OGH 7Ob222/02a

OGH7Ob222/02a15.1.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Kambiz N*****, vertreten durch Mag. Dr. Johannes Etienne Korab, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei G***** Versicherungs AG, 1010 Wien, Landskrongasse 1-3, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 68.560,13 sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 29. Juli 2002, GZ 2 R 52/02k-63, womit das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 3. Jänner 2002, GZ 18 Cg 25/98k-56, abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Der Kläger handelt mit Mobiltelefonen und elektronischen Geräten in Wien. Außerdem ist er "Organ" einer in Großbritannien protokollierten juristischen Person (in der Folge I*****) mit dem Sitz in Cardiff, bei der sein Bruder und Vater tätig sind. Diese hat ihre Geschäftsadresse in London am Sitz eines anderen Unternehmens. Die I***** ist ein Großhandelsunternehmen, das ebenfalls ua mit Mobiltelefonen handelt. Der Bruder oder Vater des Klägers ersuchten den Kläger, "für I*****" 150 Ericsson GSM-Handys in Österreich "zu besorgen", da sie eine entsprechende Bestellung von einem französischem Kunden habe. Der Kläger kaufte 150 Handys von der Christian K***** GmbH und bezahlte mit Scheck. Da der Verkauf durch das französische Unternehmen nicht realisiert werden konnte, "übernahm" der Kläger die 150 bei ihm lagernden Handys in seinen Lagerbestand. Die I***** stellte eine entsprechende Rechnung am 1. 10. 1997 an den Kläger aus.

Der vom Kläger mit der Beklagten abgeschlossene Versicherungsvertrag umfasst auch das Risiko der Entfremdung von Gegenständen durch Einbruchsdiebstahl. Unstrittig liegen dem Versicherungsvertrag die Allgemeinen Einbruchdiebstahlversicherungs-Bedingungen (AEB 1986; in der Folge AEB) zu Grunde.

Die maßgebliche Bestimmung lautet:

"Artikel 8

Obliegenheiten des Versicherungsnehmers im Schadenfall.

(1) Der Versicherungsnehmer hat im Fall eines drohenden Schadens oder nach Eintritt eines Schadenfalles

...

c) soweit es von ihm billigerweise verlangt werden kann, dem Versicherer jede Untersuchung über Ursache und Höhe des Schadens und über den Umfang der Entschädigungspflicht zu gestatten, jede hiezu dienliche Auskunft auf Verlangen zu erteilen und Belege beizubringen.

...

(2) Der Versicherungsnehmer hat alle schriftlichen und mündlichen Angaben im Zuge der Schadenserhebung dem Versicherer richtig und vollständig zu machen.

(3) Verletzt der Versicherungsnehmer eine der vorstehenden Obliegenheiten ..., so ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, es sei denn, dass die Verletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht. Bei grob fahrlässiger Verletzung dieser Obliegenheiten bleibt der Versicherer zur Leistung insoweit verpflichtet, als die Verletzung Einfluss weder auf die Feststellung des Versicherungsfalles noch auf die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung gehabt hat. ..."

