OGH 9ObA59/94

OGH9ObA59/9420.4.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Steinbauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Barbara Hopf und Helmuth Prenner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Johann M*****, Kraftfahrer, ***** vertreten durch Dr.Wolfgang Sandmayr, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich, Volksgartenstraße 40, 4020 Linz, dieser vertreten durch Zamponi-Weixelbaum & Partner, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei S***** GüterbeförderungsgesmbH, ***** vertreten durch Dr.Longin Josef Kempf und Dr.Josef Maier, Rechtsanwälte in Peuerbach, wegen S 321.508,87 sA und Feststellungen (Streitwert S 12.000,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19.Oktober 1993, GZ 12 Ra 55/93-44, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom 9.Juni 1993, GZ 4 Cga 14/91-35, teilweise abgeändert und teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es insgesamt zu lauten hat:

1. "Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger den Betrag von S 179.085,13 netto zuzüglich S 8.888,01 brutto samt 4 % Zinsen aus S 11.509,71 vom 1.6.1989 bis 2.8.1990 und aus S 187.973,14 seit 3.8.1990 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Das Mehrbegehren auf Zahlung eines Betrages von S 142.423,74 netto samt 4 % Zinsen aus S 38.354,39 seit 3.8.1990 bis 2.11.1990 und aus S 69.849,53 seit 3.11.1990 bis 2.5.1991 und aus S 133.535,73 ab 3.5.1991 wird abgewiesen.

2. Das Klagebegehren, es werde festgestellt, daß dem Kläger für den Zeitraum 4.6.1993 bis 17.4.1994 ein Kündigungsentschädigungsanspruch auf Basis eines monatlichen Durchschnittsentgeltes in der Höhe von derzeit brutto S 23.284,56, aufgewertet um die zukünftigen kollektivvertraglichen Lohnerhöhungen, zuzüglich der jeweils auflaufenden Sonderzahlungs- bzw Urlaubsansprüche unter Anrechnung seines künftigen Verdienstes zustehe, wird abgewiesen.

3. Zwischen den Streitteilen wird festgestellt, daß die beklagte Partei der klagenden Partei alle künftigen Schäden zu ersetzen hat, die sich aus der von der beklagten Partei zu niedrig angegebenen Beitragsgrundlage in der Sozialversicherung ergeben.

4. Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 3.798,20 bestimmten Verfahrenskosten erster Instanz (Barauslagen) und die mit

S 2.177,85 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 362,97,-- USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit 7.1.1980 bei der Beklagten als Kraftfahrer beschäftigt. Das Dienstverhältnis endete am 2.8.1990 durch vorzeitigen Austritt. Zum Zeitpunkt des Austrittes war der Kläger Betriebsratsobmann bei der Beklagten und hätte frühestens zum 17.4.1994 gekündigt werden können. Am 23.4.1991 hat der Kläger eine neue Beschäftigung angetreten.

