OGH 15Os122/97 (15Os123/97)

OGH15Os122/97 (15Os123/97)25.9.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 25.September 1997 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Strieder, Dr.Rouschal, Dr.Schmucker und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Rohan als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Karl Leopold H***** wegen des Verbrechens der versuchten Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 17.Juni 1997, GZ 10 Vr 141/97-41, und die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Unterlassung einer Beschlußfassung gemäß § 494 a StPO, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Kirchbacher, des Angeklagten Hochwarter, und des Verteidigers Dr.Mayrhofer, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Der Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und gemäß § 53 Abs 1 StGB (§ 494 a Abs 1 Z 4 StPO) der mit Entschließung des Bundespräsidenten vom 15.Dezember 1994 (Erlaß des Bundesministeriums für Justiz, Zl 4722/100-IV 5/94) zum AZ 14 E Vr 1745/90 des Landesgerichtes Klagenfurt bedingt nachgesehene Strafrest von 4 (vier) Monaten und 11 (elf) Tagen widerrufen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Karl Leopold H***** des Verbrechens der versuchten Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB sowie der Vergehen des schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 1 StGB und der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 11.Jänner 1997 in Bärnbach

1. dadurch, daß er Gerda D***** von hinten mit beiden Armen erfaßte, zu Boden stieß, mit der linken Hand ihren Kopf im Schnee fixierte, ihr sämtliche Beinkleider nach unten riß und mit seinem erigierten Penis in den Geschlechtsteil der Gerda D***** einzudringen versuchte, eine Person mit schwerer gegen sie gerichteten Gewalt zur Duldung des Beischlafes zu nötigen versucht,

2. Gerda D***** eine fremde bewegliche Sache, nämlich einen Bargeldbetrag von 800 S, unter Ausnützung des von ihm durch den Vergewaltigungsversuch herbeigeführten hilflosen Zustandes des Opfers mit dem Vorsatz weggenommen, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern,

3. Gerda D***** dadurch geschädigt, daß er eine fremde bewegliche Sache, nämlich deren Handtasche aus ihrer Gewahrsam dauernd entzog, ohne die Sache sich oder einem Dritten zuzueignen, indem er sie in einen Müllcontainer warf.

Gegen dieses Urteil richtet sich eine auf die Nichtigkeitsgründe der Z 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Den Strafausspruch bekämpfen er und die Staatsanwaltschaft mit Berufung; gegen den unterlassenen Widerruf eines Strafrestes aus einer Weihnachtsamnestie zum Verfahren 14 E Vr 1745/90 des Landesgerichtes Klagenfurt erhebt die Anklagebehörde Beschwerde.

Obwohl sich die Nichtigkeitsbeschwerde inhalt- lich nur gegen den Schuldspruch 1 richtet, wird einleitend erklärt, daß das Urteil im gesamten Umfang bekämpft wird; auch die Rechtsmittelanträge (...das angefochtene Urteil aufzuheben ...) erstrecken sich auf alle Schuldsprüche. Soweit die Beschwerde damit über den Umfang des Schuldspruches 1 hinausgeht, ist sie schon deshalb unzulässig, weil es ihr an der vom Gesetz vorausgesetzten deutlichen und bestimmten Bezeichnung von gesetzlichen Nichtigkeitsgründen mangelt und sie auch ausdrückliche oder doch durch deutliche Hinweisung angeführte Tatumstände vermissen läßt, die Nichtigkeitsgründe bilden sollen (§ 285 Abs 1 Z 1 iVm § 285 a Z 2 StPO).

Entgegen der Mängelrüge (Z 5) liegt eine Undeutlichkeit der Entscheidungsgründe nicht vor.

Das Erstgericht hat nämlich widerspruchsfrei und aktengetreu die Tathandlung ausführlich festgestellt (US 6 f) und diese Feststellungen zutreffend auf die geständige Verantwortung des Angeklagten und die Aussage der Zeugin D***** gestützt.

Rechtliche Beurteilung

Ob das im Urteil geschilderte Geschehen eine "schwere Gewalt" im Sinne des § 201 Abs 1 StGB darstellt, ist keine mit Mängelrüge (Z 5) bekämpfbare Tatfrage, sondern ausschließlich rechtliche Beurteilung des festgestellten objektiven Verhaltens des Täters.

Ein formeller Begründungsmangel liegt daher nicht vor.

In seiner Subsumtionsrüge (Z 10) macht der Rechtsmittelwerber geltend, der festgestellte Sachverhalt stelle keine schwere Gewalt dar und wäre er daher nur des Verbrechens nach § 201 Abs 2 StGB schuldig zu erkennen gewesen.