Am 6. 11. 1997 wurde in die Filiale des Klägers in der Schleifmühlgasse eingebrochen, dabei wurden 99 dieser Handys sowie andere elektronische Geräte und Bargeld gestohlen. Der Kläger übermittelte der Beklagten eine Aufstellung der gestohlenen und beschädigten Gegenstände sowie unter anderem die von I***** ausgestellte Rechnung. Dem Sachbearbeiter der Beklagten fiel auf, dass ein englisches Unternehmen in Schilling fakturierte. Über dessen Anfrage, wie es zur Ausstellung dieser Rechnung gekommen sei und in welcher Form die Übergabe der Ware erfolgt sei, teilte ihm der Kläger mit, dass die Lieferung in einem Kraftfahrzeug und die Zahlung "Kassa" erfolgt sei. Da dem Sachbearbeiter die Übergabsweise und Zahlungsart ungewöhnlich schien, richtete er einen Brief an I***** mit der Bitte, ihm mitzuteilen, wann die Handys bestellt worden seien, wann und in welchem Weg die Auslieferung erfolgt sei und ob es möglich wäre, die Regristrierungsnummern bekanntzugeben. Der Kläger ersuchte telefonisch eine Mitarbeiterin der I***** oder auch des Unternehmens, das an der gleichen Geschäftsadresse seinen Sitz hatte, die Anfrage zu beantworten und übermittelte dazu den Inhalt des entsprechenden Antwortschreibens mittels Fax. Er ersuchte sie, den Brief an eine weitere Mitarbeiterin sowie an den Buchhalter A. M***** weiterzugeben. In diesem Antwortschreiben hieß es, dass die Handys durch das Unternehmen des Klägers bestellt worden seien. I***** habe die Ware in Österreich gekauft und an das Unternehmen des Klägers verkauft und geliefert. Die Bezahlung der Ware sei bar/mit Scheck erfolgt. Die Registriernummern könnten mangels Erfassung nicht bekannt gegeben werden. Unter einer unleserlichen Unterschrift schien der Name A. M***** auf, ohne dass die Unterschrift von ihm stammt. Die Beklagte stellte weitere Nachforschungen an und stellte fest, dass die I***** an der genannten Adresse keinen Sitz hat, sondern mangels Vorlage des Jahresabschlusses 1997 gelöscht und der Unterzeichnende nicht der Buchhalter war. In der rechtlichen Beurteilung stellte das Erstgericht weiters fest, dass nicht feststehe, ob der Kläger die unrichtige Unterfertigung des Schreibens veranlasst habe. Der Kläger habe nicht offengelegt, dass die I***** ebenfalls von ihm "geleitet" werde (S 10 und 11 des Ersturteils). Der Kläger begehrt die Deckung aus dem Versicherungsvertrag. Die Beklagte beantragt Klagsabweisung im wesentlichen mit der Begründung, dass der Kläger seine Obliegenheit zur Aufklärung des Schadensfalles mit Täuschungsvorsatz verletzt habe. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und kam zu dem Ergebnis, dass dem Kläger keine Obliegenheitsverletzung vorzuwerfen sei. Das Berufungsgericht änderte das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagsabweisung ab und vertrat in rechtlicher Hinsicht die Auffassung, dass der Kläger mit Schädigungs- oder Verschleierungs- bzw Täuschungsvorsatz die ihn treffende Obliegenheit, alle schriftlichen und mündlichen Angaben im Zuge der Schadenerhebung dem Versicherer richtig und vollständig zu machen, verletzt habe, sodass ihm der Kausalitätsgegenbeweis nach § 6 Abs 3 VersVG verschlossen sei. Die Darstellung des Klägers habe die Überzeugung hervorgerufen, dass die versicherte Ware aus England importiert worden sei. Dies lasse vordergründig auf die Absicht des Klägers schließen, den wahren Erwerbsvorgang zu verschleiern und Nachforschungen der Beklagten ins Ausland zu verweisen und damit zu erschweren.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers, mit einem Abänderungsantrag, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichtes zulässig, sie ist auch berechtigt.

Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall dienen dem Zweck, den Versicherer vor vermeidbaren Belastungen und ungerechtfertigten Ansprüchen zu schützen. Die Drohung mit dem Anspruchsverlust soll den Versicherungsnehmer motivieren, die Verhaltensregeln ordnungsgemäß zu erfüllen; ihr kommt eine generalpräventive Funktion zu (7 Ob 63/02v, Schwintowski, Berliner Kommentar, § 6 VVG, Rn 152). Nach ständiger Rechtsprechung trifft den Versicherer für das Vorliegen des objektiven Tatbestandes einer Obliegenheitsverletzung die Beweislast. Im Falle eines solchen Nachweises ist es dann Sache des Versicherungsnehmers, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen habe (7 Ob 63/02v, 7 Ob 102/01b, 7 Ob 319/01i, RIS-Justiz RS0081313 ua). Eine nur leichte Fahrlässigkeit bleibt demnach ohne Sanktion. Gelingt dem Versicherungsnehmer der Beweis der leichten Fahrlässigkeit nicht, so steht ihm nach § 6 Abs 3 VersVG auch bei schlicht vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung der Kausalitätsgegenbeweis offen (7 Ob 63/02v, 7 Ob 102/01b, 7 Ob 319/01i, Schauer, Das österreichische Versicherungsvertragsrecht3, 261 mwN, Prölss/Martin, VVG26, § 6 Rn 124). Unter Kausalitätsgegenbeweis ist der Nachweis zu verstehen, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalles noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluss gehabt hat (7 Ob 63/02v, 7 Ob 238/98w, 7 Ob 319/01i uva). Der Kausalitätsgegenbeweis ist strikt zu führen (7 Ob 63/02v, RIS-Justiz RS0081225). Der Kausalitätsgegenbeweis ist nur dann ausgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheit mit Schädigungs- oder Verschleierungs- bzw Täuschungsvorsatz verletzt, also mit dem Vorsatz handelt, die Leistungspflicht des Versicherers zu beeinflussen oder die Feststellung solcher Umstände zu beeinträchtigen, die erkennbar für die Leistungspflicht des Versicherers bedeutsam sind (7 Ob 63/02v, 7 Ob 102/01b, 7 Ob 74/00h, 7 Ob 17/01b uva). Der Versicherungsnehmer muss nachweisen, dass es ihm bei der Obliegenheitsverletzung am Täuschungsvorsatz mangelte (7 Ob 63/02v). Die rechtlichen Folgerungen des Berufungsgerichtes, die Darstellung des Klägers der Beklagten gegenüber sei täuschend und "lässt vordergründig auf die Absicht schließen, den wahren Erwerbsvorgang zu verschleiern und Nachforschungen der Beklagten ins Ausland zu verweisen und damit zu erschweren", es sei nicht nachgewiesen, dass der Kläger nicht in Täuschungsvorsatz gehandelt habe, entbehren einer entsprechenden Sachverhaltsgrundlage, da das Erstgericht zu den Handlungsmotiven des Klägers gar keine Feststellungen getroffen hat. Es ist dem Revisionswerber zuzugestehen, dass das Erstgericht auch nicht festgestellt hat, ob der Kläger die Möglichkeit erkannt hat, dass sein Verhalten die Leistungspflicht des Versicherers beeinträchtigen könnte und sich damit abgefunden hat, sodass rechtlich beurteilt werden könnte, der Kläger hätte mit dem Vorsatz, zumindest in der Form des dolus eventualis, gehandelt, die Beweislage nach dem Versicherungsfall zu Lasten des Versicherers zu manipulieren (vgl 7 Ob 158/97d, 7 Ob 74/00h). Für die Annahme eines dolus coloratus würde schon genügen, wenn die Obliegenheitsverletzung in der Absicht erfolgt, die Versicherungsleistung schneller und problemloser zu erhalten bzw, wenn feststeht, dass der Versicherer in die Irre geführt werden soll (7 Ob 102/01b, 7 Ob 105/02w). Genau solcher Feststellungen zu den Handlungsmotiven des Klägers, aus denen auf einen eventuell gegebenen Vorsatz des Klägers geschlossen werden kann oder nicht, bedarf es aber, um den vorliegenden Rechtsfall abschließend beurteilen zu können. Dem Berufungverfahren haftete also die gerügte Mangelhaftigkeit an, wenn es ohne andere Feststellungen nach Beweiswiederholung zu treffen, seiner Entscheidung einen hypothetischen Sachverhalt zugrundelegt (7 Ob 2146/96f; RIS-Justiz RS0043088, RS0041720; RS0043155, ua). Ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichtes forderte die Beklagte die Angabe näherer Umstände über den Erwerb der Handys. Auf Grund der Fragestellung des Sachbearbeiters der Beklagten war klar, dass es dem Versicherer darauf ankam, den Erwerb zu objektivieren, d. h. einen Lieferanten genannt zu bekommen, der nicht dem Kläger zuzurechnen ist. Genau dies hat aber der Kläger unterlassen, weil der Informationsinhalt derartiger Aufklärungen aus der Sicht des Versicherers bzw aus der eines objektiv beurteilenden Dritten zu untersuchen ist. Er nannte nur seinen Verkäufer, ein Unternehmen in England, und verschwieg, dass er dessen "Organ" (so die Feststellungen des Erstgerichtes) selber ist. Er hat sogar selbst das Antwortschreiben formuliert und nur die Unterfertigung durch eine andere Person veranlasst. Er hat - selbst nach den Feststellungen des Erstgerichtes - nicht offengelegt, dass diese Gesellschaft von ihm "geleitet" wird, und daher diese Auskunft wieder ihm zuzurechnen ist. Auch wenn der Inhalt des Briefes nach dem derzeitigen Feststellungsstand (sieht man von der fälschlichen Fertigung ab), nicht als wahrheitswidrig zu beurteilen wäre, gibt er den maßgeblichen Sachverhalt darin wiederum nicht vollständig wieder. So unterlässt es der Kläger, die Tatsachen über den Erwerb vollständig bekannt zu geben, nämlich das nicht dem Einfluss des Klägers unterstehende verkaufende Unternehmen zu nennen, um dem Versicherer eine Objektivierung des Ankaufs zu ermöglichen. Damit ist dem Kläger jedenfalls eine Obliegenheitsverletzung anzulasten. Der klagende Versicherungsnehmer muss nun beweisen, dass ihn daran keine grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz trifft bzw steht ihm der Kausalitätsgegenbeweis zu, wenn ihm nicht Schädigungs- oder Verschleierungs- bzw Täuschungsvorsatz zur Last liegt. Zur Beurteilung, ob dem Kläger der Entlastungsbeweis, dass ihm kein dolus coloratus zur Last liegt, gelingt, bedarf es also ausdrücklicher Feststellungen über den Willen des Klägers zu seinem Verhalten. Diese sind im fortzusetzenden Verfahren nachzuholen. Erst dann kann über den Klagsanspruch abschließend entschieden werden.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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