Der Kläger wurde seit Beginn des Dienstverhältnisses nach sogenannten Tourenpauschalen, nach von der Beklagten für bestimmte Touren im vorhinein festgelegte Nettopauschalsätze bezahlt. Den jeweiligen Monatslohnabrechnungen wurde diese vereinbarten Tourenpauschalen zugrundegelegt. Dabei wurde ein fixer Monatslohn zuzüglich Überstundenpauschale, Pauschale für Zulagen und Zuschlägen rechnerisch berücksichtigt. Die Differenz zwischen dem Tourenpauschale und dem fixen Monatslohn samt Überstundenpauschale und Zulagenpauschale gemäß § 68 Abs 1 EStG wurde als Reisekostenvergütung in Ansatz gebracht. Aufgrund der von den Fahrern monatlich abgegebenen Tourenlisten wurde der Nettobetrag errechnet, dieser dann auf brutto hochgerechnet. Unter Zugrundelegung des kollektivvertraglichen Stundenlohnes und einer bestimmten Anzahl von Überstunden erfolgte dann die Aufschlüsselung in der Lohnverrechnung zuzüglich der Reisespesen. Die Zahl der Überstunden, deren Einteilung in 50 %ige und 10 %ige, sowie die Reisediäten wurden von der Beklagten unabhängig von den tatsächlichen Gegebenheiten zahlenmäßig festgelegt. Etwa ab 1983/84 fiel dem Kläger auf, daß die vereinbarten Tourenpauschalen trotz Lohnerhöhungen unverändert geblieben sind und daß die bei der Gebietskrankenkasse gemeldete Bemessungsgrundlage nicht den tatsächlichen Arbeitsleistungen und -zeiten entsprochen hat, sondern auf Grund des Tourenpauschales erfolgt ist. Am 16.5.1984 begehrte der Kläger ausdrücklich die Entlohnung nach den Entlohnungsbestimmungen des Kollektivvertrages für das Güterbeförderungsgewerbe Österreichs und den einschlägigen Gesetzen, insbesondere auch die Bezahlung der von ihm geleisteten Überstunden und die Berücksichtigung der entsprechenden Bemessungsgrundlage für die Zwecke der Sozialversicherung. Die Beklagte veranlaßte den Kläger diese Erklärung zurückzuziehen, weil er sonst die Firma zu verlassen hätte. Eine Änderung der Lohnabrechnung und Auszahlung ist nicht erfolgt. Der Kläger und auch andere Dienstnehmer der Beklagten haben weiterhin auf eine kollektivvertragsgemäße Abrechnung gedrängt. Es kam auch dann zu mehrfachen Interventionen der Gewerkschaft, die ab Juni 1989 unter anderem auch für den Kläger regelmäßig Lohndifferenzbeträge forderte. Aufgrund der langjährigen Differenzen zwischen Betriebsrat und der Beklagten wegen des Lohnabrechnungssystems erließ die über Antrag des Arbeiterbetriebsrates beim Kreisgericht Wels errichtete Schlichtungsstelle den Bescheid vom 18.5.1990: Neben der Einteilung der Normalarbeitszeit sowie die Aufzeichnungspflicht der täglichen Einsatzzeit habe die Auszahlung des Lohnes samt Zulagen und Zuschlägen und Reisekostenentschädigung spätestens am 15. eines Monates für den vorhergehenden Monat zu erfolgen. Die Lohnabrechnung sei dem Arbeitnehmer spätestens am 10. des darauffolgenden Monats auszuhändigen. Am 1. eines jeden Monats sei eine Akontozahlung in der Höhe des Normalmonatsnettolohnes auszuzahlen. Wirksamkeitsbeginn dieses Bescheides war der 1.7.1990. Die Beklagte hat sich nicht an die Regelungen der Schlichtungsstelle gehalten und auch keinerlei Anstalten gemacht die Lohnabrechnung dieser Regelung anzupassen. Die Beklagte leistete dem Kläger weder am 1.7.1990 noch am 1.8.1990 die durch Bescheid der Schlichtungsstelle aufgetragene Akontozahlung in der Höhe des Normalmonatsnettolohnes, was den Austritt des Klägers zur Folge hatte. Mit dem Austrittschreiben machte der Kläger aushaftende Entgeltdifferenzen und eine Reihe von Beendigungsansprüchen geltend. Zum Zeitpunkt des Austrittes betrugen die offenen Entgeltansprüche aus der Unterentlohnung für Februar 1989 bis einschließlich Juli 1990 netto S 39.700,04. Auch den Julilohn 1990 von netto S 19.053,52 hatte der Kläger nicht zur Gänze ausbezahlt erhalten. Mit 3.8.1990 war der Kläger arbeitslos gemeldet. Bis 6.10.1990 wurden dem Kläger sechs Arbeitsstellen angeboten. Er hat alle sechs Dienstgeber aufgesucht, wurde aus Dienstgebergründen allerdings nicht aufgenommen. Vom 6.10.1990 bis 14.12.1990 absolvierte der Kläger im Rahmen der Arbeitsmarktförderung eine Berufungskraftfahrerausbildung. Ab 17.12.1990 war er wieder arbeitslos gemeldet und bezog Notstandshilfe. Der Kläger bemühte sich laufend einen Arbeitsplatz zu finden. Dies gelang erst mit 23.4.1991.

Der Kläger begehrt von der Beklagten S 326.327,82 netto an Entgeltsdifferenzen, Urlaubsentschädigung aliquote Weihnachtsremuneration, Abfertigung und Kündigungsentschädigung bis 2.5.1991 sowie die Feststellung, daß ihm für den Zeitraum von 3. Mai 1991 bis 17. April 1994 eine Kündigungsentschädigung auf Basis eines monatlichen Durchschnittsentgelts von S 23.506,57 brutto zuzüglich der jeweils auflaufenden Sonderzahlungs- und Urlaubsentschädigungsansprüche unter Anrechnung künftiger Verdienste zustehe. Weiters die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden, die sich aus der von der Beklagten zu niedrig angegebenen Beitragsgrundlagen in der Sozialversicherung ergäben.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.

Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren unter Abweisung eines Nettobetrages von S 1.192,32 sA und den Feststellungsbegehren statt. Die Entlohnung in Form eines Nettopauschales sei unstatthaft, wenn nicht die geleisteten Arbeitsstunden ordnungsgemäß berücksichtigt würden. Verzicht auf kollektivvertraglich festgelegten Mindestentgelt sei unzulässig. Die Branchenüblichkeit einer Tourenpauschalberechnung sei unbeachtlich. Da die Beklagte zu erkennen gegeben habe, daß sie den Verpflichtungen einer kollektivvertragsgemäßen Lohnabrechnung nicht nachzukommen bereit sei, habe es keiner Nachfristsetzung vor der Austrittserklärung bedurft. Der Kläger habe laufend schriftlich die Auszahlung von Lohndifferenzen gefordert, sodaß er seine Ansprüche im Sinne des Art 11 Z 5 des Kollektivvertrages für das Güterbeförderungsgewerbe Österreichs fristgerecht geltend gemacht habe. Eine Einrechnungsverpflichtung hinsichtlich der Kündigungsentschädigung seit Beginn des vierten Monats ab Austritt habe nicht bestanden, weil der Kläger bemüht war, eine Arbeitsstelle zu finden und das Beweisverfahren keinen Hinweis ergeben habe, daß der Kläger es absichtlich unterlassen habe, eine zumutbare Arbeitsstelle in angemessener Frist anzunehmen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise dahin Folge, daß es das Begehren auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 4.818,95 netto abwies und im übrigen das angefochtene Urteil mit einer Leistungsverpflichtung von S 321.508,87 netto sA und die Feststellungsansprüche unter Hinweis auf § 500a ZPO bestätigte.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten aus den Revisionsgründen der Aktenwidrigkeit, der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das Leistungsbegehren sowie die Feststellungsbegehren zur Gänze abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt, der Revision der Beklagten keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Ergebnis teilweise berechtigt.

Die von der Revisionswerberin in der Berufung nicht gerügte angebliche Aktenwidrigkeit der in der rechtlichen Beurteilung enthaltenen Aussage des Erstgerichtes, daß der Kläger laufend schriftlich die Auszahlung der Lohndifferenz zur kollektivvertraglichen Entlohnung für die einzelnen Monate des klagegegenständlichen Zeitraumes gefordert habe, kann im Revisionsverfahren nicht mehr nachgetragen werden (EFSlg 55.112).

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens durch Unterlassung der Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Güterbeförderungsbereich liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, die vom Berufungsgericht verneint wurden, können im Revisionsverfahren nicht geltendgemacht werden (SZ 60/197; SZ 62/88; RZ 1989/16; RZ 1992/57; 9 Ob 200/93 ua).

Nach Art 11 Z 6 des Kollektivvertrages müssen Ansprüche des Dienstnehmers innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit bei sonstigem Verfall beim Dienstgeber schriftlich geltendgemacht werden. Fälligkeitstag ist der Auszahlungstag jener Lohnzahlungsperiode, in der der Anspruch entstand und dem Dienstnehmer eine ordnungsgemäße Lohnabrechnung ausgefolgt worden ist.

Die Lohnabrechnung der Beklagten erfolgte nach den vereinbarten, von der Beklagten vorgegebenen Tourenpauschalen ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Gegebenheiten und Arbeitszeiten. Trotz des dann, allerdings unter der Androhung, der Kläger habe die Firma zu verlassen, wenn er die Zurückziehung nicht unterschreibt, zurückgenommenen Begehrens des Klägers vom 16.5.1984 und eines weiteren Verlangens vom 19.10.1988 auf kollektivvertragsgemäße Abrechnung entsprechend den Arbeitsleistungen und Arbeitszeiten wurde die Abrechnungsform nicht geändert. Aus einer ordnungsgemäßen Lohnabrechnung muß nicht nur der Arbeitsverdienst, sondern auch hervorgehen, ob der Arbeitgeber die vom Arbeitslohn abzuführenden Steuern, Sozialversicherungsbeiträge und sonstigen Abgaben dem Gesetz gemäß abgerechnet und abgeführt hat (Arb 10.213, 10.674). Es soll der Auszahlungsbetrag und dessen Zweckwidmung sowie die vorgenommenen Abzüge einwandfrei erkennbar sein (EvBl 1990/115). Auch nach Art XV lit 4 KV ist dem Dienstnehmer eine Aufstellung über Bruttoverdienst, Normal- und Überstunden, Grundlohn, Überstundenzuschläge, Zulagen und die einzelnen Abzüge auszuhändigen. Entlohnungsformen nach zurückgelegten Fahrtstrecken oder nach der Menge der beförderten Güter in Form von Prämien oder Zuschlägen sind nur dann statthaft, wenn die Entlohnung nach den geleisteten Arbeitsstunden (Stundenlohn und Überstunden) ordnungsgemäß abgerechnet wird und die gebührenden Zulagen bzw Reisekostenentschädigungen gesondert verrechnet werden (Art XV lit 2 KV).

