OGH 4Ob209/03v

OGH4Ob209/03v18.11.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß und Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** OHG, *****, vertreten durch Dr. Julius Brändle, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen die beklagten Parteien 1. S***** & Co, *****, 2. S***** & Co, *****, 3. S***** Gesellschaft mbH, *****, 4. Mag. Jürgen S*****, alle vertreten durch Dr. Paul Sutterlüty und andere Rechtsanwälte in Dornbirn, wegen Unterlassung (Streitwert 25.000 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 5.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 26. Juni 2003, GZ 2 R 97/03m‑54, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2003:0040OB00209.03V.1118.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

 

 

 

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1) Von der Auslegung des § 15 Abs 4 Vorarlberger RaumplanungsG (Definition der relevanten Verkaufsfläche) sowie des § 15 Abs 1 Vorarlberger RaumplanungsG (Abgrenzung der einzelnen Warengruppen) durch den Obersten Gerichtshof hängt die Entscheidung im vorliegenden Fall nicht ab: Selbst bei Annahme einer relevanten Verkaufsfläche von - wie von den Beklagten behauptet - nur 614,68 m² (gegenüber 682,56 m² wie vom Erstgericht zugrundegelegt) bleibt es bei der von den Vorinstanzen angenommenen Rechtsverletzung, weil die mit VO der Vorarlberger Landesregierung erteilte Auflage, dass von der Gesamtverkaufsfläche von 4.300 m² maximal 400 m²für Waren des täglichen Bedarfs, insbesondere Lebensmittel (§ 15 Abs 1 lit a Z 1 Vorarlberger Landesgesetz über die Raumplanung) verwendet werden dürfen, nicht eingehalten wird.

Das Berufungsgericht hat die Beurteilung, welche Güter solche des täglichen Bedarfs seien, an Hand der Einkaufszentren‑Warenliste‑VO des BMfWuA (BGBl II 2000/277) vorgenommen. Dies begegnet sowohl angesichts des eindeutigen Zwecks dieser Vorschrift, einer Gefährdung der Nahversorgung der Bevölkerung entgegenzuwirken (§ 77 Abs 8 GewO), welches Ziel erkennbar auch § 15 Abs 1 Vorarlberger Landesgesetz über die Raumplanung anstrebt, als auch wegen der dort verwendeten Begriffe ("Konsumgüter des kurzfristigen und des täglichen Bedarfs"), die mit der Warenklassifikation des § 15 Abs 1 lit a Z 1 Vorarlberger Landesgesetz über die Raumplanung ("Waren des täglichen Bedarfs, insbesondere Lebensmittel; Waren des nicht täglichen Bedarfs, die nach dem Kauf regelmäßig mit Kraftfahrzeugen abgeholt oder transportiert werden; sonstige Waren des nicht täglichen Bedarfs") inhaltlich übereinstimmen, keinerlei Bedenken. Die Auffassung der Beklagten, eine Ware, die grundsätzlich eine solche des täglichen Bedarfs sei (zB Getränke, Waschmittel), werde im Fall der Abgabe in Großpackungen (Kisten) zu einer Ware des nicht täglichen Bedarfs, die nach dem Kauf regelmäßig mit Kraftfahrzeugen abgeholt oder transportiert werde, hat das Berufungsgericht zutreffend als mit der Gesetzessystematik unvereinbar abgelehnt. Die von den Beklagten bei ihrer Rechnung zugrunde gelegte Unterscheidung bei alkoholischen Getränken in "hochalkoholische", die vom Durchschnittsbürger nicht täglich konsumiert würden, und sonstige alkoholische Getränke, findet in der Einkaufszentren‑Warenliste‑VO keinen Niederschlag, weil dort alkoholische und alkoholfreie Getränke generell als Konsumgüter des täglichen Bedarfs eingestuft werden.

