OGH 11Os64/02 (11Os65/02,11O66/02,11Os67/02)

OGH11Os64/02 (11Os65/02,11O66/02,11Os67/02)1.10.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. Oktober 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Teffer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen unbekannte Täter wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 2, 129 Z 1 und 2, 130 vierter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse des Untersuchungsrichters und der Ratskammer des Landesgerichtes Klagenfurt vom 5., 8., 11. und 29. Jänner 2002, GZ 9 Ur 3/02s-3, 4, 5 und 7, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Schroll, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Beschlüsse des Untersuchungsrichters des Landesgerichtes Klagenfurt vom 5. und 8. Jänner 2002, GZ 9 Ur 3/02s-3 und 4, sowie die Beschlüsse der Ratskammer des Landesgerichtes Klagenfurt vom 11. Jänner 2002, AZ 48 Ur 3/02b (= GZ 9 Ur 3/02s-5) und vom 29. Jänner 2002, AZ 48 Ur 18/02h (= GZ 9 Ur 3/02s-7), mit denen eine Rufdatenauswertung ohne ausreichende Begründung der Notwendigkeit der verfügten Dauer dieser Maßnahme angeordnet wurde, verletzen das Gesetz in der Bestimmung des § 149b Abs 2 Z 4 StPO (aF).

Text

Gründe:

Beim Landesgericht Klagenfurt ist zur AZ 9 Ur 3/02s ein Strafverfahren gegen unbekannte Täter wegen seit August 2001 in den Bezirken Klagenfurt-Stadt und Klagenfurt-Land wiederholt verübter Einbruchsdiebstähle anhängig. Laut den bisherigen Ermittlungen des Landesgendarmeriekommandos für Kärnten sei eine vermutlich aus dem Ausland operierende Tätergruppe jeweils zur Nachtzeit in Gebäude eingedrungen, habe Geldtresore aufgeschweißt und diese zum Teil abtransportiert. Der bisherige Gesamtschaden betrage mehrere hunderttausend Euro. Zumindest drei solche Einbruchsdiebstähle, nämlich jener vom 13. Dezember 2001 in die *****Tankstelle an der G***** Bundesstraße, jener vom 14. Dezember 2001 in die P*****-Bank in S***** ***** und jener vom 26. Dezember 2001 in das Postamt in E***** stünden auf Grund gleichartiger Tatausführungen im Zusammenhang mit derselben Tätergruppe.

Im Hinblick darauf, dass bei dem am 13. Dezember 2001 verübten Einbruchsdiebstahl in die *****Tankstelle einer der unbekannten Täter ein Handy verloren hatte, wurde davon ausgegangen, dass die aus zumindest vier Personen bestehende Tätergruppe am Tatort mit Handys in Kontakt zueinander gestanden war. Die Rufdaten dieses Mobiltelefons wurden über richterliche Anordnung ausgewertet, ohne dass daraus schon zielführende Hinweise auf die Tätergruppe gewonnen werden konnten. In der Folge regte das Landesgendarmeriekommando für Kärnten eine weitere Rufdatenrückerfassung zur Abgleichung der schon ermittelten Daten mit jenen der Teilnehmer am mobilen Fernmeldeverkehr im Tatortbereich an (S 7). Gemäß diesem Vorschlag beantragte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt am 4. Jänner 2002 die Anordnung einer Telefonüberwachung durch Erfassung der Rufdaten (aktiv und passiv) sämtlicher Netzbetreiber in den Bereichen S*****, E***** und K***** für einen Zeitraum von jeweils 24 Stunden, der die Tatzeiten umschloss.

