OGH 7Ob2/91

OGH7Ob2/9114.2.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Herbert B*****, vertreten durch Dr. Michael Metzler, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei I*****VERSICHERUNGS-AG, ***** vertreten durch Dr. Hansjörg Kaltenbrunner, Rechtsanwalt in Linz, wegen S 140.000,-- s.A. infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 16. Oktober 1990, GZ 4 R 117/90-29, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 22. Jänner 1990, GZ 5 Cg 327/87-22, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben und das Urteil des Berufungsgerichtes teilweise abgeändert und teilweise bestätigt, sodaß es insgesamt zu lauten hat:

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 80.000,-- samt 4 % Zinsen seit dem 1.10.1987 und die mit S 24.618,53 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen zu bezahlen. Das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer S 60.000,-- s.A. wird abgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 1.439,93 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 2.350,54 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger spielte am 13.1.1985 Tennis in einer Halle mit einem Teppichbodenbelag. Nach längerem Spiel versuchte er von der Grundlinie aus einen Stopball zu erreichen und stolperte hiebei. Er versuchte sich abzufangen, um nicht ins Netz zu fallen und machte einen Sprung nach vor. Dabei stellte er das rechte Bein nach vorne, um den Schwung, den er durch das Vorlaufen erlangt hatte, abzufangen. Er konnte aber den Sturz nicht mehr vermeiden, und fiel in das Netz. In dem Moment, als er den Sturz zu vermeiden versuchte, erlitt er im rechten Bein einen Achillessehnen(ab)riß. Die Spielsituation war so extrem, wie sie der Kläger trotz häufigem Spielen noch nie erlebt hatte. Die gerissene Achillessehne des Klägers war schon mittelgradig degeneriert. Ohne die Degeneration wäre es beim Kläger mit fast 100 %iger Wahrscheinlichkeit beim geschilderten Vorfall nicht zu einem Achillessehnenriß gekommen. Es ist anzunehmen, daß die Achillessehne früher oder später durch irgendeine weitere kleine Gelegenheitsursache gerissen wäre. Der Achillessehnenriß des Klägers ist etwa zu 1/3 auf das Unfallgeschehen und zu etwa 2/3 auf die Degeneration der Sehne zurückzuführen. Derzeit ist eine Invalidität von 1/5 des Fußwertes somit 10 % Gesamtinvalidität vorhanden. Ob das Fortschreiten der Degeneration in absehbarer Zeit auch für sich alleine zu demselben Schaden geführt hätte, wie er durch das Unfallereignis eingetreten ist, konnte nicht festgestellt werden.

Der Kläger war am 13.1.1985 und ist bei der Beklagten unfallversichert. Die Versicherungssumme beträgt für dauernde Invalidität S 800.000,--. Dem Versicherungsvertrag liegen die AUVB 1965 bzw. 1982 zugrunde. Deren Artikel 2 lautet (im hier relevanten Umfang):

"Artikel 2. Begriff des Unfalles.

1.) Als Unfall im Sinne des Vertrages gilt jedes vom Willen des Versicherten unabhängige Ereignis, das plötzlich von außen mechanisch oder chemisch auf seinen Körper einwirkend, eine körperliche Schädigung oder den Tod des Versicherten nach sich zieht.

2.) Als Unfälle gelten auch folgende, vom Willen des Versicherten unabhängige Ereignisse:

b) Verrenkungen, Zerrungen und Zerreißungen - jedoch nicht der inneren Organe und Gefäße - infolge plötzlicher ungewohnter Kraftanstrengung (siehe auch: Artikel 3, Z. III, Punkt 9);....."

Der Kläger begehrt von der beklagten Unfallversicherung die Bezahlung von S 140.000,-- s.A. Er brachte vor, daß es aufgrund einer extremen Spielsituation zu einer plötzlichen notwendigen überdurchschnittlichen Kraftanstrengung gekommen sei, die einen Sturz und den Riß der Achillessehne verursacht habe.