Gewalt ist die Anwendung nicht unerheblicher physischer Kraft, die auf die Überwindung eines wirklichen oder auch nur zu erwartenden Widerstandes des Opfers gerichtet ist. Sie ist als "schwer" im Sinne des § 201 Abs 1 StGB qualifiziert, wenn sie unter Anlegung eines objektiv-individualisierenden Maßstabes einen höheren Grad an Intensität oder Gefährlichkeit erreicht. Dazu gehören brutale oder rücksichtslose Aggressionshandlungen, darunter auch solche, mit denen in der Regel Lebensgefahr verbunden ist, bei denen gefährliche Waffen verwendet werden oder Gewalt gegen besonders gefährdete oder empfindliche Körperregionen ausgeübt wird. Es liegt aber auch dann schwere Gewalt vor, wenn die Intensität oder Gefährlichkeit des Angriffes zwar unter diesem Ausmaß bleibt, er aber doch so nachhaltig ist, daß er durch seine längere Dauer eine gleichwertige Wirkung zu entfalten vermag, wie eine "an sich schwere" Gewalt (JAB zur Strafgesetznovelle 1989, BGBl 242, 927 Blg NR 17.GP 3; Leukauf/Steininger Komm3 RN 12, Pallin in WK ErgH RN 8 a jeweils zu § 201; Foregger/Kodek StGB6 § 201 Anm IV; EvBl 1992/79).

Die von den Tatrichtern festgestellte, auf Duldung des Beischlafes abzielende Vorgangsweise des Angeklagten zur Überwältigung seines Opfers ist als Anwendung schwerer Gewalt zu beurteilen:

Der Beschwerdeführer drückte nämlich die von ihm zu Boden geworfene Frau mit dem Gesicht in den Schnee und hielt ihr den Mund zu, wodurch sie in Atemnot geriet. Die Attacken hatten multiple Prellungen und Hautabschürfungen im Gesichtsbereich zur Folge. Die massive Atembehinderung rief einen Bluthusten hervor, der zur stationären Aufnahme der Frau an der Intensivstation des Landeskrankenhauses Voitsberg führte (21, 243 f, 249; S 9 im Gutachten ON 32). Das kräftige Zuhalten des Mundes bis zum Eintreten von Atemnot solchen Ausmaßes, daß ein Bluthusten des Tatopfers auftritt, stellt eine besonders intensive gefährliche Gewaltausübung gegen gefährdete und empfindliche Körperregionen dar. Die bekämpfte rechtliche Annahme "schwerer Gewalt" erfolgte daher rechtsrichtig.

Eine aus dem Angriff resultierende schwere Körperverletzung des Opfers ist - entgegen einem Vorbringen im Gerichtstag - nicht Voraussetzung der Annahme schwerer Gewalt, weil eine solche den höheren Strafsatz des § 201 Abs 3 StGB begründen würde.

Das Schöffengericht verhängte über Karl Leopold H***** nach § 201 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren.

Bei der Strafzumessung wertete es als erschwerend das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit zwei Vergehen, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Vorstrafen und den Umstand, daß der Angeklagte aus besonders verwerflichen Beweggründen gehandelt hat; als mildernd das (erg: reumütige) Geständnis und die Tatsache, daß es bei der Vergewaltigung beim Versuch geblieben ist.

Über die mit Entschließung des Bundespräsidenten vom 15.Dezember 1994 zum AZ 14 E Vr 1745/90 des Landesgerichtes Klagenfurt gewährte bedingte Nachsicht eines Strafteiles traf das Erstgericht trotz deren Aktenkundigkeit (37 und 95) keine Entscheidung.

Gegen den Strafausspruch richten sich Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft; die unterlassene Beschlußfassung gemäß § 494 a StPO bekämpft die Anklagebehörde mit Beschwerde.

Beide Berufungen sind nicht im Recht.

Entgegen dem Rechtsmittel des Angeklagten stellen die besonders verwerflichen Beweggründe gemäß § 33 Z 5 StGB einen besonderen Erschwerungsgrund dar. Dessen Annahme ist auch sachlich gerechtfertigt; hat doch der Berufungswerber nach den Urteilsfeststellungen schon am Nachmittag des Tattages ohne besonderen Anlaß eine Straftat geplant (US 5), diese dann zielgerichtet ausgeführt und der durch den Vergewaltigungsversuch hilflosen Frau ihre Handtasche samt Geld weggenommen. Diese Vorgangsweise stellt sich nach dem Empfinden eines rechtstreuen Menschen als besonders verachtenswert dar und ruft dessen Abscheu hervor. Ein - in der Berufung des Angeklagten - reklamierter Verstoß gegen das Doppelverwerungsverbot (inhaltlich die Behauptung einer Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 StPO) liegt somit nicht vor.

