Spruch:
Es verletzen
A./ in der Strafsache gegen Wolfgang P*****, AZ 19 U 268/98b des Bezirksgerichtes Klagenfurt,
l./ die in Abwesenheit des Beschuldigten erfolgte, den Anklagezeitraum 17. November 1998 bis 3. Mai 1999 umfassende Verhandlung und Urteilsfällung des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 3. Mai 1999 Art 6 MRK iVm §§ 451 Abs l, 454, 459 StPO;
2./ die Unterlassung der unverzüglichen Verständigung des Landesgerichtes Klagenfurt von dem zugleich mit dem Abwesenheitsurteil am 3. Mai 1999 - unter Absehen vom Widerruf - ergangenen Beschluss auf Verlängerung der Probezeit der mit Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 31. Mai 1996, GZ 17 EVr 211/96-4, gewährten bedingten Strafnachsicht § 494a Abs 7 StPO;
3./ die Unterlassung der Zustellung des Abwesenheitsurteils vom 3. Mai 1999 zu eigenen Handen des Angeklagten § 459 letzter Satz iVm § 79 aF StPO;
4./ die Vorlage der Akten an das Landesgericht Klagenfurt als Berufungsgericht sowie die Durchführung der Berufungsverhandlungen dieses Gerichts am 16. September und 19. Oktober 1999 und dessen Urteilsfällung am 19. Oktober 1999 ungeachtet der Unterlassung a) der Zustellung des Abwesenheitsurteils vom 3. Mai 1999 zu eigenen Handen des Angeklagten § 478 Abs 1 iVm § 79 Abs 2 aF StPO und b) der Rechtsmittelausführung der Staatsanwaltschaft Klagenfurt an den Verteidiger zur Erstattung einer Gegenausführung § 467 Abs 5 StPO;
5./ die Unterlassung einer Entscheidung des Landesgericht Klagenfurt über die Beschwerde gegen die zugleich mit dem Urteil ergangenen Beschlüsse des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 3. Mai 1999, mit denen dem Angeklagten gemäß §§ 50 f StGB eine Weisung erteilt und gemäß § 494a Abs 6 StPO die Probezeit verlängert wurde, § 498 Abs l und Abs 3 dritter Satz StPO;
6./ die inhaltlich der Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Schuld teilweise Folge gebende und damit einen Teilfreispruch gemäß § 259 Z 3 StPO fällende Entscheidung des Landesgerichtes Klagenfurt, beiden Berufungen mit der Maßgabe nicht Folge zu geben, "dass der Zeitraum vom 27.11.1997 bis 23.1.1998 als Tatzeit ausgeschieden wird", ohne den Strafausspruch und die damit verbundenen Beschlüsse nach §§ 50 f StGB und § 494a Abs 6 StPO des Bezirksgerichts Klagenfurt aufzuheben und die Strafe neu zu bemessen, § 474 StPO;
7./ die mit Feststellungsmängeln behafteten Urteile des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 3. Mai 1999 und des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht vom 19. Oktober 1999 § 198 Abs l StGB;
B./ in der Strafsache gegen Wolfgang P*****, AZ 17 EVr 211/96 des Landesgerichtes Klagenfurt, der Beschluss des Einzelrichters vom 21. Juli 1999 auf endgültige Nachsicht der mit Urteil vom 31. Mai 1996 verhängten Freiheitsstrafe, obwohl infolge Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre durch das Bezirksgericht Klagenfurt noch nicht feststand, dass die bedingte Strafnachsicht nicht widerrufen wird, §§ 43 Abs 2, 53 und 56 StGB.
Das Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 3. Mai 1999, GZ 19 U 268/98b-13, demzufolge auch die zugleich mit dem Urteil ergangenen Beschlüsse, mit denen dem Beschuldigten gemäß §§ 50 f StGB eine Weisung erteilt und gemäß § 494a Abs 6 StPO die im Verfahren 17 EVr 211/96 des Landesgerichtes Klagenfurt bestimmte Probezeit verlängert wurde, und das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht vom 19. Oktober 1999, AZ 7 Bl 130/99, mit Ausnahme des den Zeitraum vom 27. November 1997 bis 23. Jänner 1998 betreffenden Teilfreispruches werden aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Klagenfurt verwiesen.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
Text
Gründe:
Mit am 4. Juni 1996 in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes Klagenfurt vom 31. Mai 1996, GZ 17 E Vr 211/96-4, wurde Wolfgang P***** des Vergehens der fahrlässigen Krida nach §§ 159 Abs l Z l und Z 2, 161 StGB schuldig erkannt und hiefür nach § 159 Abs l StGB zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt.
Im gegen Wolfgang P***** geführten Strafverfahren 19 U 268/98b des Bezirksgerichtes Klagenfurt dehnte der Bezirksanwalt in der am 3. Mai 1999 zwar in Anwesenheit des Verteidigers, allerdings gemäß § 459 StPO in Abwesenheit des Beschuldigten (welcher die Ladung zur Hauptverhandlung nach Zustellung mit internationalem Rückschein eigenhändig entgegengenommen hatte [S 61] und damit iSd § 459 erster Satz StPO iVm Art 52 SDÜ gehörig geladen worden war) durchgeführten Hauptverhandlung den wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs l StGB gestellten Antrag auf Bestrafung vom 16. November 1998 (ON 7) hinsichtlich der Dauer der Unterhaltsverletzung über den mit der Formulierung "seit 1. 3. 1995" (zu ergänzen: bis 16. November 1998) individualisierten bereits inkriminierten Tatzeitraum hinausgehend auf die Zeit "bis 3. 5. 1999" aus (S 57).