Die beklagte Partei beantragte die Klagsabweisung und wendete ein, daß kein deckungspflichtiger Unfall im Sinne des Versicherungsvertragsgesetzes vorliege. Sie bestritt auch das Ausmaß der vom Kläger mit 17,5 % der Gesamtinvalidität behaupteten Beeinträchtigung.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren (unter Abweisung eines nicht mehr gegenständlichen Zinsenmehrbegehrens) statt und traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen. Es folgerte rechtlich, daß das Unfallsgeschehen des Klägers unter Art. 2 Z 1 AUVB 1965 bzw 1982 zu subsumieren sei. Die Höhe des Anspruches des Klägers errechne sich nach Art. 8 Z 2 AUVB 1965. Ergebe sich innerhalb eines Jahres nach dem Unfallstag eine dauernde Invalidität, dann treffe den Versicherer entweder die Verpflichtung zur Zahlung des entsprechenden Anteiles an der Gesamtinvalidität oder er könne, solange der Grad der Invalidität nicht eindeutig feststehe, längstens aber bis 4 Jahre nach dem Unfallstag diesen Grad jährlich neu feststellen lassen. Ab Beginn des 3.Jahres nach dem Unfall müsse diese Feststellung durch ein Gutachten der Ärztekommission erfolgen. Der Kläger habe am 26.4.1985 ein Verletzungsgutachten des Facharztes Dr. M***** vorgelegt, welches ihm eine Invalidität von 25 %, d.s. 17,5 % der Gesamtinvalidität attestiere. Diese Einschätzung habe der damaligen Situation entsprochen. Die beklagte Partei habe es unterlassen, eine Neubemessung des Invaliditätsgrades in den folgenden zwei Jahren zu begehren, weshalb das Ergebnis des Beweisverfahrens, das dem Kläger nur mehr eine 10 %ige Gesamtinvalidität bescheinige, nicht herangezogen werden konnte.

Das Berufungsgericht wies mit der angefochtenen Entscheidung das Klagebegehren zur Gänze ab. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und erklärte die Revision für zulässig. Die Verletzung sei nicht durch das Stolpern, sondern durch den zur Abwendung eines Sturzes in das Netz unternommenen Abstützsprung des Klägers verursacht worden. Da sich der Begriff des von außen auf den Körper einwirkenden Ereignisses und jener der Kraftanstrengung gegenseitig ausschließen, liege kein Unfall im Sinne des Art. 2 Z 1 AUVB 1965 vor. Der Anspruch des Klägers ergebe sich aber auch nicht aus Art. 2 Z 2 lit b AUVB, weil der Kläger nicht behauptet habe, daß die zur Vermeidung des Sturzes von ihm aufgewendete Kraftanstrengung für ihn ungewohnt gewesen sei. Das Fehlen dieser Behauptung könne weder durch die festgestellte überdurchschnittliche Kraftanstrengung, noch durch die Feststellung, daß die Spielsituation so extrem war, wie es der Kläger noch nie erlebt habe, ersetzt werden.

