OGH 7Ob158/97d

OGH7Ob158/97d21.5.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Walter K*****, vertreten durch Dr.Heimo Berger, Rechtsanwalt in Villach, wider die beklagte Partei V***** AG, ***** vertreten durch Dr.Janko Tischler jun. und Mag.Kurt Oberleitner, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen S 73.495,20 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht vom 21.Februar 1997, GZ 4 R 50/97p-43, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 15.November 1996, GZ 16 C 1688/95i-35, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die hinsichtlich der Abweisung von S 10.000,-- samt 5 % Zinsen seit 21.4.1995 als unangefochten unberührt bleiben, werden im übrigen aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger ist Eigentümer eines PKW Mercedes, für den er bei der beklagten Partei eine Kaskoversicherung abgeschlossen hat, der die KKB 1993 und die AFIB 1993 zugrundeliegen. Nach dem Versicherungsvertrag ist das Fahrzeug unter anderem gegen Beschädigung durch eine Kollision mit einem unbekannten Fahrzeug (Parkschaden) ohne Selbstbeteiligung sowie gegen Beschädigung durch Unfall, wobei für letzteren Fall eine Selbstbeteiligung von 5 % der Versicherungsleistung, mindestens aber von S 10.000,-- vereinbart wurde, versichert.

Der Kläger stellte den PKW am 24.2.1995 um 23 Uhr in H***** in der in ostwestlicher Richtung verlaufenden V*****straße vor einem Geschäft in einer Schrägstellung nach rechts ab, wobei das Heck des PKWs ca 4,5 m östlich des westlichen Gehsteigrandes zum Stehen kam. Der Kläger suchte ein nahegelegenes Cafehaus auf, das er in der Nacht des 25.2.1995 verließ. Er ließ sich in einem anderen Fahrzeug nach Hause führen. Seinen PKW holte er um etwa 7 Uhr am 25.2.1995 vom beschriebenen Abstellplatz ab und fuhr damit nach Hause. Zu Mittag bemerkte er, daß der PKW einen Schaden im Bereich der linken Heckbegrenzung aufwies. Der Kläger meldete den Schaden gegen 14 Uhr dem Gendarmerieposten H***** Der erhebende Gendarmeriebeamte konnte an der vom Kläger genannten Unfallstelle keine Unfallspuren feststellen. Der PKW des Klägers wies ebenfalls keine Spuren von einer Kollision mit einem anderen Fahrzeug auf. Aufgrund des am PKW vorhandenen Schadensbildes, das der Gendarmeriebeamte fotografisch festhielt, ist davon auszugehen, daß der Schaden von einer Berührung des PKWs mit der senkrecht verlaufenden Kante eines Mauerwerkes stammt, wobei die Anprallgeschwindigkeit etwa 15 km/h betrug. Es ist auszuschließen, daß der Schaden durch einen anderen PKW verursacht wurde. Im übrigen kann nicht festgestellt werden, wann oder wodurch der Schaden entstand. Die zur Schadensbehebung erforderlichen Reparaturkosten betragen S 73.495,20.

Mit vorliegender Klage begehrte der Kläger diesen Betrag von der beklagten Partei als Versicherer mit der Behauptung, daß sein auf dem Parkstreifen abgestellter PKW in der Nacht zum 25.2.1995 im Bereich des Hecks durch ein anderes Fahrzeug schwer beschädigt worden sei. Die beklagte Partei verweigere die Zahlung der Reparaturkosten mit dem Hinweis, daß es sich nicht um einen Parkschaden handle.

Die beklagte Partei wendete ein, daß Beschädigungen durch unbekannte Kraftfahrzeuge vom Versicherungsschutz "nicht umfaßt" seien. Die Schäden seien nicht von einem unbekannten Kraftfahrzeug verursacht worden, sodaß mangels Risikoeinschlusses auch keine Ersatzpflicht gegenüber dem Kläger im Rahmen des Teilkaskoversicherungsvertrages bestehe.

Nach dem Vorliegen des Gutachtens des vom Erstgericht beigezogenen kfz-technischen Sachverständigen brachte der Kläger vor, daß er nicht nur eine Parkschaden-Kaskoversicherung, sondern auch eine Kollisions-Kaskoversicherung abgeschlossen habe. Er sei im guten Glauben gewesen, daß es sich um einen Parkschaden gehandelt habe. Nach dem nunmehr vorliegenden Gutachten handle es sich offensichtlich um einen Kollisionsschaden, der aber ebenfalls von der klagenden Partei zu tragen sei, wenn auch unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes von S 10.000,--.

Die beklagte Partei behauptete nunmehr, daß der Kläger offensichtlich einen von ihm selbst verschuldeten Verkehrsunfall erlitten und trotz Kenntnis dieses Eigenverschuldens einen Parkschadenunfall vorgetäuscht habe. Der Kläger habe daher wider besseres Wissen eine Leistung der beklagten Partei erwirken wollen. Dies stelle eine zumindest grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung dar, sodaß dem Kläger überhaupt keine Leistungen aus dem vorliegenden Kaskoversicherungsvertrag zustünden.