2) Sittenwidrig im Sinne des § 1 UWG handelt, wer sich schuldhaft über ein Gesetz hinwegsetzt, um im Wettbewerb einen Vorsprung gegenüber gesetzestreuen Mitbewerbern zu erlangen (stRsp ÖBl 1990, 7 - Rupertitag; ÖBl 1991, 229 - Parkplatzerweiterung uva; vgl auch die Normenübersicht bei Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht³ § 33 Rz 97 mit Nachweisen zur Rsp). Das gilt auch bei einem Verstoß gegen Raumordnungsvorschriften (SZ 61/41 = ÖBl 1989, 14 - C&C Markt I; ÖBl 190, 73 - C&C Markt II; 4 Ob 32/89; 4 Ob 49/92; 4 Ob 172/03b). Bei der Prüfung, ob mit einer Gesetzesverletzung sittenwidrig im Sinne des § 1 UWG gehandelt wird, kommt es vor allem darauf an, ob die Auffassung des Beklagten über die Auslegung der angeblich verletzten Norm durch das Gesetz so weit gedeckt ist, dass sie mit gutem Grund vertreten werden kann (stRsp ÖBl 1994, 213 - Haushaltsübliche Reinigungsarbeiten mwN; ÖBl 1996, 124 - Sekundärtransporte; MR 1997, 113 = ÖBl 1998, 9 - SN‑Presseförderung; ÖBl 2000, 64 - Viagra uva).

Die Beklagten können ihre Rechtsansicht zur Warenklassifikation nicht auf den Gesetzeswortlaut stützen, weil dieser (§ 15 Vorarlberger RaumplanungsG iVm § 1 Einkaufszentren‑Warenliste‑VO) insoweit klar ist; den Beklagten ist demnach eine erhebliche Überschreitung des erlaubten Schwellenwerts vorzuwerfen. Angesichts der eindeutigen Gesetzeslage vermag auch das Vorliegen einer behördlichen Benützungsbewilligung, die in ihrer Begründung die Einhaltung der Schwellenwerte durch die Zweitbeklagte bestätigt (Beil ./4) oder die - nach den Behauptungen - gegenteilige subjektive Auffassung des Viertbeklagten auf Grund von Erklärungen von Vertretern der Baurechtsabteilung der Gemeinde anlässlich der Schlussüberprüfung des Einkaufsmarkts an der Vorwerfbarkeit des Verhaltens der Beklagten nichts zu ändern.

Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass die Erst‑, Zweit- und Drittbeklagte als Gesellschaften einer (wie gerichtsbekannt) großen Unternehmensgruppe in der Lage sind, sich mit Hilfe von Fachleuten selbst über schwierige Rechtsmaterien umfassende Kenntnisse zu verschaffen (4 Ob 99/03t = MR 2003, 263 - Veranstaltungshinweise; zu den strengeren Anforderungen an die Vertretbarkeit einer Gesetzesauslegung bei Großunternehmen siehe auch SZ 65/23 = ÖBl 1992, 21 - Bausparer‑Werbung). Die Beklagten haben deshalb dafür einzustehen, dass der Betrieb des Einkaufsmarkts den raumordnungsrechtlichen Vorschriften widerspricht, weil die verordneten Flächenbeschränkungen für bestimmte Warengruppen nicht eingehalten werden. Die in diesem Zusammenhang als fehlend gerügten Feststellungen sind für die Entscheidung unerheblich.

3) Den von der Beklagten geltend gemachten Verfahrensmangel erster Instanz wegen Nichtaufnahme von Personalbeweisen hat das Berufungsgericht behandelt und verneint; daran ist der Oberste Gerichtshof gebunden (SZ 62/157; JBl 2002, 327 uva). Von der Frage, warum es zu Abweichungen zwischen den Plänen und der tatsächlichen Regalgestaltung im Einkaufsmarkt gekommen ist, hängt die Entscheidung nicht ab; sekundäre Feststellungsmängel liegen daher in diesem Zusammenhang nicht vor.

4) Unstrittig besteht eine Bindung der Gerichte an rechtsgestaltende Bescheide, also an solche, die selbst eine neue Rechtslage schaffen, sofern sie nicht absolut nichtig sind. Derartige Bescheide binden den Zivilrichter infolge der gegen jedermann wirksamen Änderung der Rechtslage (SZ 64/98 mwN; 4 Ob 45/95). Das entspricht der "Tatbestandswirkung" des Urteils - worunter man alle Wirkungen versteht, die gerichtliche Entscheidungen außerhalb des entschiedenen Zivilprozesses auf andere als die im Rechtsstreit verfangenen Ansprüche äußern (4 Ob 45/95).

