und Kooperationsabkommen (Tunesien, Marokko und Algerien), welche eine Gleichbehandlungsverpflichtung gegenüber Angehörigen dieser Staaten normierten, sodass auch diese - sofern sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben - unter denselben Voraussetzungen wie Inländer Anspruch auf die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen hätten. Die Minderjährige lebe zwar mit ihrer Mutter in Österreich, sie sei jedoch nicht österreichische sondern philippinische Staatsbürgerin. Da die Philippinen nicht zum EWR gehören und auch kein Abkommen mit den Philippinen bestehe, welche Angehörige dieses Staates den österreichischen Staatsbürgern in Bezug auf die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gleichstelle, habe die Minderjährige keinen Anspruch auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach dem UVG.

Der ordentliche Revisionsrekurs wurde zunächst für nicht zulässig erklärt. Über Antrag des Unterhaltssachwalters gemäß § 14a AußStrG wurde dieser Anspruch vom Rekursgericht dahin abgeändert, dass der ordentliche Revisionsrekurs doch zulässig sei, weil der Vater der Minderjährigen auf Grund seiner Vermietungstätigkeit möglicherweise als Selbständiger im Sinne der Verordnung Nr 1408/71 zu qualifizieren sei und ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss für Kinder jeglicher Staatsbürgerschaft in Betracht komme, wenn sie ihren Aufenthalt in Österreich haben und der Unterhaltsschuldner in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung 1408/71 falle.

Der mit dem Abänderungsantrag verbundene ordentliche Revisionsrekurs beantragt die Abänderung des angefochtenen Beschlusses im Sinne der Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Die vom Erstgericht im Sinne des Auftrages des Obersten Gerichtshofes zur Frage der Rechtzeitigkeit des vorliegenden Revisionsrekurses gepflogenen Erhebungen haben ergeben, dass die Rekursentscheidung dem Unterhaltssachwalter vom Erstgericht ohne Zustellnachweis zugestellt wurde, das Datum der Zustellung auch beim Unterhaltssachwalter mangels eines entsprechendes Eingangsvermerkes nicht verlässlich feststellbar ist, nach der beim Jugendwohlfahrtsträger gegebenen Aktenlage jedoch von einer Zustellung frühestens am 27. 10. 2003 auszugehen sei.

Nach ständiger Rechtsprechung haben Rechtsmittel die Vermutung der Rechtzeitigkeit für sich; die Ergebnislosigkeit allfälliger Erhebungen über die Rechtzeitigkeit wirkt zum Vorteil des Rechtsmittelwerbers (7 Ob 586/94; SZ 46/86 ua). Im hier vorliegenden Fall ist daher nach dem geschilderten Ergebnis der gepflogenen Erhebungen von der Rechtzeitigkeit des am 7. 11. 2003 zur Post gegebenen Rechtsmittels im Sinn des § 11 Abs 1 AußStrG auszugehen.

Soweit die Rechtsmittelwerberin in einem weiteren Schriftsatz vom 2. 1. 2003 (richtig: 2004) nachträglich ergänzende Rechtsmittelausführungen erstattet hat, war dieser Schriftsatz wegen Verstoßes gegen den auch im Außerstreitverfahren geltenden Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels (vgl RIS-Justiz RS0007007; zuletzt 2 Ob 228/99i) zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

In den Rechtsmittelausführungen wird geltend gemacht, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen als Familienleistung im Sinne der Verordnung Nr 1408/71 zu qualifizieren sei. Die Minderjährige sei die unterhaltsberechtigte Tochter eines österreichischen Arbeitnehmers mit Aufenthalt in Österreich und habe daher - unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft - als Familienangehörige eines EWR-Arbeitnehmers Anspruch auf die als Familienleistung zu wertenden Unterhaltsvorschüsse nach dem UVG.

Diesen Ausführungen ist folgendes entgegenzuhalten:

Nach § 2 Abs 1 UVG haben mj Kinder mit gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich Anspruch auf Unterhaltsvorschuss, wenn sie entweder österreichische Staatsbürger oder staatenlos sind. In seiner Entscheidung vom 15. 3. 2001, Rs C-85/99-Offermanns (Slg 2001, I-2261, 2285; vgl ecolex 2001, 797) qualifizierte der EuGH Leistungen nach dem österreichischen Unterhaltsvorschussgesetz als Familienleistung im Sinn des Art 4 Abs 1 lit h der VO (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14. 6. 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (Wanderarbeitnehmerverordnung). Er sprach aus, dass die im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnenden Personen, für die diese Verordnung gelte, nach deren Art 3 unter den selben Voraussetzungen wie Inländer Anspruch auf eine solche im Recht des Mitgliedstaates vorgesehene Leistung haben (vgl auch RIS-Justiz RS0115509; RS0115844).

