OGH 13Os61/96 (13Os62/96)

OGH13Os61/96 (13Os62/96)2.10.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 2.Oktober 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Markel, Dr.Mayrhofer, Dr.Ebner und Dr.Rouschal als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Klotzberg als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Franz S***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 19.Dezember 1995, GZ 6 d Vr 8.824/95-53, und über die Beschwerde des Angeklagten (§ 494 a Abs 4 StPO) nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Wasserbauer, des Angeklagten und der Verteidigerin Dr.Christine Wolf zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlaß (§ 290 Abs 1 StPO) wird

1. das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt,

a) in den Schuldsprüchen (A 2) wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und (C) wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB,

b) demgemäß auch im Strafausspruch mit Ausnahme der Vorhaftanrechnung, ferner

2. der Widerrufsbeschluß

aufgehoben.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Im Umfang der Aufhebung - ausgenommen das Urteilsfaktum C - wird die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Franz S***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (A 1 und 2) sowie der Vergehen der (teils versuchten, teils vollendeten) Nötigung nach § 105 Abs 1 (und § 15) StGB (B), der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (C) und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (D) schuldig erkannt.

Darnach hat er in Wien

(zu A) Snezana N***** mit schwerer, gegen sie gerichteter Gewalt zur Duldung des Beischlafes bzw einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung genötigt, und zwar

1) am 24.Juni 1994 durch Ziehen an den Haaren, Versetzen von Faustschlägen ins Gesicht und gegen den Körper, Würgen am Halse und Zuhalten ihres Mundes zur Durchführung eines Geschlechts- und eines Oralverkehrs,

2) zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten zwischen Anfang Jänner und Mitte Juni 1994 durch Ziehen an den Haaren, Schlagen und Zubodenwerfen jeweils zur Duldung eines Geschlechtsverkehrs,

(zu B) von Anfang Juni bis 24.Juni 1994 Snezana N***** wiederholt durch Drohung mit dem Umbringen zur Abstandnahme einer Anzeigeerstattung genötigt bzw zu nötigen versucht;

(zu C) am 24.Juni 1994 Snezana N***** durch die zu A 1 angeführten Gewalttätigkeiten, wodurch sie Blutunterlaufungen am ganzen Körper erlitt, (vorsätzlich) am Körper verletzt;

(zu D) am 24.September 1994 durch Zertrümmern zweier Aschenbecher (vorsätzlich) fremde Sachen beschädigt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Schuldsprüche A und B des Urteilssatzes richtet sich die auf die Z 5, 5 a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der auch den Strafausspruch - ebenso wie die Staatsanwaltschaft - mit Berufung und einen Widerrufsbeschluß mit Beschwerde bekämpft.

Der Nichtigkeitsbeschwerde kommt nur zum Teil Berechtigung zu:

Als unzulässige Kritik an der Beweiswürdigung des Schöffengerichtes sind jene Beschwerdeausführungen (Z 5), die unter Hinweis auf die nach Meinung des Angeklagten unglaubwürdige Tatschilderung der Snezana N***** die Beweiskraft ihrer belastenden Aussage in Zweifel zu ziehen suchen, einer sachlichen Erörterung schon deshalb entzogen, weil damit ein formeller Begründungsfehler im Sinne des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes nicht aufgezeigt wird. Davon abgesehen konnten sich die Tatrichter, die auch die psychische Erkrankung N*****s nicht unberücksichtigt ließen (US 5), in der Hauptverhandlung unmittelbar ein persönliches Urteil über die Glaubwürdigkeit dieser Zeugin bilden (Mayerhofer/Rieder StPO3 § 270 Z 5 ENr 134 f), deren Darstellung auch keineswegs die alleinige Grundlage für die bekämpfte Feststellung ist (US 5, 6).

