OGH 9ObA313/00w

OGH9ObA313/00w28.3.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Friedrich Weinke und Anton Beneder als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Karin K*****, Kellnerin, ***** vertreten durch Dr. Günther Steiner ua, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei A***** Bar- und Restaurantbetriebs Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Mag. Günter Petzelbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 133.590,77 brutto abzüglich S 10.000 netto sA (Revisionsinteresse S 69.508,32 brutto), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. August 2000, GZ 10 Ra 172/00p-18, womit das Teilurteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 16. Februar 2000, GZ 10 Cga 103/99k-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtenen Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 63.008,32 brutto samt 8,5 % Zinsen seit 23. Dezember 1998 binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.

Die Kosten der Verfahren erster, zweiter und dritter Instanz bleiben der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war ab 18. 5. 1992 bei der Beklagten als Kellnerin mit Inkassobefugnis beschäftigt. Laut Kollektivvertrag für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe wird die zweite Hälfte der Jahresremuneration (Weihnachtsremuneration) längstens bis zum 15. 12. des laufenden Jahres fällig. In den Jahren bis 1997 war es üblich, dass die Arbeitnehmer der Beklagten mit Zustimmung des Geschäftsführers die Weihnachtsremuneration um den jeweiligen 15. 12. selbst aus der Tageslosung der Adventwochenenden entnehmen durften. Ende November 1998 erörterte der Geschäftsführer mit den Arbeitnehmern im Beisein der Klägerin den Dienstplan für Weihnachten und Silvester. Auf die Weihnachtsremuneration angesprochen wies er darauf hin, dass die finanzielle Lage des Betriebes nicht besonders rosig sei, er werde aber die Weihnachtsremuneration fristgerecht bezahlen. Näheres werde von ihm noch bekannt gegeben. Niemand dürfe sich die Weihnachtsremuneration oder eine Akontozahlung aus der Tageslosung nehmen. Die finanzielle Lage des Betriebes war deshalb angespannt, weil am 15. 12. 1998 auch die Umsatzsteuervorauszahlung fällig wurde.

In der Nacht vom 11. zum 12. 12. 1998 behielt die Klägerin entgegen der Weisung des Geschäftsführers einen Betrag von S 10.000 (als Teilbetrag des ihr laut Geschäftsführer der Beklagten mit rund S 12.000 zustehenden Weihnachtsgeldes/ON 8, AS 39) aus der Tageslosung ein, vermerkte dies auf einem Abrechnungszettel und legte diesen in die Kasse. Am Samstag, den 12. 12. 1998, wurde dieses Vorgehen vom Geschäftsführer der Beklagten beim Überprüfen der Abrechnungen bemerkt. Als die Klägerin am Abend den Dienst antrat, wurde sie mit der Begründung suspendiert, dass die Geschäftslage schlecht wäre. Am Montag, den 14. 12. 1998, wurde die Klägerin anlässlich ihres Erscheinens im Betrieb, um ihre Krankmeldung zu überreichen, mit der Begründung entlassen, dass sie unbefugt das Weihnachtsgeld aus der Tageslosung zurückbehalten habe.

Die Klägerin begehrt nach Einschränkung des Klagebegehrens zuletzt S 133.590,77 brutto abzüglich S 10.000 netto sA für restlichen Lohn, den zweiten Teil der Jahresremuneration, Urlaubsentgelt, Kündigungsent- schädigung (S 7.448), anteilige Jahresremuneration (S 548,59), Abfertigung (S 55.011,73) und Urlaubsentschädigung mit der Begründung, sie sei ungerechtfertigt entlassen worden. Den Arbeitnehmern sei wie in den Jahren zuvor gestattet worden, ab dem zweiten Dezemberwochenende von der Tageslosung die Weihnachtsremuneration einzubehalten. Die Klägerin habe diesen Abzug auch bei der Tagesabrechnung deklariert.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, dass die Klägerin gemäß § 82 lit d und lit f entlassen worden sei, weil sie aus der Tageslosung eigenmächtig und entgegen einer Anweisung des Arbeitgebers S 10.000 einbehalten habe.

