OGH 10ObS257/02w

OGH10ObS257/02w22.10.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und DI Walter Holzer (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ewald O*****, vertreten durch Mag. Markus Hager, Mag. Hans Teuchtmann, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wiedner Hauptstraße 84 - 86, 1051 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Erwerbsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14. Mai 2002, GZ 12 Rs 81/02x-51, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom 24. Jänner 2002, GZ 14 Cgs 79/00b-46, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 8. 8. 1942 geborene Kläger führte von 1973 bis 1995 als selbständiger Unternehmer einen Großhandel mit Uhren, Schmuck und Antiquitäten. Der Kläger war dabei im Wesentlichen als Ein- und Verkäufer im Außendienst tätig. Dienstnehmer hatte er nicht. Das Betreuungsgebiet des Klägers erstreckte sich auf das gesamte Bundesgebiet; teilweise wurden auch Kunden in Deutschland betreut. Der Kläger kann nur mehr leichte Arbeiten ohne wesentliche körperliche Belastung in aufrechter Körperhaltung verrichten, wobei er bei der Arbeit ein gut passendes Körpermieder tragen muss. Das Heben und Tragen schwerer Lasten von über 5 - 10 kg, das häufige Bücken sowie Arbeiten über Kopf sind dem Kläger nicht mehr möglich. Ausgeschlossen sind auch Arbeiten mit einer vermehrten Stressbelastung wie Fließband- oder Schichtarbeiten. Die kognitiven Leistungen des Klägers sind nicht beeinträchtigt.

Aufgrund dieses Leistungskalküls ist dem Kläger die weitere Ausübung der von ihm bisher verrichteten Tätigkeit als selbständiger Handelsvertreter nicht mehr möglich. Die Aufnahme einer Hilfskraft oder eines weitgehend ganztägig beschäftigten Dienstnehmers für die Tätigkeiten, die der Kläger aufgrund seiner Einschränkungen nicht mehr auszuüben vermag, wäre in dem von ihm geführten Betrieb wirtschaftlich nicht möglich gewesen. Nach seinem Leistungskalkül ist der Kläger allerdings in der Lage, ein Schmuckgeschäft (entsprechend dem Tätigkeitsbild eines stationären Detailhandels) zu führen und einen solchen Routinebetrieb aufrecht zu erhalten. Wegen seines Bluthochdrucks ausgeschlossen sind die (erhöhten Stress-)Belastungen, die mit der Neugründung bzw Übernahme eines derartigen Betriebes verbunden sind.

Mit Bescheid vom 14. 2. 2000 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 7. 9. 1999 auf Gewährung der Erwerbsunfähigkeitspension ab.

Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab, da Erwerbsunfähigkeit iSd § 133 Abs 2 GSVG nicht vorliege. Wohl habe der Kläger zum Stichtag 1. 10. 1999 das 50. Lebensjahr vollendet gehabt, und es sei auch die Notwendigkeit der persönlichen Arbeitsleistung des Versicherten zur Aufrechterhaltung des Betriebes gegeben gewesen. Dem Kläger sei allerdings noch die Aufrechterhaltung eines Routinebetriebs eines Schmuckgeschäfts möglich. Diese selbständige Tätigkeit erfordere eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die vom Kläger in der zuvor zumindest durch 60 Kalendermonate ausgeübten selbständigen Tätigkeit als Handelsreisender im Handel mit Uhren, Schmuck und Antiquitäten. Unbeachtlich sei in diesem Zusammenhang der Umstand, dass dem Kläger sowohl aus wirtschaftlichen als auch aus gesundheitlichen Gründen die Belastungen, die mit der Neugründung bzw Übernahme eines derartigen Betriebes verbunden seien, nicht mehr zumutbar seien. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und führte in rechtlicher Hinsicht aus, dass der Kläger im Rahmen des § 133 Abs 2 GSVG zwar einen Berufsschutz, nicht aber einen Tätigkeitsschutz genieße. Bei der Beurteilung der Frage, ob der Kläger außer Stande sei, einer artverwandten selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, komme es nicht auf die wirtschaftliche Situation und die Möglichkeit einer Umorganisation des konkret geführten Betriebes an, sondern auf den durchschnittlichen Betrieb eines solchen Handelsgewerbes. Der Frage, ob eine solche Verweisungstätigkeit im Einzelfall auch tatsächlich erlangt werden könne oder ob ihr faktische oder rechtliche Gesichtspunkte entgegen stünden, komme keine Bedeutung zu, daher auch nicht dem Umstand, dass eine Betriebsgründung für den Versicherten aus gesundheitlichen Gründen ausgeschlossen sei. Andernfalls käme man zu völlig willkürlichen Ergebnissen, abhängig von den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls. Die Erlangung der Erwerbsunfähigkeitspension würde sich danach orientieren, ob der Versicherte am Stichtag noch oder bereits über einen geeigneten Betrieb verfüge, in dem er die objektiv zumutbare Verweisungstätigkeit ausüben könne. Ausschlaggebend sei allein, ob die selbständig auszuübende Verweisungstätigkeit - ohne Rücksicht auf das Vorliegen eines „Arbeitsmarktes" oder die Zahl der das betreffende Gewerbe betreibenden Unternehmen - die Aufrechterhaltung einer wirtschaftlich vertretbaren Betriebsführung ermögliche. Die Verweisung im Rahmen des § 133 Abs 2 GSVG habe daher immer abstrakt und unabhängig von der konkreten Situation im Einzelfall zu erfolgen. In ähnlicher Weise müssten sich unselbständig Erwerbstätige auf alle ihnen zumutbaren Berufe des gesamten österreichischen Arbeitsmarktes grundsätzlich ohne Rücksicht darauf verweisen lassen, ob ein entsprechender Dienstposten konkret zu finden sei. Zu Recht sei daher im Fall des Klägers das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit verneint worden.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagsstattgebung abzuändern. Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts ist zutreffend (§ 510 Abs 3 ZPO).

