OGH 7Ob5/01p

OGH7Ob5/01p23.1.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Manfred F*****, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Rudolf Rabl & Dr. Wolfgang Aigner, OEG, Ried im Innkreis, gegen die beklagte Partei B*****-AG *****, vertreten durch Dr. Helmut Valenta und Dr. Gerhard Gfrerer, Rechtsanwälte in Linz, wegen S 84.600,-- sA, über die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 30. August 2000, GZ 15 R 46/00s-23, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Linz-Land vom 3. Jänner 2000, GZ 9 C 1395/98s-17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 6.086,40 (darin enthalten S 1.014,40 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der (damals 34-jährige) Kläger spielte am 8. 11. 1997 Hallenfußball, wobei er "normale" Turnschuhe trug. Kurz vor Spielende wollte er einem Ball entgegenlaufen, der schräg von der Bande wegsprang. Der Kläger machte deshalb eine schnelle halbe Körperdrehung und wollte dann (auf den Ball zu) lossprinten. Bei (bzw nach) dieser schnellen Drehbewegung verspürte er beim anschließenden Sprint (ohne dass es zu einer Fremdeinwirkung gekommen wäre, auch ohne etwa in eine Bodenunebenheit geraten zu sein und ohne dass sein Bein über die durch das Zusammenwirken von Turnschuh und Hallenfußboden bedingte starke Reibung hinausgehend fixiert worden wäre) einen "Schnalzer" im Bereich der linken Achillessehne, die gerissen war.

Der Kläger, der zum Zeitpunkt dieses Vorfalles bei der Beklagten unfallversichert war, begehrt aus der Versicherung seine vorfallskausalen Schäden ersetzt, die er mit S 84.600,-- bezifferte. Durch seine Drehbewegung beim Wegstarten auf dem rutschfesten Boden sei es zu einer plötzlichen, überfalls- und ruckartigen Belastung und Überdehnung der Achillessehne gekommen. Aus medizinischer Sicht stelle dies ein adäquates Unfallereignis dar. Ein Vorschaden habe nicht bestanden.

Die beklagte Partei beantragte, die Klage abzuweisen. Es liege kein Unfall im Sinn der dem Versicherungsvertrag zugrundegelegten Versicherungsbe- dingungen vor.

Unstrittig ist, dass dem Versicherungsverhältnis der Streitteile die Allgemeinen Bedingungen für die Basler-Unfallsversicherung (BUVB 1989) zugrundeliegen, deren hier wesentliche Bestimmungen lauten:

Art 6

Begriff des Unfalles

1.) Unfall ist ein vom Willen des Versicherten unabhängiges Ereignis, das plötzlich von außen mechanisch oder chemisch auf seinen Körper einwirkt und eine körperliche Schädigung oder den Tod nach sich zieht.

2.) Als Unfall gelten auch folgende vom Willen des Versicherten unabhängige Ereignisse:

....

