OGH 8ObA220/02i

OGH8ObA220/02i23.1.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Michael Mutz und Robert Maggale als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Erkan A*****, Arbeiter, *****, vertreten durch Dr. Gustav Teicht und Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei H*****GmbH und Co KG, *****, vertreten durch Dr. Bernhard Hainz, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 9.735,50 brutto abzüglich EUR 283,57 netto sA (Revisionsinteresse EUR 3.953,87 brutto sA), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Juli 2002, GZ 7 Ra 189/02v-28, womit über Berufung der klagenden Partei das Teilurteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 6. Februar 2002, GZ 10 Cga 139/00h-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1) Die Bezeichnung der beklagten Partei wird auf "H*****GmbH und Co KG" richtiggestellt.

2) Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Arbeitsrechtssache wird an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Zur Richtigstellung der Parteibezeichnung:

Die Beklagte wurde in der Klage und - dieser folgend - im Verfahren vor den Vorinstanzen als "H*****& Co KG" bezeichnet, in der Revision und in der Revisionsbeantwortung hingegen als "H*****GmbH und Co KG". Die daraufhin erfolgte Einsicht ins Firmenbuch ergab, dass die Bezeichnung der Beklagten bereits seit 29. 6. 2000 "H*****GmbH und Co KG" lautet. In diesem Sinne war die Parteienbezeichnung der Beklagten daher richtigzustellen.

Zur Sache:

Der Kläger begehrt von der Beklagten zuletzt EUR 9.735,50 brutto abzüglich EUR 283,57 netto sA (Lohn/Entgeltfortzahlung, Urlaubszuschuss, Weihnachts- remuneration, Kündigungsentschädigung, Urlaubsentschädigung, Abfertigung). Als er am 17. 4. 2000 nach einem Krankenstand den Dienst angetreten habe, sei er grundlos entlassen worden.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Der Kläger hätte nach seinem Krankenstand am 17. 4. 2000 den Dienst antreten müssen, sei jedoch - ohne hiefür eine Erklärung abzugeben - erst am 18. 4. 2000 zur Arbeit erschienen. Da er bereits vorher wiederholt zu spät gekommen sei und deshalb auch abgemahnt worden sei, sei er entlassen worden. Die vom Kläger geltend gemachte Abfertigung wurde auch der Höhe nach bestritten. Die Berechnung des Klägers lasse außer Acht, dass mit dem Kläger am 7. 1. 2000 eine Verkürzung der Arbeitszeit auf 20 Stunden pro Woche vereinbart worden sei. Dem zuletzt wiedergegebenen Einwand hielt der Kläger entgegen, dass diese Vereinbarung nicht eingehalten worden sei und er auch danach mehr als 20 Wochenstunden gearbeitet habe.

Das Erstgericht wies mit Teilurteil das Begehren des Klägers auf Abfertigung (EUR 3.953,87 sA) ab.

Es stellte im Wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Der Kläger war bei der Beklagten seit 30. 9. 1991 als Bäcker beschäftigt. Er blieb wiederholt tage- und auch wochenweise eigenmächtig der Arbeit fern, in der Regel dadurch, dass er Krankenstände oder Urlaube "verlängerte" (siehe dazu im Detail die Feststellungen S 3 - 5 des Ersturteils). Der damals das Unternehmen führende Gesellschafter hielt dem Kläger seine unentschuldigten Abwesenheiten immer vor, etwa indem er sein Verhalten "rügte", indem er "seinen Unmut darüber zum Ausdruck brachte" oder indem er erklärte, dass er das Vorgehen des Klägers nicht in Ordnung finde und darüber keine Freude habe, zumal jeder im Unternehmen seinen Platz einzunehmen habe. Als Reaktion auf die Absenzen des Klägers wurde ihm für die versäumte Zeit kein Entgelt gezahlt oder es wurden ihm die betroffenen Tage nachträglich (und ohne Einholung seiner Zustimmung) als Urlaubstage eingetragen. Die jeweils erfolgten Vorhaltungen und Hinweise des damals das Unternehmen führenden Gesellschafters, dass der Ausfall des Klägers andere Mitarbeiter zur Mehrarbeit zwinge, führten zu keiner Besserung. Nach einer abermaligen Absenz des Klägers am 3. 1. 2000 wurde mit ihm eine Reduktion seiner Arbeitszeit auf 20 Stunden vereinbart.

