OGH 7Ob266/02x

OGH7Ob266/02x19.3.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wolfgang H*****, vertreten durch Dr. Margot Tonitz, Rechtsanwältin in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei A***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Czerwenka & Partner, Rechtsanwälte KEG in Wien, wegen EUR 58.622,78 samt Anhang, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 31. Juli 2002, GZ 6 R 74/02b-22, womit das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 14. Jänner 2002, GZ 21 Cg 71/01b-18, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtenen Entscheidungen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens und Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger und seine Ehefrau Monika H***** stellten am 4. 5. 1998 an die Beklagte einen Antrag auf Abschluss einer Lebensversicherung. Christian K*****, der mit dem Ehepaar seit mehr als 10 Jahren gut bekannt war, war zum Zeitpunkt der Aufnahme des Antrages "Generalagent" der Beklagten. Eine Vollmachtsbeschränkung lag nicht vor. Christian K***** wickelte sämtliche Versicherungsangelegenheiten des Ehepaars ab. Er erschien am 4. 5. 1998 mit einem unausgefüllten Gesundheitsfragebogen. Auf Grund seines Freundschaftsverhältnisses konnte er die meisten Fragen selbst beantworten und befragte daher den Kläger und seine Frau sehr oberflächlich. Er stellte Monika H***** über ihre Erkrankungen keine Fragen. Die nachfolgenden Fragen beantwortete er "aus eigenem Wissen" mit "Nein":

"Sind Sie in den letzten fünf Jahren von Ärzten oder Heilpraktikern beraten, untersucht oder behandelt worden?

Nahmen oder nehmen sie regelmäßig Medikamente oder Drogen? Bestehen oder bestanden Erkrankungen, Störungen oder Verletzungen des Herzens bzw des Kreislaufes (zB abnormer Blutdruck)? Wurden Sie operiert?"

Tatsächlich stellte sich der Gesundheitszustand von Monika H***** so dar:

