OGH 7Ob7/04m

OGH7Ob7/04m25.2.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Osmana M*****, und der mj. Mirza M*****, über den Rekurs der Stadt Wien, vertreten durch das Amt für Jugend und Familie - Rechtsfürsorge Bezirke 12, 13 und 23, 1120 Wien, Schönbrunner Straße 259, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 16. Oktober 2003, GZ 48 R 7/03i-6, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Meidling vom 6. September 2003, GZ 24 P 66/03y-2, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung dahin aufgetragen, den Minderjährigen eine physische Person zum Kollisionskurator gemäß § 271 ABGB zu bestellen.

Text

Begründung

Das Erstgericht bestellte ohne Einholung einer vorherigen Einverständniserklärung das Wiener Amt für Jugend und Familie für den 12. Bezirk, Rechtsfürsorge, zum Kollisionskurator (§ 271 Abs 1 ABGB) für die beiden Minderjährigen, weil deren Eltern den mj Neffen der Mutter adoptieren wollen und im Adoptionsverfahren nicht gleichzeitig iSd § 180a Abs 2 ABGB auch die Interessen ihrer leiblichen Kinder wahrnehmen können.

Dem vom genannten Jugendamt (namens des Jugendwohlfahrtsträgers Wien) mit dem Abänderungsantrag erhobenen Rekurs, den erstinstanzlichen Beschluss ersatzlos zu beheben, gab das Gericht zweiter Instanz dahin Folge, dass es den Beschluss des Erstgerichtes aufhob und diesem eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auftrug. Der Oberste Gerichtshof habe zwar in der Entscheidung 5 Ob 100/03x die Ansicht vertreten, der Jugendwohlfahrtsträger könne nur mit seiner Zustimmung zum Kollisionskurator bestellt werden, da nach stRsp - abgesehen von den spezifischen Sonderregeln des Jugendwohlfahrtsrechtes für Minderjährige, die eine Vertretung durch den Jugendwohlfahrtsträger vorsehen - nur eine physische Person zum gesetzlichen Vertreter (Sachwalter oder Kurator) bestellt werden könne. Als eine derartige spezifische Sonderregelung habe der Oberste Gerichtshof im Weiteren jedoch nur die Bestimmung des § 212 ABGB geprüft. § 213 ABGB, wonach die Obsorge für einen Minderjährigen, wenn mit dieser eine andere Person ganz oder teilweise zu betrauen sei, dem Jugendwohlfahrtsträger zu übertragen sei, soferne sich dafür keine Verwandten oder andere nahestehenden oder sonst besonders geeignete Personen finden ließen, habe der Oberste Gerichtshof offensichtlich außer Acht gelassen bzw nicht für anwendbar erachtet, weil der Gesetzgeber im Zusammenhang mit dem am 1. 7. 2001 in Kraft getretenen Kindschaftsrechts-Änderungsgesetz BGBl Nr 135/2001 die Absicht geäußert habe, nunmehr klare Abgrenzungen zwischen den Rechtsinstituten der Obsorge für Minderjährige, der Sachwalterschaft für volljährige physisch kranke oder geistig behinderte Menschen und der Kuratel in Sonderfällen (Kollisionsfälle, Ungeborene und Abwesende) zu schaffen. Tatsächlich könnte hieraus geschlossen werden, dass die Auswahl eines Kurators seit dem Inkrafttreten des KindRÄG 2001 ausschließlich auf Grund der §§ 280, 281 ABGB zu erfolgen habe, weil die in § 282 Abs 1 ABGB enthaltene Verweisung auf die Bestimmungen des 3. Hauptstücks dem Wortlaut nach lediglich die Rechte und Pflichten des Sachwalters (Kurators) betreffe, nicht jedoch dessen Auswahl.

