OGH 5Ob4/03d

OGH5Ob4/03d11.3.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann und Dr. Baumann und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Hurch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** reg. GenmbH, ***** vertreten durch Dr. Heinrich Koth, Rechtsanwalt in Gänserndorf, gegen die beklagte Partei Hubert L*****, vertreten durch Dr. Franz J. Salzer, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 138.328,53 sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 11. Oktober 2002, GZ 14 R 122/02t-63, womit das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg vom 31. Jänner 2002, GZ 16 Cg 89/99p-50, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die (klagsabweisende) Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 9.098,02 (darin EUR 808,50 Umsatzsteuer und EUR 4.247 Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Bank begehrte die Zahlung von S 1,903.442 sA, die ihr der Beklagte aus einem zum 27. 1. 1998 eingeräumten Einmalkredit schulde.

Der Beklagte wendete im Wesentlichen ein, der Kredit sei ihm angeboten worden, um mit der Kreditvaluta eine Bürgschaftsverpflichtung gegenüber der Klägerin erfüllen zu können. Die Klägerin habe Kenntnis von der Überschuldung der Hauptschuldnerin gehabt. Sie habe auch gewusst, dass der Beklagte bei Abschluss des Bürgschaftsvertrages drei Wochen nach Begründung seiner Gesellschafterstellung keinen Einblick in die wahren Vermögensverhältnisse bei der Hauptschuldnerin gehabt habe. Sie habe bei der Übernahme der Bürgschaftsverpflichtung Aufklärungs- und Sorgfaltspflichten ihm gegenüber gröblich verletzt und ihn durch List zum Abschluss des - sittenwidrigen - Bürgschaftsvertrages verleitet. Der daraus entstandene Schaden werde auch aufrechnungsweise geltend gemacht. Der Kreditvertrag werde wegen Irrtums angefochten; die Bürgschaftsverpflichtung sei Geschäftsgrundlage dieses Kreditvertrages gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging hiebei im Wesentlichen von folgenden Feststellungen aus:

Die U***** Container Handelsgesellschaft mbH (im Folgenden: U*****) wurde 1992 gegründet. Sie sollte den Vertrieb von in Tschechien erzeugten Containern durchführen. Herbert N***** stellte aufgrund seiner beruflichen Erfahrung die Geschäftskontakte her und kümmerte sich um den Gesamtvertrieb. Er war als Prokurist einzelzeichnungsberechtigt.

Der Beklagte ist Gesellschafter bei der A***** GmbH, die Anfang 1995 bei der U***** einen Container erworben hat, wodurch es zum ersten Kontakt des Beklagten mit N***** kam. Im Frühjahr 1995 bot N***** dem Beklagten an, das Unternehmen gemeinsam mit seiner Ehefrau, welche als Büroangestellte tätig war, zu übernehmen, weil er bereits über 60 Jahre alt sei und in Pension gehen werde. Am 24. 8. 1995 übernahm der Beklagte eine Stammeinlage bei der U***** von S 300.000 und seine Ehefrau wurde als Geschäftsführerin ins Firmenbuch zum Zweck der Vorbereitung der Übernahme eingetragen.

Die U***** stand mit der Klägerin schon längere Zeit in Geschäftsverbindung. Sie hatte bei ihr drei Konten. Aufgrund des Eintrittes des Beklagten in die U***** war es notwendig, einen neuen Kreditrahmen zu vereinbaren, damit sich die U***** "bezüglich der Geschäftsentwicklung bewegen kann". Die Klägerin stellte daher mit Kreditvertrag vom 13. 9. 1995 der U***** einen revolvierend ausnutzbaren Kredit über S 2 Mio vorerst befristet bis 12. 9. 2000 zur Verfügung. Im Rahmen der Kreditverhandlungen stellte N***** den Beklagten der Klägerin gegenüber als zukünftigen Firmenchef vor.