Es verstößt wider Treu und Glauben, wenn sich der Dienstgeber auf den im Kollektivvertrag vorgesehenen Verfall beruft, obwohl er es beharrlich unterlassen hat, eine ordnungsgemäße Lohnabrechnung iSd Kollektivvertrages auszufolgen. Liegt von vornherein eine fiktive Abrechnung ohne Zugrundelegung der tatsächlichen Gegebenheiten und ohne die tatsächlichen Leistungen des Arbeitnehmers zu berücksichtigen vor, dann kann von einer dem Art XV lit 2 und 4 KV entsprechenden ordnungsgemäßen Abrechnung nicht gesprochen werden.

Ob daher einzelne mit den Schreiben (Beilage F bis I) nur pauschal aber ausreichend der Art nach (Arb 10.889; 9 ObA 116/93) geltendgemachte Ansprüche bei ordnungsgemäßer Lohnabrechnung verfallen wären, braucht nicht untersucht zu werden. Die Entscheidung 9 ObA 149/93 verlangt, daß Überstunden unter Bezeichnung der Zahl und der zeitlichen Lagerung anzusprechen sind. Es handelt sich dabei um Ansprüche, die erst aufgrund ihrer Geltendmachung vom Dienstgeber überprüft werden können. Der Kläger hat aber bereits am 16.5.1984 die Bezahlung seiner Überstunden nach arbeitsrechtlichen Vorschriften begehrt und - von der Beklagten unbestritten (AS 17) - Überstundenaufzeichnungen vorgenommen und Überstunden im Fahrtenbuch verzeichnet. Die Beklagte, die selbst zur Aufzeichnung geleisteter Überstunden verpflichtet war (§ 26 Abs 1 AZG), hätte daher die Möglichkeit gehabt, die geltendgemachten Ansprüche des Klägers auf ihre Berechtigung hin zu überprüfen (9 ObA 240/93), sodaß sie sich auf die Unterlassung einer rechtzeitigen Geltendmachung nicht berufen kann. Da auch die Beendigungsansprüche, wie Abfertigung, Sonderzahlungen, Urlaubsentschädigung der Art nach (Blg I) mit dem Austrittsschreiben geltendgemacht wurden, sind auch diese nicht verfallen.

Ein Kollektivvertrag wirkt wie ein Gesetz im formellen Sinn gestaltend auf den Inhalt der Einzelarbeitsverträge und ist zugunsten des Arbeitnehmers zwingend. Unabhängig vom Bestehen einer Drucksituation, zu der es daher auch keiner Feststellungen bedarf, ist ein Verzicht auf durch Kollektivverträge festgelegte Ansprüche für die Zukunft unwirksam (Spielbüchler in Floretta-Spielbüchler-Strasser ArbR3 I, 84; Martinek-M.u.W.Schwarz AngG7, 744; 9 ObA 116/93). Die Vereinbarung einer Tourenpauschale, ohne daß die tatsächlichen Arbeitszeiten zugrundegelegt werden, verstößt gegen Art XV lit 2 KV und ist ein unwirksamer Verzicht. Von einem konkludenten Verzicht kann schon deshalb nicht die Rede sein, weil der Kläger nach den Feststellungen bereits im Jahr 1984, aber auch 1988 vergeblich auf kollektivvertragsgemäße Bezahlung gedrängt hat. Da eine (stillschweigende) Erklärung unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände bei objektiver Betrachtungsweise zu verstehen ist (Arb 10.489), konnte die Beklagte die unter unzulässigem Druck zustande gekommene Rücknahme der Erklärung aus dem Jahr 1984 aber auch die jahrelange stillschweigende Akzeptanz der Lohnverrechnung der Beklagten durch den Kläger in diesem Fall noch nicht als Verzicht auf unverzichtbare Entgeltansprüche ansehen.