Gegen eine derartige Auslegung des § 282 Abs 1 ABGB spreche aber der Umstand, dass die Nichtanwendung des § 213 ABGB auf Fälle der Kollisionskuratel eine bedeutende Änderung gegenüber der bis zum Inkrafttreten des KindRÄG 2001 geltenden Rechtslage bedeuten würde, die aber in den Gesetzesmaterialien an keiner Stelle erwähnt worden und vom Gesetzgeber (daher offenbar) auch nicht beabsichtigt gewesen sei. Nach dem Wortlaut des § 213 ABGB idF des KindRÄG 1989 habe der Jugendwohlfahrtsträger nämlich auch ohne seine Zustimmung zum Vormund oder Sachwalter eines Minderjährigen bestellt werden können, sofern sich sonst keine geeignete Person finden ließ. Der Begriff des Sachwalters sei dabei - soweit es sich nicht um den Sachwalter für eine behinderte Person gemäß § 273 ABGB handelte - im Gesetz nicht genau definiert gewesen, habe sich jedoch ganz offensichtlich auf jegliche Angelegenheiten des Minderjährigen beziehen können, also auch auf die Fälle einer Kollisionskuratel. Die noch in der Regierungsvorlage (172 BlgNR 17. GP, 4 und 21 f) vorgesehene Voraussetzung der Zustimmung des Jugendwohlfahrtsträgers zur Bestellung zum Sachwalter in anderen Angelegenheiten des Minderjährigen sei letztlich ausdrücklich nicht in das KindRÄG 1989 aufgenommen worden. Nach dem Bericht des Justizausschusses (887 BlgNR 17. GP, 10) habe sich der Jugendwohlfahrtsträger gegen seine Bestellung durch das Gericht nur dann mit Erfolg wehren können sollen, wenn eine andere geeignete Person vorhanden gewesen sei. In diesem Sinne seien unter Berufung auf § 213 ABGB Jugendwohlfahrtsträger stets auch gegen ihren Willen zum Kollisionskurator eines Minderjährigen bestellt worden. Unstrittig sei nach der Rechtslage vor dem Inkrafttreten des KindRÄG 2001 auch gewesen, dass die Bestimmungen der §§ 191 ff ABGB über die Berufung zur Vormundschaft sowie die Entschuldigung von einer solchen sehr wohl auch auf die Kuratel und Sachwalterschaft analog anzuwenden gewesen seien, obwohl die Verweisung des § 282 ABGB bereits damals ihrem Wortlaut nach lediglich die Rechte und Pflichten des (bestellten) Sachwalters oder Kurators betroffen habe. Ein Hinweis auf eine beabsichtigte Änderung dieser Rechtslage in den Gesetzesmaterialien wäre umso eher zu erwarten gewesen, als die Bindung der gerichtlichen Bestellung des Jugendwohlfahrtsträgers anlässlich des KindRÄG 1989 vom Gesetzgeber ausdrücklich abgelehnt worden sei. Der erwähnte Anschein, die Auswahl eines Kurators habe nunmehr ausschließlich auf Grund der §§ 280, 281 ABGB zu erfolgen, weshalb eine Bestellung des Jugendwohlfahrtsträgers gemäß § 213 ABGB nicht in Betracht komme, sei daher damit zu erklären, dass die vom Gesetzgeber proklamierte klare Abgrenzung zwischen den Instituten der Obsorge, der Sachwalterschaft und der Kuratel nicht vollständig geglückt sei. Das Rekursgericht folge daher nicht der in 5 Ob 100/03x vertretenen Rechtsansicht, dass eine Bestellung des Jugendwohlfahrtsträgers zum Kollisionskurator nur mit dessen Zustimmung möglich sei.

Da sich das Erstgericht mit der Frage, ob iSd § 213 ABGB andere geeignete Personen vorhanden seien, welche vorrangig das Amt eines Kollisionskurators zu übernehmen hätten, nicht beschäftigt habe und sich hiezu aus dem Akt auch sonst nichts ergebe, sei sein Beschluss zur Verfahrensergänzung aufzuheben gewesen.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof im Hinblick auf die erwähnte Abweichung von der Entscheidung 5 Ob 100/03x zulässig sei.

