OGH 7Ob165/01t

OGH7Ob165/01t31.7.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. Christina M*****, geboren am 25. August 1992,

2. Philipp M*****, geboren am 3. Juni 1994 und 3. Sandra M*****, geboren am 9. September 1997, derzeit bei den väterlichen Großeltern Walter M***** und Magdalena M*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Kindesvaters Roland M*****, alle vertreten durch Dr. Karl-Heinz Götz und Dr. Rudolf Tobler, Rechtsanwälte in Neusiedl am See, gegen den Beschluss des Jugendgerichtshofes Wien als Rekursgericht vom 1. Juni 2001, GZ 1 RM 23/01z-67, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 16 Abs 4 AußStrG iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Gegen den Beschluss des Rekursgerichtes ist der Revisionsrekurs nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht oder eine solche fehlt oder uneinheitlich ist.

Als Rechtsfrage des materiellen Rechts, bei der das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen sei, machen die Revisionsrekurswerber geltend, dass die Vorinstanzen dem Kindeswohl eine andere als die in der Rechtsprechung entwickelte Bedeutung beigemessen hätten, weil sie sich ausschließlich auf psychologisch-psychiatrische Erwägungen stützten. Der Revisionsrekurs vertritt den Standpunkt, dass dann, wenn bei den väterlichen Großeltern das Kindeswohl objektiv wesentlich besser gewahrt sei, als bei der Kindesmutter, emotionale Interessen der Kinder "zurücktreten müssen" bzw dass "derartigen emotionalen Beeinträchtigungen" durch rechtzeitige Gegensteuerung, etwa durch psychotherapeutische Behandlung bzw ausreichende Besuchskontakte zwischen den Kindern und der Mutter zu begegnen sei (S 13 des ao Revisionsrekurses).

Dabei wird jedoch übersehen, dass die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, welchem Elternteil bei Gegenüberstellung der Persönlichkeit, Eigenschaften und Lebensumstände die Obsorge für das Kind übertragen werden soll, immer eine solche des Einzelfalles ist, die sich einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage iSd § 14 Abs 1 AußStrG entzieht (RIS-Justiz RS0007101; zuletzt: 7 Ob 114/01t). Ein vom Obersten Gerichtshof aufzugreifender Ermessensmissbrauch liegt nicht vor:

Bei der Entscheidung nach § 177 Abs 2 ABGB steht das Wohl des Kindes im Vordergrund, die Interessen der (Groß-)Eltern haben dabei zurückzutreten (RIS-Justiz RS0048969). Die Rechtsprechung hat zur Obsorgeentscheidung verschiedene Leitgedanken entwickelt. Hiezu gehört der Grundsatz, dass bei Kleinkindern (wie hier) im Allgemeinen der Betreuung durch die Mutter der Vorzug zu geben ist, ohne dass diese daraus ein Vorrecht ableiten könnte (RIS-Justiz RS0047839 und RS0047911), genauso wie derjenige, dass der Obsorge durch leibliche Elternteile der Vorzug gegenüber jener durch Großeltern zukommt, solange beim Elternteil keine Gefährdung der Kinder zu besorgen ist (RIS-Justiz RS0048690; SZ 69/20 = EFSlg 81.208), oder der Grundsatz, dass auch bei der Erstzuteilung nach § 177 Abs 2 ABGB die Grundsätze der Kontinuität der Erziehungs- und Lebensverhältnisse nicht zu vernachlässigen sind (RIS-Justiz RS0047903[T6]). Bei einer Kollision verschiedener Leitgedanken kommt es immer auf die vorzunehmende Gesamtschau an, wobei die Umstände bei dem einen Elternteil denen beim anderen in ihrer Gesamtheit gegenüberzustellen sind (RIS-Justiz RS0047832[T7]).

Dass hier bei einer Betreuung durch die Mutter eine Gefährdung der Kinder zu besorgen wäre, ist nicht hervorgekommen. Es steht vielmehr fest, dass die Mutter grundsätzlich geeignet ist, ab 1. 7. 2001 wieder die Pflege und Erziehung ihrer Kinder zu übernehmen, dass jedoch Folge- und Dauerschäden zu befürchten sind, wenn die Trennung von der Mutter (durch die vorläufige Unterbringung bei den väterlichen Großeltern) weiter anhält (S 11 des Beschlusses erster Instanz).

Eine Fehlbeurteilung, die der Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte, kann daher nicht erkannt werden. Entsprechen doch die Entscheidungen der Vorinstanzen auch dem Grundsatz der Rechtsprechung, dass bei der allein nach dem Wohl des Kindes zu treffenden Entscheidung über die Obsorge nicht nur von der momentanen Situation ausgegangen werden darf, sondern auch Zukunftsprognosen zu erstellen sind (RIS-Justiz RS0048632).

Wenn die Revisionsrekursweber weiter daran festhalten, dass das Verfahren mangels Durchführung der im Rechtsmittel angeführten Beweise mangelhaft geblieben sei und geltend machen, dass darin eine unrichtige Lösung von - im Sinn des § 14 Abs 1 AußStrG erheblichen - Rechtsfragen des Verfahrensrechtes zu erblicken sei, ist ihnen ebenfalls nicht zu folgen:

Zwar ist der von der Rechtsprechung auch auf das Verfahren außer Streitsachen ausgedehnte Grundsatz des streitigen Verfahrens, ein erstinstanzlicher Mangel, den das Gericht zweiter Instanz verneint hat, könne in dritter Instanz nicht erfolgreich zum Gegenstand einer Verfahrensrüge gemacht werden, im Pflegschaftsverfahren jedenfalls dann nicht anzuwenden, wenn das die Interessen des Kindeswohles erfordern (RIS-Justiz RS0050037 [T4]; zuletzt: 7 Ob 114/01t).

Letzteres ist jedoch hier nicht der Fall: Es genügt dazu auf die (zutreffenden) Ausführungen des Rekursgerichtes zu verweisen, wonach das Erstgericht den Kindesvater ohnehin mehrfach angehört (ON 10 und 58) und gar nicht in Frage gestellt hat, dass die Kinder im Haushalt der väterlichen Großeltern bestens betreut werden, wonach aber auch feststeht, dass sich die Wohnsituation der Kindesmutter inzwischen geordnet hat und die Versorgung der Kinder in einer über 100 m**2 großen Wohnung im 4. Wiener Gemeindebezirk sichergestellt ist (S 9 des Beschlusses erster Instanz).

Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage ist der Revisionsrekurs somit unzulässig.

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