Eine Anrechnungspflicht des Dienstnehmers nach § 1155 ABGB hinsichtlich dessen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung ab Beginn des 4. Monates erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt hat, kommt nur im vorliegenden Fall schon deshalb nicht zum Tragen, weil dem Kläger, wie später auszuführen sein wird, keine über den 24.8.1990 hinausgehenden Ansprüche zustehen.

Im Hinblick darauf, daß der Kläger mit Schreiben vom 28.6.1989 (Bl F), vom 9.4.1990 (Bl G) vom 2.7.1990 (Bl H) kollektivvertragliche Entgeltdifferenzen und Entlohnung nach den Bestimmungen des Kollektivvertrages verlangte, die Beklagte nicht nur diesem Begehren beharrlich nicht nachkam, sondern auch den Bescheid der Schlichtungsstelle vom 18.5.1990 mißachtete und ab 1.7.1990 nicht die Akontozahlungen in Höhe des Normalmonatsnettolohnes am 1.7.1990 und am 1.8.1990 an den Kläger leistete, erübrigte sich die Setzung einer Nachfrist vor Ausspruch des vorzeitigen Austritts. Bei dem unmißverständlichen Begehren des Klägers auf ordnungsgemäße Abrechnung und Auszahlung seiner kollektivvertraglichen Ansprüche und der Nichteinhaltung der Verpflichtung der Beklagten, aufgrund des Bescheides der Schlichtungsstelle die Akontozahlungen zu leisten, erübrigte sich ein ausdrückliches weiteres Begehren auf Lohnvorschuß. Von einem Tolerieren der Entgeltdifferenzen und Entgeltverzögerungen durch den Kläger kann keine Rede sein. Der Kläger hat daher nicht zu erkennen gegeben, daß er auf die Ausübung seines Austrittsrechtes vorläufig verzichtet (Arb 10.605).

Daß die Umstellung des Lohnabrechnungsbereiches infolge notwendiger Änderung des EDV-Programmes zeitaufwendig gewesen wäre, begründet keine Rechtfertigung der Beklagten, dem Kläger die zustehenden Lohnanteile nicht fristgerecht zu bezahlen, weil eine Umstellung der Lohnabrechnung für die Zukunft nicht auschloß, daß nach der Schlichtungsstellenentscheidung vom 18.5.1990 mit ihrer Wirksamkeit ab 1.7.1990 die bis zur tatsächlichen Umstellung zustehenden kollektivvertraglichen Ansprüche fristgerecht (auch ohne EDV-Programm) ausbezahlt werden. Die Beklagte hat im übrigen keinerlei Anstalten gemacht, die Lohnabrechnung an diese Regelung anzupassen, sondern hat, wie sich aus der Aussage der Zeugin Irmgard Stadler ergibt, die Regelung der Schlichtungsstelle gar nicht so ernst genommen.

Das Berufungsgericht hat die Einwände der Beklagten gegen die Höhe des Klagebegehrens behandelt und ihnen in seiner Entscheidung teilweise auch Rechnung getragen. Inwiefern seine Begründung unrichtig wäre, vermag die Beklagte durch Verweis auf ihre schon vom Berufungsgericht behandelten Ausführung in der Berufung nicht darzutun.

Die Revision ist aber dennoch teilweise berechtigt, weil im Fall der gesetzmäßig ausgeführten Rechtsrüge die rechtliche Beurteilung der Vorinstanz in jeder Richtung zu überprüfen und sogar bisher nicht erörterte rechtliche Gesichtspunkte wahrzunehmen sind, wenn nicht die Rechtsrüge sich nur auf einzelne von mehreren selbständigen Forderungen bezieht oder ein Anspruch aus mehreren selbständigen rechtserzeugenden Tatsachen abgeleitet wird und sich die Rechtsausführungen nur noch auf eine dieser Tatsachen stützen (SZ 59/126). Hier leitet sich der von der Beklagten bestrittene Klageanspruch aus dem Rechtsgrund des berechtigten vorzeitigen Austrittes eines Betriebsrates ab.