Sie war vom 10. 11. 1988 bis 19. 6. 1995 in ständiger Behandlung bei ihrem Hausarzt wegen Halsschmerzen. Im Zuge der Behandlung wurde ihr Blutdruck fallweise gemessen. Bei der Messung am 4. 10. 1993 ergab sich ein erhöhter Blutdruckwert von 170/110, der jedoch mit einer Erkrankung der Luftwege im Zusammenhang stand. Bei der Nachmessung am 8. 10. 1993 lag dasselbe Ergebnis vor und es wurde ihr das blutdrucksenkende Medikament Beloc 50 verordnet, welches sie einen Monat lang einnahm. Auf Grund der Behandlung fiel der Blutdruck auf normale Werte zurück. Bis 1998 hatte Monika H***** dann normale Blutdruckwerte. Anfang des Jahres 1998 entschloss sie sich über Empfehlung ihrer Ärzte zu einer Mandeloperation. Sie hielt sich vom 2. 2. 1998 bis 6. 2. 1998 stationär im Krankenhaus auf. Bei der Mandeloperation wurde ein Medikamentenversuch mit dem Präparat "Ropivacaine" vorgenommen, was zu erhöhtem Blutdruck führen kann. Wegen hohen Blutdrucks suchte sie am 9. 2. 1998 eine Internistin auf. Ihr wurde zur Blutdrucksenkung das Präparat Cosaar verordnet. Auf Grund der Behandlung besserten sich die Blutdruckwerte schon im Februar/März 1998 und waren ab Mai 1998 wieder normal. Nach den erstgerichtlichen Feststellungen war Christian K***** beim Ausfüllen des Antrages einerseits bewusst, dass sich Monika H***** einer Mandeloperation unterzogen hatte und dass Anfang der Neunzigerjahre Blutdruckprobleme bestanden, andererseits "wusste" er aber, dass die Blutdruckprobleme behandelt und ausgeheilt worden waren, Monika H***** vor dem 4. 5. 1998 keine Probleme mit dem Blutdruck hatte, von Ärzten behandelt wurde, Präparate verordnet bekam und auch ein eigenes Blutdruckmessgerät zu Hause hatte. Monika H***** unterfertigte den Ausdruck des Gesundheitsformular und "war von der Richtigkeit der darin enthaltenen Angaben überzeugt". Infolge außergewöhnlicher beruflicher Belastung im Sommer 1998 und im Zusammenhang damit, dass sie in dieser Zeit "ausnahmsweise" die verordneten Medikamente nicht einnahm, erhöhte sich ihr Blutdruck auf Werte von 170/120. Nach Einnahme der Medikamente normalisierte sich der Blutdruck ab September 1998 und war dann nicht mehr erhöht. Am 29. 11. 1999 stürzte Monika H***** in Ausübung ihres Dienstes beim Tragen von Altpapier über eine betonierte Wendeltreppe und schlug dabei mit dem Kopf auf. Über ihren Wunsch wurde ihr Krankenstand per 10. 12. 1999 beendet, jedoch unter der Auflage, dass sie sich demnächst einer computertomografischen Untersuchung unterziehe. Am selben Tag jedoch kam es zum gesundheitlichen Zusammenbruch. Von diesem Tag an war sie nicht mehr ansprechbar und verblieb im Koma, bis sie am 3. 1. 2000 an den Folgen einer Gehirnblutung verstarb. Der Kläger begehrt nun als überlebender Ehegatte den Klagsbetrag aus dem abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag. Der Generalagent der Beklagten sei über den Gesundheitszustand von Monika H***** informiert gewesen, sodass sich die Beklagte dessen Wissen zurechnen lassen müsse. Monika H***** habe keineswegs permanent an Bluthochdruck gelitten, sodass auch keine Anzeigepflicht bestanden habe. Der Tod Monika H***** stehe mit dem vereinzelt aufgetretenen Bluthochdruck nicht in ursächlicher Beziehung.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung im Wesentlichen mit der Begründung, dass der Bluthochdruck eine Ursache des Sturzes gewesen sei. Monika H***** habe ihren Gesundheitszustand verschwiegen. Sie hätte sich nicht darauf verlassen können, dass das vom Versicherungsagenten unrichtig und unvollständig ausgefüllte Formular ihrer Anzeigepflicht genüge. Der Verstoß gegen ihre vorvertragliche Anzeigepflicht beruhe zumindest auf leichter Fahrlässigkeit. Der Kläger habe daher den Beweis zu erbringen, dass das Kausalitätserfordernis zwischen dem verschwiegenen Umstand und dem Eintritt des Schadensfalles nicht bestehe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren vollinhaltlich statt. In rechtlicher Hinsicht gelangte es zu dem Ergebnis, dass sich die Beklagte das Wissen von Christian K***** zurechnen lassen müsse. Im Übrigen fehle es zwischen dem verschwiegenen Umstand und der Todesursache an jeder Kausalität. Christian K***** habe die Fragen zutreffend und dem Sachverhalt entsprechend beantwortet. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Dem Erstgericht sei ein Verfahrensmangel unterlaufen, weil es trotz eines entsprechenden Antrages kein Sachverständigengutachten zur Todesursache Monika H***** (nicht erkannte Gehirnblutung infolge des Sturzes oder Bluthochdruck) eingeholt habe. Der Verfahrensmangel sei jedoch für die Entscheidung in dieser Rechtssache irrelevant. Das Wissen eines nach § 43 Abs 1 VersVG bevollmächtigten Agenten sei dem Versicherer nur hinsichtlich jener Kenntnisse zuzurechnen, die der Agent bei der Bearbeitung oder Betreuung gerade des betroffenen Vertrages, somit dienstlich, erlangt habe. Das private Wissen des Agenten falle nicht unter die Bestimmung des § 44 VersVG. Die unterlassene Angabe des gelegentlich erhöhten Blutdruckes sei aber weder objektiv noch subjektiv vorwerfbar. Ein redlicher, durchschnittlicher Versicherungsnehmer müsse die Frage nach "abnormem Blutdruck" so verstehen, dass damit ein vom Normalzustand abweichender, dauerhafter Krankheitszustand gemeint sei, nicht - wie hier - kurze, zeitlich weit auseinanderliegende (1993, 1998) Episoden, in denen erhöhte Blutdruckwerte im Zusammenhang mit anderen Krankheitsbildern aufgetreten und nicht primär im Vordergrund gestanden seien. Grundsätzlich sei zwar davon auszugehen, dass vom Versicherer schriftlich gestellte Fragen im Zweifel erheblich seien, doch seien für ein bis zwei Monate erhöhte Blutdruckwerte im Zusammenhang mit Beschwerden im Hals-, Nasen-, Ohrenbereich nicht als abnorm einzustufen. Somit erweise sich die Frage im Gesundheitsfragebogen als unklar. Monika H***** sei weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht deren unrichtige Beantwortung vorwerfbar. Monika H***** habe auch im Hinblick auf ihr Alter von 29 Jahren im Zeitpunkt der Antragstellung davon ausgehen können, dass ihre Krankheitszustände nicht so signifikant wären, dass sie dem Versicherer bekanntzugeben seien. Nach der Mandeloperation sei auch zu erwarten gewesen, dass in Hinkunft die Beschwerden im HNO-Bereich seltener bis gar nicht mehr auftreten würden. Der Rücktritt vom Vertrag sei daher nach § 16 Abs 3 VersVG mangels Verschuldens des Versicherungsnehmers ausgeschlossen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist auch im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