Mit Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 3. Mai 1999 wurde Wolfgang P***** des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs l StGB schuldig erkannt, weil er vom l. März 1995 bis 3. Mai 1999 in M***** seine im Familienrecht begründete Unterhaltspflicht gegenüber seiner (in Österreich lebenden - der Tatort liegt daher auch im Inland [Markel in WK2 § 198 Rz 23]) geschiedenen Ehegattin Christine P***** gröblich verletzte, indem er keinerlei Unterhalt leistete und dadurch bewirkte, dass der Unterhalt der Unterhaltsberechtigten gefährdet wurde bzw ohne Hilfe von anderer Seite gefährdet worden wäre. Er wurde hiefür nach § 198 Abs l StGB zu einer gemäß § 43 Abs l StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Wochen verurteilt. Zugleich erteilte das erkennende Gericht dem Beschuldigten mit Beschluss die Weisung, die aufgelaufenen Unterhaltsschulden bis zum l. September 1999 zu begleichen. Gemäß § 494a Abs l Z 2 und Abs 6 StPO sah es überdies vom Widerruf der dem Beschuldigten mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes Klagenfurt vom 31. Mai 1996 zu 17 E Vr 211/96 gewährten bedingten Strafnachsicht ab und verlängerte zugleich die Probezeit auf fünf Jahre.
In weiterer Folge stellte das Bezirksgericht Klagenfurt eine Ausfertigung des Abwesenheitsurteils und der damit im Zusammenhang stehenden Beschlüsse einerseits dem Verteidiger, andererseits dem Angeklagten mit internationalem Rückschein - offenbar ohne Rechtsbelehrung (siehe die Zustellverfügung S 79) - durch Ausfolgung an die nunmehrige Ehegattin zu.
Ungeachtet des Unterbleibens der Zustellung des Abwesenheitsurteils zu eigenen Händen des als Fernfahrer tätigen (S 17 und 98) Angeklagten (vgl Zustellnachweis S 80; zur Unterscheidbarkeit der Unterschriften des Angeklagten und seiner nunmehrigen Ehegattin vgl auch die im Antrags- und Verfügungsbogen ON l sowie auf S 44, 61 und 109 angehefteten internationalen Rückscheine), legte das Bezirksgericht Klagenfurt die Akten mit den Ausführungen der unmittelbar nach der Urteilsverkündung (für den Angeklagten von dessen Verteidiger) angemeldeten Berufungen des Angeklagten (wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe, wobei die Rechtsmittelausführung eine nicht eigens als solche bezeichnete Beschwerde gegen die erteilte Weisung gemäß § 51 StGB enthielt - S 87) und der Staatsanwaltschaft (wegen des Ausspruches über die Strafe - ON 14) sowie das nicht ausgeführte und erst später zurückgezogene (ON 18) Rechtsmittel der Privatbeteiligten dem Landesgericht Klagenfurt als Berufungs- und Beschwerdegericht zur Entscheidung vor (ON 16).
Dies auch, nachdem die (dem Angeklagten ohne richterliche Verfügung mit internationalem Rückschein zugestellte) Berufungsausführung der Anklagebehörde zwar von der Ehegattin des Angeklagten übernommen worden, die Übermittlung einer Gleichschrift der Rechtsmittelausführung an den Verteidiger zur Gegenausführung jedoch - ungeachtet der richterlichen Verfügung - unterblieben war (vgl Verfügung vom 5. Juli 1999 in ON l samt dem an dieser Stelle angehefteten internationalen Rückschein). Ob dem Verteidiger die Berufungsausführung der Staatsanwaltschaft tatsächlich zugekommen ist, kann dem Akt nicht entnommen werden.
In dem zu AZ 7 Bl 130/99 geführten Berufungsverfahren des Landesgerichtes Klagenfurt fand am 16. September 1999 ein Gerichtstag in Anwesenheit des Angeklagten und - nach mit internationalem Rückschein erfolgter Zustellung der von der Ehegattin des Angeklagten übernommenen Ladung zur Berufungsverhandlung (S 109) - am 19. Oktober 1999 ein Gerichtstag in dessen Abwesenheit statt. Ob dem Angeklagten die Ladung zur fortgesetzten Berufungsverhandlung tatsächlich zugekommen ist, kann dem Akt ebensowenig entnommen werden. In der Berufungsverhandlung vom 16. September 1999 beschloss der Senat die Durchführung einer Beweiswiederholung und -ergänzung, in deren Zuge am selben Tag der Angeklagte und am 19. Oktober 1999 die Zeugen Christine und Leopold P***** vernommen wurden.
Mit Urteil vom 19. Oktober 1999 (ON 22) gab das Landesgericht Klagenfurt beiden Berufungen "mit der Maßgabe" nicht Folge, "dass der Zeitraum vom 27. 11. 1997 bis 23. 1. 1998 als Tatzeit ausgeschieden wird".
Zur gemäß § 498 Abs 3 StPO (teilweise ausdrücklich, teilweise implizit) erhobenen Beschwerde gegen die Beschlüsse über die erteilte Weisung gemäß §§ 50 f StGB und über die Verlängerung der Probezeit gemäß § 494a Abs 6 StPO nahm das Rechtsmittelgericht nicht Stellung.
Nach Rücklangen des Aktes verständigte das Bezirksgericht Klagenfurt mit Endverfügung vom 18. November 1999 erstmals das Landesgericht Klagenfurt zu AZ 17 E Vr 211/96 iSd § 494a Abs 7 StPO von der schon am 3. Mai 1999 gemäß § 494a Abs 6 StPO beschlossenen Verlängerung der Probezeit (ON 23).
