OGH 9Ob172/02p

OGH9Ob172/02p4.9.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C*****AG, *****, vertreten durch Dr. Herwig Anderle, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Theresia P*****, Pensionistin, *****, vertreten durch Mag. Dr. Ernst Reitmayr, Rechtsanwalt in Linz, wegen EUR 23.017,14 sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 8. Mai 2002, GZ 6 R 12/02f-23, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO). Der Antrag der Revisionsgegnerin auf Zuspruch von Kosten des Revisionsverfahrens wird abgewiesen.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat sich in seiner Entscheidung SZ 68/64 erstmals mit der Inhaltskontrolle von Interzessionsgeschäften vermögensschwacher Familienangehöriger für Verbindlichkeiten des Hauptschuldners auseinandergesetzt. Eine Reihe von Folgeentscheidungen haben mittlerweile eine gefestigte Rechtsprechung entwickelt. Danach sind Kriterien der Sittenwidrigkeit von Interzessionen erwachsener Familienangehöriger des Schuldners die inhaltliche Missbilligung des Interzessionsvertrages, die Missbilligung der Umstände seines Zustandekommens infolge verdünnter Entscheidungsfreiheit sowie die Kenntnis bzw fahrlässige Unkenntnis des Kreditgebers von diesen Faktoren. Maßgebende Gesichtspunkte für die Beurteilung einer allfälligen Sittenwidrigkeit bei eingegangenen Verpflichtungen sind ein grobes Missverhältnis zwischen der Leistungsfähigkeit des Interzedenten und seiner Mithaftung, deren konkrete vertragliche Ausgestaltung, eine hoffnungslose Überschuldung des Hauptschuldners, die Verharmlosung des Risikos oder der Tragweite der Verpflichtung durch einen Mitarbeiter der Gläubigerin, die Überrumpelung des Angehörigen durch den Gläubiger, die Ausnützung seiner seelischen Zwangslage infolge seiner gefühlsmäßigen Bindung an den Hauptschuldner oder seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit von diesem, die geschäftliche Unerfahrenheit des Mithaftenden, das Fehlen eines wesentlichen Eigeninteresses am Zustandekommen des Vertrages, die Sinnlosigkeit der Haftung für den Gläubiger sowie die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis der Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Haftenden auf Seiten des Kreditgebers. Steht ein krasses Missverhältnis des Haftungsumfanges und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Interzedenten fest, bilden die für die Inhaltskontrolle sonst rechtserheblichen Gesichtspunkte ein bewegliches Beurteilungssystem. Dazu hat der Oberste Gerichtshof bereits klargestellt, dass erst das Vorliegen eines krassen Missverhältnisses des Haftungsumfanges zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Interzedenten die Inhaltskontrolle unter Berücksichtigung der weiteren Faktoren auslöst und es auf die im Zeitpunkt des Eingehens der Bürgschaftsverpflichtung gegebenen und in absehbarer Zeit zu erwartenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Interzedenten ankommt (JBl 2000, 794 mit zahlreichen Nachweisen; Ris-Justiz RS0048312; RS0048309; RS0048300).

Die Anwendung dieser Rechtsprechung auf den konkreten Einzelfall ist keine iS § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage. Von einer krassen Fehlbeurteilung der zweiten Instanz, die dessen ungeachtet die Zulässigkeit der Revision bewirken könnte, kann hier nicht die Rede sein. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes, dass die Beklagte die Voraussetzungen für die Sittenwidrigkeit ihrer Haftungserklärung nicht einmal behauptet habe, ist keineswegs unvertretbar. Vor allem fehlt es im hier zu beurteilenden Fall am von der Rechtsprechung geforderten krassen Missverhältnis des Haftungsumfanges und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Interzedenten, zumal die Beklagte im Zeitpunkt der Unterfertigung ihrer Haftungserklärung über Vermögen verfügte, das die Höhe ihrer Haftung bei weitem überstieg. Zutreffend hat das Berufungsgericht überdies auf die Feststellung verwiesen, dass die Beklagte ihre Unterschrift ohne Druck oder irgendwelche Versprechungen ihres Sohnes leistete; von einer Einflussnahme der Bank auf die Willensbildung der Beklagten kann überhaupt keine Rede sein. Dass die Beklagte die Haftung im Interesse ihres Sohnes übernommen hat, kann für sich allein die Richtigkeit der zweitinstanzlichen Entscheidung ebenso wenig in Frage stellen, wie der Umstand, dass sie alt und - was im übrigen gar nicht festgestellt wurde - geschäftlich unerfahren ist.

Der Oberste Gerichtshof hat dem Revisionsgegner die Beantwortung der von der Klägerin erhobenen außerordentlichen Revision nicht iS § 508a Abs 2 Satz 1 ZPO freigestellt. Die dennoch erstattete Revisionsbeantwortung gilt daher gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig.

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