Ab 1. 4. 2000 übernahm ein anderer Gesellschafter der Beklagten die Leitung des Unternehmens.

Nach einem Krankenstand vom 23. 3. bis 15. 4. 2000 erschien der Kläger abermals nicht zur Arbeit. Er trat den Dienst nicht - wie vorgesehen - am 17. 4., sondern erst am 18. 4. an. Als er dafür keinen Grund angeben konnte, wurde er entlassen.

Auf dieser Grundlage erachtete das Erstgericht die Entlassung als gerechtfertigt. Der damals das Unternehmen führende Gesellschafter habe dem Kläger zu erkennen gegeben, dass er mit den wiederholten Absenzen nicht einverstanden sei. Das abermalige unentschuldigte Fernbleiben vom Dienst am 17. 4. 2000 verwirkliche daher einen Entlassungsgrund.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil.

Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und vertrat ebenfalls die Rechtsauffassung, dass die Entlassung des Klägers berechtigt erfolgt sei. Das Verhalten des Klägers verwirkliche den Entlassungsgrund des § 82 lit f 2. Fall GewO 1859. Seine wiederholten Absenzen seien als besonders schwerwiegende, hartnäckige und unnachgiebige Pflichtverletzung zu beurteilen. Wegen dieses Verhaltens sei der Kläger auch mehrmals verwarnt worden. Das Wort "Entlassung" müsse bei einer Verwarnung nicht verwendet werden. Dass das Verhalten des Klägers längere Zeit hingenommen worden sei, bedeute nicht, dass er sich auf eine Einwilligung des Arbeitgebers berufen könne. Vielmehr sei die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung mit jeder neuen Pflichtverletzung größer geworden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidung im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt. Nach § 82 lit f GewO 1859 stellt es ua einen Entlassungsgrund dar, wenn der Arbeiter die Arbeit unbefugt verlassen hat (1. Tatbestand) oder beharrlich seine Pflichten vernachlässigt (2. Tatbestand). Das Berufungsgericht wertete das Verhalten des Beklagten als beharrliche Pflichtverletzung und unterstellte es dem Entlassungsgrund des § 82 lit f GewO 1859, 2. Tatbestand. Dieser Entlassungstatbestand ist verwirklicht, wenn der Arbeitnehmer beharrlich seine aus dem Arbeitsvertrag, aus kollektivvertraglichen Normen oder aus dem Gesetz resultierenden und ihm zumutbaren Pflichten vernachlässigt. Unter "beharrlich" im Sinne des § 82 lit f GewO 1859, 2. Tatbestand, ist die Nachhaltigkeit, Unnachgiebigkeit oder Hartnäckigkeit des zum Ausdruck gelangenden Willens zu verstehen, die Dienste oder die Befolgung der Anordnungen des Arbeitgebers zu verweigern (RIS-Justiz RS0029746, RS0104124; zuletzt etwa 9 ObA 20/02k). Daher muss sich die Weigerung entweder wiederholt ereignet haben oder von derart schwerwiegender Art sein, dass auf die Nachhaltigkeit der Willenshaltung des Arbeitnehmers geschlossen werden kann. Im ersten Fall bedarf es einer vorangegangenen Ermahnung oder einer wiederholten Aufforderung zur Dienstleistung bzw. zur Befolgung der Anordnung (RIS-Justiz RS0029746; zuletzt etwa 9 ObA 116/02b). Dabei ist erforderlich, dass der Angestellte auf die konkrete Dienstverweigerung hingewiesen und in einer dem Ernst der Situation angepassten Weise zur Einhaltung seiner Pflichten aufgefordert wird. Der Gebrauch bestimmter Worte bzw. die Androhung der Entlassung ist nicht erforderlich, wohl aber muss der Arbeitnehmer den durch seine Pflichtverletzung hervorgerufenen Ernst der Situation erkennen können (Kuderna, aaO 115; RIS-Justiz RS0060643; zuletzt etwa 9 ObA 207/01h; 9 ObA 163/01p; 9 ObA 71/02k). Das Berufungsgericht bejahte unter Hinweis auf die wiederholten fruchtlosen Vorhaltungen durch den Arbeitgeber die Beharrlichkeit des pflichtverletzenden Verahltens des Klägers und erachtete daher den Entlassungsgrund des § 82 lit f, 2. Tatbestand, GewO 1859 als verwirklicht.