In den persönlichen Geltungsbereich der Wanderarbeitnehmerverordnung fallen (Art 2 Abs 1) Arbeitnehmer und Selbständige sowie Studierende, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaates sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnen, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene. Der EuGH hat in der Begründung seiner bereits erwähnten Entscheidung vom 15. 3. 2001 in Ansehung der Person des Anspruchsberechtigten (also des Kindes) betont, dass die Unterscheidung zwischen eigenen und (aus der Stellung als Familienangehöriger) abgeleiteten Rechten grundsätzlich nicht für Familienleistungen gilt. Folglich sind Kinder, die als Mitglieder der Familie eines Arbeitnehmers oder Selbständigen in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr 1408/71 fallen, wie er in Art 2 Abs 1 dieser Verordnung festgelegt ist, in Bezug auf Familienleistungen als Personen anzusehen, für die diese Verordnung für die Zwecke ihres Art 3 Abs 1 gilt (RdNr 34 f). In diesem Sinne hat der EuGH in seiner weiteren das österreichische Unterhaltsvorschussgesetz betreffenden Entscheidung vom 5. 2. 2002, Rs C-255/99, Humer (Slg 2002, I-1205) ausgesprochen, dass eine Person, die zumindest einen Elternteil hat, der tätiger oder arbeitsloser Arbeitnehmer ist, als Familienangehöriger eines Arbeitnehmers im Sinne von Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Buchstabe f Z i der Verordnung Nr 1408/71 in den persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung fällt. Die Art 73 und 74 dieser Verordnung betreffend Familienleistungen sind so auszulegen, dass ein mj Kind auch dann Anspruch auf eine Familienleistung wie den Unterhaltsvorschuss nach dem UVG hat, wenn es zusammen mit dem obsorgeberechtigten Elternteil in einem anderen als dem die Leistung erbringenden Mitgliedstaat wohnt und dessen anderer, zu Unterhaltszahlungen verpflichteter Elternteil in dem die Leistung erbringenden Mitgliedstaat tätiger oder arbeitsloser Arbeitnehmer ist. Der Oberste Gerichtshof folgerte aus dieser Rechtsprechung, dass die Verlegung des Wohnsitzes der Mutter mit dem unterhaltsvorschussberechtigten Kind von Österreich in einen anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft an der Berechtigung zum Bezug des Unterhaltsvorschusses nach den Bestimmungen des UVG nichts ändert (7 Ob 40/02m ua). In diesem Fall war der als Grundvoraussetzung für die Anwendung des Gemeinschaftsrechtes zu fordernde Gemeinschaftsbezug durch die gemeinsame Übersiedlung der obsorgeberechtigten Mutter mit ihrer Tochter in einen anderen Mitgliedstaat verwirklicht worden, sodass es nicht schadete, dass der Vater als Österreicher nur in Österreich erwerbstätig war und daher von seinem Recht auf Freizügigkeit nach dem EG-Vertrag niemals Gebrauch gemacht hatte.