Bei der Vergabe des Kredites am 13. 9. 1995 stand der Klägerin jedenfalls eine Bilanz per 31. 12. 1994 zur Verfügung sowie eine Halbjahressaldenliste für 1995. Laut Bilanz 1994 wurde ein Umsatz von S 14 Mio erzielt. Die Saldenliste per 30. 6. 1995 wies im Vergleich dazu einen Umsatz von knapp S 4,3 Mio aus, also für ein Halbjahr nur rund 30 % des Vorjahresumsatzes. Gleichzeitig war dieser Saldenliste auch zu entnehmen, dass bis zu diesem Zeitpunkt ein vorläufiger Verlust von rund S 1,2 Mio erzielt worden war. Bei einer linearen Hochrechnung des Halbjahresumsatzes bis 30. 6. 1995 würde sich ein Jahresumsatz von rund S 8,6 Mio ergeben. Es gibt zwar grundsätzlich die Möglichkeit saisonaler Schwankungen, die zu Verlagerungen des Umsatzes führen können, tatsächlich wurden aber laut Bilanz vom 31. 12. 1995 im gesamten Jahr 1995 Umsatzerlöse in Höhe von nur S 8 Mio erzielt. Ein zyklischer Umsatzverlauf lag bei der U***** nicht vor. Die Klägerin hatte auch Einblick in das laufende Konto der U*****, weshalb sie über die Zahlungseingänge Bescheid wissen konnte. Eindeutig war jedenfalls der Umsatzrückgang der U***** insgesamt im Jahr 1995, sodass er der Bank, die die laufende Kreditüberwachung durchführte, sehr wohl auch bekannt sein musste. Bei der Kreditvergabe war klar, dass im zweiten Halbjahr 1995 eine unrealistische Umsatzsteigerung hätte eintreten müssen, damit die von der Klägerin angestellte Überschlagsrechnung - das heißt Erzielung eines Umsatzes von S 14 Mio, damit der Kredit durch Ertragsüberschüsse abgedeckt werden kann - auf die tatsächliche wirtschaftliche Situation der U***** angewendet werden kann. Aus dem der Klägerin vorliegenden Unterlagen war für sie im Zeitpunkt der Kreditgewährung jedenfalls erkennbar, dass die Rückzahlung des Kredits ceteris paribus, das heißt bei dem bereits eingesetzten Rückgang der Geschäftstätigkeit, nicht aus eigener Kraft erfolgen konnte.

Die Klägerin ließ das zur Verfügung stehende Zahlenmaterial durch einen eigenen Buchhalter prüfen, hat jedoch die schlechte wirtschaftliche Lage der U*****, die eine Rückzahlung des Kredits aus eigener Kraft nicht ermöglichte, nicht erkannt. Zur Besicherung des Kredits verlangte der Mitarbeiter der Klägerin T*****, dass der Beklagte als zukünftiger Firmenchef eine Bürgschaft übernimmt. Weiters teilte er dem Beklagten mit, dass diese Bürgschaft risikolos sei. Er bezeichnete die U***** als sogenannten "Sitzer", das heißt die Firma sei gut und in Ordnung. Der Beklagte vertraute auf die Klägerin, welche die U***** als kreditwürdig einstufte und dem Beklagten mitteilte, die U***** sei in Ordnung.

Auch dem Beklagten stand die Jahresbilanz 1994 sowie die Zwischensaldenbilanz Juni 1995 zur Verfügung. Der Beklagte gab dieses Zahlenmaterial Herrn H*****, seinem Partner und Geschäftsführer bei der A***** GmbH, zur Prüfung sowie Dr. Ha*****, dem Steuerberater der A***** GmbH. Beide kamen zu dem Ergebnis, dass die U***** "in Ordnung" sei und bestätigten die Ansicht der Klägerin in der Einschätzung durch den Beklagten.