Dem hält der Revisionswerber zu Recht entgegen, dass das vor dem zur Entlassung führenden Vorfall gesetzte Verhalten des Arbeitgebers nicht geeignet war, dem Kläger den durch seine Pflichtverletzung hervorgerufenen Ernst der Situation erkennen zu lassen. Bei jeder der zahlreichen unentschuldigten Absenzen des Klägers beschränkte sich der damals das Unternehmen führende Gesellschafter auf verbale Zurechtweisungen und darauf, die versäumten Tage als Urlaub einzutragen oder sie einfach nicht zu honorieren. Irgendwelche Anzeichen dafür, dass sich an dieser Praxis etwas ändern werde, waren für den Kläger in keiner Weise erkennbar; von der Möglichkeit einer Steigerung der Sanktionen war mit keinem Wort die Rede. Unter diesen Umständen musste der Kläger ohne eine vorherige, dem Ernst der Lage angepasste Aufforderung mit einer Entlassung nicht rechnen, sodass von einer "beharrlichen" Pflichtverletztung iS der oben wiedergegebenen Rechtslage nicht gesprochen werden kann (vgl etwa auch 8 ObA 264/01h = DRdA 2002, 243).

Allerdings ist das Verhalten des Klägers vor allem in Hinblick auf den (iS des § 27 Z 4 AngG auszulegenden) Entlassungstatbestand des § 82 lit f, 1. Tatbestand, GewO 1859 zu prüfen, der nach völlig einhelliger Auffassung nicht nur das Verlassen der Arbeit im engeren Sinn, sondern vielmehr jedes mit der Verpflichtung zur Einhaltung der pflichtgemäßen Arbeitszeit unvereinbare Verhalten des Arbeitnehmers, daher auch das pflichtwidrige Nichterscheinen zur Arbeit während einer den Umständen nach erheblichen Zeit umfasst (Kuderna, Entlassungsrecht² 137; vgl auch RIS-Justiz RS0029572; RS0029517; zuletzt etwa 9 ObA 249/02m). "Erheblich" ist ein Versäumnis insbesondere dann, wenn ihm nach der Dauer der versäumten Arbeit, nach Maßgabe der Dringlichkeit der zu verrichtenden Arbeit oder wegen des Ausmaßes des auf Grund des Versäumnisses nicht erzielten Arbeitserfolges oder der sonstigen dadurch eingetretenen betrieblichen Nachteile besondere Bedeutung zukommt. Dabei kommt es nicht allein darauf an, wie lange die Unterlassung der Dienstleistung dauerte, sondern vor allem auf die Würdigung der besonderen Umstände, unter denen sie erfolgte. Nicht die absolute Dauer der Arbeitsversäumnis ist entscheidend, sondern die Bedeutung der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers gerade während dieser Zeit (zuletzt etwa 9 ObA 249/02m). So wurde etwa von der Rechtsprechung bei eingeschränktem Betrieb sogar eine mehrtätige Abwesenheit als nicht erheblich beurteilt (8 ObA 21/02z), während in einem anderen Fall (RdW 1988, 53) schon das Fernbleiben im Umfang einer Stunde als erheblich angesehen wurde, weil dadurch der Betriebsablauf maßgeblich behindert worden war. Es ist also stets auf die Umstände des konkreten Einzelfalls abzustellen (RIS-Justiz RS0029495; zuletzt etwa 8 ObA 21/02z; 9 ObA 249/02m). Ein eintägiges Dienstversäumnis wird aber im allgemeinen, von besonders gelagerten Ausnahmefällen