Die Revision des Klägers ist teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen der Ansicht der beklagten Partei liegt ein versicherungspflichtiger Unfall vor. Als solcher gilt nach Art. 2 Z 1 AUVB 1965 jedes vom Willen des Versicherten unabhängige Ereignis, das plötzlich von außen mechanisch oder chemisch auf seinen Körper einwirkend eine körperliche Schädigung oder den Tod des Versicherten nach sich zieht. Daß eigenes Verhalten zum Unfall beitragen, ihn sogar herbeiführen kann, ist in der Unfallversicherung nicht zweifelhaft (Bruck/Möller, VVG8 IV/1, 271). Dabei wird zwar ein gewolltes und gesteuertes Verhalten des Versicherungsnehmers nicht als Unfallereignis angesehen werden können, weil es in diesem Fall an einem plötzlich von außen wirkenden Ereignis fehlen würde (Bruck/Möller aaO, 277). Ein Unfall liegt dagegen bei einem Vorgang vor, der vom Versicherten bewußt und gewollt begonnen und zunächst in seinem Ablauf beherrscht wurde, sich dieser Beherrschung aber durch einen unerwarteten Ablauf entzogen und nunmehr schädigend auf den Versicherten eingewirkt hat (Bruck/Möller aaO, 274). So ist ein Unfall zB dann anzunehmen, wenn der Versicherte seinen Fuß in der Eile auf eine Bordsteinkante gesetzt hatte und dann umgeknickt war. Hier liegt nämlich in Wahrheit keine - in dieser Weise - gewollte Bewegung vor, weil - wie anzunehmen ist - der Versicherte den Fuß nicht auf die Bordsteinkante setzen wollte (Bruck/Möller aaO, 275). Nicht anders ist aber der vorliegende Fall zu beurteilen. Der Kläger geriet beim Nachvorspringen ins Stolpern, im Gegensatz zu den Ausführungen der Revisionsgegnerin ist nicht erwiesen, daß er mit einem Hechtsprung den Ball erreichen und sich dann zu Boden werfen wollte. Ob das Stolpern durch ein unglückliches Aufsetzen des Fußes auf dem Boden oder aber durch den zwischen die Beine geratenen Tennisschläger verursacht wurde, ist gleichgültig. Daß der Kläger mit seinem Sprint eine extreme Spielsituation auslöste, steht der Kontrollierbarkeit des Vorganges nicht entgegen, weil ein schneller Sprint nur einen größeren Einsatz an Körperkraft erfordert, aber grundsätzlich noch nicht die Gefahr der Unkontrollierbarkeit des Vorganges in sich birgt. Ab dem Nachvortaumeln des Klägers kann nicht mehr von einem gewollten und in seinem Ablauf vom Versicherten beherrschten Vorgang gesprochen werdem. Die Verletzung wurde aber durch den untauglichen Versuch des Klägers, das Taumeln unter Kontrolle zu bringen, verursacht. Das Stolpern stellte daher eine plötzliche Einwirkung von außen dar, die zur körperlichen Schädigung des Klägers führte, weshalb ein deckungspflichtiger Unfall nach Art. 2 Z 1 AUVB 1965 vorliegt. Erwägungen, ob auch der Unfallstatbestand des Art 2 Z 2 lit. b AUVB 1965 erfüllt ist, sind daher entbehrlich. Der von der Revisionsgegnerin zitierten Entscheidung des OLG Schleswig (VersR 1973, 50) lag ein anders gelagerter Sachverhalt zugrunde. Dort trat der Achillessehnenriß während der normalen Laufbewegung des Versicherten, also in einer vom Läufer völlig beherrschten und gewollten Situation ein. Soweit sich die Revisionsgegnerin darauf beruft, daß ein Achillessehnenriß unter den festgestellten Umständen unmöglich sei, greift sie damit die irrevisible Tatfrage auf. Das Erstgericht hat zutreffend die aus der Degeneration der Archillessehne des Klägers und die aus der Tatsache, daß eine gesunde Achillessehne mit größter Wahrscheinlichkeit bei der festgestellten Beanspruchung nicht abgerissen wäre, zu ziehenden Folgerungen richtig dem Problem der überholenden Kausalität zugeordnet. Steht fest, daß das betroffene Rechtsgut mit Sicherheit in einem späteren Zeitpunkt in gleicher Weise wie durch den Unfall geschädigt worden wäre, so ist dies bei der Schadensberechnung entsprechend zu berücksichtigen. Die Beweislast dafür, daß das überholende Ereignis mit Sicherheit ohnedies eingetreten wäre, trifft den behauptenden Versicherer, denn es handelt sich um eine Ausnahme von der an sich gegebenen Haftung. An den Nachweis hypothetischer Schadensursachen sind hohe Anforderungen zu stellen (vgl. Reischauer in Rummel zu § 1304 ABGB Rz 15 mwN). Diesen Nachweis der Mitverursachung hat die beklagte Partei aber nicht erbracht (vgl. 7 Ob 51/87). Die Feststellungen, daß es ohne Degeneration der Achillessehne des Klägers mit fast 100 %iger Wahrscheinlichkeit nicht zum festgestellten Riß gekommen wäre und daß der Achillessehnenriß etwa zu 1/3 auf das Unfallgeschehen und etwa zu 2/3 auf die Degeneration der Sehne zurückzuführen ist, besagt nicht, daß die degenerierte Achillessehne des Klägers nach einem bestimmten Zeitablauf in gleicher Weise wie beim Unfall gerissen wäre; vielmehr blieb es nach wie vor möglich, daß ein solcher Abriß nie eingetreten wäre. Die anderslautenden Ausführungen der Revisionsgegnerin gehen nicht von den Tatsachenfeststellungen aus. Der beklagten Versicherung ist der Beweis nicht gelungen, daß eine solche Behinderung des Klägers nach einem bestimmten Zeitpunkt mit Sicherheit ohnedies eingetreten wäre (vgl. ZVR 1980/151 sowie die vom Erstgericht zitierten Entscheidungen).