Der Beklagte unterzeichnete am selben Tag folgenden Bürgschaftsvertrag: "Die Bank hat U*****-HandelsgesellschaftmbH einen Kredit ... gewährt. Zur Sicherstellung aller Forderungen und Ansprüche aus Haupt- und Nebenverbindlichkeiten, die aus der Inanspruchnahme dieses Kredits/Darlehens erwachsen sind oder noch erwachsen werden, übernimmt der Bürge die Haftung als Bürge und Zahler gemäß § 1357 ABGB zu den nachstehenden und umseitig abgedruckten Bürgschaftsbedingungen". Der Beklagte wurde dabei von Herrn T***** aufgeklärt, was eine Bürgschaft ist und was das bedeutet.

Am 25. 7. 1997 wurde über das Vermögen der U***** das Ausgleichsverfahren eingeleitet, welches jedoch scheiterte. Am 15. 9. 1997 wurde das Konkursverfahren eingeleitet, wobei den Forderungen der Gläubiger von ca S 9,2 Mio ein Vermögen von ca S 1,5 Mio gegenüber stand. Laut Bericht des Masseverwalters wurde das Unternehmen am 19. 8. 1997 verkauft. Im Zuge des Konkursverfahrens wurde eine Quote von 16,49 % erzielt.

Am 28. 8. 1997 langte beim Landesgericht Korneuburg zu 5 Cg 273/97p eine Klage in der gleichen Parteikonstellation wie im vorliegenden Verfahren ein, in welcher die Klägerin vom Beklagten aus der Bürgschaft die Bezahlung von S 2,836.441,70 begehrte. Der Beklagte erstattete innerhalb offener Frist keine Klagebeantwortung, sodass am 7. 10. 1997 ein Versäumnisurteil erging. Dagegen erhob er Widerspruch und brachte vor, es sei richtig, dass er der Klägerin gegenüber eine Bürgschaftshaftung abgegeben habe, diese sei aber einerseits auf S 2 Mio beschränkt gewesen, anderseits sei eine ordnungsgemäße Fälligstellung niemals erfolgt. Der eingeklagte Betrag sei auch in keiner Weise nachvollziehbar. Weiters sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin nicht unerhebliche Zahlungen aus dem Insolvenzverfahren erhalten werde, sodass auch eine Fälligstellung zum jetzigen Zeitpunkt nicht gerechtfertigt sei.

In der Zwischenzeit hatte der Beklagte der Klägerin mitgeteilt, dass er sich als Unternehmer keine Klage leisten könne. Am 27. 1. 1998 schloss der Beklagte daher mit der Klägerin einen (pfandrechtlich besicherten) Kreditvertrag über einen Einmalkredit von S 2 Mio ab. Verwendungszweck dieses Kredites war die "Bürgschaftsverpflichtung U*****". Daraufhin wurde die zu 5 Cg 273/97p ausgeschriebene Verhandlung am 3. 2. 1998 von beiden Parteien nicht besucht, sodass Ruhen des Verfahrens eingetreten ist.

