OGH 2Ob70/00h

OGH2Ob70/00h16.3.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am 21. August 1995 geborenen Windy-Magdalena B***** und des am 27. November 1996 geborenen Benjamin-Christopher B*****, über den Rekurs der Minderjährigen, vertreten durch das Amt für Jugend und Familie - Rechtsfürsorge Bezirk 23, *****, als Unterhaltssachwalter gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtsachen Wien als Rekursgericht vom 12. Jänner 2000, GZ 45 R 9/00g-13, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Liesing vom 2. Dezember 1999, GZ 1 P 57/99m-7, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der Aufhebungsbeschluss des Rekursgerichtes wird aufgehoben und in der Sache selbst beschlossen, dass der Beschluss des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Text

Begründung

Die am 21. 8. 1995 geborene Windy-Magdalena B***** und der am 27. 11. 1996 geborene Benjamin-Christopher B***** beantragten die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG mit der Begründung, die Exekutionsführung scheine aussichtslos, weil der Vater in Deutschland von der Herstellung und dem Verkauf von Indianermokassins (laut Aussage der Mutter) lebe, und ein Einheben des Unterhalts daher nur sehr schwer möglich sei bzw zu lange dauere.

Das Erstgericht wies diesen Antrag mit der Begründung ab, die Notwendigkeit gegen den Unterhaltsschuldner im Ausland Exekution zu führen begründe noch nicht ohne weiteres Aussichtslosigkeit, vor allem, wenn bilaterale und multilaterale Abkommen die Durchsetzung des Unterhaltstitels im Ausland ermöglichten. In diesem Fall müsse die Exekution im Ausland zumindest einmal versucht werden; dies gelte insbesondere für Deutschland. Im gegenständlichen Fall sei die Exekution in Deutschland nicht einmal beantragt worden.

Das von den Pflegebefohlenen angerufene Rekursgericht hob den Beschluss des Erstgerichtes auf und trug diesem eine neuerliche Entscheidung auf; es sprach aus, der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig.

Das Rekursgericht vertrat die Ansicht, es ergebe sich aus dem Gesetzeswortlaut der §§ 3, 4 Z 1 UVG, dass das Fehlen eines inländischen Exekutionsobjektes und die sich daraus ergebende Notwendigkeit einer Exekutionsführung im Ausland als aussichtslose Exekutionsführung nach § 3 Z 2 UVG anzusehen sei. Darüber hinaus sei im konkreten Fall zu beachten, dass im Hinblick auf die selbständige Erwerbstätigkeit des Vaters eine Exekutionsführung die Pfändung und in der Folge auch die Verwertung gepfändeter Vermögenswerte im Ausland erfordere. Die Voraussetzungen für die Gewährung eines Vorschusses nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG seien somit gegeben.

Der Beschluss des Erstgerichtes sei jedoch aufzuheben und diesem eine neuerliche Entscheidung aufzutragen, weil sonst der im erstinstanzlichen Verfahren gemäß § 12 UVG zu Recht nicht gehörte Vater im Falle einer abändernden Entscheidung des Rekursgerichtes keine Möglichkeit der Bekämpfung der Entscheidung auf Tatsachenebene hätte. Dies widerspreche den Grundsätzen des Verfahrensrechtes und auch den Intentionen des Art 6 MRK.

Da hinsichtlich der hier maßgeblichen Rechtsfrage auch eine anderslautende Judikatur des Obersten Gerichtshofes bekannt sei und es sich um eine Rechtsfrage von den Einzelfall übersteigender Bedeutung handle, sei auszusprechen, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs (richtig: Rekurs) der Pflegebefohlenen mit dem Antrag, die aufhebende Entscheidung des Rekursgerichtes dahin abzuändern, dass den Minderjährigen die Titelunterhaltsvorschüsse antragsgemäß gewährt werden.

In dem Rechtsmittel wird geltend gemacht, dass gemäß § 12 UVG der Unterhaltsschuldner nur zu hören sei, wenn dadurch Zweifel über das Vorliegen der Voraussetzungen geklärt werden könnten und das Verfahren nicht verzögert werde. Im vorliegenden Fall sei eine Anhörung des Unterhaltsschuldners entbehrlich, weil dieser zur Frage der Aussichtslosigkeit der Exekutionsführung nichts beizutragen vermöge.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist aus den vom Rekursgericht angeführten Gründen

zulässig. Er ist - wenn auch in einem anderen Sinn als in dem

Rechtsmittel angestrebt - berechtigt. Die unter Hinweis auf das

Vorliegen einer Rechtsfrage im Sinn des § 14 Abs 1 AußStrG

ausgesprochene Zulassung des Rekurses ermöglicht es nämlich, in der

Hauptsache selbst zu entscheiden, wobei das Verbot der reformatio in

peius nicht gilt (6 Ob 168/98v = ecolex 1999, 97 = GesRZ 1998, 211 =

RdW 1998, 737 = WBl 1999, 36).

Es entspricht seit der Entscheidung 8 Ob 627/90 (= EFSlg 63.650/9 =

ÖA 1991, 111) ständiger Rechtsprechung, dass zwar § 4 Z 1 UVG die Notwendigkeit einer Exekutionsführung im Ausland als Beispiel einer aussichtslos scheinenden Exekutionsführung heraushebt, dass aber die im Ausland notwendige Exekutionsführung gegen den Unterhaltsschuldner dann nicht aussichtslos ist und auch nicht aussichtslos "scheint", wenn der Aufenthalt und die Beschäftigung des Unterhaltsschuldners bekannt sind und die Vollstreckung durch internationale Verträge nicht bloß geordnet, sondern auch durch die konkrete Behördenpraxis gewährleistet ist. § 4 Z 1 UVG kann bei Bedachtnahme auf die Zielsetzungen des UVG nur so verstanden werden, dass die Annahme der Aussichtslosigkeit eine Exekutionsführung im Ausland zwar naheliegt, dass deshalb aber das Gericht nicht von jedweder Prüfung der Aussichtslosigkeit enthoben ist. Hätte der Gesetzgeber die Exekutionsführung im Ausland in jedem Fall einer aussichtslos scheinenden Exekutionsführung im Sinn des § 4 Z 1 UVG gleichsetzen wollen, hätte er dies eindeutig - etwa in Form einer alternativen Aufzählung oder als Fiktion - zum Ausdruck bringen müssen (RIS-Justiz RS0076062; zuletzt 6 Ob 276/99b). Im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland bestehen hinsichtlich der Vollstreckung eines österreichischen Exekutionstitels geordnete Rechtshilfebeziehungen, es besteht daher grundsätzlich kein Anlass, eine derartige Exekutionsführung als aussichtslos im Sinne des § 4 Z 1 UVG anzusehen (EFSlg 63.650/9 = ÖA 1991, 111; RZ 1991/23). Dass im konkreten Fall die selbständige Erwerbstätigkeit des Vaters die Pfändung und in der Folge auch die Verwertung gepfändeter Vermögenswerte im Ausland erfordert, kann nicht die Aussichtslosigkeit der Exekutionsführung bewirken, sind doch derartige Exekutionsschritte auch im Inland erforderlich.

Es war deshalb der antragsabweisende Beschluss des Erstgerichtes wiederherzustellen.

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