- Verrenkungen von Gliedern sowie Zerrungen und Zerreissungen von an Gliedmaßen und an der Wirbelsäule befindlichen Muskeln, Sehnen, Bändern und Kapseln infolge plötzlicher Abweichung vom geplanten Bewegungsablauf.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Vorfall vom 8. 11. 1997 sei dem Art 6 Pkt 2 letzter Satz BUVB 1989 zu unterstellen. Der Achillessehnenriss sei nicht während einer normalen und damit völlig beherrschten Laufbewegung oder einem normalen Sprint eingetreten, sondern bei einer schnellen Drehung mit anschließendem Wegstarten. Dabei seien Kräfte freigeworden, die die Reissfähigkeit der Achillessehne überstiegen hätten. Ein Freizeitsportler könne der Forderung nach einem kontrollierten Bewegungslauf unter diesen Umständen - Sprint und Drehbewegung - nicht mehr gerecht werden, sodass bei derartigen Bewegungen jedenfalls die Gefahr der Unkontrollierbarkeit des Vorganges gegeben sei. Eine kontinuierliche und sich zum Sprint steigernde Bewegung sei nicht vorgelegen, sondern aus einer willentlich eingeleiteten kontrollierten Bewegung sei im Zuge derselben eine dem Willen entzogene Bewegung geworden.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Der Achillessehnenriss sei entgegen der Ansicht des Erstgerichtes während einer normalen Laufbewegung in einer vom Kläger beherrschten und gewollten Situation eingetreten. Die Haftung der Turnschuhe des Klägers auf dem Gummiboden als Begründung dafür heranzuziehen, es seien ungeplant und unkontrolliert Kräfte aufgetreten, die auf eine gesunde Achillessehne schädigend eingewirkt hätten, überzeuge deshalb nicht, weil der Kläger zum einen bis zum schädigenden Ereignis kurz vor Spielende bereits vier Spiele zu je 20 Minuten bestritten gehabt habe und demnach mit der Bodenbeschaffenheit und der Bodenhaftung seiner Turnschuhe vertraut habe sein müssen und zum anderen bei einem Auftreten mit den Sportschuhen auf einen Gummiboden gar kein Haftenbleiben im eigentlichen Sinne stattfinde. Vielmehr werde bloß das Drehen des Schuhes auf dem Hallenboden und damit das Drehen des ganzen Fußes verhindert, weil beim Wegsprinten die Gummisohle stark auf den Boden gepresst werde. Dass durch die Drehbewegung aus dem Sprintansatz heraus durch die gesteigerte Rutschfestigkeit Kräfte freigeworden seien, die die Reissfähigkeit der Achillessehne überstiegen, stehe der Kontrollierbarkeit des Vorganges nicht entgegen. Dass der Kläger mit seinem Vorhaben eine extreme Spielbewegung ausgelöst habe, berge für sich allein nicht die Gefahr der Unkontrollierbarkeit des Vorganges in sich, weil dadurch lediglich ein größerer Einsatz an Körperkraft erforderlich geworden sei. Der Bewegungsablauf des Klägers sei nicht nur bewusst und gewollt begonnen worden, der Kläger habe vielmehr auch die Bewegung, die den Achillessehnenriss bewirkt habe, fortsetzen und vollenden wollen. Der von ihm ins Auge gefasste Bewegungsablauf sei schließlich auch bis zum schädigenden Ereignis, dem Reissen der Sehne, beherrscht worden. Der Kläger habe sich zugleich drehen und loslaufen wollen. Dass wegen des großen Anpressdruckes der Schuh und damit der Fuß nicht mitdrehe, sei weder ungeplant noch ungewollt noch nicht mehr beherrschbar gewesen. Einzig die durch Drehung und Zug auf die Achillessehne einwirkenden Kräfte seien zuviel gewesen. Das stehe aber eine Kontrollierbarkeit des Vorganges nicht entgegen. Dass man beim Fußballspiel in unterschiedlichem Maß körperlich gefordert werde, einmal mehr und einmal weniger laufen müsse, sich einmal mehr und einmal weniger schnell nach rechts oder links drehen müsse, sei typisch für das Spiel und mache die sportliche Betätigung gerade aus. Ein plötzliches Abweichen vom geplanten Bewegungsablauf könne daher nicht angenommen werden, erschöpfe sich das Merkmal der Plötzlichkeit schließlich nicht in dem Begriff der Schnelligkeit, sondern schließe als wesentlich hervorstechendes Merkmal vor allem auch das Moment des Unerwarteten, nicht Vorhergesehenen, Unentrinnbaren ein. Selbst wenn man den von der Bande schief abspringenden Ball als unerwarteten Auslöser der gleichzeitigen Dreh- und Laufbewegung des Klägers ansehe, sei sein Verhalten dennoch als willkürlich anzusehen, auch wenn - psychologisch gesehen - die Flugbahn des Balles bestimmt habe, wohin der Kläger gerannt sei. Es ändere nichts daran, dass letztlich die Bewegung des Klägers als geplanter Bewegungsablauf im Sinne der Versicherungsbedingungen anzusehen sei. Seine Verletzung sei daher ein Unglück aber kein Unfall iSd Art 6 Punkt 2. BUVG 1989 gewesen.

Zur Begründung des Ausspruches der Zulässigkeit der Revision führte das Berufungsgericht aus, der Frage, ob unwillkürliche Abweichungen vom geplanten Bewegungsablauf darin liegen könnten, dass ein Spieler durch einen versprungenen Ball zu einer unerwartenden Bewegung verleitet werde, könne über den Einzelfall hinaus Bedeutung zukommen (vgl nicht nur die hier anzuwendenden BUVG, sondern auch die insoweit gleichlautenden AUVB 1995); eine Rechtsprechung genau zu dieser Frage liege noch nicht vor.

Entgegen diesem Ausspruch des Berufungsgerichtes, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508a Abs 1 ZPO), ist die vom Kläger erhobene Revision mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Einem Unfall iSd BUVB 1989 (die den vom Obersten Gerichtshof bereits