Das Erstgericht wies mit Teilurteil das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, der Klägerin die Bruttobeträge von S 7.448 (Kündigungsentschädigung), "S 5.048,59" (anteiliger Jahresremuneration) und "S 57.011,73" (Abfertigung) sA zu bezahlen, ab; die Kostenentscheidung wurde dem Endurteil vorbehalten. Ausgehend von den eingangs wiedergegebenen Feststellungen vertrat es die Rechtsauffassung, dass sich die Klägerin bewusst weisungswidrig verhalten habe, weil sie entgegen einer Weisung des Geschäftsführers S 10.000 zurückbehalten habe. Die Entlassung sei daher zu Recht erfolgt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und vertrat die Rechtsauffassung, dass der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit nach § 82 lit d GewO 1859 dahingestellt bleiben könne, weil die Vorgangsweise der Klägerin jedenfalls den Tatbestand der beharrlichen Pflichtenvernachlässigung nach § 82 lit f zweiter Fall GewO 1859 erfüllt habe, der auch den Verstoß gegen Weisungen des Arbeitgebers umfasse. Die Klägerin habe gegen eine ausdrückliche Weisung des Geschäftsführers verstoßen und damit den Arbeitgeber, dessen finanziell angespannte Lage ihr bekannt gewesen sei, vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Beharrlichkeit der Pflichtverletzung des Arbeitnehmers könne auch schon in einem einmaligen Verstoß zum Ausdruck kommen, wenn er besonders schwerwiegend und krass sei.

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde.

Die Beklagte beantragte, die Berufungsentscheidung zu bestätigen.

Die Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Das Arbeitsverhältnis kann gemäß § 82 lit f GewO 1859 durch Entlassung beendet werden, wenn der Arbeitnehmer ua beharrlich seine Pflichten vernachlässigt. Unter "Pflichtenvernachlässigung" ist nicht nur die Nichterfüllung oder die nicht gehörige Erfüllung der den Arbeitnehmer nach dem Arbeitsvertrag, den kollektivvertraglichen Normen oder dem Gesetz treffenden, mit der Ausübung seiner Arbeit verbundenen und ihm zumutbaren Pflichten (Kuderna, Entlassungsrecht2 138), sondern auch ein Verstoß gegen Weisungen des Arbeitgebers zu verstehen (RIS-Justiz RS0060172, RS0104130, RS0104135). Unter "beharrlich" ist die Nachhaltigkeit, Unnachgiebigkeit oder Hartnäckigkeit des in der Nichtbefolgung der Anordnung zum Ausdruck kommenden Willens zu verstehen. Dabei muss sich die Weigerung entweder wiederholt ereignet haben oder von derart schwerwiegender Art sein, dass auf die Nachhaltigkeit der Willenshaltung des Arbeitnehmers mit Grund geschlossen werden kann. Nur im ersten Fall bedarf es einer vorangegangenen Ermahnung oder einer wiederholten Aufforderung zur Dienstleistung bzw Befolgung der Anordnung (RIS-Justiz RS0029746, RS0104124, RS0105987).

Berücksichtigt man, dass die Klägerin zwar gegen eine Weisung des Geschäftsführers der Beklagten verstieß, letztlich aber wie in den Vorjahren "um den 15. 12." genau jene Vorgangsweise eingehalten hat, die zuvor stets einvernehmlich praktiziert wurde, dann kann nicht davon gesprochen werden, dass die Nichtbefolgung der Weisung durch die Klägerin von "derart schwerwiegender Art" war, dass mit Grund auf eine beharrliche Haltung geschlossen werden kann. Die Klägerin hat einen Teil der Weihnachtsremuneration 3 bis 4 Tage vor der Fälligkeit laut Kollektivvertrag für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe aus der Tageslosung einbehalten. Um eine Ermahnung entbehrlich zu machen, muss die Weigerung so eindeutig und endgültig sein, dass angesichts eines derartigen, offensichtlich unverrückbaren Willensentschlusses des Arbeitnehmers eine Ermahnung als bloße Formalität sinnlos erscheinen müsste (RIS-Justiz RS0029746). Das Tatbestandsmerkmal der Beharrlichkeit der Pflichtenvernachlässigung erfordert als Indiz der qualifizierten Willensbildung die Wiederholung bzw das Verharren im verpönten Verhalten trotz vorangegangener Ermahnung (Verwarnung) oder wiederholter Aufforderung, sich pflichtgemäß zu verhalten (vgl RIS-Justiz RS0029746).