Mit Beschluss vom 5. Jänner 2002 ordnete der im Journal tätige Untersuchungsrichter die von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt beantragte Rufdatenauswertung unter Berufung auf Gefahr im Verzug an (ON 3). Am 8. Jänner 2002 berichtigte der zuständige Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Klagenfurt die Anordnung der Rufdatenrückerfassung mit Bezug auf den für das Gebiet E***** auszuwertenden Zeitraum, sodass nunmehr sämtliche Netzbetreiber in den Bereichen S***** im Umfeld der P*****-Bank vom 14. Dezember 2001, 8.00 Uhr, bis 15. Dezember 2001, 8.00 Uhr, für den Bereich E***** im Umfeld des Postamtes E***** vom 25. Dezember 2001, 8.00 Uhr, bis 26. Dezember 2001, 8.00 Uhr, und für den Bereich K*****, Kreuzung G*****-Bundesstraße/P*****straße vom 12. Dezember 2001, 8.00 Uhr, bis 13. Dezember 2001, 8.00 Uhr, betroffen waren (ON 4). Diesen Beschluss genehmigte die Ratskammer des Landesgerichtes Klagenfurt gemäß § 149b Abs 1 zweiter Satz StPO am 11. Jänner 2002 (ON 5).

Nachdem am 20. Jänner 2002 von den (vermutlich) selben Tätern neuerlich ein Einbruchsdiebstahl in die P*****-Bank in S***** mit einem Schaden von zumindest 90.000,-- EUR verübt worden war, beantragte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt - auf erneute Anregung des Landesgendarmeriekommandos für Kärnten (ON 6) - die Ausweitung der Rufdatenauswertung auf den neuen vor und nach der mutmaßlichen Tatausführung liegenden Zeitraum. Diese vom 19. Jänner 2002, 18.00 Uhr, bis 20. Jänner 2002, 8.00 Uhr, somit insgesamt 14 Stunden umfassende Fernmeldeüberwachung wurde von der Ratskammer des Landesgerichtes Klagenfurt mit Beschluss vom 29. Jänner 2002 angeordnet (ON 7).

Rechtliche Beurteilung

Die angeführten Beschlüsse des Landesgerichtes Klagenfurt stehen - wie der Generalprokurator in seiner deshalb erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Vorweg ist festzuhalten, dass eine Rufdatenrückerfassung nach § 149a Abs 1 Z 2 erster Satz StPO insoweit zulässig ist, als diese zur Aufklärung einer vorsätzlichen, mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung erforderlich erscheint. Die durch diese Maßnahme gewonnenen konkreten Daten müssen somit allein oder in Verbindung mit bereits vorhandenen oder noch erzielbaren weiteren Ermittlungsergebnissen einer genaueren Aufklärung der Tathandlung oder der Ausforschung der Täter dienen. Die solcherart gewonnenen Rufdaten können für sich allein auch automationsunterstützt analysiert und mit schon vorhandenen Ermittlungsergebnissen (wie hier mit den Rufdaten des am Tatort aufgefundenen Handys, die angesichts ihres beschränkten Umfangs kein Datensatz iSd § 149i Abs 1 StPO sind, welcher lediglich bestimmte, die mutmaßlichen Täter kennzeichnende oder ausschließende Merkmale enthalten) abgeglichen werden, ohne dass damit ein Anwendungsfall der §§ 149i ff StPO vorläge (vgl OLG Wien JBl 2001, 257 ff). Bei einer Rufdatenrückerfassung ist die - bei jeden Grundrechtseingriff gebotene (vgl Mayer, B-VG2 Art 8 MRK Anm III.5; Frowein/Peukert EMRK2, Vorbem zu Art 8 bis 11 Rz 16 f; S. Reindl, JBl 1999, 795 ff) - Prüfung der Verhältnismäßigkeit, fallbezogen jene des Eingriffes in das Fernmeldegeheimnis nach Art 10a StGG und in die Privatsphäre nach Art 8 EMRK (vgl 13 Os 68/98; 13 Os 161/95; Mayer B-VG2 Art 10a StGG Erl I und Art 8 EMRK Erl II.4), unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls konkret vorzunehmen, somit bei Eingriffen von Strafverfolgungsbehörden durch Abwägung der mit der Überwachung verbundenen Beeinträchtigung der verfassungsrechtlich geschützten Privatsphäre gegenüber den Interessen der Strafverfolgung.