Zu Recht verweist die Beklagte darauf, dass das Berufungsgericht sich nicht auf klare erstgerichtliche Feststellungen stützen kann, wenn es damit argumentiert, dass Bluthochdruck bei Monika H***** lediglich zweimal nur je ein oder zwei Monate lang gegeben gewesen wäre. Das Erstgericht stellte nämlich fest, dass Monika H***** im Sommer 1998 die verordneten Medikamente "ausnahmsweise" nicht eingenommen habe, weshalb der Blutdruck angestiegen sei und erst wieder durch Einnahme von Medikamenten entsprechend gesenkt worden sei. Dies würde nach der Lebenserfahrung bedeuten, dass sie zumindest während fast dreier Monate vor dem Vertragsabschluss dauernd Medikamente einnehmen musste, weil sonst der Blutdruck eben nicht "normal" (d.h. ohne medikamentöse Behandlung) gewesen wäre. Da aber das Erstgericht nicht genau zwischen "normalem Blutdruck" mit und ohne medikamentöse Einwirkung unterschied, müssen die erstgerichtlichen Feststellungen noch für den Zeitraum von 1993 beginnend ergänzt und klargestellt werden, ob Monika H***** Medikamente eingenommen hat, bejahendenfalls während welchen Zeitraums. Sollte sie tatsächlich über einen längeren Zeitraum Medikamente eingenommen haben, insbesondere zum Zeitpunkt der Antragstellung, wären die Fragen hinsichtlich der Untersuchung durch Ärzte, über die Einnahme von Medikamente und über das Bestehen von abnormem Blutdruck im Fragebogen zumindest objektiv unrichtig beantwortet worden.

