Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 686,88 EUR (darin 114,48 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Am 15. November 1991 suchte der damals noch minderjährige, nunmehrige Exzindierungskläger, der damals 5.000 S zu seiner Verfügung hatte und sie in Wertpapieren anlegen wollte, gemeinsam mit seinem Vater (im Folgenden nur Verpflichteter) die Zentrale der nun beklagten Bank auf, um dort ein Wertpapierdepot zu eröffnen. Der Kläger hatte die Auskunft erhalten, sein Vater müsse ihn zur (Konto)Eröffnung begleiten und für allenfalls anfallende Spesen und Risken eine Haftungserklärung abgeben. Am 19. November 1991 eröffneten der Kläger und der Verpflichtete das Wertpapierdepot Nr. 0088-021530; die Depotbezeichnung lautet: "... [Kläger] oder ... [Verpflichteter]". Darauf wird vermerkt, dass beide verfügungsberechtigte Depotinhaber und einzeln zeichnungsberechtigt waren. In der Folge traf der Kläger allein alle Verfügungen über das Konto; er tätigte Käufe und orderte Verkäufe, während der Verpflichtete mit dem Wertpapierkonto nichts mehr zu tun hatte. Die "Finanzierung" (des Ankaufs) der Wertpapiere erfolgte ausschließlich aus Einkommen des Klägers aus Ferialarbeit und aus einer Erbschaft, die ihm zur alleinigen Verfügung überlassen worden war. Die "Wertpapier-Transaktionen" (gemeint: die Dispositionen bei An- und Verkauf) erfolgten stets über ein näher genanntes Girokonto des Klägers bei der beklagten Partei, über das er allein zeichnungs- und verfügungsberechtigt war und ist.
Das Bezirksgericht Innsbruck bewilligte der beklagten Partei aufgrund des Anerkenntnisurteils des Landesgerichts Innsbruck vom 11. November 1999, AZ 13 Cg 35/99f, zur Hereinbringung eines Teilbetrags von 140.000 S sA mit Beschluss vom 19. Dezember 2000 die Exekution durch Pfändung und Verwertung (gemäß §§ 331, 333 EO) der (angeblich) im Miteigentum des Verpflichteten stehenden Sammelbestandteile am genannten Wertpapierdepot bei der beklagten Partei sowie der damit verbundenen depotvertraglichen Rechte des Verpflichteten als Hinterleger. Die Pfändung erfolgte durch ein Verfügungsverbot an den Verpflichteten und ein Leistungsverbot an den "Drittschuldner" (tatsächlich ist die betreibende und hier beklagte Bank auch Drittschuldnerin).
Mit dem bei der beklagten Partei am 11. Jänner 2001 eingelangten Schreiben des Klägers teilte dieser mit, dass ihm das Wertpapierdepot allein gehöre, und beantragte die Löschung der Zeichnungsberechtigung des Verpflichteten. Die beklagte Partei teilte daraufhin mit, dass bis zum 11. Jänner 2001 keine Änderung der Verfügungsberechtigung erfolgt sei; das Schreiben des Klägers werde dahin verstanden, dass in Zukunft der Verpflichtete nicht mehr verfügungsberechtigt sein soll.
Der Kläger begehrte die Unzulässigkeitserklärung der bewilligten Exekution. Dazu brachte er zusammengefasst vor, er habe sämtliche Verfügungen über das Wertpapierdepot getroffen. Der Verpflichtete habe mit Ausnahme der Unterschriftenleistung bei der Depoteröffnung keinerlei Verfügungen darüber getroffen. Der Verpflichtete sei daher weder Eigentümer noch Miteigentümer der sich im Wertpapierdepot befindlichen Wertpapiere, sie stünden im Alleineigentum des Klägers und bildeten keinen Vermögensbestandteil des Verpflichteten, weshalb die darauf gerichtete Exekution unzulässig sei.
Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht erachtete die ordentliche Revision für zulässig, weil - soweit überblickbar - zur Frage, ob das Verhalten einer Bank, die trotz Kenntnis, dass nur ein Kontomitinhaber faktisch über ein dem Wortlaut des Kontoblatts nach mehreren Kontomitinhabern gemeinsames Wertpapierdepot verfüge, im Zuge der Exekutionsführung gegen eine andere, nur formal als Kontomitinhaber geführte Person auf das Wertpapierdepot greife, sittenwidrig sei, gesicherte höchstgerichtliche Rsp fehle.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts hängt im vorliegenden Fall die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ab:
a) Nach der stRsp des Obersten Gerichtshofes handelt es sich bei der Frage der Sittenwidrigkeit um eine solche der rechtlichen Beurteilung. Auch die Geltendmachung eines neuen rechtlichen Gesichtspunkts bei der rechtlichen Beurteilung ist im Rechtsmittelverfahren nur zulässig, wenn die dafür erforderlichen Tatsachen bereits im Verfahren erster Instanz behauptet wurden (Kodek in Rechberger 2 § 482 ZPO Rz 9). Durch das Neuerungsverbot des § 482 Abs 2 ZPO wird im Berufungsverfahren das Tatsachenvorbringen und das Beweisanerbieten somit nur so weit ausgeschlossen, als diese Tatumstände und Beweise nach Inhalt des Urteils und der Prozessakten nicht schon in erster Instanz vorgekommen sind (1 Ob 128/98z mwN u.a.; RIS-Justiz RS0042011). Die Änderung der rechtlichen Argumentation einer Partei im Rechtsmittelverfahren stellt daher keine gemäß § 482 ZPO unzulässige Neuerung dar, wenn - anders als hier - die hiezu erforderlichen Tatsachen bereits im Verfahren erster Instanz behauptet oder festgestellt wurden (1 Ob 128/98z mwN u.a.; RIS-Justiz RS0016473). Im vorliegenden Fall hat der Kläger ein Vorbringen zur behaupteten Sittenwidrigkeit der Exekutionsführung durch die exzindierungsbeklagte Bank erstmals in der Berufungsschrift durch seine Behauptung, die beklagte Partei hätte gewusst bzw. wissen müssen, dass die Wertpapiere dem Kläger gehörten, weil nur er über das Depot verfügt habe, erstattet. Irgendein Tatsachenvorbringen in erster Instanz, auf das wenigstens zur Untermauerung des Einwands der Sittenwidrigkeit - allein weswegen die Revision von der zweiten Instanz zugelassen wurde - zurückgegriffen werden könnte, fehlt indes. Der Revisionswerber hat somit in erster Instanz keine Tatsachen behauptet, aus denen sich der in der Berufung behauptete Verstoß der beklagten Partei gegen die guten Sitten ergeben könnte.
Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 ZPO muss daran scheitern, dass die Entscheidung von dieser Rechtsfrage aufgrund des Neuerungsverbots (§ 482 Abs 2, § 504 Abs 2 ZPO) nicht mehr abhängt.
b) Bei mehreren Kontoinhabern liegt nach Punkt 3 Abs 2 der AGBKr ein Fall der vertraglich vereinbarten Gesamtgläubigerschaft iSd §§ 892 ff ABGB vor: Jeder der mehreren Inhaber eines Gemeinschaftskontos ("Oder-Konto") - wie hier - muss so lange mit Verfügungen eines anderen Kontomitinhabers über das Guthaben rechnen, bis er der Befugnis zur Einzelverfügung widerspricht; danach können nur alle Kontoinhaber zusammen über das Konto verfügen ("Und-Konto": 3 Ob 610/90 = SZ 63/226 = ÖBA 1991, 458 [Iro]; 9 Ob 26/98h = SZ 71/62 = ÖBA 1998, 716 [Riedler], je mwN). Im vorliegenden Fall erfolgte der einseitige Widerspruch des Klägers und damit die Verwandlung in ein "Und-Konto" mit Gesamthandgläubigerschaft des Klägers und des Verpflichteten erst am 11. Jänner 2001, zeitlich somit erst nach der Exekutionsbewilligung zugunsten der nun beklagten Partei.
Zwar sichert das AGBKr-Pfandrecht nach Punkt 23 Abs 2 der AGBKr an Gemeinschaftskonten nur Forderungen der Bank aus der Geschäftsverbindung mit der Gesamtheit der Kontoinhaber, somit nur Forderungen aus dem Konto, weil nur diese, nicht jedoch sonstige Forderungen gegen einzelne Kontoinhaber, aus der Geschäftsverbindung mit der Gesamtheit der Kontoinhaber entstanden sind (9 Ob 26/98h; RIS-Justiz RS0109869). Allerdings erfolgte im vorliegenden Fall die Exekutionsbewilligung zugunsten der beklagten Partei nicht auf Grund eines vertraglichen, sondern eines exekutiven Pfandrechts. Da aber jeder Mitgläubiger (Kontoinhaber) berechtigt ist, seine Forderung geltend zu machen, kann sie auch von Gläubigern eines Mitgläubigers (Kontoinhabers) in Exekution gezogen und gepfändet werden (SZ 32/73; 9 Ob 26/98h mwN; RIS-Justiz RS0024201; vgl. auch Iro in Avancini/Koziol/Iro, Österr. Bankvertragsrecht I Rz 4/85, und Avancini ebenda Rz 5/94). Dies hat schon die zweite Instanz zutreffend und im Rechtsmittel unbekämpft beurteilt.
Demnach muss die Revision der klagenden Partei zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Die beklagte Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Revision ausdrücklich hingewiesen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)