abgesehen, immer tatbestandsmäßig sein (Arb 10521; Kuderna, aaO 103 zum insoweit vergleichbaren [Kuderna, aaO 102 und 137] Entlassungsgrund des § 27 Z 4 AngG, 1. Tatbestand). Ein solcher Ausnahmefall, der dazu führt, dass selbst ein eintägiges Dienstversäumnis nicht tatbestandsmäßig ist, liegt hier aber vor. Zum einen hat die Beklagte, die für das Vorliegen des Entlassungsgrundes und daher auch für die Umstände beweispflichtig gewesen wäre, aus denen auf ein erhebliches Dienstversäumnis geschlossen werden könnte, nicht einmal behauptet, dass durch das Fernbleiben des Klägers im die Entlassung auslösenden Fall relevante betriebliche Nachteile entstanden seien. Darüber hinaus ist aber auch in diesem Zusammenhang darauf zu verweisen, dass der zunächst das Unternehmen führende Gesellschafter der Beklagten jahrelang ein Verhalten an den Tag gelegt hat, aus dem der Kläger ableiten musste, dass sein Verhalten zwar nicht gebilligt, aber auch nicht als "erheblich" im Sinne der Annahme der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung (Kuderna, aaO 137) empfunden wurde. Wie ausgeführt, beschränkte sich der das Unternehmen führende Gesellschafter jahrelang darauf, die zahlreichen unentschuldigten Absenzen des Klägers zu kritisieren und ihm Urlaubstage einzutragen oder die versäumten Tage nicht zu honorieren. Durch dieses jahrelang gesetzte Verhalten hat er zu erkennen gegeben, dass er die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers wegen solcher Vorfälle nicht als unzumutbar empfindet und vergleichbare Absenzen nicht zum Anlass einer Entlassung nehmen wird. Dass unmittelbar vor dem zur Entlassung führenden Vorfall ein anderer Gesellschafter die Leitung des Unternehmens übernahm, ändert daran für sich allein nichts, weil dieser - solange er nicht das Gegenteil klarstellt - das von seinem Vorgänger gegenüber dem Arbeitnehmer gesetztes Verhalten gegen sich gelten lassen muss. Der nunmehr das Unternehmen leitende Gesellschafter hätte daher dem Kläger in geeigneter Weise klar machen müssen, dass er nicht bereit ist, das in der Tat in hohem Maße pflichtwidrige Verhalten des Klägers zu dulden. Erst wenn der Kläger dann sein Verhalten dennoch fortgesetzt hätte, hätte er den Entlassungsgrund verwirklicht.

Da sich somit die Entlassung als nicht gerechtfertigt erweist, steht dem Kläger die von ihm begehrte Abfertigung - nur diese war Gegenstand des erstgerichtlichen Teilurteils - zu. Allerdings kann die Höhe dieser Abfertigung noch nicht beurteilt werden, weil die Vorinstanzen auf der Grundlage ihrer vom Obersten Gerichtshof nicht gebilligten Rechtsauffassung auf das dazu erstattete Vorbringen der Parteien nicht eingegangen sind und die zur Beurteilung erforderlichen Feststellungen nicht getroffen haben. In Stattgebung der Revision war daher wie im Spruch ersichtlich zu entscheiden.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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