OGH 10ObS324/01x

OGH10ObS324/01x30.10.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Karlheinz Kux (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Walter Benesch (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Monika E*****, vertreten durch Dr. Jörg Hobmeier, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. Juli 2001, GZ 25 Rs 62/01f-25, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 21. März 2001, GZ 45 Cgs 106/00b-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 21. 11. 1947 geborene Klägerin ist gelernte Bäckerin. Während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag war sie in einer Bäckerei beschäftigt, wobei sie regelmäßig in der Früh Brot ausführte, nachdem sie die Brotkörbe in den Lieferwagen geladen hatte. Danach war sie für die restliche Tagesarbeitszeit im Verkauf tätig. Eine ungelernte Kraft mit Führerschein B wäre nach einer Einschulung von maximal zwei Wochen in der Lage, diese Tätigkeiten als Zustellerin/Ausführerin bzw Ladnerin auszuführen.

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 20. 4. 2000 wurde der Antrag der Klägerin vom 29. 11. 1999 auf Zuerkennung der Invaliditätspension abgelehnt.

Das Erstgericht wies das dagegen erhobene, auf Zahlung der Invaliditätspension (ab Stichtag 1. 12. 1999) gerichtete Klagebegehren mangels Invalidität der Klägerin im Sinne des § 255 ASVG ab. Die Klägerin sei nicht in ihrem erlernten Beruf als Bäckerin tätig gewesen, da sie nur einen geringfügigen und untergeordneten Bereich des entsprechenden Berufsbildes ausgeübt habe, auf den ungelernte Kräfte innerhalb von zwei Wochen eingeschult werden könnten. Damit sei eine allfällige Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen. Da die Klägerin trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen noch auf die Tätigkeit einer Portierin oder einer Parkgaragenkassiererin verwiesen werden könne, sei sie nicht invalid.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Die Tätigkeiten der Klägerin hätten sich im Wesentlichen auf jene einer Zustellerin bzw Ladnerin beschränkt. Dabei habe sie keine relevanten Teiltätigkeiten des Bäckerberufes ausgeübt, weshalb ein Berufsschutz zu verneinen sei.

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Klagsstattgebung abzuändern.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Ausführungen der Revisionswerberin sind nicht geeignet, Bedenken gegen die Richtigkeit der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts hervorzurufen (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO).

Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof zuletzt wiederholt die Rechtsansicht geäußert hat, wonach in vielen Fällen gelernte Handwerker auf den Beruf eines Fachmarktberaters/Fachmarktverkäufers in der jeweiligen Branche verwiesen werden können. So hat der Senat etwa die grundsätzliche Verweisbarkeit eines Tischlers auf Wohn- und Verkaufsberater in Einrichtungshäusern (SSV-NF 10/58; 10 ObS 76/98v; 10 ObS 258/98h), eines Installateurs auf die Tätigkeit eines Baumarktberaters für Installationsbedarf (10 ObS 2339/96k; 10 ObS 369/97f; 10 ObS 17/99v), eines Karosseurs auf die Tätigkeit eines Kundendienstberaters (SSV-NF 8/84) oder eines gelernten Maurers auf den Beruf eines Fachmarktberaters/Fachmarktverkäufers (SSV-NF 12/25) ausdrücklich bejaht.

Begründet wurde diese Rechtsauffassung vor allem damit, dass die handwerkliche Ausbildung und die dabei erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten ein Anstellungs- und Ausübungskriterium des Verweisungsberufes bilden. In Groß- und Baumärkten würden insbesondere gelernte Handwerker als Kunden- und Verkaufsberater eingesetzt, wobei auch gegenüber den Kunden mit der Ankündigung geworben werde, dass sie durch Fachkräfte beraten werden, die aufgrund ihrer handwerklichen Ausbildung bei Bedarf den Kunden auch - über das im Rahmen einer kurzfristigen Produkteinschulung erworbene Wissen hinausgehende - fachspezifische Auskünfte und Ratschläge erteilen können. Insofern seien daher auch die praktischen und theoretischen Kenntnisse und Fähigkeiten eines gelernten Handwerkers für die Beratungstätigkeit gegenüber Heimwerkern von wesentlicher Bedeutung.

In der Entscheidung SSV-NF 12/25 wurde beispielsweise darauf hingewiesen, dass ein Maurer für einen Fachmarktberater nach einer durchschnittlich dreimonatigen Einweisung in das Bestellwesen, die interne Organisation und EDV qualifiziert sei. Unter Zugrundelegung der Anforderungen im Verweisungsberuf Fachmarktberater/Fachmarktverkäufer stellten die handwerkliche Ausbildung des Klägers als Maurer und die dabei erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten ein Anstellungs- und Ausübungskriterium des Verweisungsberufes dar, weshalb es sich bei diesem Verweisungsberuf um eine qualifizierte Teiltätigkeit des Lehrberufs Maurer handle, sodass der bereits erworbene Berufsschutz nicht verloren gehe. Diese Ansicht wurde in der Entscheidung 10 ObS 158/00h (= SSV-NF 14/74 [in Druck]) ausdrücklich gebilligt.

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senates bleibt dann, wenn in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag in der Praxis nur mehr Teiltätigkeiten des erlernten Berufes ausgeübt werden, der Berufsschutz erhalten, wenn diese Teiltätigkeiten quantitativ und qualitativ nicht ganz unbedeutend waren (SSV-NF 4/80; RIS-Justiz RS0084497). Die Ausübung einer Teiltätigkeit, die sich qualitativ nicht hervorhebt und bloß untergeordnet ist, vermag demgegenüber einen vorher bestehenden Berufsschutz nicht aufrecht zu erhalten (SSV-NF 12/139). Der Berufsschutz geht auch dann verloren, wenn das Nichttätigsein im erlernten Beruf unverschuldet ist (10 ObS 245/99y = 5186/35/2001).

Ausgehend von der Feststellung, dass eine ungelernte Kraft mit Führerschein B nach einer Einschulung von maximal zwei Wochen in der Lage wäre, die von der Klägerin ausgeübten Tätigkeiten als Zustellerin/Ausführerin bzw Ladnerin auszuführen, konnte die Klägerin die in ihrem erlernten Beruf erworbene Qualifikation nur in einem derart untergeordneten Maß verwerten, dass sie den Berufschutz verloren hat. Insofern besteht ein gravierender Unterschied zur Verweisung eines gelernten Handwerkers auf die (qualifizierte) Tätigkeit eines Fachmarktberaters, bei dem eine von den Kunden gefrage Beratungsfunktion anfällt, wie sie beim Verkauf von Brot und Gebäck nicht erforderlich ist.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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