Zusätzlich als erschwerend zu werten ist - wie die Staatsanwaltschaft in ihrer Berufung zutreffend aufzeigt - die Alkoholisierung des Angeklagten. Er hat sich vor der Tat durch den Genuß von Alkohol enthemmt, obwohl ihm auf Grund der Vorverurteilungen bekannt war, daß er in alkoholisiertem Zustand zu Aggressionshandlungen neigt. Dessen ungeachtet hat er beträchtliche Mengen Alkohol konsumiert und währenddessen die Straftat geplant und die bevorstehende Ausführung auch kundgetan [US 5] (Mayerhofer/Rieder StGB4 § 35 E 3 a). In einem solchen Fall der Herabsetzung der Hemmfähigkeit durch Alkohol zum Zweck der Verübung einer Straftat überwiegt der Vorwurf der Berauschung (Leukauf/Steininger aaO § 35 RN 3).

Entgegen der Berufung der Staatsanwaltschaft liegt eine heimtückische Vorgangsweise nicht vor, weil der Täter zwar überraschend, nicht aber heimlich und unter einem verwerflichen Vertrauensbruch gehandelt hat. Die grausame und für das Opfer qualvolle Weise der Tatbegehung ist bereits vom Tatbestand des § 201 Abs 1 StGB im Sinne der schweren Gewalt umfaßt.

Die Begehung der Straftaten innerhalb der offenen Probezeit ist im Hinblick auf den Widerruf der bedingten Nachsicht eines Strafteiles nicht zusätzlich als erschwerend zu werten (Mayerhofer/Rieder aaO § 33 E 27; Pallin Strafzumessung Rz 46).

Als weiterer erschwerender Umstand ist dem Angeklagten jedoch die leichte Verletzung des Opfers anzulasten.

Unter Abwägung der so korrigierten Strafzumessungsgründe sowie im Hinblick darauf, daß die vom Angeklagten angewendete Gewalt im unteren Bereich der "schweren Gewalt" liegt und es beim Verbrechen der Vergewaltigung beim Versuch blieb, entspricht die vom Erstgericht verhängte Freiheitsstrafe dem Schuld- und Unrechtsgehalt der Taten.

Da aber die bisherigen strafgerichtlichen Maßnahmen wirkungslos geblieben sind, bedarf es in Stattgebung der Beschwerde der Staatsanwaltschaft zusätzlich zur verhängten Freiheitsstrafe auch des Widerrufes des aus einer Weihnachtsbegnadigung resultierenden Strafrestes, um den Angeklagten von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten.

Bleibt anzumerken, daß die Anklagebehörde ihre Beschwerde gegen das Unterbleiben des Widerrufsbeschlusses nicht angemeldet, sondern nur gemeinsam mit der rechtzeitig angemeldeten Berufung ausgeführt hat.

Gemäß § 498 Abs 3 StPO kann aber die Beschwerde auch mit einer Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das Urteil verbunden werden, das zugleich mit dem angefochtenen Beschluß ergangen ist (oder bei welchem die Beschlußfassung unterblieben ist [§§ 494 a Abs 4 StPO]). In diesem Fall ist die Beschwerde rechtzeitig eingebracht, wenn das Rechtsmittel, mit dessen Ausführung sie verbunden ist, rechtzeitig eingebracht wurde.

Die Möglichkeit, eine Beschwerde gegen einen zugleich mit dem Urteil verkündeten Beschluß über den Widerruf einer bedingten Nachsicht binnen drei Tagen anzumelden und binnen 14 Tagen nach Zustellung des Beschlusses näher auszuführen (§ 498 Abs 2 StPO), wurde mit dem Strafprozeßänderungsgesetz 1993 aus der Erwägung eingeführt, daß die Beschwerdefrist dann, wenn das Urteil unbekämpft bleibt, mit der Verkündung des Beschlusses zu laufen beginnt (§ 77 Abs 1 StPO) und die Zustellung einer Beschlußausfertigung auf das Verstreichen der Frist ohne Einfluß ist, woraus dem Verurteilten Nachteile entstehen könnten (EBRV 924 Blg NR 18.GP 44). Die Sonderbestim- mung des § 498 Abs 3 StPO, wonach die mit einer Nichtigkeitsbeschwerde oder Berufung gegen das Urteil verbundene Beschwerde rechtzeitig ist, wenn das Rechtsmittel, mit dessen Ausführung sie verbunden ist, rechtzeitig eingebracht wurde, blieb davon unberührt. Eine solche "verbundene" Beschwerde muß daher nicht angemeldet werden (aM offenbar Foregger/Kodek StPO6 § 498 Erl II).

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