OGH 8ObA42/03i

OGH8ObA42/03i23.1.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler und Gerhard Loibl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Albert K*****, vertreten durch Dr. Georg Grießer, Dr. Roland Gerlach und Dr. Sieglinde Gahleitner, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei F***** GmbH & Co KG, ***** vertreten durch Dr. Johannes Hochleitner und Mag. Christian Kieberger, Rechtsanwälte in Perg, wegen EUR 39.948,05 brutto sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4. Dezember 2002, GZ 8 Ra 302/02v-26, womit infolge Berufung des Klägers das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 4. April 2002, GZ 14 Cga 155/01t-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger war ab 15. Mai 2000 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten angestellt und zu deren handelsrechtlichem Geschäftsführer bestellt. Das Dienstverhältnis endete durch Dienstgeberkündigung zum 15. Jänner 2001.

Neben dem Dienstvertrag schlossen die Parteien am 15. 5. 2000 eine "Vereinbarung über die Gewährung einer Verkaufsvergütung". Diese lautet auszugsweise:

"2.2. Für Beratungsleistungen, Trainingsleistungen und Schulungen, die der Dienstnehmer in der Zeit vom 15. Mai 2000 bis 31. März 2001 für ... (Beklagte) verkauft, erhält der Dienstnehmer folgende einmalige (und daher nicht wiederkehrende) Vergütung in der Höhe von 2,5 % vom Nettofakturenwert der Beratungs- bzw Trainingsgebühren, wie sie ... (Beklagte) an ihre Kunden (Wiederverkäufer) abzüglich allenfalls gewährter Skonti fakturiert hat. ...

Die Ansprüche hieraus entstehen und werden fällig mit Zahlungseingang des Kunden bei ... (Beklagter).

2.3. ... (Beklagte) wird für jedes Kalendervierteljahr, spätestens bis zum letzten Tag des Folgemonates, Abrechnungen über die in diesem Zeitraum fällig gewordenen Ansprüche auf Zahlung einer Vergütung legen. Der Dienstnehmer hat die Abrechnung unverzüglich zu prüfen und etwaige Einwände spätestens binnen Monatsfrist nach Erhalt der Abrechnung schriftlich gegenüber ... (Beklagter) geltend zu machen. ..."

Während des aufrechten Dienstverhältnisses wurden dem Kläger monatlich Provisionen überwiesen und auf seinem Gehaltszettel ausgewiesen. Eine Abrechnung wurde dem Kläger nicht ausgefolgt. Der Kläger hatte jedoch als Geschäftsführer Zugang zu den Kundendaten und konnte Rechnungen von der Buchhaltung jederzeit anfordern. Auch wurde er von der Buchhaltung über den Zeitpunkt der Zahlung informiert bzw darüber, dass Rechnungen nicht bezahlt wurden. Direkten Zugriff auf die Buchhaltung hatte der Kläger nicht.

Auch nach Beendigung des Dienstverhältnisses erfolgte zunächst keine Abrechnung durch die Beklagte. Mit Schreiben vom 28. 1. 2001 und 18. 2. 2001 ersuchte der Kläger um Übersendung einer entsprechenden Abrechnung. Daraufhin übermittelte die Beklagte dem Kläger Verkaufsvergütungsabrechnungen für die Monate Juli 2000 bis Dezember 2000 (Beilage 4). Die Abrechnungen gingen dem Kläger am 22. 2. 2001 zu. Es war daraus die Rechnungsnummer, die Art der Leistung, der Nettofakturenwert und der Bonus des Klägers in Höhe von 2,5 % ersichtlich. Der sich aus dieser Abrechnung ergebende Provisionsbetrag in Höhe von EUR 16.628,63 brutto wurde dem Kläger überwiesen. Der Kläger erstellte aufgrund von Rechnungen, die er bereits während des aufrechten Dienstverhältnisses von einer Mitarbeiterin zur Überprüfung von Kundenreklamationen erhalten hatte, eine Aufstellung von Geschäftsfällen, für die ihm seiner Meinung nach Provision zustand. Mit Schreiben vom 26. 3. 2001 wies der Kläger die Abrechnung Beilage 4 als unrichtig zurück.