Die vom Beschwerdeführer hervorgehobenen Divergenzen in den Angaben des Tatopfers über die Anzahl der Vergewaltigungen betreffen keine für die rechtliche Beurteilung der Tat entscheidende Tatsache. Zudem liegt zwischen den Depositionen der Zeugin im Vorverfahren, in denen sie eine bestimmte Zahl von Angriffen nicht nannte, und jenen in der Hauptverhandlung, in der sie deren Zahl auf drei beschränkte, kein Widerspruch. Die Urteilsannahme, daß zwischen Jänner und Juni 1994 "zu nicht mehr feststellbaren verschiedenen Zeitpunkten" Tathandlungen vorgenommen wurden, findet daher im Beweisergebnis Deckung.

Mit dem zum Faktum A 1 aktenkundigen (S 105) Umstand des Fehlens von Spermaspuren hat sich das Erstgericht auseinandergesetzt (US 6), sodaß auch insoweit der behauptete Begründungsmangel dem Urteil nicht anhaftet.

Nicht stichhältig ist auch das Beschwerdevorbringen zur Tatsachenrüge (Z 5 a), mit welchem der Angeklagte erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen nicht zu erwecken vermag.

Dem Vorbringen zur Rechtsrüge (Z 9 lit a) zuwider enthalten die mit dem Urteilsspruch eine Einheit bildenden Entscheidungsgründe zu den Urteilsfakten A und B sehr wohl die vom Beschwerdeführer vermißten konkreten Feststellungen über den jeweiligen Tathergang. Er übersieht auch, daß die von ihm als fehlend gerügte Feststellung über die Art der geistigen Erkrankung der Zeugin Snezana N***** ebensowenig einen für die rechtliche Tatbeurteilung relevanten Umstand darstellt, wie die jeweilige "Vorgeschichte" der Tathandlungen.

Im aufgezeigten Umfang war somit der Nichtigkeitsbeschwerde ein Erfolg zu versagen.

Sie erweist sich jedoch, soweit die Unterlassung von Konstatierungen über das Bestehen einer Lebensgemeinschaft zur Tatzeit als Feststellungsmangel (der Sache nach Z 9 lit b) moniert wird, in Ansehung des Urteilsfaktums A 2 im Ergebnis als begründet.

Es trifft zwar zu, daß wie das Schöffengericht ausführt, die privilegierende Bestimmung des § 203 Abs 1 StGB, wonach für die strafgerichtliche Verfolgung der Verbrechen der Vergewaltigung und der geschlechtlichen Nötigung (sofern diese Delikte an Personen begangen werden, die mit dem Täter in einer außerehelichen Lebensgemeinschaft leben), grundsätzlich der Antrag der verletzten Person erforderlich ist, für den Fall der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB nicht gilt. Insofern ist die Frage des Bestehens einer Lebensgemeinschaft daher nicht entscheidungsrelevant.

Im vorliegenden Fall trifft dies allerdings nur für das Urteilsfaktum A 1 zu. Der dem Schuldspruch zu A 2 zugrundeliegende Urteilssachverhalt hingegen wurde vom Erstgericht, wovon sich der Oberste Gerichtshof aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde, die diesen materiellen Nichtigkeitsgrund (Z 10) nicht relevierte, überzeugen konnte (§ 290 Abs 1 StPO), zum Nachteil des Angeklagten rechtsirrig als Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB beurteilt.

Die Vergewaltigungsfälle des § 201 StGB unterscheiden sich in der Schwere der eingesetzten Tatmittel. Während beim Verbrechen der (minderschweren) Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB jede Art von Gewalt im Sinne des Einsatzes nicht ganz unerheblicher physischer Kraft zur Überwindung eines wirklichen oder vermuteten Widerstandes ausreicht, ist für das nach § 201 Abs 1 StGB qualifizierte Verbrechen die Anwendung schwerer Gewalt tatbestandsnotwendig. Davon kann, berücksichtigt man, daß einerseits jeder Gewaltanwendung zur Vergewaltigung ein bestimmtes Maß brutaler und rücksichtsloser Aggression innewohnt und andererseits schon dort, wo das Strafgesetzbuch auf das Tatbestandsmerkmal erheblicher Gewalt abstellt (§ 84 Abs 3 StGB, § 142 Abs 2 StGB) darunter eine beachtliche, in vehementer Weise eingesetzte physische Kraft verstanden wird (vgl 11 Os 30/91), nur dann gesprochen werden, wenn die Gewaltanwendung deutlich oberhalb der Schwelle der erheblichen Gewalt liegt. Dies trifft dann zu, wenn sie einen höheren Grad der kriminellen Intensität oder Gefährlichkeit erreicht, so etwa, wenn sie - im Rahmen der deliktsspezifischen Variationsbreite - in besonders brutalen und/oder rücksichtslosen Aggressionshandlungen besteht, gegen die eine erfolgreiche Abwehr aus physischen oder psychischen Gründen erfahrungsgemäß unmöglich ist (EvBl 1992/79).