Der Argumentation in der Revision, der Kläger dürfe auch unter Berücksichtigung des Prinzips der abstrakten Verweisbarkeit nicht auf etwas - aus gesundheitlichen Gründen - faktisch Unmögliches, nämlich auf ein selbständiges Tätigwerden in einem erst neu zu gründenden bzw zu übernehmenden Betrieb verwiesen werden, ist Folgendes entgegen zu halten:

Nach § 133 Abs 2 GSVG idF der 19. GSVG-Novelle gilt auch ein Versicherter als erwerbsunfähig, der das 50. Lebensjahr vollendet hat und dessen persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war, wenn er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte außerstande ist, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwerbstätigkeit erfordert, die der Versicherte zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat. Der Gesetzgeber verfolgte mit der Novellierung dieser Bestimmung die Absicht, dass ab dem 50. Lebensjahr für Kleingewerbetreibende zur Beurteilung der dauernden Erwerbsunfähigkeit nur mehr eine qualifizierte Verweisung zulässig sein soll, so wie das auch bei erlernten oder angelernten Berufen unselbständig Erwerbstätiger schon vor dem 50. Lebensjahr der Fall ist (§ 255 Abs 1 und 2 ASVG). Ein Tätigkeitsschutz soll allerdings zwischen dem 50. und dem 57. Lebensjahr weiterhin nicht bestehen (RIS-Justiz RS0086434 [T1], RS0086348 [T1]). Für eine Verweisung kommen alle selbständigen Tätigkeiten in Betracht, die eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die zuletzt ausgeübte Erwerbstätigkeit erfordern. § 133 Abs 2 GSVG stellt - im Gegensatz zu § 133 Abs 3 GSVG - nicht auf die konkret ausgeübte selbständige Tätigkeit und die bisherige Betriebsstruktur ab, sondern nur auf die Kenntnisse und Fähigkeiten, die für die durch 60 Monate ausgeübte selbständige Tätigkeit erforderlich waren, wobei für diese Beurteilung die Erfordernisse in einem branchentypischen Betrieb maßgeblich ist (SSV-NF 13/114; RIS-Justiz RS0086448 [T9]). Dem Versicherten soll bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 133 Abs 2 GSVG nicht zugemutet werden, völlig neue Kenntnisse zu erwerben oder nunmehr einer unselbständigen Tätigkeit nachzugehen (SSV-NF 11/25 mwN; 10 ObS 101/02d uva).

Die Verweisung hat auch im Rahmen des § 133 Abs 2 GSVG abstrakt zu erfolgen. Der Frage, ob eine Verweisungstätigkeit im Einzelfall tatsächlich erlangt werden kann oder ob dem faktische oder rechtliche Gesichtspunkte, zum Beispiel die Nichterfüllung einer behördlichen Auflage, entgegen stehen, kommt keine Bedeutung zu (RIS-Justiz RS0105187 [T2]). Unter Bedachtnahme darauf, dass die konkret ausgeübte selbständige Tätigkeit und die bisherige Betriebsstruktur keinen Einfluss auf die Verweisbarkeit haben, kann es auch nicht maßgeblich sein, ob zur tatsächlichen Ausübung des Verweisungsberufes Umorganisationsmaßnahmen notwendig sind, die so weit gehen, dass im Verweisungsberuf ein Betrieb neu gegründet oder ein bestehender Betrieb übernommen werden muss. Entscheidend ist allein, ob abstrakt eine selbständige Tätigkeit ausgeübt werden kann, die eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die zuletzt ausgeübte Erwerbstätigkeit erfordert, wobei eine wirtschaftlich vertretbare Betriebsführung gewährleistet sein muss. Die Frage, ob eine solche Tätigkeit erlangt werden kann, hat auch im Rahmen des § 133 Abs 2 GSVG außer Betracht zu bleiben, und zwar auch dann, wenn die Neugründung oder Übernahme eines Betriebes aus gesundheitlichen Gründen ausgeschlossen ist (zur Unmaßgeblichkeit der Bereitschaft zur Übernahme des wirtschaftlichen Wagnisses einer selbständigen Erwerbstätigkeit vgl SSV-NF 12/124; RIS-Justiz RS0085902 [T3]). Entscheidend ist - wie erwähnt - die abstrakte Möglichkeit der Ausübung der Tätigkeit im Sinne der wirtschaftlichen Führung eines (bestehenden) Betriebes. Zu Recht hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass sich andernfalls die Erlangung der Erwerbsunfähigkeitspension danach orientieren würde, ob der Versicherte am Stichtag noch oder bereits über einen geeigneten Betrieb verfüge, in dem er die objektiv zumutbare Verweisungstätigkeit ausüben könne.

Da die Vorinstanzen zutreffend die Verweisbarkeit bejaht haben, ist der Revision ist ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht dargetan und sind nach der Aktenlage auch nicht ersichtlich.

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