Mit rechtskräftigem Beschluss vom 21. Juli 1999, GZ 17 EVr 211/96-7, also nach dem Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 3. Mai 1999, aber noch vor der Berufungsentscheidung, sprach der Einzelrichter des Landesgerichtes Klagenfurt in Unkenntnis der vom Bezirksgericht Klagenfurt beschlossenen Probezeitverlängerung aus, dass die Nachsicht der Strafe endgültig geworden ist.
Rechtliche Beurteilung
A./ Wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde soweit zutreffend aufzeigt, wurde im Verfahren 19 U 268/98b des Bezirksgerichtes Klagenfurt das Gesetz mehrfach verletzt:
1./ Der Antrag auf Bestrafung wurde vom Bezirksanwalt in der in Abwesenheit des Beschuldigten durchgeführten Hauptverhandlung vom 3. Mai 1999 auf den Vorwurf der Unterhaltsverletzung während des Zeitraums vom 17. November 1998 bis 3. Mai 1999 ausgedehnt.
Die Ausdehnung der Verhandlung auf diesen neuen Vorwurf und die darauf abstellende Urteilsfällung waren unzulässig, weil der im Hinblick auf den Ausdehnungszeitraum nicht gehörig geladene Beschuldigte im Verfahren keine Gelegenheit hatte, zum erweiterten Prozessgegenstand persönlich Stellung zu nehmen und sich in diesem Zusammenhang die zu seiner Verteidigung dienenden Beweismittel zu verschaffen (EvBl 1996/6; 14 Os 20/99; 11 Os 66/95). Durch das den Zeitraum der Anklageausdehnung betreffende Verfahren und das darüber ergangene Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt wurde daher der in §§ 451 Abs l, 454, 459 StPO zum Ausdruck kommenden Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art 6 MRK verletzt.
2./ Das Bezirksgericht Klagenfurt unterließ die gem § 494a Abs 7 StPO zwingend vorgeschriebene unverzügliche Verständigung des Landesgerichtes Klagenfurt zu AZ 17 EVr 211/96 von dem Beschluss auf Verlängerung der mit dessen Urteil bestimmten Probezeit. Eine solche Verständigung soll sicherstellen, dass das von der neuen Entscheidung betroffene - oder auch ein drittes - Gericht (bei einer Probezeitverlängerung durch ein anderes Gericht: vorerst) keine Entscheidungskompetenz (mehr) in Anspruch nimmt. Dieser Zweck kann nur dann erreicht werden, wenn die Verständigung sogleich nach der mündlichen Beschlussfassung ohne Rücksicht auf eine spätere Ausfertigung oder die Rechtskraft des Erkenntnisses erfolgt (14 Os 77, 78/98; 12 Os 190, 191/94). Die erst sechs Monate nach der Entscheidung verfügte Benachrichtigung durch das Bezirksgericht Klagenfurt verletzt § 494a Abs 7 StPO.
3./ Die Vorschrift des § 79 Abs 2 StPO aF (vgl nunmehr § 79 Abs l StPO idF BGBI I 26/2000), wonach die Zustellung eines Urteils an die Partei oder ihren Vertreter erfolgen kann, galt nicht für das Abwesenheitsurteil (SSt 20/143, EvBl 1972/140; nunmehr siehe § 79 Abs 4 StPO idF BGBI I 26/2000). Dem in Abwesenheit Verurteilten muss - unabhängig von einer Rechtsmittelerklärung und -ausführung seines Verteidigers - die nur mittels Zustellung des Abwesenheitsurteils zu seinen eigenen Handen gesicherte Möglichkeit eines Einspruchs offenstehen, um allenfalls vorbringen zu können, dass ihm die Vorladung zur Hauptverhandlung nicht gehörig zugestellt oder dass er von der Teilnahme an der Hauptverhandlung durch ein unabwendbares Hindernis abgehalten wurde (vgl SSt 54/75; EvBI 1977/254; SSt 42/44; SSt 20/143; 11 Os 153 - 155/93). Die Unterlassung der Zustellung des Abwesenheitsurteils an den Angeklagten zu eigenen Handen verletzt § 459 letzter Satz iVm § 79 Abs l und Abs 3 aF StPO.
4./ Hingegen ist eine Rechtsmittelausführung der Staatsanwaltschaft gemäß § 79 Abs 2 StPO aF (wie auch nach § 79 Abs 4 StPO idF BGBI I 26/2000) an den gewählten Verteidiger des Angeklagten zuzustellen, wird diesem doch andernfalls die Möglichkeit genommen, als Rechtsbeistand des Angeklagten alles geltend zu machen, was nach seiner Überzeugung im Interesse seines Mandanten liegt, somit allenfalls auch Umstände, welche der Angeklagte selbst nicht vorbringen will oder kann (SSt 26/24). Die Zustellung der Berufungsschrift der Anklagebehörde an den von einem Verteidiger vertretenen Angeklagten selbst ist demnach - abgesehen von einer im konkreten Fall aus dem Akt nicht nachvollziehbaren Heilung eines solchen Zustellmangels nach § 7 ZustellG - nicht ausreichend (Foregger/Kodek StP07 § 79 Anm II. 1.c.). Nach der Aktenlage hat der Erstrichter am 5. Juli 1999 rechtsrichtig die Zustellung der Rechtsmittelausführung der Anklagebehörde an den Verteidiger verfügt (ON 1); ersichtlich nur aufgrund eines Fehlers der Kanzleibediensteten erfolgte stattdessen eine Zustellung an den Verurteilten selbst mit internationalem Rückschein.
