OGH 11Os99/02

OGH11Os99/021.10.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. Oktober 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Teffer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Martin Stefan Franz P***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Jugendschöffengericht vom 18. April 2002, GZ 13 Hv 42/02a-42, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Schroll, des Angeklagten und seines Verteidigers zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung gegen den Strafausspruch und das Adhäsionserkenntnis wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil der am 9. Dezember 1983 geborene Martin P***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er am 28. Februar 2001 in Villach im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem namentlich nicht ausgemittelten Mittäter als unmittelbarer Täter

I. Kerstin M***** mit schwerer gegen sie gerichteter Gewalt, nämlich dadurch, dass beide sie erfassten, den Mund zuhielten, beide Arme hinter dem Nacken fixierten, sie in weitere Folge in ein Zimmer zerrten, dort auf einem Bett fixierten, beide Arme über dem Kopf festhielten, den Mund mit einem Klebeband zuklebten, den Unterkörper entkleideten, sie im Bereich der Brüste und der Scheide betasteten und gewaltsam die Beine auseinander zwängten, zur Duldung des Beischlafs bis zum Samenerguss mit Martin P***** nötigte;

II. unmittelbar nach den zu I. angeführten Tathandlungen Kerstin M***** durch eine gefährliche Drohung, nämlich durch die zweimalige Äußerung: "Wenn du etwas sagst, mache ich es nochmal!", zur Unterlassung der Anzeigeerstattung hinsichtlich der zu I. angeführten Tathandlung nötigte.

Gegen diesen Schuldspruch richtet sich die auf die Gründe der Z 4, 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der jedoch keine Berechtigung zukommt:

Rechtliche Beurteilung

Durch die in der Verfahrensrüge (Z 4) tritisierte Abweisung des Antrages auf Durchführung eines Ortsaugenscheins zum Beweis dafür, dass es dem Beschwerdeführer nach 22.00 Uhr nicht möglich war, den Burschentrakt (des Internats) zu verlassen und auch keine Möglichkeit bestand, über ein Fenster oder eine sonstige Öffnung vor den Burschentrakt zu gelangen und dorthin wieder zurückzukehren (S 352), wurden Verteidigungsrechte nicht beeinträchtigt. Denn angesichts der mängelfrei (siehe unten zu Z 5) angenommenen nicht mehr abklärbaren Ausgangssituation im Tatzeitraum, insbesondere ob die Verbindungstüren zwischen den grundsätzlich getrennten Herrntrakten (US 4) tatsächlich versperrt waren oder den Tätern ein zu deren Öffnung geeigneter Schlüssel zur Verfügung stand, kann aus der beantragten Beweisaufnahme kein für die Schuldfrage relevantes Ergebnis erwartet werden. Die diese Umstände ausklammernden Beschwerdeeinwände zielen vielmehr in Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung auf eine Bekämpfung der eine solche unüberwindliche Sperre der Verbindungstüren verneinenden Beweiswürdigung des Schöffengerichts. Den weiteren Beschwerdeausführungen zuwider wies das Erstgericht überdies den Antrag auf neuerliche Vernehmung des Zeugen Wolfgang G***** zu Recht ab (S 351 f), zumal es ohnedies ausdrücklich von den damit angestrebten, für die Schuldfrage außerdem bedeutungslosen, Beweisergebnis, nämlich mehrfache Drohanrufe dieses Zeugen bei Kerstin M*****, ausgegangen ist (US 10). Die in der Beschwerde dazu angestellten weiteren Erwägungen über allenfalls aus dieser Zeugenaussage zu gewinnende Erkenntnisse gehen einerseits nicht von den im Zeitpunkt der Stellung des Antrags vorgebrachten Gründen aus und können daher im Rechtsmittelverfahren nicht berücksichtigt werden (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 4 E 41); zum anderen erschöpfen sich die Rechtsmittelausführungen in spekulativen, mit der Schuldfrage nicht im Zusammenhang stehenden Erwägungen nach Art eines unzulässigen Erkundungsbeweises.