Dabei sind die Schwere der Straftat und die Aussicht auf deren Aufklärung durch den Eingriff einerseits dem Gewicht des Eingriffs und dessen Umfang, dh der Zahl der von der Überwachung des Fernmeldeverkehrs Betroffenen (welche bei der Rufdatenrückerfassung in erster Linie vom Überwachungszeitraum abhängt) gegenüberzustellen. Auch die Erfolgsaussichten weniger einschneidender Maßnahmen sind zu prüfen (vgl § 149d Abs 3 zweiter Satz StPO; 13 Os 68/98; 13 Os 161/95).

In diesem Zusammenhang kommt der bloßen Rufdatenrückerfassung gegenüber der im § 149a StPO grundsätzlich geregelten Überwachung künftiger Gespräche schon von vornherein eine geringere Eingriffsintensität in das im Art 10a StGG geschützte Fernmeldegeheimnis bzw in die im Art 8 EMRK verankerte Privatsphäre zu. Die Verhältnismäßigkeit einer Rufdatenerfassung wird somit eher anzunehmen sein, als jene beim Abhören laufender Telefongespräche. Dazu kommt die Berücksichtigung der in § 149c StPO normierten Kautelen, wonach nur für die Untersuchung bedeutsame Daten, deren Verwendung als Beweismittel zulässig ist, aufzuzeichnen, zum Akt zu nehmen sind (RV 924 BlgNR XVIII. GP, 24) und (insoweit) daher sogenannte "Zufallsfunde" (iSd § 149c Abs 2 StPO) außer Betracht zu bleiben haben. Davon abgesehen sind allfällig ausgeforschte, aber nicht tatverdächtige Anrufer (bzw Angerufene) durch die Vorschriften des § 149c Abs 3 bis 7 StPO geschützt.

Die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes vom 6. Dezember 1995, 13 Os 161/95, und vom 17. Juni 1998, 13 Os 68/98 (sowie sinngemäß auch die Entscheidung vom 18. Jänner 2001, 12 Os 152/00) stellen klar, dass eine gerichtliche Rufdatenauswertung in den Bestimmungen der §§ 149a ff StPO eine gesetzliche Deckung findet. Zugleich geht aus diesen Erkenntnissen hervor, dass auch bei dieser - gegenüber dem Abhören künftiger Gespräche weniger eingriffsintensiven - Maßnahme ein strenger Maßstab an die bei Grundrechtseingriffen zu wahrende Verhältnismäßigkeit anzulegen ist.

Insbesondere in der Entscheidung 13 Os 68/98 bejahte der Oberste Gerichtshof bei einer im Grunde gleichgelagerten Rufdatenauswertung die Wahrung der Verhältnismäßigkeit angesichts der Tatsache, dass der dort zu beurteilende Eingriff lediglich ein Zeitraum von vier Minuten umfasste. In diesem Fall war jedoch der exakt einzugrenzende Überwachungszeitraum bekannt.

Vorliegend wurden laut den Erhebungen des Landesgendarmeriekommandos für Kärnten die Einbrüche im Dezember 2001 zwar jeweils in der Nachtzeit verübt; beim (zweiten) Einbruch vom 20. Jänner 2002 in die P*****-Bank in S***** war sogar ein genauer Zeitpunkt (1 Uhr 54) bekannt, an dem sich die Täter jedenfalls am Tatort aufgehalten haben mussten. Die beantragten und angeordneten Rufdatenauswertungen erstreckten sich jedoch jeweils weit darüber hinausgehend auf einen Zeitraum von 24 Stunden bzw 14 Stunden.