Der Kläger replizierte, daß Obliegenheiten lediglich für den Fall von Parkschäden vereinbart worden seien. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Kollisions-Kaskoversicherung seien ihm nicht bekannt gemacht und daher auch nicht Vertragsgrundlage geworden.

Das Gericht erster Instanz erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger S 63.495,20 sA zu zahlen und wies das Mehrbegehren von S 10.000,-- sA ab. Die behauptete Leistungsfreiheit im Sinn des Art 5 der AFIB 1993 sei zwischen den Streitteilen nicht wirksam vereinbart worden, weil dem Kläger weder die KKB noch die AFIB vorgelegen seien.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Entgegen der Ansicht des Erstgerichtes seien zwar die KKB und die AFIB unabhängig davon, ob sie dem Kläger ausgefolgt worden seien, Inhalt des Versicherungsvertrages geworden, weil der Versicherungsvertrag auf diese verweise (SZ 63/54; EvBl 1982/87). Die beklagte Partei habe zwar zu Recht die Liquidierung des Schadens aus der im Rahmen der Vollkaskoversicherung bestehenden Parkschadenversicherung abgelehnt. Sie hafte aber im Rahmen der Fahrzeug-Kollisionskaskoversicherung, weil die Berührung des PKWs mit dem Mauerwerk als Unfall im Sinn des Art 1.1.6 KKB 1993 zu werten sei. Eine Obliegenheitsverletzung im Rahmen der Kollisions-Kaskoversicherung habe die beklagte Partei aber nicht geltend gemacht. Eine Täuschungshandlung könne dem Kläger nicht vorgeworfen werden, zumal die beklagte Partei auch für den hier vorliegenden Kollisionsschaden leistungspflichtig sei. Daß durch den vom Kläger gegenüber der beklagten Partei zunächst behaupteten Parkschaden im konkreten Fall etwas verabsäumt worden sei, das zur Aufklärung des Sachverhaltes dienlich gewesen wäre, sei von der beklagten Partei nicht behauptet worden. Der Kläger habe den Schaden umgehend angezeigt, sodaß die beklagte Partei in der Lage gewesen sei, eine Überprüfung des am Fahrzeug entstandenen Schadens anzustellen. Dadurch habe geklärt werden können, daß es sich um keinen Parkschaden handle. Die Leistungsfreiheit sei daher selbst dann nicht gegeben, wenn die sich später als unrichtig herausstellende Meldung als Parkschaden als grobe Fahrlässigkeit zu werten wäre.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist zulässig und im Sinne einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen berechtigt.

Die zutreffende Rechtsansicht des Gerichtes zweiter Instanz, daß die KKB und die AFIB 1993 als vereinbart gelten (vgl. die vom Gericht zweiter Instanz zitierten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes), wird von den Parteien nicht mehr in Zweifel gezogen.

Daß sich die beklagte Partei unter anderem auch auf Leistungsfreiheit infolge Verletzung der Aufklärungsobliegenheit berufen hat, kann aufgrund ihres Vorbringens nicht zweifelhaft sein. Gemäß Art. 5.1 KKB und Art 3.1. AFIB 1993 trifft den Versicherungsnehmer die Obliegenheit (§ 6 Abs 3 VVG), nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen.

Gegenstand der Aufklärungspflicht sind in erster Linie der Unfallhergang und die Unfallursachen. Geschützt werden soll das Aufklärungsinteresse des Versicherers hinsichtlich aller Umstände, die für den Grund und die Höhe seiner Leistungspflicht aufgrund des Versicherungsfalls maßgeblich sind. Der Grund für die Sicherung des Aufklärungsinteresses durch eine Obliegenheit liegt in dem Umstand, daß die für die Leistungspflicht des Versicherers maßgeblichen Tatsachen der Sphäre des Versicherungsnehmers zuzurechnen sind. Ohne die Kenntnis von den Umständen, die zum Versicherungsfall geführt haben, ist der Versicherer nicht in der Lage, seiner vertraglichen Deckungspflicht zu entsprechen. Durch die Gewährleistung der erforderlichen Informationen soll verhindert werden, daß der Versicherer zu Unrecht in Anspruch genommen wird (Schauer, Versicherungsrundschau 1996, 93 ff).

Eine nicht der Wahrheit entsprechende Darstellung des Schadensereignisses gegenüber dem Versicherer stellt dann eine Verletzung der Aufklärungspflicht dar, wenn sie einen wesentlichen Punkt betrifft (7 Ob 25/95), wozu zweifellos die unrichtige Darstellung des Unfallsherganges gehört.