Durch die mit Verfügung vom 20. August 1998 angeordnete Vorlage der Akten samt Rechtsmittelausführungen an das Landesgericht Klagenfurt als Berufungsgericht (ON 16) hat der Richter jedoch in diesem Zusammenhang § 467 Abs 5 zweiter Satz iVm § 79 Abs 2 aF StPO verletzt, war doch die Rechtsmittelvorlage ohne die vorangehende Zustellung der Berufung der Staatsanwaltschaft an den Verteidiger zwecks Überreichung einer Gegenausführung unzulässig. Unter einem wurden durch die Vorlage der Akten samt Rechtsmittelausführungen an das Landesgericht Klagenfurt als Berufungsgericht (ON 16) überdies § 478 Abs l StPO und § 467 Abs 5 letzter Halbsatz StPO verletzt, weil mangels ordnungsgemäßer, nämlich eigenhändiger Zustellung des Abwesenheitsurteils an den Angeklagten die zur Erhebung eines Einspruchs gemäß § 478 Abs l StPO vorgesehene 14-tägige Frist erst gar nicht in Lauf gesetzt worden war.
§ 478 Abs l StPO und § 467 Abs 5 letzter Halbsatz StPO wurden zudem vom Landesgericht Klagenfurt als Berufungsgericht dadurch verletzt, dass es vor Ablauf der Einspruchsfrist und ohne dass es dem Verteidiger möglich war, eine Gegenausführung zur Berufung der Staatsanwaltschaft zu überreichen, über die Sache verhandelte und entschied.
5./ Das Landesgericht Klagenfurt verletzte auch noch § 498 Abs l und Abs 3 dritter und vierter Satz StPO, weil es verabsäumte, sich am 19. Oktober 1999 einer Entscheidung über die teils ausdrücklich gegen die erteilte Weisung gemäß §§ 50 f StGB erhobene (wenn auch inhaltlich im Rahmen der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld ausgeführte - S 87) und mit der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe auch ex lege verbundene und sich gegen die Verlängerung der Probezeit gemäß § 494a Abs 6 StPO richtende Beschwerde des Angeklagten zu unterziehen.
6./ Die Entscheidung des Landesgerichtes Klagenfurt, beiden Berufungen mit der Maßgabe nicht Folge zu geben, "dass der Zeitraum vom 27.11.1997 bis 23.1.1998 als Tatzeit ausgeschieden wird" (ON 22), ist inhaltlich ein den Tatzeitraum des Dauerdelikts (Markel in WK2 § 198 Rz 63 f; 14 Os 3/00) in diesem Umfang einschränkender Teilfreispruch gemäß § 259 Z 3 StPO (vgl 11 Os 123, 124/98; siehe auch Mayerhofer StPO4 § 259 E 68). Damit gab das Berufungsgericht der Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Schuld teilweise Folge (vgl US 6 in ON 22), weshalb es auch den Strafausspruch und die damit verbundenen Beschlüsse nach §§ 50 f StGB und § 494a Abs 6 StPO aufheben und insoweit die Strafe neu bemessen hätte müssen. Durch diese "Maßgabeentscheidung" verletzt das Landesgericht Klagenfurt § 474 iVm § 288 Abs 2 StPO.
7./ Die Urteile des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 3. Mai 1999 und des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht vom 19. Oktober 1999 stehen darüber hinaus mit § 198 Abs l StGB nicht im Einklang, weil sie das Nichteinhalten von Unterhaltsvergleichen mit einer strafgesetzlichen Verletzung der Unterhaltspflicht gleichsetzen:
§ 198 Abs l StGB pönalisiert ausschließlich gröbliche Verletzungen der im Familienrecht begründeten Unterhaltspflicht. Entscheidend für die Strafbarkeit der Unterhaltsverletzung ist, ob und in welchem Ausmaß im Zeitpunkt der Tat eine aus familienrechtlichen Vorschriften ableitbare zivilrechtliche Verpflichtung zur Leistung von Unterhalt bestanden hat (Markel aaO Rz 3; Kienapfel/Schmoller BT III § 198 RN 16: Zivilrechtsakzessorietät). Unterhaltsvereinbarungen (insbesondere Unterhaltsvergleiche) lösen den Schutz des § 198 StGB in der Regel nicht aus. Derartige vertraglich übernommene Unterhaltspflichten sind aber bis zu der Höhe tatbildlich, in der nach dem Gesetz ohnehin Leistungen erfolgen müssten (Kienapfel/Schmoller aaO RN 15 mwN; vgl RZ 1961, 137). Die gültige Vereinbarung eines geringeren als des gesetzlichen Unterhalts ist ebenfalls strafrechtlich wirksam (Teilverzicht - vgl Kienapfel/Schmoller aaO RN 15).
Ob und in welcher Höhe bei aufrechter Ehe ein Unterhaltsanspruch eines der Ehegatten besteht, ergibt sich primär aus § 94 ABGB:
Nach § 94 Abs l ABGB haben die Ehegatten nach ihren Kräften und gemäß der Gestaltung ihrer ehelichen Lebensgemeinschaft zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse gemeinsam beizutragen.
Abs 2 leg.cit. bestimmt, dass der Ehegatte, der den gemeinsamen Haushalt führt, dadurch seinen Beitrag im Sinn des Abs l des § 94 ABGB leistet; er hat an den anderen einen Anspruch auf Unterhalt, wobei eigene Einkünfte angemessen zu berücksichtigen sind. Dies gilt nach der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts zu Gunsten des bisher Unterhaltsberechtigten weiter, sofern nicht die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs, besonders wegen der Gründe, die zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts geführt haben, ein Missbrauch des Rechtes wäre. Ein Unterhaltsanspruch steht einem Ehegatten auch zu, soweit er seinen Beitrag nach Abs l leg.cit. nicht zu leisten vermag.