Der hier im Baubewilligungsverfahren erwirkte Bescheid kann aber im gerichtlichen Verfahren in der Frage der Einhaltung der Schwellenwerte für bestimmte Warengruppen nach den regionalen Raumordungsvorschriften schon deshalb keine Bindungswirkung zu Lasten der Klägerin entfalten, weil er insoweit mit diesem Teil seiner Begründung keine rechtsgestaltende Wirkung entfaltet, sondern rein deklaratorischen Charakter aufweist. An die in einem Bescheid deklarativ zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung einer Verwaltungsbehörde ist das Gericht nicht gebunden (6 Ob 218/01d).

5) Richtig ist, dass die neuere Rechtsprechung (4 Ob 71/99s = SZ 72/77 = ÖBl 2000, 17 - Melatonin; ÖBl 2001, 26 - gewinn.at) eine gesamtschuldnerische Haftung für die Unterlassungsverbindlichkeiten mit der Begründung ablehnt, dass die Erfüllung der Unterlassungsverpflichtung durch den einen Schuldner die gleiche Verpflichtung des anderen nicht erfüllt. Für die Haftung des persönlich haftenden Gesellschafters einer Personenhandelsgesellschaft für Wettbewerbsverstöße folgt daraus, dass sie nicht auf § 128 HGB gestützt werden kann: § 128 HGB soll die Realisierbarkeit von Ansprüchen gegen die Gesellschaft sichern und nicht Ansprüche schaffen, die mit dem gegen die Gesellschaft gerichteten Anspruch nichts zu tun haben. Gesellschafter, denen es möglich wäre, den Verstoß zu unterbinden, haften meist schon deshalb, weil sie den Wettbewerbsverstoß nicht verhindert haben; § 128 HGB muss insoweit gar nicht herangezogen werden. Hat ein persönlich haftender Gesellschafter hingegen gar keine Einflussmöglichkeit, so kann ein gegen ihn erlassenes Verbot auch nichts dazu beitragen, dass sich die Gesellschaft in Zukunft gesetzeskonform verhält. Seine Haftung muss jedenfalls dann verneint werden, wenn er am Wettbewerbsverstoß nicht beteiligt war und schon kraft Gesetzes gar keine Möglichkeit hatte, den Wettbewerbsverstoß zu unterbinden.

Letzteres trifft jedoch im Streitfall auf die Drittbeklagte nicht zu: Es steht fest, dass ihr Geschäftsführer jene Verordnung kannte, die die - im Betrieb des Einkaufsmarkts von der Zweitbeklagten überschrittenen - Schwellenwerte nach den Raumplanungsvorschriften festgesetzt hat. Dieses Wissen ihres Organs ist der Drittbeklagten zuzurechnen; als einzige persönlich haftende Gesellschafterin hätte sie den Gesetzesbruch der Zweitbeklagten im Rahmen der ihr allein zukommenden Geschäftsführungsbefugnis (§ 164 HGB iVm 125 Abs 1 HGB) auch unterbinden können und müssen.

6) Die Klägerin hat ihr Begehren auf Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung schon in der Klage damit begründet, das Publikum sei über den Gesetzesverstoß der Beklagten aufzuklären. Mit diesem Vorbringen hat die Klägerin - entgegen der Auffassung der Beklagten - der sie treffenden Behauptungslast genügt, weil sich schon aus dem Tatsachenvorbringen zur rechtswidrigen Handlung ergibt, welche Verbreitung diese erfuhr und welche Nachteile der Klägerin - wie vom Berufungsgericht im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung näher ausgeführt - daraus erwachsen können. Zusätzlicher Behauptungen und Beweise zum Veröffentlichungsbegehren bedurfte es bei dieser Sachlage nicht (vgl 4 Ob 182/97m; Ciresa, Handbuch der Urteilsveröffentlichung² Rz 320). Es wäre Sache der Beklagten gewesen, Umstände zu behaupten und zu beweisen, aus denen sich trotz des festgestellten Rechtsbruchs das Fehlen eines Veröffentlichungsinteresses der Klägerin ergeben hätte.

 

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