Gemäß § 6 Abs 3 VersVG tritt die Leistungsfreiheit des Versicherers nicht ein, wenn die Verletzung einer nach dem Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllenden Obliegenheit weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht. Eine nur leichte Fahrlässigkeit bleibt demnach ohne Sanktion. Selbst bei Vorsatz (ohne Täuschungsabsicht) oder grober Fahrlässigkeit kann der Versicherungsnehmer die Leistungsfreiheit ganz oder teilweise durch einen Kausalitätsgegenbeweis abwenden: Er kann den Nachweis führen, daß die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluß gehabt hat. Je nachdem, inwieweit der Beweis gelingt, ist der Versicherer dann ganz oder teilweise leistungspflichtig. Der Kausalitätsgegenbeweis ist allerdings ausgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer bei der Obliegenheitsverletzung mit dem Vorsatz handelte, die Leistungspflicht des Versicherers zu beeinflussen oder die Feststellung solcher Umstände zu beeinträchtigen, die erkennbar für die Leistungspflicht des Versicherers bedeutsam sind (Täuschungsvorsatz).

Nach ständiger Rechtsprechung hat der Versicherer das Vorliegen der objektiven Obliegenheitsverletzung zu beweisen, während der Versicherungsnehmer zu beweisen hat, daß er nur leicht fahrlässig gehandelt hat, oder er kann den Kausalitätsgegenbeweis führen (Schauer, Das österreichische Versicherungsvertragsrecht3, 261 mit zahlreichen Judikaturhinweisen).

Die Ansicht des Gerichtes zweiter Instanz, daß schon nach dem Vorbringen der beklagten Partei und den Feststellungen des Erstgerichtes eine Leistungsfreiheit der beklagten Partei nicht in Frage komme, läßt sich mit diesen Grundsätzen nicht vereinbaren. Die beklagte Partei hat vielmehr einen Sachverhalt behauptet, wonach Täuschungsvorsatz des Klägers im Sinn des letzten Satzes des § 6 Abs 3 VersVG anzunehmen wäre, bei dessen Vorliegen gänzliche Leistungsfreiheit gegeben wäre, selbst wenn die (beabsichtigte) Täuschung nur zum Entfall des Selbstbehaltes geführt hätte.

Die bisherigen Feststellungen lassen aber nicht erkennen, welchen Inhalt die Versicherungsmeldung des Klägers hatte, welche Auskünfte er allenfalls der beklagten Partei erteilte und welche Angaben er bei der Gendarmerie machte. Auch wenn die beiderseitigen Behauptungen darauf schließen lassen, daß der Kläger seine Ansprüche gegenüber der beklagten Partei von Anfang an mit der Behauptung begründet haben dürfte, daß ein Parkschaden vorliege, wurde dies weder außer Streit gestellt noch festgestellt. Sollte das Vorliegen der Verletzung der Aufklärungsobliegenheit erwiesen sein, wird weiters zu prüfen sein, ob dem Kläger Täuschungsvorsatz im Sinn des § 6 Abs 3 letzter Satz VersVG vorzuwerfen ist, wobei die insofern einander widersprechenden Behauptungen der Streitteile und insbesondere das Vorbringen des Klägers - dem sinngemäß zu entnehmen ist, er habe erst durch das in der mündlichen Streitverhandlung vom 9.9.1996 erstattete kraftfahrtechnische Gutachten davon erfahren, daß es sich nicht um einen Parkschaden gehandelt habe - nachzugehen sein wird.

Der im Rahmen der Beweiswürdigung des Erstgerichtes enthaltene Satz, daß mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, daß es dem Kläger bewußt gewesen sei, daß der Schaden nicht in der von ihm angegebenen Parkposition durch ein drittes Fahrzeug entstanden sei, ist hinsichtlich der entscheidenden Frage wenig aufschlußreich, zumal diese Ausführungen offen lassen, was genau dem Kläger bewußt gewesen sein soll. Im übrigen ist dieser Satzteil im Zusammenhang mit den Ausführungen des Erstgerichtes zur Beweiswürdigung zu sehen und soll offenbar die Feststellung untermauern, daß kein Parkschaden vorliegt. Wenn auch das Gesetz nicht geradezu Betrugsvorsatz verlangt, so muß doch immerhin dolus eventualis in bezug auf die Täuschung des Versicherers vorliegen; der Versicherungsnehmer muß also die Möglichkeit erkannt haben, daß die Feststellung der Umstände, die für die Leistungspflicht des Versicherers maßgeblich sind, beeinträchtigt werden kann und muß sich damit abfinden (Ertl in ZVR 1997, 2 ff, insbesondere 8; Schauer, Das österreichische Versicherungsvertragsrecht3, 260; vgl. zum Täuschungsvorsatz weiters 7 Ob 25/95). Da sich aufgrund der bisherigen Feststellungen insbesondere nicht ergibt, daß der Kläger im aufgezeigten Sinn schuldhaft gehandelt hat, der Kläger aber andererseits jeglichen Schuldvorwurf und insbesondere den Täuschungsvorsatz bestritten hat, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen zur Durchführung entsprechender Ergänzungen aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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