Gemäß § 55a Abs 2 EheG darf eine Ehe nur dann einvernehmlich geschieden werden, wenn die Ehegatten eine schriftliche Vereinbarung u.a. über ihre unterhaltsrechtlichen Beziehungen dem Gericht unterbreiten oder vor Gericht schließen. Der auf Grund einer solchen Vereinbarung geschuldete Unterhalt ist gemäß § 69a EheG idF BGBl 1978/280 (= § 69a Abs l EheG idF des Eherechts-Änderungsgesetzes 1999, BGBl I 125/1999) insoweit einem gesetzlichen Unterhalt gleichzuhalten, als er den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessen ist.
Der Wortlaut dieser Vorschrift und deren Einordnung in den Unterabschnitt über die Folgen der Scheidung (2. Abschnitt E./II./ des EheG) verdeutlichen, dass auch der nicht unmittelbar aus dem Gesetz erfließende, weil privatautonom vereinbarte Unterhaltsanspruch eines Ehegatten nach einvernehmlicher Scheidung im Familienrecht begründet und damit - in den Grenzen des § 69a Abs l EheG - als Unterhaltspflicht des anderen Ehegatten vom Tatbestand des § 198 StGB umfasst ist (Markel in WK2 § 198 Rz 19 ff; Pucandl, Strafbare Verletzung von Unterhaltspflichten, 11 und 23; Leukauf/Steininger Komm3 § 198 RN 2 und 8; eingehend Pallin in WK1 § 198 Rz 20; vgl weiters die zwar vor der Einfügung der §§ 55a und 69a in das EheG verfassten, der Wortfolge: "im Familienrecht begründet" aber extensive Bedeutung beimessenden EBRV 1971 zum StGB, 30 BIgNR XIII.GP, 336).
Die Höhe einer tatbildlichen Unterhaltspflicht ist auf Grund des im § 69a Abs 1 EheG enthaltenen Verweises (arg: " ... den Lebenverhältnissen der Ehegatten angemessen ... " ) wiederum nach § 94 ABGB zu ermitteln (1 Ob 122/97s; Zankl in Schwimmann ABGB2 § 69a EheG Rz 2; siehe auch ÖStZB 1990, 15 [VwGH-E]), sofern nicht ein geringerer Unterhaltsbeitrag vereinbart wurde (vgl wiederum Kienapfel/Schmoller BT III § 198 RN 15).
Auf den vorliegenden Fall bezogen ergibt sich, dass das Erstgericht und das Berufungsgericht zufolge ihres verfehlten, die Unterhaltspflicht des Wolfgang P***** ohne weitere Prüfung unmittelbar (zumindest das Erstgericht auch in voller Höhe) aus zwei zivilgerichtlichen Vergleichen (und zwar zu 1 C 20/96t des Bezirksgerichtes Feldkirchen/Kärnten rückwirkend bezogen auf den Zeitraum aufrechter Ehe vom 1. März 1995 bis zur Ehescheidung am 21. Mai 1996, sowie zu 1 C 42/96b desselben Gerichtes betreffend die Zeit ab der Ehescheidung) ableitenden Rechtsstandpunktes (vgl US 3 und 7 in ON 13 und US 2 f in ON 22) verabsäumten, ausreichende Konstatierungen zur Beantwortung der Vorfrage zu treffen, ob, wann und in welcher Höhe dem Beschuldigten während des Anklagezeitraums - und zwar vor und nach der am 21. Mai 1996 erfolgten einvernehmlichen Ehescheidung - eine im Familienrecht begründete Unterhaltspflicht gegenüber seiner (früheren) Ehegattin Christine P***** oblag.
Feststellungen über die Verhältnisse während aufrechter Ehe haben beide befassten Instanzen nämlich überhaupt nicht getroffen. Eine Beurteilung, ob ein Anspruch aufgrund der Haushaltsführung oder ein Ergänzungsanspruch des schlechterverdienenden Ehepartners bestand (Schwimann in Schwimann ABGB2 § 94 Rz 15 ff und 23 ff; Purtscheller/Salzmann, Unterhaltsbemessung Rz 81 ff und 98 ff; vgl ZV Christine P*****, S 47 ff und 109), hätte aber geeigneter Konstatierungen dahingehend bedurft, ob die Ehegattin den Haushalt geführt, sowie welche Einkünfte sie und der Beschuldigte vor der Scheidung gehabt haben.
Weiters hätte es zur Prüfung der Leistungsfähigkeit des Beschuldigten (siehe dazu Markel in WK2 § 198 Rz 49 ff) in Hinblick auf die mehrfache Änderung der Verhältnisse während des vom Schuldspruch umfassten Zeitraums präziser Feststellungen über dessen Einkünfte und Einkunftsmöglichkeiten auch für die Zeiten von 1. März 1995 bis 1. Dezember 1996, von Juni bis 26. November 1997 und ab 1. Jänner 1998 bedurft.
Durch diese - den Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a iVm § 468 Abs 1 Z 4 StPO begründenden - Feststellungsmängel verletzen beide Urteile § 198 Abs 1 StGB.
Darüber hinaus reklamiert die Beschwerde weitere den Schuldspruch tangierende Feststellungsmängel wie folgt:
Es wäre
"unter anderem zu klären gewesen, ob der gesetzliche Unterhaltsanspruch der früheren Ehegattin durch deren gesonderte Wohnungnahme am 4. Februar 1995 (AS109; siehe auch AS 15 ff, 19 und 23 in 17 EVr 211/96 des Landesgerichtes Klagenfurt) im fraglichen Zeitraum nicht verwirkt war (Schwimann in Schwimann ABGB2 § 94 Rz 19 und 30 ff, insbesondere Rz 33; Pichler in Rummel § 94 Rz 7b)."