Gegen den Aufhebungsbeschluss des Rekursgerichtes richtet sich der Rekurs des Jugendwohlfahrtsträgers, der unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und - eine Klarstellung des Obersten Gerichtshofes begehrend, dass iSv 5 Ob 100/03x eine Bestellung des Jugendwohlfahrtsträgers zum Kollisionskurator dessen Zustimmung voraussetze, mangels einer solchen im vorliegenden Fall - erschließbar eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne einer ersatzlosen Behebung des erstinstanzlichen Beschlusses beantragt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof ist zulässig und berechtigt.

Wie schon in der vom Rekursgericht erwähnten Entscheidung 5 Ob 100/03x ist auch im vorliegenden Fall in dritter Instanz nicht strittig, dass ein Kollisionsfall iSd § 271 ABGB vorliegt. Der Rekurswerber wendet sich allein gegen die Ansicht des Rekursgerichtes, er könnte iSd § 213 ABGB iVm § 282 Abs 1 ABGB subsidiär zum Kollisionskurator bestellt werden (weshalb zu klären sei, ob iSd § 213 ABGB andere geeignete Personen vorhanden sind, die vorrangig das Amt des Kollisionskurators zu übernehmen hätten).

Der erkennende Senat hat dazu erwogen:

Bereits wiederholt hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass - abgesehen von den spezifischen Sonderregeln des Jugendwohlfahrtsrechtes für Minderjährige, die eine Vertretung durch den Jugendwohlfahrtsträger vorsehen - nur eine physische Person zum gesetzlichen Vertreter (Sachwalter oder Kurator) bestellt werden kann (10 Ob 520/94, SZ 67/134; 5 Ob 100/03x; vgl Schlemmer in Schwimann ABGB2 § 280 Rz 1; Stabentheiner in Rummel ABGB3 §§ 280, 281 Rz 3). In der Entscheidung 5 Ob 100/03x wurde auch bereits klargelegt, dass die Kollisionskuratel nach § 271 ABGB nicht unter § 212 Abs 3 ABGB zu subsumieren ist, welche Bestimmung im Übrigen die - hier ja eben nicht vorhandene - Zustimmung des Jugendwohlfahrtsträgers voraussetzte. Zu untersuchen ist, ob § 213 ABGB iVm § 282 Abs 1 ABGB eine (subsidiäre) Heranziehung des Jugendwohlfahrtsträgers zum Kollisionskurator ermöglicht, wie dies nach der Rechtslage vor dem Inkrafttreten des KindRÄG 2001 offenbar (außer in mehreren vorinstanzlichen Entscheidungen, soweit überblickbar, allerdings nur in den Entscheidungen 6 Ob 511/90 und 6 Ob 38/01h, ohne dass aber durch den Obersten Gerichtshof ein entsprechender Rechtssatz formuliert worden wäre) angenommen wurde.

Gemäß § 213 ABGB idgF hat das Gericht dann, wenn eine andere Person (also weder Eltern noch Großeltern oder Pflegeeltern - § 187 ABGB) mit der Obsorge für einen Minderjährigen ganz oder teilweise zu betrauen sind und sich dafür Verwandte oder andere nahestehende oder sonst besonders geeignete Personen nicht finden lassen, die Obsorge dem Jugendwohlfahrtsträger zu übertragen. § 213 ABGB aF ordnete an, dass falls einem Minderjährigen ein Vormund oder ein Sachwalter zu bestellen sei und sich eine hiefür geeignete Person nicht finden lasse, das Gericht den Jugendwohlfahrtsträger zu bestellen habe. Die Neufassung des § 213 ABGB ist demnach zunächst terminologischer Art: Durch die geänderte Formulierung wird auf die Ersetzung des Rechtsinstituts der Vormundschaft durch jenes der Obsorge einer "anderen Person" (§ 187 ABGB) Bedacht genommen (Stabentheiner aaO ErgBd § 213). Darüber hinaus etabliert § 213 ABGB für die Auswahl der mit der Obsorge zu betrauenden "anderen Person" eine (nicht durchgängig hierachische) Rangfolge von dafür in Betracht kommenden Personengruppen (Stabentheiner aaO unter Hinweis auf RV 296 BlgNR 21. GP 72 f).