Nach § 16 Abs 1 VersVG hat der Versicherungsnehmer bei Abschluss des Versicherungsvertrages alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen. Erheblich sind Gefahrenumstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, Einfluss auszuüben (7 Ob 69/00y, 7 Ob 174/01s je mwN). Ein Umstand, nach welchem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich frägt, gilt im Zweifel als erheblich (§ 16 Abs 1 letzter Satz VersVG, 7 Ob 174/01s, 7 Ob 69/00y mwN). Nach Lehre und Rechtsprechung sind an die vom Versicherungsnehmer bei Erfüllung seiner vorvertraglichen Anzeigepflicht anzuwendende Sorgfalt insbesondere dann, wenn die gestellten Fragen Individualtatsachen betreffen, ganz erhebliche Anforderungen zu stellen (7 Ob 174/01s, VersR 2001, 530 mwN). Für eine schuldhafte Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht genügt bereits leichte Fahrlässigkeit (7 Ob 174/01s, 7 Ob 168/99b, RIS-Justiz RS0080572). Ist der Vorschrift des § 16 Abs 1 VersVG zuwider die Anzeige eines erheblichen Umstandes unterblieben, so kann der Versicherer nach § 16 Abs 2 VersVG vom Vertrag zurücktreten. Das Rücktrittsrecht des Versicherers ist gemäß § 16 Abs 3 VersVG dann ausgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer unverschuldet die Anzeigeobliegenheit nicht erfüllt hat. Die Beweislast für mangelndes Verschulden obliegt dem Versicherungsnehmer (7 Ob 174/01s, 7 Ob 69/00y, 7 Ob 168/99b; RIS-Justiz RS0080809).

Trotz Rücktritts des Versicherers nach Eintritt des Versicherungsfalles bleibt gemäß § 21 VersVG seine Verpflichtung zur Leistung bestehen, wenn der Umstand, in Ansehung dessen die Anzeigepflicht verletzt worden ist, keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalles und auf den Umfang der Leistung des Versicherers gehabt hat, also nicht kausal war (7 Ob 69/00y, SZ 64/117 ua). Die Kausalität müsste zwischen dem verschwiegenen oder falsch angezeigten Umstand und dem Eintritt des Versicherungsfalles und nicht zwischen dem Verschweigen oder der Falschanzeige und dem Vertragsabschluss bestehen (7 Ob 69/00y, 7 Ob 18/91 ua). Weiters ist zu prüfen, ob und inwieweit das Wissen des "Generalagenten" der Beklagten dieser zuzurechnen ist. Gemäß § 44 VersVG steht die Kenntnis eines nur mit der Vermittlung von Versicherungsgeschäften betrauten Agenten der Kenntnis des Versicherers nicht gleich, soweit nach den Vorschriften dieses Bundesgesetzes die Kenntnis des Versicherers erheblich ist. Dies gilt nicht für Erklärungen des Versicherungsnehmers, zu deren Entgegennahme er für den Versicherer gemäß § 43 VersVG bevollmächtigt ist. Der Versicherungsagent gilt unter anderem auch zur Entgegennahme von Anträgen auf Abschluss eines Versicherungsvertrages bevollmächtigt (§ 43 Abs 2 Z 1 VersVG). In den Erläuternden Bemerkungen zur Novelle 1994 (BGBl 1994/509) wird zu § 44 VersVG Folgendes ausgeführt:

"Wesentliches Merkmal des Versicherungsagenten ist es, dass er (gemäß § 43 Z 1) - auch wenn er nur mit der Vermittlung von Verträgen betraut ist - unter anderem zur Entgegennahme von Versicherungsanträgen befugt, also Empfangsvertreter des Versicherers ist. Damit umfasst die passive Vertretungsmacht auch die Befugnis zur Entgegennahme mündlicher Erklärungen oder Anzeigen, die der Versicherungsnehmer im Zusammenhang mit dem Vertragsschluss abgibt bzw macht (zB VersR 1985, 603; VersR 1980, 471; EvBl 1979/4; VersR 1976, 1195; SZ 32/37; SZ 16/61).

