OGH 7Ob212/01d

OGH7Ob212/01d19.12.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr.Danzl, Dr. Schaumüller und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj Teresa R*****, vertreten durch die Eltern DI Josef und Elisabeth R*****, vertreten durch Dr. Leopold Boyer, Rechtsanwalt in Zistersdorf, gegen die beklagten Parteien 1. Alexandra M*****, und 2. Marktgemeinde G*****, beide vertreten durch Dr. Stefan Gloß ua Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen S 150.000,-- samt Anhang und Feststellung (Streitwert S 50.000,--; Gesamtstreitwert S 200.000,--), über die Revision der zweitbeklagten Partei gegen das Teilzwischenurteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 21. März 2001, GZ 11 R 210/00h-24, womit das Zwischenurteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 9. Oktober 2000, GZ 4 Cg 169/99z-20, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Begründung

Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

Die damals 6 1/4-jährige Klägerin wurde am 10. 4. 1997 beim Spiel mit einem gewebebeschichteten Gummiseil im Bewegungsraum des Landeskindergartens der Zweitbeklagten am rechten Auge so verletzt, dass dies zu einem Verlust der Sehkraft führte. Das 7,3 m lange Gummiseil, das einen Durchmesser von 7 mm hat, kann bei kindlicher Kraftanwendung auf die doppelte Länge gedehnt werden. In dem Seil sind in unregelmäßigen Abständen 7 einfache Knoten angebracht. An beiden Enden ist es mit je einer Seilschlaufe von 11 cm Länge versehen. Am Übergang der Seilschlaufe zum einfachen Seil ist eine Metall-Blech-Verschlussmanschette in der Länge von 2 cm mit einem Durchmesser von 8 mm über das Schlaufenende geklemmt. Als die Erstbeklagte, die sowohl eine Gruppe von Kindern im Bewegungsraum als auch im Garderobebereich beaufsichtigte, zur Streitschlichtung in den Garderobenraum gehen musste, nahmen die im Bewegungsraum spielenden Kinder aus dem frei zugänglichen Geräteraum das Gummiseil und stellten eine Familie mit Hund dar. Ein 6-jähriges Kind fädelte eine Schlaufe der Gummischnur einen Hund darstellend um seinen Fuß, das andere Seilende nahm ein ebenfalls 6-jähriges Kind eine Frau darstellend in die Hand. Das Gummiseil war so über die gesamte Länge des Bewegungsraums gespannt. Ein Kind, das über das gespannte Seil hüpfte, blieb hängen, wodurch die Schlaufe vom Fuß des den Hund darstellenden Kindes ruschte. Das gespannte Gummiseil schnellte zurück und traf die Klägerin am rechten Auge. Das Gummiseil wurde im Kindergarten schon mehrfach vorher verwendet. Es wurde im Bewegungsraum von einer Wand zur anderen gespannt, um darüber Bälle zu werfen. Es wurde auch um die Beine zweier Kinder gewickelt, damit die anderen darüber hüpfen konnten. Das Klagebegehren gegen die Erstbeklagte als die die Kinder beaufsichtigende Kindergärtnerin wurde von der Klägerin unbekämpft vom Berufungsgericht mit der Begründung abgewiesen, dass sie an dem Vorfall kein Verschulden treffe. Die Kinder haben die Gummischnur an sich widmungsgemäß, nämlich durch Spannen über die Länge des Bewegungsraums verwendet und es sei der Erstbeklagten, auch wenn sie anwesend gewesen wäre, nicht möglich gewesen, den Unfall zu verhindern. Im Übrigen sprach es mit dem angefochtenen Teilzwischenurteil aus, dass das Leistungsbegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe und hob das Ersturteil hinsichtlich des Feststellungsbegehrens mit Beschluss zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidungsfällung auf.

Die Verpflichtung der Zweitbeklagten zur Bezahlung von Schadenersatz dem Grunde nach wurde von den Vorinstanzen bejaht, weil das mehrere Meter lange Gummiseil wegen seines Zurückschnelleffektes für den Kindergartenbetrieb als gefährlich zu beurteilen sei. Trotz widmungsgemäßen Gebrauchs habe sich der Unfall auf Grund des typischen Gefahrenpotenzials des Spielgerätes verwirklicht. Es sei damit zu rechnen gewesen, dass sich ein Kindergartenkind anlässlich eines, wenn auch ordnungsgemäßen, Spiels mit dem weit zurückschnalzenden Seil verletzen würde. Die Zweitbeklagte habe gegen ihre Schutz- und Aufsichtspflichten gegenüber den Kindergartenkindern verstoßen, wenn sie ein derartiges Spielgerät, noch dazu in nicht verschlossenen Behältern oder Räumlichkeiten leicht zugänglich, zum Spielen bereit halte.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Entscheidungsgegenstand S 52.000, nicht jedoch S 260.000 überschreite und erklärte in Abänderung seines ursprünglichen Ausspruchs gemäß § 508 ZPO die ordentliche Revision für zulässig, weil hier grundsätzliche Fragen der Verkehrssicherungspflichten bei der Ausstattung eines Kindergartens zu beachten seien, die einer Klärung durch den Obersten Gerichtshof bedürfen.