Zudem hätte die Prüfung der Bedürftigkeit der Christine P***** "unter Beachtung ... des Heimgehrechts - vgl AS 37 ff, 47 ff, 110 f" erfolgen müssen:
"Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes kommt insoweit dem als "Heimgehrecht" bezeichneten, sonst aber nicht näher umschriebenen Rechten der Christine P***** angesichts des damit verbundenen geldwerten Anspruchs mögliche Bedeutung für die Bemessung des ihr gebührenden gesetzlichen Unterhalts zu (vgl Schwimann, Unterhaltsrecht2, 142), die mit dem Hinweis auf von den Eltern der Christine P***** anstelle der Inanspruchnahme dieses Wohnrechts (AS 110) freiwillig erbrachte Geldleistungen (vgl US 6 in ON 22) nicht geschmälert werden kann.
Im Übrigen wäre im Fall der Feststellung einer vorsätzlich bewirkten gröblichen Unterhaltsverletzung in einem weiteren Schritt zu prüfen gewesen, inwieweit dieses (einer Hilfe von dritter Seite iSd § 198 Abs 1 StGB nicht gleichkommende, weil auf einem der Unterhaltsberechtigten zustehenden Anspruch gegründete) "Heimgehrecht" einer konkreten Gefährdung des Unterhalts der erwachsenen Anspruchsberechtigten entgegenstand und inwieweit allenfalls eine solche Gefährdung durch eigene (insgesamt das Existenzminimum überschreitende - vgl Mayerhofer StGB5 § 198 E 9 f und 11a; 11 Os 18/88) Einkünfte ausschied."
Dem vermag sich der Oberste Gerichtshof nicht anzuschließen.
Das Verfahren erbrachte keine Anhaltspunkte für die Annahme der Verwirkung eines allfälligen Unterhaltsanspruchs. Eine gesonderte Wohnungnahme hat grundsätzlich keinen Unterhaltsanspruchsverlust zur Folge, lediglich grundloses Verlassen - hiefür gibt es aber nach der Aktenlage, insbesondere den von der Beschwerde zitierten Belegstellen keine Anhaltspunkte - könnte nach der Rechtsprechung dazu führen (vgl Schwimann ABGB2 § 94 Rz 33). Es bedurfte daher keiner weiteren Feststellungen in dieser Richtung.
Das - im Berufungsurteil festgestellte - "Wohn- und Heimgehrecht" der Christine P***** am Bauernhof ihrer Eltern (laut S 110 f: Hof am Berg in der Steiermark, wo sie jederzeit kostenlos wohnen und essen könnte) stellt mangels Inanspruchnahme durch die Berechtigte kein ihr für die Frage der Unterhaltsbemessung anrechenbares Einkommen dar. Nur tatsächlich zukommende Naturalleistungen wären darunter zu verstehen (vgl Schwimann Unterhaltsrecht2 141), nicht aber ein der Berechtigten zwar höchstpersönlich zustehendes, von ihr aber nicht in Anspruch genommenes Wohnrecht.
Dieses ist aber auch zur Frage eines allfälligen Gefährdungsausschlusses nicht zu berücksichtigen, weil die Wohnmöglichkeit nur durch Hilfe dritter Personen sichergestellt ist. Dass Christine P***** einen Rechtsanspruch darauf hat, vermag daran ebensowenig etwas zu ändern wie die Leistung eines Dritten, die zwar aufgrund subsidiärer Unterhaltsverpflichtung, nicht aber in der Absicht erbracht wird, den Unterhaltsverletzer von seiner Leistungspflicht zu befreien (vgl Markel in WK2 § 198 Rz 59).
B./ Im Verfahren 17 EVr 211/96 des Landesgerichtes Klagenfurt wurde die endgültige Nachsicht der seinerzeit verhängten Freiheitsstrafe zu Unrecht ausgesprochen, setzt doch ein solcher Beschluss iSd § 43 Abs 2 StGB in Zusammenhalt mit §§ 53 und 56 StGB voraus, dass die Probezeit tatsächlich abgelaufen und überdies kein Widerruf erfolgt ist. Dieses Erfordernis war im Zeitpunkt der Beschlussfassung des Einzelrichters des Landesgerichtes Klagenfurt in Hinblick auf die - wenn auch noch nicht rechtskräftige, aber schwebend wirksame (vgl Mayerhofer StP04 vor § 352 E 21a) - Verlängerung der Probezeit durch das Bezirksgericht Klagenfurt noch nicht gegeben (vgl 14 Os 77,78/98). Die endgültige Strafnachsicht durch das Landesgericht Klagenfurt verletzt daher das sich aus § 43 Abs 2 iVm §§ 53 und 56 StGB ergebende Gebot, die endgültige Strafnachsicht erst nach Ablauf der Probezeit auszusprechen.
Aus der Mangelhaftigkeit der Urteile des Bezirksgerichtes Klagenfurt und des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht sowie aus den Verfahrensmängeln können für den Verurteilten Nachteile erwachsen sein. Die Urteile und demgemäß auch die mit dem Urteil verbundenen Beschlüsse des Bezirksgerichts Klagenfurt waren daher - mit Ausnahme des zum Teil erfolgten Freispruchs - aufzuheben und die Verfahrenserneuerung anzuordnen.