In allen vier Beschlüssen wird indes zur Verhältnismäßigkeit der angeordneten Grundrechtseingriffe nicht Stellung genommen. Vielmehr erschöpft sich die insoweit unsubstantiierte Begründung darin, dass die angeordnete Überwachung des Fernmeldeverkehrs erforderlich sei, um die dem Tatverdacht gegen unbekannte Täter zugrunde liegenden Einbruchsdiebstähle aufklären zu können. Den genannten Beschlüssen ist daher nicht zu entnehmen, ob und auf welcher Tatsachengrundlage im vorliegenden Fall der (analog § 149d Abs 3 StPO) bei einem Vorgehen nach § 149a Abs 1 Z 2 lit b StPO zu wahrenden Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen wurde, zumal bei derart langen Überwachungszeiträumen mit einer extrem hohen Anzahl von unbeteiligten Dritten zu rechnen war, die von der Rufdatenerfassung und -auswertung betroffen wurden. Insbesondere fehlt jeglicher Begründungsansatz, aus welchen Erhebungsergebnissen abzuleiten war, dass die der Tat dringend verdächtigen unbekannten Täter im Bereich der in Aussicht genommenen Tatorte bereits lange vor und auch noch spät nach der Tatausführung zu Zeitpunkten telefonisch in Kontakt zueinander traten, zu denen noch oder schon wieder ein üblicher Geschäftsbetrieb herrschte (vgl insbesondere die an den Werktagen 12./13. Dezember sowie 14./15. Dezember 2001 angeordnete Rückerfassung von Rufdaten aus Zeiten einer selbst bei den Einbruchsobjekten teilweise noch aufrechten oder jedenfalls unmittelbar bevorstehenden Geschäftsöffnung).

Bei Überprüfung der Verhältnismäßigkeit eröffnet sich dem darüber befindenden gerichtlichen Entscheidungsträger ein Ermessensspielraum, dessen Ausnützung mittels Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes grundsätzlich nicht bekämpfbar ist, es sei denn, diese Ermessensentscheidung beruht auf einer unrichtigen Rechtsansicht, auf Grund der das Gericht von seinem Ermessen nicht im Sinne des Gesetzes Gebrauch machte (Mayerhofer StPO4 E 7; Ratz WK-StPO Rz 7 f jeweils zu § 292).

Außerdem ist festzuhalten, dass gerichtliche Beschlüsse grundsätzlich - ohne Rücksicht auf ihre Anfechtbarkeit - auch dann ausreichend zu begründen sind, wenn ihnen richterliches Ermessen zugrunde liegt (zuletzt eingehend 14 Os 172/01). Abgesehen davon ergeben sich aus § 149b Abs 2 Z 4 StPO spezielle Begründungserfordernisse für die Notwendigkeit der Überwachung des Fernmeldeverkehrs. Danach sind die wesentlichen Umstände darzutun, die der Erlassung der Zwangsmaßnahme zugrunde liegen. Im konkreten Fall wäre bei Darstellung dieser Tatsachengrundlage jedenfalls anzuführen gewesen, weshalb der Eingriff in die Privatsphäre einer Vielzahl von unverdächtigen Personen zur Aufklärung der in Untersuchung gezogenen Verbrechen geboten und insbesondere diese Maßnahme in dem in Aussicht genommenen Umfang im Verhältnis zur Aufklärung dieser strafbaren Handlungen notwendig war.

In den Begründungen der angefochtenen Verfügungen wird jeweils nur allgemein auf den Zweck der Überwachung des Fernmeldeverkehrs, nämlich die Aufklärung der Einbruchsdiebstähle hingewiesen. Hingegen kann ihnen die - angesichts der Weite des damit erlaubten Eingriffs in verfassungsrechtlich geschützte Bereiche von unbeteiligten Dritten - gebotene Darstellung der fallbezogenen Verhältnismäßigkeit nicht entnommen werden. Damit wurde der gesetzlichen Begründungspflicht nicht ausreichend Rechnung getragen. Vielmehr hätte eine mängelfreie Begründung unter anderem eine Erklärung erfordert, welche Sachverhaltssubstrate den extensiven Zeitraum der Überwachungsmaßnahme geboten erscheinen lassen, um aus den solcherart gewonnenen, über den Inhalt der Gespräche nichts aussagenden Rufdaten Ansatzpunkte für die Aufklärung der zu untersuchenden Einbruchsdiebstähle zu gewinnen.

Zusammenfassend zeigt sich, dass die im Spruch genannten Beschlüsse des Untersuchungsrichters und der Ratskammer des Landesgerichtes Klagenfurt eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit dieser Überwachung des Fernmeldeverkehrs iSd § 149a Abs 1 Z 2 lit b StPO iVm Art 10a StGG und Art 8 EMRK nicht zulassen und damit das Gesetz in der Bestimmung des § 149b Abs 2 Z 4 StPO (aF) verletzen.

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