In der Mängelrüge (Z 5) versucht der Beschwerdeführer die nicht nur auf die Lebenserfahrung, sondern insbesondere auch auf die Angaben des Zeugen Christian L***** gestützten Beweiserwägungen der Tatrichter über Möglichkeiten von Internatsschülern, zu einem Schlüssel für diese Verbindungstüren zu kommen (US 8 f), mit der unsubstantiierten und keine denkgesetzwidrige Schlussfolgerung aufzeigbaren Behauptung einer in den Erwägungen der Tatrichter zum Ausdruck gebrachten bloßen Scheinbegründung in Form einer im schöffengerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung zu bekämpfen.

Die in der Rechtsrüge (Z 9 lit a) reklamierten Feststellungsmängel zu fehlenden Möglichkeiten des Angeklagten vom Burschen- in den Mädchentrakt zu gelangen, übergehen die dazu entgegengesetzte Urteilsannahme, wonach es dem Beschwerdeführer und seinem unbekannten Mittäter auf nicht näher klärbare (für die Schuldfrage im Detail auch nicht bedeutsame) Weise gelungen war, in den Mädchentrakt zu gelangen (US 9). Inhaltlich erweist sich daher die Rechtsrüge abermals als eine Bekämpfung der Beweiswürdigung des Schöffengerichtes nach Art einer hier unzulässigen Schuldberufung.

Soweit der Beschwerdeführer darüber hinaus die Feststellung reklamiert, dass das Tatopfer dem (leugnenden) Angeklagten nahezu unbekannt war, lässt er jegliche Ausführung dazu vermissen, welcher schulderhebliche Tatumstand in diesem Zusammenhang betroffen sein könnte.

Die in der Subsumtionsrüge (Z 10) bekämpfte rechtliche Bewertung der festgestellten Tathandlung als schwere Gewalt im Sinn des § 201 Abs 1 StGB ist irrtumsfrei.

Unter schwerer Gewalt ist die Anwendung überlegener physischer Kraft zu verstehen, die auf die Überwindung eines wirklichen oder nur erwarteten Widerstandes des Opfers gerichtet ist und einen hohen Grad der Intensität oder Gefährlichkeit erreicht (Foregger/Fabrizy StGB7 § 201 Rz 4). Darunter fallen nicht nur jene Aggressionshandlungen, mit denen in der Regel eine Lebensgefahr verbunden ist, bei denen gefährliche Waffen verwendet oder Gewalt gegen besonders gefährdete oder empfindliche Körperregionen ausgeübt wird. Vielmehr ist die jeweils eingesetzte Gewalt unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände des Einzelfalles nach einem objektiv-individualisierenden Maßstab zu beurteilen (15 Os 122/97; 11 Os 101/95). Als Indiz für eine solche einen höheren Grad der kriminellen Intensität und Gefährlichkeit erreichende schwere Gewalt ist unter anderem eine von mehreren Personen gemeinschaftlich ausgeübte Gewalt anzusehen (Kienapfel/Schmoller BT III §§ 201 bis 203 Rz 30; Schick in WK2 § 201 Rz 14; Foregger/Fabrizy StGB7 § 201 Rz 4; vgl auch 12 Os 88/01). Sie ist überdies auch dann anzunehmen, wenn gegen die eingesetzten Aggressionshandlungen eine erfolgreiche Abwehr aus psychischen oder physischen Gründen nach allgemeiner Erfahrung unmöglich ist (vgl Foregger/Fabrizy StGB7 § 201 Rz 4; EvBl 1992/79).