Das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht gereicht Wolfgang P***** insoweit zum Vorteil, als es den Zeitraum vom 27. November 1997 bis 23. Jänner 1998 als Tatzeit aus dem Ersturteil ausschied, ist doch das Berufungserkenntnis in diesem Umfang ein rechtskräftiger Teilfreispruch gemäß § 259 Z 3 StPO.
Weil sich die zu A./2./ aufgezeigte Gesetzesverletzung durch das Bezirksgericht Klagenfurt und die dadurch noch vor Ablauf der - verlängerten - Probezeit bewirkte (gesetzwidrige) endgültige Strafnachsicht durch den Einzelrichter des Landesgerichtes Klagenfurt (B./) zum Vorteil des Verurteilten auswirkten, muss es insoweit - anders als bei Vorliegen von begrifflich miteinander völlig unvereinbaren Entscheidungen - mit der Feststellung dieser Gesetzesverletzung das Bewenden haben (siehe 14 Os 77,78/98). Somit bleibt der Beschluss des Einzelrichters des Landesgerichtes Klagenfurt, mit dem die endgültige Nachsicht der verhängten Freiheitsstrafe festgestellt wurde, rechtswirksam. Wenngleich sowohl die Verlängerung der Probezeit als auch ein in diesen Verlängerungszeitraum fallender beschlussmäßiger Ausspruch, wonach die Nachsicht der Strafe endgültig geworden ist, mangels Identität des Entscheidungsgegenstandes nebeneinander bestehen könnten, war der Beschluss auf Verlängerung der Probezeit schon im Hinblick auf die zu A./1./ und 7./ aufgezeigten Gesetzesverletzungen aufzuheben.
Im bezeichneten Umfang war der Nichtigkeitsbeschwerde daher Folge zu geben.
Der Generalprokurator sieht ferner eine weitere Gesetzesverletzung auch in dem Umstand, dass das Landesgericht Klagenfurt als Berufungsgericht am 19. Oktober 1999 in Abwesenheit des (durch Ersatzzustellung an die Gattin geladenen) Beschuldigten verhandelt und über ihn ein Urteil gefällt hat (§§ 79 Abs 1 aF iVm § 473 Abs 1 und Abs 2 StPO). Dazu wird im Einzelnen ausgeführt:
"Anders als bei einem auf die Berufungspunkte beschränkten Gerichtstag, zu dem der Angeklagte nicht zu eigenen Handen geladen werden muss (vgl 13 Os 128/90; 12 Os 44/88), ist im Fall einer vom Berufungsgericht gemäß § 473 Abs 2 StPO beschlossenen Beweiswiederholung ein Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über die Berufung und die Fällung einer Rechtsmittelentscheidung in Abwesenheit des (auch durch einen Verteidiger vertretenen) Angeklagten nur dann zulässig, wenn dem Beschwerdeführer die Ladung zur Berufungsverhandlung auch zu eigenen Handen zugestellt wurde. Aus den §§ 79 Abs 1 aF, 427 Abs 1, 459 StPO leuchtet nämlich das Ziel des Gesetzes hervor, Angeklagten bestimmte Schriftstücke, die primär für eine termin- oder fristgebundene höchstpersönliche Disposition ihrerseits von Bedeutung sind, jedenfalls eigenhändig zuzustellen (zum früher ähnlich gelagerten Fall der Zustellung einer Strafverfügung vgl EvBl 1990/150; siehe auch EvBl 1977/254; SSt 54/75; vgl nunmehr § 79 Abs 1 StPO idF BGBI I 26/2000). Bei einer Neudurchführung des Beweisverfahrens und einer in Bezug auf die Schuldberufungspunkte notwendigen Neuprüfung des Anklagevorwurfs sind die für die Hauptverhandlung vor den Gerichtshöfen erster Instanz geltenden Vorschriften zu beobachten (§ 473 Abs 1 dritter Halbsatz StPO) und dem Angeklagten insoweit ausreichendes rechtliches Gehör zu gewähren. Zu diesem Zweck muss es dem Angeklagten insbesondere möglich sein, in der einer Hauptverhandlung gleichkommenden, das schuldbestimmende Tatsachensubstrat für ein (Rechtsmittel-) Urteil neu und unabhängig von den Verfahrensergebnissen erster Instanz ermittelnden Berufungsverhandlung zu jedem Beweismittel persönlich und nicht nur durch seinen Verteidiger Stellung zu nehmen, selbst Fragen zu stellen und Gegenstände anzuerkennen (§§ 245 Abs 1, 248 Abs 4, 249, 252 Abs 3, 253 StPO - vgl SSt 57/87). Um diese das rechtliche Gehör konkretisierenden Rechte auch in eigener Person wahrnehmen zu können, muss durch eine eigenhändige Ladung iSd § 79 Abs 1 StPO aF sichergestellt sein, dass dem Angeklagten der Termin dieser (Berufungs-) Verhandlung bekannt war.
Durch die nach Art 52 Abs l SDÜ von der österreichischen Regierung an den Exekutivausschuss übermittelte Liste jener gerichtlichen oder staatsanwaltschaftlichen Urkunden und Schriftstücke, die im Geltungsbereich des Schengener Durchführungsübereinkommens im Postweg mit Empfangsbestätigung zugestellt werden können (vgl JABl 1997/42, 215 f), wurde das sich aus § 79 Abs 1 StPO aF ergebende Erfordernis einer - fallbezogen mittels nach wie vor zulässigen (Art 52 Abs 5 SDÜ) Zustellung im justiziellen Rechtshilfeweg gemäß Art XII Abs 1 des Vertrages mit der Bundesrepublik Deutschland über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen - qualifizierten Zustellung bestimmter Schriftstücke weder aufgehoben noch territorial auf Zustellungen im Inland und in Nichtmitgliedsstaaten des Schengener Durchführungsübereinkommens eingeschränkt. Eine bei gerichtlichen Vorladungen uneingeschränkt vorgesehene vereinfachte Zustellung gemäß Art 52 Abs 1 SDÜ entspricht somit nur dann den Kriterien der eigenhändigen Ladung nach § 79 Abs 1 StPO aF, wenn dieses im Postweg zugestellte Schriftstück dem Angeklagten nachweislich auch persönlich zugekommen ist.