Rechtlich folgerte das Erstgericht aus dem festgestellten Sachverhalt, dass der U*****-Kreditvertrag gültig sei. Der Bürge müsse zwar vom Gläubiger nicht grundsätzlich über die Bonität des Hauptschuldners aufgeklärt werden, sondern habe sich selbst die Information über die Bonität des Schuldners bzw die Risken zu beschaffen, doch bestehe eine Warnpflicht ausnahmsweise dann, wenn der Gläubiger Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit oder dem unmittelbar bevorstehenden wirtschaftlichen Zusammenbruch des Hauptschuldners habe und diesem gerade wegen der von einem Dritten geleisteten Sicherheit trotzdem noch Kredit gewähre, oder wenn der Gläubiger wisse, dass der Hauptschuldner den Kredit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zurückzahlen könne, oder wenn der Gläubiger eine sonstige, für den Bürgen besonders gefährliche Situation erkennen müsse. Nach Ansicht des Erstgerichtes reiche daher fahrlässiges Nichterkennen, insbesondere auch im Lichte des neu geschaffenen § 25c KSchG. Für die Klägerin sei es erkennbar gewesen, dass der Hauptschuldner den Kredit nicht zurückzahlen werde können, weshalb sie den Beklagten über die schlechten Vermögensverhältnisse der U***** hätte aufklären müssen. Durch die Unterlassung dieser Aufklärung habe sie den Irrtum des Beklagten über einen wesentlichen Umstand (die Kreditwürdigkeit der Hauptschuldnerin) veranlasst, der für die Bürgschaftserklärung auch kausal gewesen sei, sodass dem Beklagten die Irrtumsanfechtung zustehe. Durch die enge Verknüpfung zwischen dem Bürgschaftsvertrag und dem Kreditvertrag mit dem Beklagten umfasse die Irrtumsanfechtung auch den Kreditvertrag, dessen Geschäftsgrundlage der Bürgschaftsvertrag gewesen sei. Etwaige eigene Sorglosigkeit des Beklagten hindere die Irrtumsanfechtung nicht. Dessen Verhalten im Verfahren 5 Cg 273/97p sei weder als Anerkenntnis noch als Verzicht auf die Geltendmachung der Irrtumsanfechtung zu werten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, dass die Klagsforderung als zur Gänze zu Recht bestehend, die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend erkannt und der Beklagte zur Zahlung von EUR 138.328,53 sA verpflichtet wurde. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, und führte im Wesentlichen Folgendes aus:

Entgegen den Berufungsausführungen sei "in diversen Beweisergebnissen", insbesondere im Verhalten des Beklagten im Konkurs, kein Anerkenntnis seiner Kreditverpflichtung zu sehen.

Die Warnpflicht einer Bank werde nach herrschender Ansicht auf Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners beschränkt. Dabei sei den Grenzen der Warnpflicht in der Rechtslage vor Inkrafttreten des § 25c KSchG zu folgen. Diese Bestimmung sei darüber hinaus nicht nur deshalb nicht auf den vorliegenden Fall anwendbar, weil sie erst später in Kraft getreten sei, sondern es müsse auch berücksichtigt werden, dass es sich beim Bürgschaftsvertrag des Beklagten um kein Verbrauchergeschäft gehandelt habe.

Allgemein werde eine Warnpflicht der Bank aber nur bei Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit angenommen, zu der auch noch die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis des Umstandes, dass dem Bürgen selbst diese Situation nicht bekannt sei, treten müsse. Ginge man über diese Grundsätze hinweg, hätte die Bank nicht nur zu haften, wenn sie einen Interzedenten bewusst in sein wirtschaftliches Verderben laufen lasse, sondern auch dann, wenn sie ihre Informationsmöglichkeiten sorglos ebenso wenig ausgeschöpft habe wie der Bürge. In einer solchen Lage würde eine Bejahung der Haftung aber bedeuten, dass das Beteiligungs- und Unternehmerrisiko von Seiten des Unternehmers gänzlich auf den Finanzierer überwälzt werde, was selbst im Lichte der nunmehrigen gesetzlichen Beschränkungen des § 25c KSchG nicht sachgerecht wäre. Hätten sowohl der Gläubiger als auch der Bürge die vorhandenen Informationen bei entsprechender Sorgfalt besser verwerten können, verbleibe das Risiko beim (unternehmerischen) Bürgen. Damit erweise sich der U*****-Kreditvertrag als unanfechtbar und ein Schadenersatzanspruch des Beklagten als Bürgen gegen die Klägerin als Gläubiger unbegründet. Dass eine Warnpflicht anlässlich der Kreditgewährung an den Beklagten selbst nicht in Frage komme, sei schon in erster Instanz nicht strittig gewesen.

Auf die Frage, ob die Anfechtbarkeit der Bürgschaftserklärung auf den späteren, zu ihrer Abdeckung eingeräumten Kredit überhaupt durchschlagen könne, und auf die Verjährungseinwendung sei daher nicht mehr einzugehen. Die Einwendungen des Beklagten könnten ohnedies keinen Erfolg haben, weshalb in Abänderung des Ersturteils dem Klagebegehren stattzugeben gewesen sei.