In den unter A 2 genannten Fällen tat der Beschwerdeführer Snezana N***** nach den Urteilsannahmen dadurch "Gewalt an, indem er sie an den Haaren zog, schlug und auf den Boden warf". Die im Urteil solcherart umschriebenen Aggressionshandlungen können nach dem Vorgesagten - anders als die weitergehenden und zum Faktum A 1 angeführten - dem Begriff der "schweren Gewalt" mangels einer höhergradig intensiven Gewaltanwendung jedoch nicht unterstellt werden. Rechtsrichtig wären daher die unter A 2 bezeichneten Taten als (minderschwere) Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB zu beurteilen.

Für deren gerichtliche Verfolgbarkeit ist aber ein darauf abzielender formeller Antrag (§ 2 Abs 4 StPO) - die bloße Erwähnung der inkriminierten Vorfälle im Rahmen einer sicherheitsbehördlichen oder gerichtlichen Einvernahme genügt hiefür nicht - der verletzten Person erforderlich, wenn zwischen ihr und dem Täter zum Tatzeitpunkt eine Lebensgemeinschaft bestanden hat.

Weil nun das Vorliegen einer - vom Angeklagten behaupteten, von Snezana N***** aber bestrittenen - Lebensgemeinschaft vom Erstgericht, das diesen Umstand infolge des ihm unterlaufenen Rechtsirrtums für entbehrlich hielt, nicht festgestellt wurde bzw ein Antrag zur Verfolgung bezüglich des Faktums A 2 nicht voliegt, ist dieser Schuldspruch zu A 2 (zudem auch) mit dem (weitergreifenden) Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO behaftet, der insoweit dessen Aufhebung und die Anordnung einer Verfahrensergänzung erzwingt.

Das Gesetz wurde aber noch in einem weiteren Punkt zum Nachteil des Angeklagten, und zwar insofern unrichtig angewendet, als dieser wegen der leichten Verletzungen, die er seinem Opfer bei dessen Vergewaltigung (A 1 des Urteilssatzes) zugefügt hat, auch des Vergehens nach § 83 Abs 1 StGB (C) schuldig erkannt wurde. Denn bei allen Delikten, bei denen der Eintritt schwerer Verletzungsfolgen zur Ausmessung der Strafe nach einem höheren Strafsatz führt, ist die leichte Verletzung nicht als idealkonkurrierendes Delikt zu werten (Mayerhofer-Rieder StGB4 § 28 E 19). Diese Konsumtion gilt infolge der Qualifikationsbestimmung des § 201 Abs 3 StGB auch im Verhältnis zum Vergehen der Vergewaltigung nach § 201 StGB (Kienapfel BT I3 RN 54 mwN), sodaß hiebei erfolgte leichte Körperverletzungen nicht gesondert nach § 83 StGB zuzurechnen sind (s auch Leukauf-Steininger Komm3 § 201 RN 33).

Schon bei einer nichtöffentlichen Beratung war daher der Schuldspruch zu C aufgrund der gemäß § 290 Abs 1 StPO zu beachtenden Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 10 StPO ersatzlos und jener zu A 2 unter Anordnung der Verfahrenserneuerung zu kassieren (§ 285 e StPO) und im übrigen wie im Spruch zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung ist in § 390 a StPO begründet.

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