Die von der Ehegattin des Angeklagten entgegengenommene Ladung zur Berufungsverhandlung vom 19. Oktober 1999 ersetzt daher nicht die gebotene eigenhändige Ladung des Angeklagten. Da eine Heilung dieses Zustellmangels iSd § 7 ZustellG aus den Akten nicht ersichtlich ist, verletzt die Durchführung des Gerichtstages zur öffentlichen Verhandlung und die Urteilsfällung vom 19. Oktober 1999 in Abwesenheit des Angeklagten das Gesetz im § 79 Abs 1 StPO aF iVm § 473 Abs 1 und Abs 2 StPO."
Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:
§ 79 StPO idF vor dem BGBl I 26/2000 lautete:
"(1) Die Vorladung zur Hauptverhandlung in erster Instanz muß dem Beschuldigten selbst zugestellt werden.
(2) Diese Vorladung des Privatanklägers und Privatbeteiligten sowie alle Aktenstücke, von deren Behändigung für einen Beteiligten die Frist zur Ergreifung eines Rechtsmittels oder des Einspruches gegen die Versetzung in den Anklagestand läuft, müssen entweder der Partei selbst oder ihrem bestellten Vertreter zugestellt werden.
(3) In den in den ersten beiden Absätzen bezeichneten Fällen hat die Zustellung zu eigenen Handen des Empfängers zu geschehen. In allen anderen Fällen ist Ersatzzustellung zulässig."
Bereits aus dem klaren Wortlaut dieser Gesetzesbestimmung ergibt sich, dass lediglich die Vorladung zur Hauptverhandlung in erster Instanz an den Beschuldigten selbst zu eigenen Handen zuzustellen, für die Ladung zur Berufungsverhandlung demgemäß ("in allen anderen Fällen") Ersatzzustellung zulässig war (vgl Foregger/Kodek StPO8 § 79 Rz 6, § 471 Rz 1; Mayerhofer StPO4 § 79 E 38; 13 Os 128/90, 12 Os 44/88). Zur Annahme einer planwidrigen Gesetzeslücke, demgemäß zu einer analogen Anwendung des Abs 1 und teleologischen Reduktion des Abs 3 leg.cit. für den Fall der Ladung des Angeklagten zu einer mündlichen Berufungsverhandlung, in der eine Beweisergänzung oder -wiederholung gemäß § 473 StPO stattfindet, besteht - der Beschwerde zuwider - kein Anlass.
§ 16 Abs 1 ZustellG normiert, dass eine Ersatzzustellung nur dann zulässig ist, wenn der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhält. Gemäß Abs 3 leg.cit. gilt die Ersatzzustellung dann als nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte.
Hiedurch wird aber ausreichend sichergestellt, dass der im Zeitpunkt der Zustellung nicht persönlich anwesende Empfänger auch im Fall einer Ersatzzustellung - wie im Fall einer Zustellung durch Hinterlegung (§ 17 ZustellG) - imstande ist, seine Verfahrensrechte zu wahren. Ein zur Berufungsverhandlung, in der eine Beweiswiederholung und -ergänzung stattfinden soll, geladener Angeklagter, dem die Ladung rechtzeitig und iSd § 16 Abs 1 und 3 ZustellG rechtswirksam durch Ersatzzustellung zugestellt wurde, ist nicht gehindert, seine das rechtliche Gehör konkretisierenden Rechte in der Berufungsverhandlung (hier vor allem §§ 248 Abs 4, 249 StPO) in eigener Person wahrzunehmen.
Im konkreten Fall haben der Angeklagte und sein Verteidiger an der Berufungsverhandlung vom 16. September 1999, in der die Beweisergänzung und -wiederholung beschlossen und die Verhandlung zur Aufnahme weiterer Beweise vertagt wurde, teilgenommen. Die Ladung des Angeklagten zur fortgesetzten Berufungsverhandlung vom 19. Oktober 1999 wurde von dessen Gattin am 30. September 1999 - also 19 Tage vor dem Termin - übernommen. Anhaltspunkte dafür (§ 16 Abs 5 ZustellG: "... wenn sich ergibt ..."), dass die (Ersatz-)Zustellung als nicht bewirkt gegolten habe (weil etwa Wolfgang P***** wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vor der Berufungsverhandlung vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen habe können), bietet der Akt nicht; auch vom in der Verhandlung anwesenden Verteidiger wurde kein Vorbringen in diese Richtung erstattet.
Es bedurfte somit - in Hinblick auf den unmissverständlichen Wortlaut des § 79 StPO aF - nicht einer Ladung des Angeklagten zu eigenen Handen. Da sich nach der Aktenlage im Verfahren keine Gründe für die Annahme eines Umstands, der die Zustellung der Ladung als nicht rechtsgültig bewirkt erweisen würde, ergeben haben, waren die Verhandlungsführung mit Beweisergänzung und die Urteilsfällung durch das Landesgericht Klagenfurt am 19. Oktober 1999 aus dieser Sicht zulässig.
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