Um tatsächlich von einer Beharrlichkeit der Klägerin sprechen zu können, wäre sie daher zu ermahnen und aufzufordern gewesen, das Geld wieder zurückzugeben. Dies ist jedoch nicht geschehen. Damit geht jedoch der Vorwurf des Berufungsgerichtes, die Klägerin habe die Beklagte vor "vollendete" Tatsachen gestellt, ins Leere. Die Beklagte hat nämlich gar nichts dazu getan, die zunächst eingetretene Tatsache wieder abzuwenden. Die Klägerin wurde zwar am Tag der Entdeckung des Vorfalls suspendiert, der eigentliche Grund hiefür wurde ihr dabei jedoch nicht einmal genannt. Der Annahme des Berufungsgerichtes, das Verhalten der Klägerin wäre beharrlich iSd § 82 lit f GewO 1859 gewesen, kann daher nicht beigetreten werden.

Aber auch der zweite Entlassungsgrund nach § 82 lit d GewO 1859 ist hier nicht gegeben. Nach dieser Bestimmung kann der Arbeitnehmer entlassen werden, wenn er sich eines Diebstahls, einer Veruntreuung oder einer sonstigen strafbaren Handlung schuldig macht, welche ihn des Vertrauens unwürdig erscheinen lässt. Dabei kann hier dahingestellt bleiben, ob die Klägerin in objektiver Hinsicht einen Diebstahl, eine Veruntreuung oder eine Entwendung verwirklicht hat. Der Vorsatz hätte strafrechtsrelevant äußerstenfalls nur mit Bezug auf die aus dem zeitlichen Vorgriff auf eine der Klägerin zustehende Forderung resultierenden Diskontzinsen als auf eine unrechtmäßige Bereicherung gerichtet gewertet werden dürfen (vgl umgekehrt zum Verzögerungsschaden Leukauf/Steininger, StGB3 § 146 Rz 44; Foregger/Fabrizy, StGB7 § 146 Rz 11; Kirchbacher/Presslauer, WK2 § 146 Rz 83 f). Ein darüber hinausgehender Vorsatz der Klägerin hätte lediglich ein Wahndelikt begründet (Fuchs, AT I4 217 f). Die mit einem um drei bis vier Tage vorgezogenen Zugriff auf eine bestehende Forderung von S 10.000 verbundenen Diskontzinsen betragen jedoch lediglich einige Schillige und finden daher leicht Deckung in der nach Entnahme der S 10.000 noch verbleibenden restlichen Forderung der Klägerin auf Weihnachtsremuneration von S 2.000 netto. Ein auf eine unrechtmäßige Bereicherung gerichteter Vorsatz kann daher bei der Klägerin nicht vorliegen, sodass sie sich in Bezug auf den von der Beklagten erhobenen Vorwurf keiner strafbaren Handlung im Sinne des § 82 lit d GewO 1859 schuldig gemacht haben kann (RIS-Justiz RS0060324, RS0060348, RS0060471).

Es war daher der Berufung der Klägerin zufolge ungerechtfertigter Entlassung Folge zu geben und es waren die Urteile der Vorinstanzen hinsichtlich der im Entscheidungsgegenstand des erstgerichtlichen Teilurteils enthaltenen, der Höhe nach unstrittigen Positionen, und zwar Kündigungsentschädigung, anteilige Jahresremuneration und Abfertigung, im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Dabei war jedoch ein zweifacher Irrtum des Erstgerichtes hinsichtlich der Höhe dieser Positionen richtig zu stellen. Die von der Klägerin begehrte anteilige Jahresremuneration beträgt nicht wie vom Erstgericht angenommen S 5.048,59, sondern laut Klage richtig S 548,59 brutto; die von der Klägerin begehrte Abfertigung beträgt nicht S 57.011,73, sondern S 55.011,73 brutto (ON 1).

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 2 ZPO.

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