Mit seiner am 19. 9. 2001 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrte der Kläger zuletzt, die Beklagte zur Zahlung von EUR 39.948,04 brutto sA schuldig zu erkennen. Die Beklagte sei der sie vereinbarungsgemäß treffenden Verpflichtung, vierteljährlich Abrechnungen zu legen, während des gesamten Dienstverhältnisses nicht nachgekommen. Sie könne sich daher wegen Sittenwidrigkeit nicht auf die vertraglich vereinbarte Verfallsbestimmung von einem Monat berufen. Zudem sei durch die Kürze der Verfallsfrist die Möglichkeit des Klägers, seine Ansprüche geltend zu machen, sittenwidrig erschwert worden. Der Kläger habe auch während des aufrechten Dienstverhältnisses eine ordnungsgemäße Abrechnung mehrfach urgiert. Nach Erhalt der Abrechnung habe er erst mühsam nachvollziehen müssen, welche Rechnungen in der Abrechnung nicht enthalten oder nur mit unrichtigen Beträgen angeführt gewesen seien. Im Hinblick auf das während des gesamten Dienstverhältnisses nicht vertragskonforme Verhalten der Beklagten widerspreche deren nunmehrige Berufung auf die Verfallsklausel Treu und Glauben. Der Kläger habe selbst für die Zeit bis 31. 10. 2000 eine seiner Meinung nach vollständige Auflistung aller zu verprovisionierender Rechnungen erstellt. Für die Zeit nach dem 31. 10. 2000 habe der Kläger keinen Zugang mehr zu den Rechnungsdaten gehabt. Schon aus dem Umstand, dass für diesen Zeitraum Geschäfte in der Abrechnung "nicht entsprechend enthalten" seien, ergebe sich, dass keine korrekte Abrechnung im Sinne der Vereinbarung vorliege. Der Klagsbetrag stelle die Differenz zwischen der Summe der zustehenden Provisionen und dem tatsächlich ausbezahlten Betrag dar.

Die Beklagte wendete die Verfristung der geltend gemachten Ansprüche ein. Der Kläger habe die einzelvertraglich vereinbarte Frist von einem Monat für die Beeinspruchung der Abrechnung ungenützt verstreichen lassen. Dem Vorbringen des Klägers könne nicht entnommen werden, welche Ansprüche aus welchen Rechnungen er tatsächlich geltend mache. Zudem begehre er offenkundig vereinbarungswidrig Vergütung für jeden von der Gesellschaft erzielten Umsatz, obwohl dieser auch noch von weiterem Verkaufspersonal erwirtschaftet worden sei. Auch lasse der Kläger unbeachtet, dass entsprechend der Vereinbarung ein Vergütungsanspruch nur bei vollständigem Eingang der Rechnungssumme bei der Beklagten bestehe. Dem Kläger seien sämtliche Belege für die von der Beklagten übermittelte Abrechnung stets zugänglich gewesen. Während der Gesamtdauer des Dienstverhältnisses sei diese Form der Abrechnung durch den Kläger nicht gerügt worden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte zur rechtlichen Beurteilung aus, dass die von der Beklagten übermittelte Abrechnung Beilage 4 als ordnungsgemäße Abrechnung im Sinn der Vereinbarung anzusehen sei, weil sich daraus alle notwendigen Informationen ergäben, die zur Berechnung der zustehenden Provisionsansprüche erforderlich seien. Dem Kläger wäre es als Geschäftsführer möglich gewesen, sich während des aufrechten Dienstverhältnisses die für erforderlich erachteten Informationen über die einzelnen Geschäftsfälle zu verschaffen. Da die Abrechnung dem Kläger am 22. 2. 2001 zugekommen sei und er seine Einwendungen erst am 26. 3. 2001 erhoben habe, seien diese verspätet und könnten wegen des Ablaufs der Fallfrist nicht mehr berücksichtigt werden. Dem Einwand, die vereinbarte Fallfrist sei sittenwidrig, komme keine Berechtigung zu, weil der Kläger genügend Zeit und auch die Möglichkeit gehabt habe, sich bei aufrechtem Dienstverhältnis fehlende Unterlagen zur Berechnung der ihm zustehenden Provision zu verschaffen. Eine kurze Frist sei sachlich gerechtfertigt, weil sie der Vermeidung von Beweisschwierigkeiten diene, die sich gerade in diesem Bereich schon nach relativ kurzer Zeit für beide Teile ergäben.

