OGH 7Ob46/00s

OGH7Ob46/00s15.3.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller und Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Veronika M*****, vertreten durch Zamponi, Weixelbaum & Partner, Rechtsanwälte OEG in Linz, gegen die beklagte Partei L***** als Rechtsträger des Allgemeinen Öffentlichen Krankenhauses *****, vertreten durch Dr. Eckhard Pitzl, Dr. Gerhard W. Huber, Anwaltspartnerschaft in Linz, wegen S 551.259,-- sA und Feststellung (Gesamtstreitwert S 651.259,--), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 1. Dezember 1999, GZ 4 R 229/99w-21, womit das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 31. August 1999, GZ 30 Cg 25/98z-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 21.783,38 (darin enthalten S 3.630,56 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin zog sich am 24. 6. 1995 durch einen Sturz ua einen Bänderriss am rechten Außenknöchel zu, der im Allgemeinen Öffentlichen Krankenhaus V*****, dessen Rechtsträger die beklagte Partei ist, behandelt wurde. Der Klägerin wurde von ärztlicher Seite zur Behebung der Folgen dieser Verletzung nachdrücklich die Durchführung einer Operation angeraten, wobei sie über die typischen Risken einer solchen Operation aufgeklärt wurde. Es wurde ihr auch mitgeteilt, dass es als Alternative zu einer Operation zwar die Möglichkeit einer konservativen Behandlung gebe, bestehend primär aus Ruhigstellung, Schonung, Verabreichung entsprechender Schmerzmittel und Medikamente und Anlegung eines Gips-/Schienenverbandes, dass aber dabei das Risiko einer verbleibenden Instabilität, also eines gelockertes Sprunggelenkes, bestehe. Die Klägerin willigte in die Operation ein und unterfertigte ein Formular, mit dem sie bestätigte, über die vorgesehene Operation und deren Risken aufgeklärt worden zu sein. Die Operation wurde den Regeln ärztlicher Kunst entsprechend durchgeführt und verlief infektfrei. Den Operateuren ist auch eine an sich typische Komplikation, nämlich eine Durchtrennung oder ein Einnähen des Peronaeusnervs nicht unterlaufen. Zufolge einer schicksalshaft eingetretenen überschießenden Narbenbildung - die kein typisches Risiko der bei der Klägerin durchgeführten Operation darstellt - wurde der Peronaeusnerv aber eingeengt. Dies hatte langdauernde Beschwerden in Form von Hautgefühlsstörungen (auch als sensible Lähmung des Peronaeusnervs bezeichnet) zur Folge, weshalb die Klägerin erst im August 1997 ihre berufliche Tätigkeit als Buchhalterin wieder aufnehmen konnte.

Mit der Klage begehrt sie die Feststellung der Haftung der Beklagten "für alle Schäden und Folgen aus ihrer fehlerhaften Behandlung bzw unterlassenen Aufklärung als Teil derselben im Allgemeinen Öffentlichen Landeskrankenhaus V*****" sowie den Zuspruch von S 551.259,-- an Schmerzengeld und sonstigem Schadenersatz. Sie leide auch jetzt noch zum Teil unter großen Schmerzen im verletzten Sprunggelenk. Als Haftungsgrund machte sie - soweit im Revisionsverfahren noch wesentlich - mangelnde Aufklärung durch die Ärzte des LKH V***** geltend. Bei Kenntnis des Lähmungsrisikos hätte sie sich für die konservative Behandlung entschieden. Auch sei der zeitliche Ablauf von Verletzung, Einlieferung, angeblichem Aufklärungsgespräch, Behandlungsentscheidung und Operationsdurchführung derart kurzfristig gewesen, dass mit Rücksicht auf die Tragweite des Eingriffes eine freie und selbstbestimmte Willensentscheidung unmöglich gewesen sei.