Die ordentliche Revision sei unzulässig, weil das Berufungsgericht der höchstgerichtlichen Judikatur gefolgt sei; die Bejahung oder Verneinung der Warnpflicht im Einzelfall werfe außerdem keine über diesen hinausreichenden erhebliche Rechtsfragen auf.

Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten wegen Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Berufungsentscheidung dahin abzuändern, dass das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Interesse der Rechtssicherheit zulässig, sie ist auch berechtigt.

Der Rechtsmittelwerber macht im Wesentlichen geltend, das Berufungsgericht habe den auch der Höhe nach ausdrücklich bestrittenen Klagsbetrag ohne jede Feststellungsgrundlage zugesprochen. Ein Zuspruch von Zinsen seit 27. 5. 1999 sei von der Klägerin gar nicht beantragt worden. Die Klägerin habe den Beklagten bei Bürgschaftsübernahme durch aktives Handeln arglistig in Irrtum geführt. Sie habe Kenntnis von der schlechten Wirtschaftslage der Hauptschuldnerin gehabt, eine Aufklärung und Warnung des Beklagten aber unterlassen.

Hiezu wurde erwogen:

Es trifft zu, dass das Berufungsgericht der Klägerin den Klagsbetrag trotz ausdrücklicher Bestreitung seiner Höhe ohne jede Sachverhaltsfeststellung zur Saldohöhe zugesprochen hat. Es handelt sich hiebei aber um einen Feststellungsmangel und nicht um eine Nichtigkeit gemäß § 477 Abs 1 Z 9 ZPO; eine solche würde nur vorliegen, wenn für die Entscheidung überhaupt keine Gründe angegeben worden wären (vgl Kodek in Rechberger² § 477 ZPO Rz 12 mwN). Auf diesen Feststellungsmangel und auf den Zeitpunkt des Beginns des Zinsenlaufes kommt es aber nicht an, wie die folgenden Rechtsausführungen zeigen werden.

Der Beklagte hat unter anderem Arglist der Klägerin bei Abschluss des Bürgschaftsvertrages vom 13. 9. 1995 und Irreführung durch die Klägerin bei Abschluss des Kreditvertrages vom 27. 1. 1998 geltend gemacht. Der Nachweis von Arglist ist ihm zwar nicht gelungen, die Behauptung arglistiger Irreführung schließt aber die Anfechtung wegen veranlassten Irrtums ein.

Zutreffend bemerkt die Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung, dass die Irrtumsanfechtung der Bürgschaftsvereinbarung aus dem Jahr 1995 im Zeitpunkt der 1999 erstatteten Klagebeantwortung wegen Ablaufs der dreijährigen Verjährungsfrist verspätet war. Die Klägerin hat Verjährung aber erst nach Schluss der Verhandlung erster Instanz erstmals in ihrer Berufung eingewendet; von Amts wegen war darauf gemäß § 1501 ABGB nicht Bedacht zu nehmen. Es ist daher auf die Irrtumsfrage im Lichte des § 871 ABGB näher einzugehen.