Die analoge Anwendung dieser Bestimmung auf die Bestellung eines Kollisionskurators nach § 271 ABGB wird nach Ansicht des Rekursgerichtes durch § 282 Abs 1 ABGB angeordnet. Der Satz 1 des § 282 ABGB aF hatte hinsichtlich der Rechte und Pflichten des Sachwalters und des Kurators auf jene des Vormundes verwiesen, dies unter Vorbehalt einer anderen gesetzlichen Regelung. Der an die Stelle dieser Bestimmung getretene § 282 Abs 1 ABGB nF ordnet nun - unter Beibehaltung des vorgenannten Vorbehaltes - die entsprechende Anwendung des gesamten Dritten Hauptstücks sowie der Regelung des Vierten Hauptstücks über die Obsorge einer "anderen Person" iSd §§ 187 ff ABGB an (Stabentheiner aaO ErgBd § 282 Rz 2). Obwohl auch schon § 282 ABGB aF nur von den "Rechten und Pflichten" des Sachwalters (Kurators) sprach, wurde - wie bereits erwähnt - diese Bestimmung auch hinsichtlich der Kollisionskuratorbestellung für maßgeblich erachtet. Daraus, dass in den Gesetzesmaterialien zum KindRÄG 2001 diesbezüglich nichts Gegenteiliges erwähnt wird, folgerte das Rekursgericht, dass die Bestellung des Jugendwohlfahrtsträgers zum Kollisionskurator nach § 213 ABGB weiterhin möglich sei bzw mangels anderer geeigneter Personen zu erfolgen habe.

Der erkennende Senat vermag diese Auffassung nicht zu teilen. Erst jüngst hat sich der 8. Senat des Obersten Gerichtshofs in der Entscheidung 8 Ob 144/03i vom 23. 1. 2004 der zu 5 Ob 100/03x vertretenen Rechtsmeinung, nach der durch das KindRÄG 2001 geschaffenen Rechtslage sei das Amt des Kollisionskurators jedenfalls einer physischen Person zu übertragen, angeschlossen. Dabei wurde eine analoge Anwendung auch des § 213 ABGB ausdrücklich abgelehnt; die Bestellung des Jugendwohlfahrtsträgers zum Kollisionskurator gemäß § 271 ABGB sei im Gesetz nicht vorgesehen. Dem pflichtet der erkennende Senat bei: Eine analoge Anwendung, die ja eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes - hier des § 213 ABGB - voraussetzte, würde der in den Gesetzesmaterialien betonten Intention des KindRÄG 2001, die Rechtsinstitute der Obsorge, der Sachwalterschaft und der Kuratel deutlich voneinander abzugrenzen (RV 296 BlgNR 21. GP 40 f; Hopf/Weizenböck, Schwerpunkte des Kindschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2001, ÖJZ 2001, 485 [534 f]; vgl auch Schwarzl, Obsorge, Kuratel und Sachwalterschaft nach dem KindRÄG 2001, in Ferari/Hopf, Reform des Kindschaftsrechts 19 [26]), zuwiderlaufen. Eine derartige Absicht kann dem Gesetzgeber umso weniger unterstellt werden, als - wie bereits oben erwähnt - ein Rechtssatz, wonach der Jugendwohlfahrtsträger gemäß § 213 ABGB aF subsidiär zum Kollisionskurator zu bestellen sei, nicht existiert.

Da der erkennende Senat den aufgrund der Entscheidung 5 Ob 100/03x formulierten Rechtssatz "Keine Bestellung des Jugendwohlfahrtsträgers zum Kollisionskurator" (RIS-Justiz RS0117868) daher für zutreffend erachtet, war in Stattgebung des Rechtsmittels des Jugendwohlfahrtsträgers spruchgemäß zu entscheiden.

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