Das Gericht zweiter Instanz gab der dagegen erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die vereinbarte Verfallsfrist von einem Monat widerspreche weder gesetzlichen noch kollektivvertraglichen Bestimmungen. Da es sich zudem nicht um zwingende Ansprüche des Klägers handle, sei an die vertraglich vereinbarte Verfallsfrist nicht der gleiche strenge Maßstab anzulegen wie bei unabdingbaren Ansprüchen. Werde von einem Dienstnehmer verlangt, binnen Monatsfrist Einwände gegen die Abrechnung von Provisionsansprüchen zu erheben, bedeute dies nicht, dass er konkret dartun müsse, in welchen Punkten die Abrechnung falsch sei. Auch ein bloß allgemein gehaltener Einwand sei als fristwahrend anzusehen. Auch dürfe nicht übersehen werden, dass es für den Kläger möglich gewesen sei, die Abrechnung zu kontrollieren, sei er doch in der Lage gewesen, die einzelnen beanstandeten Punkte genau aufzulisten. Auch eine verspätete Rechnungslegung sei eine solche im Sinne der Vereinbarung, die den Lauf der Fallfrist - wenngleich zu einem späteren Zeitpunkt - beginnen lasse.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt.

Die einzelvertragliche Vereinbarung einer Präklusivfrist für Ansprüche aus einem Arbeitsvertrag ist grundsätzlich zulässig (ArbSlg 10.174; RIS-Justiz RS0034404). Sie ist allerdings dann im Sinn des § 879 Abs 1 ABGB sittenwidrig, wenn sie zum Nachteil des Arbeitnehmers gegen zwingende gesetzliche Fristbestimmungen verstößt oder wenn durch eine unangemessen kurze Ausschlussfrist die Geltendmachung von Ansprüchen ohne sachlichen Grund übermäßig erschwert würde (RIS-Justiz RS0016688; 9 ObA 159/02a). Die generelle Eignung einer Verfallsfrist, die Geltendmachung von Ansprüchen ohne sachlichen Grund übermäßig zu erschweren, ist nicht einzelfallorientiert, sondern allgemein und nach objektiven Kriterien zu beurteilen (4 Ob 102/85). Der Zweck der Verfallsklausel, dem Beweisnotstand zu begegnen, in welchem sich der Arbeitgeber bei verspäteter Geltendmachung befinden könnte (vgl 9 ObA 215/01k), ist dem Erfordernis gegenüberzustellen, dem Arbeitnehmer eine entsprechende Zeitspanne zur Klärung der Sach- und Rechtslage einzuräumen. Aus dieser Überlegung heraus wurde wiederholt die Sittenwidrigkeit von Fristen in der Dauer von zumindest drei Monaten verneint (ArbSlg 10.174; 4 Ob 102/85; 9 ObA 166/00b ua), während häufig Fristen unter drei Monaten als bedenklich erachtet wurden, weil sie zur Beschaffung von Unterlagen zur Einholung von Erkundigungen und zur Geltendmachung von Ansprüchen nicht genügend Zeit lassen (9 ObA 166/00b). So wurde etwa eine nur sechswöchige Verfallfrist für die Geltendmachung von Entgeltansprüchen als unwirksam erachtet (9 ObA 59/02a). Entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Ansicht kann der Kläger nicht darauf verwiesen werden, dass es ihm freigestanden wäre, inhaltsleere Einwendungen zu erstatten. Vielmehr ist - wie bereits dargestellt - ungeachtet der konkreten Fallkonstellation und der möglichen Art der Rechtswahrung von einer Zeitspanne auszugehen, die ein sachliches Eingehen auf die Abrechnung ermöglicht. Dafür erscheint die vereinbarte Frist von einem Monat jedenfalls zu kurz bemessen. Ob es hier tatsächlich einer Frist von drei Monaten bedurft hätte oder ob etwa eine solche von zwei Monaten (vgl 9 ObA 166/00b) ausreichend gewesen wäre, muss angesichts der bloß geringfügigen Überschreitung der Einmonatsfrist nicht weiter erörtert werden.

Abgesehen von diesen Erwägungen ist aber dem Revisionswerber auch darin beizupflichten, dass die Berufung auf die Verfallsklausel gegen Treu und Glauben verstößt, weil die Rechtsvorgängerin der Beklagten ihre vertragliche Verpflichtung, vierteljährlich Abrechnung zu legen, verletzt hat. Dadurch wurde dem Kläger die Überprüfung der sich insgesamt auf ein halbes Jahr erstreckenden Abrechnung nicht unwesentlich erschwert (vgl 4 Ob 113/85; 9 ObA 59/94; 8 ObA 227/00s).

Der Revision ist Folge zu geben. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren über die Ansprüche des Klägers unter Außerachtlassung der behaupteten Präklusion zu entscheiden haben.

Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 Abs 1 ZPO.

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