Fallbezogen beweist bereits das Verkleben des Mundes in Art einer Verknebelung eine besonders brutale, gerichtsnotorisch für die Atemfunktion besonders gefährliche (vgl US 13) Vorgangsweise, die unter Berücksichtigung der massiven, eine effektive Gegenwehr als aussichtslos ausschließenden (US 5) und eine völlige Wehrlosigkeit bewirkenden (US 13) Gewaltanwendung durch zwei Angreifer eine vehement eingesetzte physische Kraft offenbart und damit deutlich oberhalb der Schwelle der erheblichen Gewalt iSd dreistufigen Gewaltbegriffs des StGB liegt (vgl Schick in WK2 § 201 Rz 12; EvBl 1992/97; 13 Os 61/96; 15 Os 31/93). Aus all diesen Erwägungen erweisen sich die inkriminierten Tathandlungen in einer Gesamtschau als schwere Gewalt iSd § 201 Abs 1 StGB. Die rechtliche Unterstellung der dem Beschwerdeführer angelasteten Tat unter diesen Tatbestand erfolgte daher zu Recht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war demnach zu verwerfen. Das Jugendschöffengericht verhängte über den Angeklagten nach §§ 28, 201 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 5 (Z 4) JGG eine Freiheitsstrafe im Ausmaß von zwei Jahren, wobei das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen als erschwerend, die bisherige Unbescholtenheit (gemeint ersichtlich: der bisher ordentliche Lebenswandel und die mit dem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch stehende Tat [§ 34 Abs 1 Z 2 StGB]) hingegen als mildernd gewertet wurden. Außerdem wurde der Angeklagte gemäß § 369 Abs 1 StPO zur Leistung eines Teilschmerzengeldbetrages von 100 EUR an die Privatbeteiligte Kerstin M***** verpflichtet.

Der eine Reduzierung des Strafmaßes und die Gewährung bedingter oder zumindest teilbedingter Strafnachsicht anstrebenden Berufung des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Zusätzlich zu beachtende Milderungsgründe vermochte der Berufungswerber nicht aufzuzeigen. Der Hinweis auf "§ 34 Abs 2" (gemeint § 34 Abs 1 Z 2 StGB) geht fehl, weil dieser mildernde Umstand dem Angeklagten ohnedies zugutegehalten und damit auch die von der Berufung hervorgehobene Unbescholtenheit, der bloß indizierende Bedeutung zukommt, berücksichtigt wurde. Weil auch von einem Überwiegen der Milderungsgründe entgegen der von der Berufung unsubstantiiert vorgebrachten Behauptung keine Rede sein kann, besteht zu einer Minderung der vom Jugendschöffensenat bestimmten Strafe kein Anlass.

Gründe, die die Erwägungen der Tatrichter zur Frage der Gewährung bedingter oder teilbedingter Strafnachsicht zugunsten des Angeklagten relativieren könnten - der Hinweis auf das jugendliche Alter des Berufungswerbers genügt dazu nicht -, wurden in der Berufung nicht vorgebracht und sind auch nicht zu erkennen. Der Berufung wegen Strafe war daher ein Erfolg zu versagen.

Der gegen das Adhäsionserkenntnis erhobene Einwand mangelnder gesetzlicher Fundierung übergeht die ausdrückliche Bezugnahme des Schöffengerichtes auf die Bestimmung des § 1328 ABGB und den ersichtlich auf die unmittelbar durch die demütigende Tathandlung gestützten, nach der zitierten Bestimmung prinzipiell auch zustehenden Anspruch auf Ersatz ideellen Schadens, der in der geltend gemachten Höhe von nur 100 EUR - und nur darauf bezieht sich die diesen Anspruch als lediglich symbolhaft charakterisierende Bemerkung des Erstgerichtes - keiner weiteren Behauptungen, Nachweise oder Feststellungen, etwa zum Ausmaß physischer oder psychischer Folgewirkungen, bedarf (vgl 13 Os 13/02). Damit erweist sich auch die Berufung gegen den Privatbeteiligtenzuspruch als unbegründet. Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a StPO.

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