Überhaupt sollte dem Versicherer all jenes Wissen zuzurechnen sein, das der Agent erlangt, während er mit der Schließung oder Bearbeitung des Vertrags so betraut oder beschäftigt ist, dass ihm die wahrgenommene Tatsache relevant erscheinen muss. Das entspricht der in der Rechtsgeschäftslehre auch sonst geltenden Vertrauenstheorie:

Als (Willens- oder Wissens-)Erklärung des Versicherungsnehmers muss der Versicherer alles gegen sich gelten lassen, was sein Vertreter dem gesamten Verhalten des Vertragspartners und sonstigen Umständen im Zuge der Schließung oder Bearbeitung des Vertrages entnehmen musste. Die Zurechnung eines zu anderer Zeit und ohne Zusammenhang mit dem betroffenen Vertrag (sozusagen "privat") erlangten Wissens soll hingegen nur beim Abschlussagenten möglich sein, der im Regelfall höher qualifiziert ist und dem zugesonnen werden kann, dass er auch die Bedeutung zufällig erlangter Kenntnisse für "seinen" Versicherer richtig erkennt und diesen entsprechend informiert (siehe etwa Prölss/Martin, VVG25 Anm 2 zu § 44 VersVG und Bruck/Möller, Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz und den Allgemeinen Versicherungsbedingungen unter Einschluss des Versicherungsvermittlerrechtes8 § 44 Rz 10).

Die derzeitige österreichische Judikatur zu § 44 VersVG ist jedoch uneinheitlich; teils wird die Bestimmung (im oben dargestellten Sinn) auf außerdienstliche Kenntnisse des Vermittlungsagenten eingeschränkt, teils aber wird jede Kenntnis des Vermittlungsagenten unter § 44 subsumiert, also auch solches Wissen, das der Agent etwa beim vorvertraglichen Kontakt mit dem Kunden erlangt. Durch die Ergänzung des § 44 soll eine Klarstellung in der aufgezeigten Richtung bewirkt werden." (abgedruckt auch in Heiss/Lorenz, Versicherungsvertragsgesetz2 zu § 44 Rz 1 ff).

Durch die Erläuternden Bemerkungen ist nach der Lehre (vgl Fenyves/Kronsteiner/Schauer, Kommentar zu den Novellen zum VersVG § 44 Rz 5 ff) der Norminhalt des § 44 VersVG angewandt auf den vorliegenden Rechtsfall insoferne dahingehend interpretiert, dass jedenfalls nach dem Willen des Gesetzgebers dem Versicherer beim Abschlussagenten alles Wissen zuzurechnen ist, beim Vermittlungsagenten hingegen nur das anlässlich der Antragsentgegennahme erlangte, nicht jedoch das sogenannte "Privatwissen". Andererseits weist Fenyves aaO zutreffend in kritischer Beurteilung dieser Materialien darauf hin, dass der Ausdruck "private Kenntnis" eher vermieden werden sollte und die Problematik der Kenntniszurechnung durch § 44 VersVG neu nicht ausreichend geregelt sei. Eine abschließende Beurteilung der aufgezeigten Problematik durch den erkennenden Senat muss jedoch im vorliegenden Fall im Hinblick auf das zu dürftige Feststellungssubstrat unterbleiben.

Es bedarf daher genauer Feststellungen, ob Christian K***** Abschlussagent war oder ledglich mit der Vermittlung von Versicherungsgeschäften betraut war, wobei mangels entsprechendem Vorbringen davon auszugehen wäre, dass die ihm von der Beklagten erteilten Vollmachten nach § 43 Abs 1 Z 1 und 2 VersVG aufrecht erteilt waren.

Sollte Christian K***** Abschlussagent gewesen sein, so käme es auch auf sein privat erlangtes Wissen an. Auch in diesem Fall bedürfen die Feststellungen des Erstgerichtes einer Präzisierung. Das Erstgericht stellt nämlich einerseits fest, dass Christian K***** gewusst habe, dass die Blutdruckprobleme "ausgeheilt" wären und andererseits, dass er von den behandelnden Ärzten und den dabei verordneten Präparaten informiert gewesen wäre. Diese Feststellungen stehen miteinander im unlösbaren Widerspruch, da ein medikamentös behandelter erhöhter Blutdruck nicht "ausgeheilt" ist. Dazu bedarf es weiterer widerspruchsfreier Feststellungen über das Privatwissen von Christian K*****.