Der Oberste Gerichtshof hat mit seiner Entscheidung 9 Ob S 8/91 = JBl

1991, 809 (zust Liebeg = RdW 1991, 294 (zust Runggaldier) in

Abänderung seiner bisherigen von der Lehre abgelehnten Rechtsprechung (beispielsweise Arb 10.407, 10.473 ua), wonach ein berechtigt vorzeitig ausgetretenes Betriebsratsmitglied hinsichtlich der Bemessung seiner aus der Beendigung des Dienstverhältnisses entstehenden Ansprüche so zu stellen sei, daß die gesamte (fiktive) Dauer des besonderen Kündigungsschutzes nach § 120 ArbVG einschließlich der dreimonatigen "Abkühlungsfrist" nach Ende der Funktionsperiode zu berücksichtigen sei, ausgesprochen, daß bei einem gemäß § 25 Abs 1 KO ausgetretenem Betriebsratsmitglied der besondere Kündigungsschutz für die Bemessung der Abfertigung und der Kündigungsentschädigung außer Betracht zu lassen sei. Der Schutzzweck des § 120 ArbVG solle es dem Betriebsrat nur ermöglichen, die Interessen der Belegschaft gut zu vertreten, ohne (individuelle) Diskriminierungen durch den Arbeitgeber wegen dieser Tätigkeit befürchten zu müssen. Die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses und daher auch der zu schützenden Funktion aus Anlaß eines die ganze Belegschaft gleichermaßen treffenden Ereignisses, wie einer Insolvenz, sei vom Schutzzweck der §§ 120 ff ArbVG nicht erfaßt, sodaß aus diesem Gesichtspunkte eine finanzielle Besserstellung des gemäß § 25 KO ausgetretenen Betriebsratsmitgliedes nicht gerechtfertigt erscheine (vgl auch RdW 1994, 116).

Damit schloß sich der Oberste Gerichtshof der die teils mit beachtenswerten Argumenten geführten Kritik an der bisherigen Judikatur (so insbesonders Tomandl, Die Kündigungsentschädigung besonders kündigungsgeschützter Arbeitnehmer ZAS 1986, 109 ff; Spielbüchler ZAS 1986/18; Migsch DRdA 1987/16; Mayer-Maly, Probleme aus der neueren Rechtsprechung zum besonderen Kündigungsschutz DRdA 1989, 353 f) einbeziehenden Rechtsmeinung Kudernas zur Frage der Berücksichtigung der Dauer des Kündigungsschutzes für Betriebsratsmitglieder bei Berechnung der Kündigungsentschädigung im Falle eines gerechtfertigten, nicht nur auf den Fall des § 25 KO bezogenen Austrittes an (Einige Probleme des besonderen Kündigungsschutzes DRdA 1990, 1 ff).

Die Grundsätze dieser Entscheidung sind auch auf den nicht im Rahmen des § 25 Abs 1 KO erklärten berechtigten vorzeitigen Austritt eines Betriebsratsmitgliedes anzuwenden.

Dem ArbVG läßt sich nicht entnehmen, daß der Gesetzgeber den Funktionären der Belegschaft in irgendeiner Weise eine (entgeltmäßige) Vorzugsstellung gegenüber den anderen Belegschaftsmitgliedern einräumen wollte. Betriebsratsmitglieder sollen nicht für ihre Tätigkeit im Dienste der Belegschaft belohnt werden. Der Zweck des besonderen Kündigungsschutzes für Betriebsratsmitglieder ist ganz überwiegend die Sicherstellung der ihnen vom Gesetzgeber im Interesse des Betriebes und dessen Belegschaft übertragenen Aufgaben und der Schutz der Betriebsratsmitglieder vor persönlichen Vergeltungsmaßnahmen des Arbeitgebers, die dieser ihnen im Zusammenhang mit ihrer Betriebsratstätigkeit zufügen könnte. Diese Zwecke des Kündigungsschutzes fallen jedoch im Augenblick der Beendigung des Arbeitsverhältnisses weg, mit welchem Zeitpunkt auch gemäß § 64 Abs 1 Z 3 ArbVG die Mitgliedschaft zum Betriebsrat erlischt (vgl RdW 1994, 116). In diesem Augenblick erlischt aber auch der funktionslos gewordene besondere Kündigungs- und Entlassungsschutz. Liegen die Voraussetzungen des den Betriebsratsmitgliedern eingeräumten Sonderschutzes, der Schutzzweck und das geschützte Gut, nicht auch während des ganzen hypothetischen Beschäftigungsverlaufes vor, dann kann der Zeitraum, der zwischen den Zeitpunkten der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Austritt und dem, zu dem das Arbeitsverhältnis durch eine ordnungsgemäße Kündigung durch den Arbeitgeber gelöst hätte werden können, nicht in den fiktiven Beschäftigungsverlauf einbezogen werden, zumal auch kein rechtlich relevanter Grund für eine über den Beendigungszeitpunkt hinausgehende Absicherung des (weggefallenen) Schutzzweckes durch Schadenersatzansprüche besteht. Dem Betriebsratsmitglied stehen daher nur die auch den nichtkündigungsgeschützten Arbeitnehmern zustehenden Beendigungsansprüche zu. Auf den Sonderschutz ist nicht Bedacht zu nehmen (Kuderna aaO 16).

