OGH 7Ob227/03p

OGH7Ob227/03p15.10.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sigrun L*****, vertreten durch Dr. Peter Balogh, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, Bundesstraßenverwaltung, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17‑19, wegen EUR 15.860,‑- (sA) und Feststellung, über die außerordentliche Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 1. Juli 2003, GZ 5 R 73/03z‑30, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2003:0070OB00227.03P.1015.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof ist in jüngerer Zeit von seiner zunächst vertretenen Ansicht abgegangen, dass zwischen den §§ 1319 und 1319a ABGB (grundsätzlich) auch im Fall der Interessenneutralität des Wegehalters Anspruchskonkurrenz bestehe. In der Entscheidung 4 Ob 104/97s, SZ 70/71 = EvBl 1997/158 wurde ausgesprochen, dass dann, wenn der Wegehalter (§ 1319a ABGB) gleichzeitig als Besitzer einer im Zuge des Weges bestehenden Anlage iSd § 1319 ABGB zu werten ist, § 1319a ABGB als Spezialnorm § 1319 ABGB verdrängt. Dies gilt, wie der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 2 Ob 357/97g, JBl 1998, 715 (Koziol) = ZVR 1999/80 und 2 Ob 281/01i, JBl 2002, 463 = RdW 2002/273 = ZVR 2002/52 = ecolex 2002/130 (Helmich) dargelegt hat, nur dann nicht, wenn ein besonderes Interesse des Wegehalters am betreffenden Werk (in letzterem Fall war dies eine Brückenwaage, von der der Wegehalter profitierte) besteht.

Ein solcher Fall liegt hier aber keineswegs vor: Keine Rede kann davon sein, dass der auf der Mariazeller Bundesstraße (deren Halter die beklagte Partei ist) befindliche, leicht wellige (Niveauunterschied im Unfallbereich 3,2 cm) Zebrastreifen als "aufgeführtes Werk" iSd § 1319 ABGB betrachtet werden könnte. Der Zebrastreifen gehört vielmehr selbstverständlich ebenso zum Weg (hier Bundesstraße) sowie gemäß § 1319a Abs 2 ABGB auch die im Zuge eines Weges befindlichen und dem Verkehr dienenden Anlagen, wie besonders Brücken, Stützmauern, Futtermauern, Durchlässe, Gräben und Pflanzungen. Schon deshalb hat das Berufungsgericht eine Haftung nach § 1319 ABGB zutreffend ausgeschlossen. Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin liegt in diesem Zusammenhang eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht vor.

Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin ist auch hinsichtlich der Fragen, welche Maßnahmen die beklagte Partei zur Sanierung der Straße bzw des Zebrastreifens zu ergreifen gehabt hätte und ob der Beklagten die Unterlassung solcher Maßnahmen als grobes Verschulden vorwerfbar sei, ein tauglicher Grund, die Revision zuzulassen, nicht gegeben:

Nach stRsp bedeutet das Tatbestandsmerkmal "mangelhafter Zustand" iSd § 1319a ABGB, dass nicht nur für den Weg selbst, sondern auch für dessen Verkehrssicherheit im weitesten Sinn gehaftet wird (Reischauer in Rummel ABGB2 § 1319a Rz 6 mwN). Beurteilungsmaßstab für die Mangelhaftigkeit des Weges ist das Verkehrsbedürfnis und die Zumutbarkeit entsprechender Maßnahmen. Welche Maßnahme ein Wegehalter im Einzelnen zu ergreifen hat, richtet sich gemäß § 1319a Abs 2 letzter Satz danach, was nach Art des Weges, besonders nach seiner Widmung, seiner geografischen Situierung in der Natur und dem Verkehrsbedürfnis angemessen und nach objektiven Maßstäben zumutbar ist. Es kommt im jeweils zu prüfenden Einzelfall darauf an, ob der Wegehalter die ihm zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um eine gefahrlose Benützung gerade dieses Weges zu erreichen. Welche Maßnahmen aber im konkreten Fall zu ergreifen sind, kann nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles beurteilt werden und stellt infolge dieser Einzelfallbezogenheit keine erhebliche Rechtsfrage dar (2 Ob 53/02m uva).

Dies trifft auch für die Beurteilung der Frage zu, ob die Unterlassung einer zumutbaren Maßnahme dem Wegehalter als grobes Verschulden vorgeworfen werden kann. Ermessensfragen, wie solchen über die Schwere des Verschuldens, kommt nämlich im Allgemeinen keine über die besonderen Verhältnisse des Einzelfalles hinausgehende Bedeutung zu. Grobe Fahrlässigkeit ist nach stRsp dann anzunehmen, wenn eine außergewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht (Pflicht zur Unfallverhütung) vorliegt und der Eintritt des Schadens nicht nur als möglich, sondern geradezu als wahrscheinlich vorauszusehen ist (RIS‑Justiz RS0030644 mit zahlreichen Entscheidungsnachweisen). Eine diesbezügliche grobe Fehlbeurteilung, die aus Gründen der Rechtssicherheit bzw Einzelfallgerechtigkeit wahrgenommen werden müsste, haftet der angefochtenen Entscheidung - insbesondere wenn man den festgestellten und auf im Akt erliegenden Lichtbildern dokumentierten Fahrbahnzustand sowie eine vorauszusetzende Mindestaufmerksamkeit der Fußgänger bei der Benützung des Zebrastreifens in Betracht zieht - keineswegs an.

Stichworte