Gegen das angefochtene Teilzwischenurteil richtet sich die Revision der Zweitbeklagten im Umfang des Zwischenurteils, mit dem das Zahlungsbegehren der Klägerin als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkannt wurde, mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsabweisenden Sinn abzuändern.

Die Klägerin beantragt, die Revision der Zweitbeklagten mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, in eventu der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichtes nicht zulässig, weil hier keine Rechtsfrage zur Beurteilung vorliegt, der über den Einzelfall hinausgehend Bedeutung zukommt.

Rechtliche Beurteilung

Als erheblich im Sinn des § 502 ZPO greift die Revisionswerberin auf, dass das Berufungsgericht die Verkehrssicherungspflicht der Zweitbeklagten überspannt habe, wenn es Gegenstände (insbesondere Spielgeräte) mit innewohnendem Gefahrenpotenzial überhaupt von der Verwendung in Kindergärten ausschließen wolle. Jede Verwendung von Spielgeräten (z.B. auch von einfachen Spielbällen) berge eine Gefahr in sich.

Es ist in Lehre und Rechtsprechung allgemein anerkannt, dass derjenige, der im Verkehr eine Gefahrenquelle schafft oder in seiner Sphäre bestehen lässt, im Rahmen des Zumutbaren dafür zu sorgen hat, dass daraus anderen Personen kein Schaden entsteht. Verkehrssicherungspflichten sind noch strenger, wenn spielende Kinder in den Gefahrenbereich kommen (JBl 1990, 113, ZVR 1998/143 mwN, RIS-Justiz RS0023819). Voraussetzung der Annahme einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ist allerdings immer, dass die Möglichkeit der Verletzung von Rechtsgütern Dritter bei objektiver sachkundiger Betrachtung zu erkennen ist (ZVR 1998/143, 7 Ob 343/99p, RIS-Justiz RS0022778, RS0023442). Dass sich eine latente Gefahr durch lange Zeit nicht verwirklicht hat, nimmt der Belassung des als gefährlich erkennbaren und mit zumutbaren Maßnahmen zu beseitigenden Zustandes nicht die Eigenschaft der Fahrlässigkeit (RIS-Justiz RS0022766). Ob im Konkreten die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls (vgl 10 Ob 2441/96k, 5 Ob 540/94; RIS-Justiz RS0023487).

Wenn nun die Vorinstanzen unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze davon ausgehen, dass die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt hat, wenn sie ein 7,3 m langes Gummiseil, das auf die doppelte Länge mit kindlicher Kraftanstrengung gedehnt werden kann und in sich die Gefahr birgt, bei Nachlassen der Spannung unkontrolliert zurückzuschnellen und dadurch Verletzungen zu verursachen, im Kindergarten zum Spielen - noch dazu unversperrt - bereit hält, liegt hier keine Fehlbeurteilung vor, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte. Es ist zwar richtig, dass es kaum absolut sichere (Bewegungs)Spielgeräte gibt, deren Verwendung unter keinen Umständen zu Verletzungen führen kann. Hier geht es aber nicht um eine Verletzung auf Grund von einer besonderen, außergewöhnlichen und schwer vorhersehbaren Verkettung von Umständen (5 Ob 540/94), sondern um die Realisierung der latenten Gefährlichkeit des von der Zweitbeklagten zur Verfügung gestellten Gummiseils bei widmungsgemäßer Verwendung. Gerade bei Kindergartenkindern ist auf Grund ihrer Größe bei Zurückschnellen eines auf fast 15 m Länge dehnbaren Gummiseils mit nicht unerheblichen Verletzungen zu rechnen, da der besonders empfindliche Kopf/Gesichtsbereich gefährdet ist. Diese Gefahr wird noch durch die 7 eingearbeiteten Knöpfe und die Metallverschlussmanschetten bei den beiden Seilschlaufen bedeutend erhöht.

Da keine, über den Einzelfall hinausgehende erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt wurde, war die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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