OGH 2Ob14/03b

OGH2Ob14/03b1.4.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hasan S*, vertreten durch Dr. Michael Jöstl, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. Dr. Arthur M*, und 2. Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs, 1031 Wien, Schwarzenbergplatz 7, beide vertreten durch Dr. Arne Markl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen EUR 7.128,65 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 4. Oktober 2002, GZ 3 R 232/02t‑48, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Imst vom 2. Juli 2002, GZ 7 C 363/01i‑41, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2004:E72961

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 305,40 (darin enthalten EUR 50,90 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

 

Am 14. 2. 2001 ereignete sich auf der Fernpass‑Bundesstraße im Freilandgebiet ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Lenker und Eigentümer eines PKW BMW 318 TD und ein vom Erstbeklagten gehaltener PKW Jeep beteiligt waren. Der Kläger befuhr die 6,8 m breite, etwa 10 % Gefälle aufweisende Fernpass‑Bundesstraße und wollte den vor ihm fahrenden Jeep des Erstbeklagten mit einer Geschwindigkeit von 85 bis 90 km/h überholen. Die Sichtweite betrug zu diesem Zeitpunkt etwa 250 m. Der Überholvorgang hätte nur dann gefahrlos beendet werden können, wenn sich der Gegenverkehr mit einer Geschwindigkeit von maximal 75 km/h genähert hätte. Der Kläger hatte den linken Blinker gesetzt und auf die linke Fahrbahnseite gelenkt. Als er sich mit der vorderen Stoßstange schon etwa auf Höhe der Sitzposition des Jeep des Erstbeklagten befand, wurde der Jeep aus nicht mehr feststellbaren Gründen nach links ausgelenkt, geriet über die Fahrbahnmitte und kollidierte mit dem Fahrzeug des Klägers, das in der Folge gegen eine links der Straße befindliche Steinmauer stieß. Beide Fahrzeuge wurden beschädigt.

Der Kläger begehrt Zahlung von S 98.092,40; die Lenkerin des Fahrzeuges des Erstbeklagten habe, ohne auf den Nachfolgeverkehr zu achten und den linken Blinker zu setzen, einen Fahrstreifenwechsel durchgeführt, um einen LKW zu überholen.

Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens; der Kläger sei im Zuge eines Überholmanövers gegen die Böschung geraten und dann gegen das Fahrzeug des Erstbeklagten gestoßen. Kompensando wurde eine Wertminderung am Fahrzeug des Erstbeklagten, der Selbstbehalt und ein erlittener "Prämiennachteil" bis zur Höhe der Klageforderung eingewendet.

Das Erstgericht sprach ‑ ausgehend von einer Verschuldensteilung im Ausmaß von 3 : 1 zu Lasten der Bekla<gten - aus, dass die Klageforderung mit EUR 5.346,49 (3/4) zu Recht und die eingewendete Gegenforderung mit EUR 747,81 zu Recht bestehe. Es verpflichtete die beklagten Parteien zur Zahlung von EUR 4.598,68 sA und wies das auf Zahlung weiterer EUR 2.529,97 sA gerichtete Mehrbegehren ab.

Rechtlich erörterte es, dass beide Lenker am Zustandekommen des Unfalls ein Verschulden treffe. Dem Kläger sei anzulasten, dass er an dieser Stelle nicht überholen hätte dürfen, weshalb ein vorausfahrendes Fahrzeug mit einem Überholmanöver nicht hätte rechnen müssen. Das Verschulden der Lenkerin des Fahrzeuges des Erstbeklagten liege darin, dass sie ihr Fahrzeug nach links über die Fahrbahnmitte gelenkt habe, weshalb sie die Kollision des Fahrzeugs des Klägers mit der links befindlichen Steinmauer und dem Fahrzeug des Erstbeklagten verursacht habe. Das Verschulden sei 3 : 1 zu ihren Lasten zu teilen. Der Kläger habe den beklagten Parteien 1/4 ihres Schadens zu ersetzen.

Das von beiden Seiten angerufene Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Es teilte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes, dass den Kläger ein Verschulden treffe, weil er trotz nicht ausreichender Sicht überholt habe. Er hätte nämlich bei den gegebenen Sichtverhältnissen und der zulässigen Geschwindigkeit nicht darauf vertrauen dürfen, dass sich der Gegenverkehr nur mit einer Geschwindigkeit von höchstens 75 km/h nähere. Der Schutzzweck der Überholverbote nach § 16 Abs 1 lit a bis c und Abs 2 lit b StVO bestehe nicht nur darin, Gefährdungen des Gegenverkehrs zu vermeiden, sondern auch darin, alle jene Schäden zu verhindern, die beim Überholvorgang während des Vorbeibewegens an dem überholten Fahrzeug und beim Wiedereinordnen nach dem Überholen entstehen könnten. Die Lenkerin des Fahrzeuges des Erstbeklagten treffe ebenfalls ein Verschulden, weil sie ohne erkennbaren Grund das Fahrzeug über die Fahrbahnmitte gelenkt und den PKW des Klägers gegen die Steinmauer geschoben habe. Ihr sei ein Verstoß gegen § 11 StVO anzulasten, wobei gerade diese Fahrweise für das Kollisionsgeschehen kausal gewesen sei. Da ihr Verschulden überwiege, sei die vom Erstgericht vorgenommene Verschuldensteilung von 1 : 3 zu Lasten der Beklagten nicht zu beanstanden.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil der Frage, ob vom Schutzzweck eines Überholverbotes auch die Verhinderung von Unfällen umfasst sei, bei denen der Überholte seinerseits gegen § 11 StVO einen Fahrstreifenwechsel durchführe, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme. In der Entscheidung 2 Ob 351/99b (ZVR 2000/70 = RIS‑Justiz RS0112929) sei ausgesprochen worden, dass das Überholverbot nicht den Zweck habe, Schäden dessen, der rechtswidrig überhole, hintanzuhalten. Da hier der rechtswidrig Überholende seinen eigenen Schaden geltend mache, böte sich auf Grundlage dieser Entscheidung ein Lösungsansatz dahingehend an, dass der Kläger allein wegen Sorglosigkeit gegenüber seinen eigenen Gütern einen Teil seines Schadens selbst zu tragen hätte, welche Beurteilung sich in der Folge aber auf das (teilweise) Zurechtbestehen der Gegenforderung auswirken würde.