mehrfach beurteilten AUVB 1965 insofern ganz vergleichbar sind) liegt

ein Vorgang zugrunde, der vom Versicherten bewusst und gewollt

begonnen und zunächst in seinem Ablauf beherrscht wurde, dann aber

durch ein unerwartetes Ereignis unkontrollierbar wurde und nunmehr

schädigend auf den Versicherten eingewirkt (vgl 7 Ob 2/91 = VersRdSch

1992, 383 = RdW 1992, 177, ua; RIS-Justiz RS0082008; RS0082003,

zuletzt etwa 7 Ob 118/00d). So ist ein Unfall zB dann anzunehmen,

wenn der Versicherte seinen Fuß in der Eile auf eine Bordsteinkante

gesetzt hatte und dann umgeknickt war. Hier liegt nämlich in Wahrheit

keine - in dieser Weise - gewollte Bewegung vor, weil - wie

anzunehmen ist - der Versicherte den Fuß nicht so auf die

Bordsteinkante setzen wollte (7 Ob 1019/92 = VersRdSch 1992, 404

unter Hinweis auf Bruck/Moeller VVG8 IV/1, 275; vgl auch 7 Ob 9/91 =

VersR 1991, 1315 = VersRdSch 1991, 28 = VersR 1992, 1247 - Pressball

beim Fußball; 7 Ob 2/91 = VersRdSch 1992, 383 = RdW 1992, 177 -

Stolpern bei einem Sprint beim Tennis).

Zu 7 Ob 1019/92 hat der Oberste Gerichtshof bei einem Achillessehnenriss, der während der normalen Laufbewegung des Versicherten, also in der vom Läufer völlig beherrschten und auch gewollten Situation, eintrat, das Vorliegen eines Unfalles im Sinne der Versicherungsbedingungen verneint und dazu ausgeführt, dass die Sprintbewegung des Versicherten über das Leistungsvermögen seiner Achillessehne hinausgegangen sei, stehe nicht der Kontrollierbarkeit des Vorganges entgegen, weil ein schneller Sprint nur einen größeren Einsatz an Körperkraft erfordere, aber grundsätzlich noch nicht die Gefahr der Unkontrollierbarkeit des Vorganges in sich berge. Gleiches - dass also eine bis zuletzt nicht unkontrollierbare bzw unkontrollierte Situation vorgelegen habe - hat der Oberste Gerichtshof zu 7 Ob 118/00d hinsichtlich eines Achillessehnenrisses des Unfallversicherten im Zuge eines Aufschlages bei einem Tennisspiel angenommen, wobei dort ganz unstrittig war, dass mit dem Aufschlag auch keine "plötzliche ungewöhnliche Kraftanstrengung" iSd Art 2 Abs 2 lit b AUVB 1965 verbunden war. Die vergleichbare - und hier maßgebliche - Bestimmung des Art 6 Z 2 BUVB 1989 subsumiert unter den Unfallsbegriff ua ein Zerreissen von an Gliedmaßen befindlichen Sehnen infolge "plötzlicher Abweichung vom geplanten Bewegungsablauf". Ob eine solche "plötzliche Abweichung" vorlag, ist in erster Linie Tatfrage und hängt jedenfalls von den Umständen des Einzelfalles ab. Zufolge dieser Einzelfallbezogenheit wäre diese Frage daher nur dann iSd § 502 Abs 1 ZPO aus Gründen der Rechtssicherheit erheblich, wenn dem Berufungsgericht dabei eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen wäre. Davon kann aber nach dem festgestellten Sachverhalt hier gar keine Rede sein: Der Kläger machte eine Drehbewegung, um - wie beim Fußballspiel üblich - einem Ball, der seine Richtung geändert hatte, nachzulaufen. Ohne dass es nun zu einer Fremdeinwirkung gekommen wäre, der Fuß des Klägers über die normale Haftung auf dem Hallengummiboden fixiert gewesen oder der Kläger etwa in einer Bodenunebenheit hängengeblieben wäre, kam es dabei zu einem Achillessehnenriss. Dass die Zerreissung der Achillessehne im vorliegenden Fall also nicht infolge eines "plötzlichen" iS eines unerwarteten oder unentrinnbaren Moments (vgl 7 Ob 9/91 = VersRdSch 1992, 28 = VersR 1992, 1247) geschah, ist entgegen der Ansicht des Revisionswerbers nicht zu bezweifeln.

Die Ansicht des Berufungsgerichtes, es liege kein Unfall iS der BUVB 1989 vor, entspricht dem völlig klaren Wortlaut der zitierten Versicherungsbedingung. Da diese, wie gesagt, im betreffenden Punkt völlig klar und unzweideutig sind, muss auch der vom Revisionswerber noch erhobene Einwand, im Zweifel sei eine undeutliche Bestimmung der Versicherungsbedingungen zum Nachteil des Versicherers auszulegen, ins Leere gehen.

Es liegt demnach kein tauglicher Revisionsgrund vor. Dass ein völlig gleichgelagerter Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof noch nicht beurteilt wurde, bedeutet keineswegs schon, dass eine Rechtsfrage von der im § 502 Abs 1 ZPO umschriebenen erheblichen Bedeutung gegeben wäre (RIS-Justiz RS0110702). Die Revision war daher zurückzuweisen. Dabei konnte sich der Oberste Gerichtshof gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO. Die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision aus dem Grund des § 502 Abs 1 ZPO ausdrücklich hingewiesen.

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