Das Betriebsratmitglied hat durch das ihm übertragene Betriebsratmandat Verpflichtungen gegenüber der Belegschaft übernommen, mit denen es aber unvereinbar ist, sein Mandat ohne objektiv zwingende Gründe aufzugeben. Er wird im Interesse der Mandatsausübung bei seiner Entscheidung, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen oder sich auf Ersatzansprüche zurückzuziehen, einen strengeren Maßstab an die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung anlegen müssen. Gerade von einem Betriebsratmitglied kann verlangt werden, daß es zur Abwehr eines rechtswidrigen Verhaltens von den in der Rechtsordnung hiefür vorgesehenen Möglichkeiten Gebrauch macht (Kuderna aaO 16).

Deshalb vermag die in der Klage auf die Betriebsrattätigkeit zurückgeführte Schlechterstellung des Klägers gegenüber anderen Arbeitnehmern durch das ihm gegenüber ausgesprochene Verbot, Überstunden zu leisten, und die damit verbundene allfällige willkürliche, aber infolge des Anspruches auf Gleichbehandlung beseitigbare Ungleichbehandlung (Floretta-Spielbüchler-Strasser ArbR3 I, 240) nichts daran ändern, daß die Voraussetzungen des Sonderschutzes mit dem Austritt weggefallen sind.

Ob in anderen Fällen ein in schikanöser Weise durch "Hinausekeln" durch den Dienstgeber provozierter Austritt des Betriebsratmitgliedes auch Ansprüche für die fiktive Dauer des Beschäftigungsverlaufes begründen kann (so Tomandl aaO, 117 im folgend VwGH DRdA 1987, 218 ff, dagegen Mayer-Maly aaO, 362 und Kuderna aaO, 17) braucht hier nicht untersucht zu werden.

Dem Kläger stehen daher aufgrund seines berechtigten Austrittes folgende Ansprüche zu:

1.) Abfertigung (4-faches monatliches Entgelt)

S 89.125,27

2.) Urlaubsentschädigung S 46.826,79

3.) Weihnachtsremuneration S 5.005,19

4.) Restlohn S 38.117,88

__________

netto S 179.085,13

5.) Kündigungsentschädigung vom 3.8.1990 bis 24.8.1990 (bei einer

Kündigungsfrist von drei Wochen zum Ende der wöchentlichen

Lohnperiode 64,10 x 40 x 3 zuzüglich 64,10 x 8 brutto

S 8.204,80

6.) aliquote Weihnachtsremuneration (4 1/3 Normalwochenlöhne) (64,10 x 40 x 4,33: 52 x 3 zuzüglich 64,10 x 40 x 4,33 : 52 : 5)

brutto S 683,21

_____________

brutto S 8.888,01

Das Begehren auf Feststellung eines über den 24.8.1990 hinausgehenden Kündigungsentschädigungsanspruches besteht daher nicht wohl die Ansprüche aus einer unrichtigen Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherung zu Recht.

Der Revision war daher teilweise Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 43 Abs 1 und 50 Abs 1 ZPO. Die Kosten des qualifizierten Vertreters in der ersten Instanz auf Zuspruch von Diäten und Kilometergeld waren nicht zuzusprechen. Im ersten Verfahrensabschnitt bis 17.5.1991 obsiegte der Kläger mit 71 % seiner Ansprüche, sodaß ihm 71 % der Gerichts- und Vollmachtskosten und 42 % für das Porto zusteht. Im Revisionsverfahren obsiegte der Kläger mit 58 %, sodaß er Anspruch auf 16 % der Kosten der Revisionsbeantwortung hat.

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