Der Kläger beantragt in seiner Revision die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend, dass dem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde (und daher die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend erachtet werde). In der Revision wird ausgeführt, dass der Schutzzweck des Überholverbotes des § 16 Abs 1 lit a nur die Sicherheit des Gegenverkehrs betreffe und ein "Hineinzwängen" des Überholenden infolge Gegenverkehrs verhindert werden solle. Wenn dem Kläger ein Mitverschulden aufgrund eines sorglosen Umganges mit seinen eigenen Gütern angelastet werde, reiche dies nicht aus, ein kausales Schadenersatz begründendes Verhalten des Klägers in Bezug auf die eingewendete Gegenforderung zu begründen.

Die beklagten Parteien beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision der Gegenseite als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.

Dem Kläger wurde von den Vorinstanzen ein Verstoß gegen das Überholverbot des § 16 Abs 2 lit b StVO vorgeworfen, weil er bei ungenügender Sicht zu überholen versuchte.

Nach ständiger Rechtsprechung besteht der Schutzzweck des Überholverbote nach § 16 Abs 1 lit a bis c und Abs 2 lit b StVO nicht nur darin, den Gegenverkehr gefahrlos zu ermöglichen, sondern auch darin, alle jene Schäden zu verhindern, die beim Überholvorgang während des Vorbeibewegens an dem überholten Fahrzeug und beim Wiedereinordnen nach dem Überholen entstehen können (RIS‑Justiz RS0027626; RS0027630). Im Leitsatz der veröffentlichten Entscheidung in ZVR 2000/70 wurde ausgesprochen, das Überholverbot des § 16 Abs 2 lit a StVO verfolge nicht den Zweck, Schäden dessen, der rechtswidrig überhole, hintanzuhalten. Ein Mitverschulden im Sinne des § 1304 ABGB setze aber kein Verschulden im technischen Sinn voraus, es genüge vielmehr eine Sorglosigkeit gegenüber eigenen Gütern. Eine solche liege vor, wenn trotz eines Überholverbotes überholt wird. Dieser Entscheidung lag zugrunde, dass ein vorschriftswidrig Überholender infolge eines unzulässigen Fahrstreifenwechsels des Überholten von der Fahrbahn geriet und gegen ein Ortsschild stieß. Bei diesem Unfall wurde lediglich das Fahrzeug des vorschriftswidrig Überholenden, nicht aber des Überholten beschädigt. Zur Beurteilung standen daher lediglich jene Schäden, die der vorschriftswidrig Überholende klageweise geltend machte. In diesem Zusammenhang wurde daher ausgesprochen, dass der Schutzzweck des Überholverbotes des § 16 Abs 2 lit a StVO nicht den Zweck verfolge, Schäden dessen, der rechtswidrig überhole, hintanzuhalten. Seine Anspruchskürzung wurde daher auf eine Sorglosigkeit gegenüber eigenen Gütern gestützt.

Im hier zu beurteilenden Fall wurden aber sowohl das Fahrzeug des vorschriftswidrig Überholenden als auch des Überholten beschädigt. Damit ist aber auf die oben dargestellte Definition des Schutzzwecks der Überholverbote nach § 16 Abs 1 lit a bis c und Abs 2 lit b StVO zurückzugreifen, der nicht nur darin liegt, den Gegenverkehr gefahrlos zu ermöglichen, sondern auch darin, alle Schäden zu verhindern, die beim Überholvorgang während des Vorbeibewegens an dem überholten Fahrzeug entstehen können. Hier wurde "während des Vorbeibewegens" das überholte Fahrzeug nach links ausgelenkt. Da der Kläger gegen den Schutzzweck der Norm, die auch solche Schäden verhindern soll, die während des Vorbeibewegens am überholten Fahrzeug entstehen können, verstoßen hat, hat er daher nicht nur Sorglosigkeit gegenüber eigenen Gütern, sondern eine Verletzung der Bestimmung des § 16 Abs 2 lit b StVO zu verantworten und den beklagten Parteien seinem Verschuldensanteil entsprechend den entstandenen Schaden zu ersetzen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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