War Christian K***** nur mit der Vermittlung von Verträgen betraut, so müssen die anlässlich der Entgegennahme des Versicherungsvertragsantrages und des Gesundheitsfragebogens geführten Gespräche präzise festgestellt werden. Das anlässlich der Antragstellung erworbene Wissen wäre dem Versicherer dann zuzurechnen. Finden die mündlichen Angaben des Versicherungsnehmers keinen Niederschlag in dem vom Agenten ausgefüllten Gesundheitsfragebogen, so ist dennoch das Wissen des Versicherungsagenten dem Versicherer zuzurechnen (vgl auch 7 Ob 317/99i; 7 Ob 270/98a), außer dem Versicherungsnehmer wäre ein auf die Schädigung des Versicherers gerichtetes doloses Verhalten anzulasten, als er nicht auf eine Korrektur der schriftlichen, von seinen mündlichen Angaben abweichenden, Erklärungen drang. Anders wäre der Fall nur zu beurteilen, wenn dem Vermittlungsagenten im Zeitpunkt der Entgegennahme des Antrags privat erworbenes Wissen und dessen Bedeutung für den Versicherer tatsächlich bewusst gewesen wäre. Dann fallen die Gründe für die Unterscheidung zwischen Abschlussagenten und Vermittlungsagenten wie in den Erläuterungen dargelegt insofern weg, als ja die Kenntnis von der Relevanz des Wissens ausdrücklich feststeht. In diesem Fall wäre dem Versicherer also auch das in seiner Bedeutung für den Versicherer bewusste, "privat" erlangte Wissen des Vermittlungsagenten zurechnen. Es müsste also festgestellt werden, welche Kenntnis Christian K***** von dem Gesundheitszustand von Monika H***** hatte, ob diese den Tatsachen entsprach und inwieweit ihm die Bedeutung dieser Kenntnis für den Versicherer bewusst war, als er den Gesundheitsfragebogen ausfüllte. Im übrigens sei auch noch darauf verwiesen, dass hier Stellvertreterrecht anzuwenden ist (vgl dazu Fenyves in Fenyves, Kommentar zu den Novellen des VersVG, § 44, Rz 6), sodass sich bei entsprechenden Voraussetzungen auch die Frage der Anscheinsvollmacht stellen könnte.

Ist ein der Beklagten zuzurechnendes Wissen vom tatsächlichen Gesundheitszustand Monika H***** nicht erweislich, so ist zu prüfen, ob Monika H***** eine schuldhafte Verletzung ihrer vorvertraglichen Anzeigepflicht anzulasten ist.

Grundsätzlich handelt ein Versicherungsnehmer, der dem Agenten das Ausfüllen des Formulars überlässt, schuldhaft, wenn er sich nicht davon überzeugt, dass der Agent den Antrag richtig ausgefüllt hat (7 Ob 69/00y, 7 Ob 14/93, RIS-Justiz RS0080580). Nur wenn die Anzeige ohne Verschulden des Versicherungsnehmers unterblieben ist, wofür dieser die Beweislast trägt (7 Ob 24/90, 7 Ob 14/93), könnte dieser Grundsatz nicht zur Anwendung kommen.

Falls keine Gespräche anlässlich der Antragsentgegennahme geführt worden sein sollten, ist also noch abzuklären, warum Monika H***** nicht darauf hinwirkte, dass in den Fragebogen die ihrem Gesundheitszustand entsprechenden Angaben gemacht wurden. Insbesondere ist festzustellen, aus welchen Gründen sie "von der Richtigkeit ihrer Angaben" (so die erstgerichtlichen Feststellungen) ausging.

Erst nach Ergänzung des Beweisverfahrens im oben aufgezeigten Sinn wird entschieden werden können, ob auch noch ein Sachverständigengutachten zur Todesursache einzuholen sein wird. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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