Eine weitere wesentliche Voraussetzung für die Anwendung der Verordnung Nr 1408/71 ist nämlich das Vorliegen eines grenzüberschreitenden Sachverhaltes. Diese Voraussetzung ist dahin zu verstehen, dass eine Anwendung der Vorschriften über die Koordination von Leistungen der sozialen Sicherheit nur auf grenzüberschreitende Sachverhalte in Betracht kommt. Normzweck des Art 42 EGV und der auf Grund dieser Bestimmung ergangenen Wanderarbeitnehmerverordnung Nr 1408/71 ist nämlich nur die Koordinierung, nicht die Harmonisierung der verschiedenen sozialrechtlichen Systeme der Mitgliedstaaten für Personen mit grenzüberschreitendem Berufsverlauf. Es soll nicht ein einheitliches gemeinschaftsweit gültiges Sozialversicherungssystem geschaffen, sondern durch Koordinierung nationaler Regeln die Freizügigkeit sichergestellt werden (4 Ob 260/02t, 7 Ob 295/02m mwN ua). Der danach als Grundvoraussetzung für die Anwendung des Gemeinschaftsrechtes zu fordernde Gemeinschaftsbezug setzt somit voraus, dass Personen, Sachverhalte oder Begehren eine rechtliche Beziehung zu einem anderen Mitgliedstaat aufweisen. Diese Umstände sind in der Staatsangehörigkeit, dem Wohn- oder Beschäftigungsort, dem Ort eines die Leistungspflicht auslösenden Ereignisses, vormaliger Arbeitstätigkeit unter dem Recht eines anderen Mitgliedstaates oder ähnlichen Merkmalen zu sehen (Eichenhofer in Fuchs, Komm zum Europäischen Sozialrecht3 Art 2 VO 1408/71 Rz 6 und 14 mwN). Es entspricht daher der Rechtsprechung des EuGH, dass Art 51 (nunmehr Art 42) des EG-Vertrages und die VO Nr 1408/71, insbesondere ihr Art 3, nicht für Sachverhalte gelten, die mit keinem Element über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausweisen. Dies ist auch der Fall, wenn die Situation eines Arbeitnehmers lediglich Bezüge zu einem Drittland und einem einzigen Mitgliedstaat aufweist (EuGH, 11. 10. 2001, Rs C-95/99 ua, Khalil ua, Slg 2001, I-7413 mwN). Es muss daher auch für die Gewährung von Unterhaltsvorschussleistungen als Familienleistung nach Art 4 Abs 1 lit h der VO Nr 1408/71 ein grenzüberschreitender Bezug gegeben sein (vgl Neumayr, Das Unterhaltsvorschussrecht nach den EuGH-Entscheidungen, ÖA 2002, 53 f). Auch Mag. Dr. Rita-Maria Kirschbaum verwies in ihrem im österreichischen Amtsvormund 2003, S 243 ff veröffentlichten Vortrag bei der Tagung 2003 des Vereines der Amtsvormünder in Gumpoldskirchen, auf deren Ausführungen sich die Rechtsmittelwerberin im Wesentlichen stützt, darauf, dass die Verordnung Nr 1408/71 die Koordinierung der Sozialleistungsansprüche bei grenzüberschreitender Tätigkeit regelt. Dieser Gemeinschaftsbezug war auch nach Auffassung der genannten Referentin in der Rechtssache Offermanns gegeben, weil es sich bei den unterhaltsberechtigten Kindern um Angehörige von in Österreich erwerbstätigen Selbständigen mit der Staatsbürgerschaft eines (anderen) EU-Staates handelte, sodass die Verordnung Nr 1408/71 gemäß Art 2 Abs 1 grundsätzlich anwendbar war. In der Rechtssache Humer war der erforderliche Gemeinschaftsbezug und damit die grundsätzliche Anwendbarkeit der VO Nr 1408/71 deshalb gegeben, weil es sich bei dem unterhaltsberechtigten Kind um einen Angehörigen einer Arbeitnehmerin mit der Staatsbürgerschaft eines EU-Staates handelte, die in einem anderen EU-Staat erwerbstätig war.

Im vorliegenden Fall fehlt hingegen dieser für eine Anwendung der VO Nr 1408/71 notwendige Gemeinschaftsbezug. Das von der Revisionsrekurswerberin allein herangezogene Argument, der Vater sei Österreicher und damit "EWR-Arbeitnehmer", ist aus den dargelegten Erwägungen nicht stichhältig. Aus den bislang bekannten und ermittelbaren Lebensumständen des Vaters ergibt sich kein Hinweis darauf, dass er als Wanderarbeitnehmer im Sinne der Verordnung zu qualifizieren wäre. Auch die Revisionsrekurswerberin hat sich auf eine allfällige Wanderarbeitnehmereigenschaft ihres Vaters nicht berufen, wobei im Unterhaltsfestsetzungsverfahren der Grundsatz gilt, dass jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu beweisen hat. Da es hier um die erstmalige Gewährung von Unterhaltsvorschüssen geht, fallen die Voraussetzungen der Vorschussgewährung in die Beweislast des antragstellenden Kindes (6 Ob 171/03w mwN). Die Revisionsrekurswerberin kann sich daher nicht mit Erfolg auf die Bestimmungen der Verordnung Nr 1408/71 berufen.

In den nicht vom Anwendungsbereich der Verordnung erfassten Fällen ist der nationale Gesetzgeber grundsätzlich frei, an welche Tatbestände er die Auszahlung von Unterhaltsvorschüssen knüpft (4 Ob 260/02t). Das Rekursgericht wies daher den Antrag auf Vorschussgewährung unter Berufung auf § 2 Abs 1 UVG und die philippinische Staatsangehörigkeit der Minderjährigen zu Recht ab.

Dem Revisionsrekurs konnte somit nicht Folge gegeben werden.

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