Normen
Versicherungsvertragsgesetz 1958 §43
Versicherungsvertragsgesetz 1958 §43
Spruch:
Bindung des Versicherers an mündliche Erklärungen gegenüber einem Vermittlungsagenten neben dem schriftlichen Antrag.
Entscheidung vom 20. März 1959, 3 Ob 522/58.
I. Instanz: Bezirksgericht Hietzing; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Das Erstgericht verurteilte den Beklagten zur Zahlung des Betrages von 1161 S 30 g s. A. an Feuer- und Haftpflichtversicherungsprämien. Es erachtete die Einwendung des Beklagten, er habe durch seinen Vertreter Oskar J. mit dem Vermittlungsagenten der Klägerin S. vereinbart, daß die Versicherungen erst dann wirksam seien, wenn die bestandenen Versicherungsverhältnisse mit einer anderen Gesellschaft aufgelöst seien, für unbeachtlich.
Das Rekursgericht hob das Urteil auf und verwies die Sache an das Erstgericht zurück. Es trug ihm auf, festzustellen, ob es zu der behaupteten mündlichen Abmachung gekommen sei, da die Klägerin sie gegen sich gelten lassen müsse, obwohl sie in die schriftlichen Anträge nicht aufgenommen wurde.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der klagenden Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die vom Beklagten behauptete Bedingung ist im schriftlichen Versicherungsvertrag nicht enthalten. Sie soll mündlich vereinbart worden sein. Es handelt sich um die in Lehre und Rechtsprechung strittige Frage, ob und inwieweit der Versicherer Erklärungen, die gegenüber einem Vermittlungsagenten neben dem schriftlichen Antrag mündlich abgegeben wurden, und die von diesem Agenten gemachten Zusicherungen gegen sich gelten lassen muß.
Gemäß § 43 Z. 1 VersVG. 1958 ist der Vermittlungsagent zur Empfangnahme von Erklärungen zu einem Versicherungsantrag befugt. Der Oberste Gerichtshof hat schon in der Entscheidung SZ. XVI 61 den Standpunkt eingenommen, daß solche mündliche Erklärungen wirksam sind, wenn sie auch in den schriftlichen Antrag nicht aufgenommen werden. Damit stimmt die ständige Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofes überein, welche die namentlich von Ehrenzweig (Deutsches (Österreichisches) Versicherungsvertragsrecht, S. 47) sowie von Prölß (Kurzkommentar zum VersVG., 11. Aufl. S. 42, ferner DJZ. 1951 S. 517) vertretene Auffassung ablehnt, daß die Befugnis des Vermittlungsagenten, wenn er mit Antragsvordrucken ausgestattet ist, auf die Entgegennahme schriftlicher Erklärungen beschränkt sei (DJZ. 1951 S. 516 u. a.). Es kann dahingestellt bleiben, ob wie die deutsche Rechtsprechung meint - der Versicherungsvertrag durch die mit dem Vermittlungsagenten getroffenen mündlichen Nebenabmachungen zu ergänzen ist, wogegen Prölß (DJZ. 1951 S. 517) wieder einwendet, daß der Versicherte dann eine günstigere Deckung erhalten würde, ohne dafür die tarifmäßige Prämie zu zahlen. Denn es handelt sich nicht darum, daß die Klägerin den Versicherungsschutz in weiterem Umfang zu gewähren hätte, als im Versicherungsantrag und in der Polizze vorgesehen ist, sondern darum, ob mangels Eintrittes der Bedingung ein gültiger Versicherungsvertrag zustandegekommen ist. Die Polizze stimmt mit dem mündlich ergänzten Antrag nicht überein, so daß gemäß § 869 ABGB. den Beklagten keine Verbindlichkeit treffen kann. Selbst wenn der Vertreter nicht ermächtigt gewesen wäre, mündliche Erklärungen entgegenzunehmen, wäre dies gemäß § 47 VersVG. 1958 für den Beklagten nur von Wirkung, wenn ihm die Beschränkung bekannt oder aus grober Fahrlässigkeit nicht bekannt gewesen wäre. Dies würde der Fall sein, wenn aus dem Antragsformular zu ersehen gewesen wäre, daß nur der schriftliche Antrag maßgebend sei und daß sonstige Abmachungen und Erklärungen keine Bedeutung hätten (Ehrenberg, Handbuch des gesamten Handelsrechts, VIII/1 S. 315; Bruck - Möller, Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, 8. Aufl. S. 122).
Die Bestimmung des Art. 21 AFB. und Art. 14 AHVB. sind für diese Sache ohne Bedeutung. Es heißt dort, daß Kündigungen und sonstige Erklärungen schriftlich abzugeben sind. Die Bestimmungen beziehen sich aber auf Erklärungen nach Beginn des Versicherungsverhältnisses und enthalten nichts über die Befugnisse des Versicherungsagenten.
Die Meinung, der Versicherungsnehmer stimme in einem solchen Fall durch unbeanstandete Übernahme der Versicherungspolizze gemäß § 5 VersVG. 1958 zu, ist unrichtig. Denn nach dem 2. Absatz dieser Gesetzesstelle ist es zur Genehmigung erforderlich, daß der Versicherer auf die einzelnen Abweichungen vom Antrag hinweist. Im vorliegenden Fall wäre die Polizze nur dann genehmigt, wenn sie den Vermerk enthielte, daß sie vom mündlichen Antrag abweiche. Weiß der Versicherer nichts von den gegenüber dem Vermittlungsagenten mündlich abgegebenen Erklärungen, so kann er freilich auch nicht auf sie hinweisen, weshalb in einem solchen Fall § 5 VersVG. 1958 unanwendbar ist. Es liegt dann immer ein Widerspruch zwischen Antrag und Annahme vor, so daß gemäß § 869 ABGB. keine Verbindlichkeit entsteht.
Mit Recht hat daher das Berufungsgericht das Verfahren und die Feststellungen des Erstgerichtes als mangelhaft bezeichnet und das Urteil aufgehoben. Über die aufgetragenen Ergänzungen hinaus wird aber noch festzustellen sein, ob der Beklagte nicht durch seinen Vertreter J. nachträglich die Wirksamkeit der Versicherung gegenüber Dr. K., dem Organ der Klägerin, anerkannt hat.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)