Art. 8 Punkt II/1 lit. a und b der AUVB 1965 erlaubt den vom Kläger und vom Erstgericht gezogenen Schluß auf die Höhe der Invaliditätsabgeltung nicht. Nach dieser Bestimmung hat der Versicherer, wenn sich innerhalb eines Jahres vom Unfallstag an eine dauernde Invalidität ergibt, a) entweder den dem Anteil der Gesamtversicherungssumme entsprechenden Prozentsatz der Teilinvalidität dem Versicherten zu bezahlen, oder b) das Begehren zu stellen, den Grad der Invalidität bis längstens 4 Jahre vom Unfallstage an jährlich neu feststellen zu lassen, wobei nach 2 Jahren ab dem Unfallstag diese Feststellung durch ein Gutachten der Ärztekommission erfolgen muß. Wenn auch richtig ist, daß der beklagte Versicherer von der ihm in lit. b) eingeräumten Neubemessungsmöglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, kann sich die Einschätzung der Teilinvalidität nach lit. a) im Falle eines Rechtsstreites, gleich ob zum Grund oder zur Höhe nicht ausschließlich nach dem Zustand des Versicherten im zweiten Jahr nach dem Unfall richten. Damit würde im Bestreitungsfall jeder Versicherer gezwungen werden, parallel zum Zivilverfahren eine Einschätzung durch die Ärztekommission vornehmen zu lassen, obwohl er im Rechtsweg das gleiche Ziel anstrebt. Die Auslegung des Erstgerichtes bewirkt im Ergebnis eine ungerechtfertigte Bestrafung des Versicherers im Bestreitungsfall, in dem sie ihn zur Durchführung eines kostenaufwendigen aber infolge des Rechtsstreites unnützen Einschätzungsverfahren zwingt. Wenn es auch zutrifft, daß der Anspruch des Versicherten mit der Ablehnung durch die Versicherung fällig wird, darf der Versicherer im Falle eines Rechtsstreites, in dem er auch die Höhe der begehrten Invaliditätsabgeltung bestreitet, bei vernünftiger Auslegung der zitierten Bestimmung des Art. 8 II nur zur Zahlung der Invaliditätsabgeltung verpflichtet werden, die dem tatsächlichen Ausmaß bei Schluß der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz entspricht. Der Regelung des Art. 8 II/1 lit. a) und b) kommt daher nur bei Anerkennung des Geschehens als deckungpflichtigem Unfall Bedeutung zu, nicht jedoch im Bestreitungsfall und anschließendem Rechtsstreit. Den Feststellungen des Erstgerichtes über die nunmehr vorhandene Gesamtinvalidität des Klägers waren daher dem Kläger S 80.000 in Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen zuzuerkennen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 43 Abs 1 und 2 sowie 50 ZPO. Da die Ausmittlung des letztlich zuerkannten Betrages aufgrund eines Sachverständigengutachtens erfolgte und der klagenden Partei keine Überklagung anzulasten ist, waren ihr bis zur Gutachtenserstattung Kosten auf Basis des ersiegten Betrages zuzuerkennen. Zufolge unterlassener Einschränkung des Begehrens konnten der klagenden Partei ab der Verhandlung vom 11.11.1988 nur mehr 14 % ihrer Kosten zuerkannt werden.

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