OGH 9Ob76/03x

OGH9Ob76/03x9.7.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hradil, Dr. Hopf, Dr. Schramm sowie Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei Gabriele O*****, Hausfrau, *****, vertreten durch Dr. Thomas Gratzl, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte und widerklagende Partei Dr. Johann O*****, HAK-Professor, *****, vertreten durch Dr. Josef Kaiblinger, Rechtsanwalt in Gunskirchen, wegen Ehescheidung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 14. April 2003, GZ 21 R 73/03i-79, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist (§ 502 Abs 1 ZPO). Eine Rechtsfrage dieser Qualität wird vom Revisionswerber nicht aufgezeigt:

Im Rahmen der Treuepflicht der Ehepartner sind diese zur Unterlassung jeglichen Verhaltens verpflichtet, das den objektiven Anschein ehewidriger Beziehungen zu erwecken geeignet ist (RIS-Justiz RS0056151). Gewiss stellt ein zwar freundschaftlicher, jedoch harmloser Verkehr mit Personen des anderen Geschlechts keine schwere Eheverfehlung nach § 49 EheG dar, wenn er sich im Rahmen der Sitte und des Anstands hält (Hopf/Kathrein, Eherecht § 49 EheG Anm 10c mwN; 1 Ob 224/01z; RIS-Justiz RS0056600 ua). Im vorliegenden Fall war aber nicht bloß zu prüfen, ob der Beklagte nur harmlose Beziehungen zu einer anderen Frau unterhalten hat, vielmehr ist ihm der Vorwurf zu machen, dass er - ausgehend von den Feststellungen der Vorinstanzen hinsichtlich der Teilnahme an einem Seminar bzw der Absolvierung eines Kuraufenthaltes - ein Verhalten wählte, das objektiv den Anschein ehewidriger Beziehungen erwecken musste.

Aus dem Wesen der Ehe als umfassender Lebensgemeinschaft und dem ihren gesetzlichen Regelungen zu Grunde liegenden Gleichberechtigungs- und Partnerschaftsgedanken folgt, dass die Ehegatten zur Aufrechterhaltung des für eine solche Gemeinschaft erforderlichen Vertrauensverhältnisses auch verpflichtet sind, sich gegenseitig Einblick in ihre private und berufliche Tätigkeit zu gewähren und den anderen nicht grundlos von der Möglichkeit einer solchen Kenntnisnahme auszuschließen (RIS-Justiz RS0056466). Die Ehegatten sollen ihre eheliche Lebensgemeinschaft einvernehmlich gestalten (§ 91 ABGB); dabei handelt es sich um einen Grundpfeiler des Ehewirkungsrechts. Die Ehegatten haben auf die Belange des Partners die gebotene Rücksicht zu nehmen. Die Rücksichtnahme auf den anderen kann naturgemäß auch mit einer Einschränkung der eigenen Belange verbunden sein. Davon, dass vom Beklagten Unzumutbares gefordert wurde, kann jedoch keine Rede sein. Insoweit er in der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Ehegattin und in deren Einbeziehung in sein Leben seine "Persönlichkeitsrechte" in Gefahr sieht, missversteht er sichtlich das Wesen der umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft und der hieraus resultierenden wechselseitigen Verpflichtungen (§ 90 ABGB; Hopf/Kathrein aaO § 90 ABGB Anm 1 ff mwN).

Ist - wie hier - auf Grund der festgestellten Verhaltensweisen des Beklagten der Anschein ehewidriger Beziehungen objektiv begründet, so besteht die Verpflichtung des den Anschein einer ehewidrigen Beziehung erweckenden Ehegatten, den Partner aktiv über alle relevanten Umstände aufzuklären (vgl 1 Ob 224/01z). Dieser Verpflichtung kam der Beklagte nicht nach; vielmehr tat er alle Versuche der Klägerin, ein klärendes Gespräch zu führen, mit dem Kommentar ab, sie solle nicht "herumsudern".

Verzeihung im Sinne des § 56 EheG ist nur dann anzunehmen, wenn der gekränkte Ehegatte durch sein Gesamtverhalten zum Ausdruck bringt, dass er das als Eheverfehlung empfundene Fehlverhalten seines Ehepartners nicht mehr als solches betrachtet und daher vorbehaltlos bereit ist, mit ihm die Ehe fortzusetzen (Hopf/Kathrein aaO § 56 EheG Anm 2 mwN; RIS-Justiz RS0057075). In der Tatsache des Geschlechtsverkehrs allein kann entgegen der Auffassung des Revisionswerbers noch keine Verzeihung erblickt werden (Hopf/Kathrein aaO § 56 EheG Anm 3 mwN; 10 Ob 314/02b; RIS-Justiz RS0057022). Die erlittene Kränkung muss innerlich überwunden sein (RIS-Justiz RS0057069). Für die Verzeihung ist der Ehegatte beweispflichtig, der die Verfehlung(en) begangen hat (Hopf/Kathrein aaO § 56 EheG Anm 6 mwN; 10 Ob 314/02b; RIS-Justiz RS0106971). Ob Verzeihung anzunehmen ist, betrifft einen inneren Vorgang, der in erster Linie nach freier Beweiswürdigung festzustellen und somit dem vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Tatsachenbereich zuzuordnen ist (10 Ob 314/02b; RIS-Justiz RS0043961).

Die Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung zum Verschulden der Eheleute hängt schließlich immer von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich deshalb einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO, sofern keine krasse Fehlbeurteilung vorliegt (10 Ob 314/02b; RIS-Justiz RS0044188 ua).

Stichworte