Zunächst besteht kein Zweifel daran, dass sich der dem Beklagten bei Abschluss der Bürgschaftsvereinbarung unterlaufene Irrtum über die Bonität der Hauptschuldnerin und das Risiko der Bürgschaft auf den Inhalt des Geschäfts bezieht; es handelt sich also um einen Geschäftsirrtum. Es liegt auch auf der Hand, dass der Beklagte die Bürgschaft ohne den Irrtum nicht übernommen hätte; der Irrtum war also wesentlich. Schließlich war die Mitteilung des Mitarbeiters der Klägerin, die dieser zuzurechnen ist, die Bürgschaft sei risikolos, für den Irrtum auch (adäquat) ursächlich. In der Rechtsprechung wurde allerdings zur Frage der Veranlassung des Irrtums schon die Ansicht vertreten, es sei eine wertende Einschränkung nötig, um eine uneingeschränkte Anfechtbarkeit zu vermeiden; ganz offensichtlich unrichtige Angaben eines Vertragspartners, deren Überprüfung dem anderen Teil offen stand und leicht möglich war, könnten nicht als zur Täuschung geeignete Irreführungshandlungen angesehen werden; habe sie der Erklärungsempfänger dennoch als wahr hingenommen, sei sein Irrtum nicht durch den anderen Teil veranlasst (7 Ob 553/88 = WBl 1988, 341; 1 Ob 617/95 = ÖBA 1996, 382/547; Rummel in Rummel, ABGB I³ § 871 Rz 15). Im vorliegenden Fall kann aber nicht gesagt werden, die Mitteilung des Mitarbeiters der Klägerin über die Risikolosigkeit der Bürgschaft und die Bonität der Hauptschuldnerin wäre für den Beklagten ganz offensichtlich unrichtig gewesen. Die Klägerin hat durch ihren Mitarbeiter jedenfalls so viel zur Entstehung des Irrtums beigetragen, dass ihr Vertrauen auf die Bürgschaftserklärung nicht schutzwürdig ist (vgl Rummel aaO). Der Irrtum ist somit auch als von der Klägerin veranlasst anzusehen.

Es mag sein, dass der Beklagte bzw seine Berater, die ihn in seinem von der Klägerin veranlassten Irrtum bestärkten, obwohl ihnen die Jahresbilanz 1994 und die Zwischensaldenbilanz Juli 1995 ebenfalls zur Verfügung standen, selbst fahrlässig gehandelt haben. Für die Irrtumsanfechtung ist es aber nach herrschender Ansicht ohne Belang, ob der Irrtum vom Irrenden verschuldet war oder nicht (RIS-Justiz RS0014897; Rummel aaO § 871 Rz 1 mwN; Koziol in Koziol/Welser I12 132 mwN). Ob ein Verschulden des Irrenden zu dessen Haftung wegen culpa in contrahendo führen kann (vgl Rummel aaO § 871 Rz 16 zu 1 Ob 606/88 = JBl 1988, 783; Koziol aaO; vgl auch Schwenzer in Honsell/Vogt/Wiegand, SchwOR Art 26 Rz 1, 11), muss hier nicht weiter untersucht werden, weil Gegenstand der Klage kein Schadenersatzanspruch ist.

Der Erfolg der Irrtumsanfechtung führt zur Aufhebung der Bürgschaftsvereinbarung ex tunc. Die Erfüllung dieser Bürgschaftsverpflichtung war aber ausdrücklicher Verwendungszweck des dem von der Klägerin am 27. 1. 1998 eingeräumten Kredites. Das Bestehen der Bürgschaftsverpflichtung war, wenn schon nicht Bedingung, so zumindest Geschäftsgrundlage des Kreditvertrages. Bei diesem handelt es sich wirtschaftlich gesehen um einen Ratenvergleich über die Erfüllung der Bürgschaftsschuld, deren Bestehen Vergleichsgrundlage war. Der Wegfall der Bürgschaftsverpflichtung führt demnach auch zum Entfall von Zahlungsverpflichtungen des Beklagten aus dem Kreditvertrag; mangels aufrechter Bürgschaftsschuld muss er eine solche auch nicht ratenweise abstatten (vgl zu einschlägigen Begründungsversuchen von Rechtsprechung und Lehre Rummel aaO § 901 Rz 5, 6; Koziol aaO 147 f).

Dass kein (konstitutives) Anerkenntnis des Beklagten erfolgt ist, haben schon die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt. Auf eine Warn- bzw Aufklärungspflicht der Klägerin und etwaige Schadenersatzansprüche des Klägers kommt es im Hinblick auf die Folgen der aktiven Irreführung des Beklagten durch die Klägerin nicht an.

Das Erstgericht hat die Rechtsfrage somit im Wesentlichen richtig gelöst, weshalb sein klagsabweisendes Urteil wiederherzustellen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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