Die beklagte Partei beantragte die Klage abzuweisen. Eine narbige Einengung des Peronaeusnervs sei kein häufiges oder typisches Operationsrisiko und daher nicht aufklärungsbedürftig.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die beklagte Partei habe der Kägerin nicht zu haften, da sie weder einen Diagnose- oder Behandlungsfehler, noch eine mangelnde Aufklärung zu vertreten habe. Bei den postoperativen Leiden der Klägerin handle es sich um die Verwirklichung eines atypischen und daher nicht aufklärungspflichtigen Operationsrisikos.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz; es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Ausgehend davon, dass sich bei der Klägerin ein atypisches Risiko verwirklicht habe, müsse auf die Beweisrüge, mit der die Klägerin eine Negativfeststellung darüber anstrebe, ob sie über das Risiko einer Lähmung zufolge Durchtrennung oder Einnähen des Peronaeusnervs aufgeklärt wurde, nicht eingegangen werden. Über atypische Risiken müsse nämlich nicht aufgeklärt werden, da sie sehr unwahrscheinlich bzw unvorhersehbar seien. Eine Überwälzung der Haftung vom Patienten auf den Arzt oder Rechtsträger der Krankenanstalt in solchen Fällen würde eine Überspannung der Ärztehaftung bedeuten. Bei nicht aufklärungsbedürftigen Operationsrisiken handle es sich um den jedenfalls beim Patienten verbleibenden Risikobereich, der vom Schutzzweck der Aufklärungspflicht nicht umfasst sei. Zu diesen Überlegungen werde mangels österreichischer oberstgerichtlicher Judikatur auf die herrschende deutsche Lehre sowie die Rechtsprechung verschiedener deutscher Instanzgerichte verwiesen, die eine Zurechnung generell ablehnten, wenn sich ein nicht aufklärungsbedürftiges Risiko verwirkliche.

Zur Begründung des Zulässigkeitsausspruchs führte das Berufungsgericht aus, zur Ärztehaftung bei Verwirklichung eines nicht aufklärungsbedürftigen Operationsrisikos fehle oberstgerichtliche Rechtsprechung.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die allein auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung (§ 503 Z 4 ZPO) gestützte Revision der Klägerin mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass mit Zwischenurteil dem klagsweise geltend gemachten Anspruch dem Grunde nach stattgegeben und weiters "im Umfang der Haftungsfeststellung im Sinne des Klagebegehrens stattgebend entschieden" werde. Im Übrigen möge die Rechtssache zur Klärung der Höhe der Ansprüche an das Erstgericht zurückverwiesen werden. In eventu wird beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache insgesamt zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichtes, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508a ZPO), nicht zulässig.

Die Klägerin tritt der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, wonach ein Patient über ein atypisches Operationsrisiko grundsätzlich nicht aufgeklärt werden müsse entgegen. Darüberhinaus vertritt sie die Auffassung, dass die "durchtrennungs- oder einnähungsbedingte" Lähmung des Peronaeusnervs zu den ganz typischen Risken der an ihr durchgeführten Operation zähle. Wäre sie darüber aufgeklärt worden, hätte sie von der Operation Abstand genommen und wäre nicht Opfer eines atypischen Risikos geworden.

Eine Mängelrüge dahin, dass das Berufungsgericht daher ihre, eine entsprechende Sachverhaltskorrektur anstrebende Beweisrüge zu behandeln gehabt hätte, wird von der Revisionswerberin aber nicht erhoben. Ihre Ausführungen im Rahmen der Rechtsrüge lassen sich auch nicht in diese Richtung interpretieren; vielmehr vertritt die Klägerin in der Revision nunmehr ausdrücklich die Ansicht, dass sie "nach den weiteren Sachverhaltsfeststellungen des Erstgerichtes" zwar über die typischen Operationsrisken und die Möglichkeit einer konservativen Alternativbehandlung aufgeklärt worden sei, mangels ausdrücklicher Erwähnung beim Aufklärungsgespräch aber nicht auch über das Risiko einer Lähmung des Peronaeusnervs. Diese Meinungsänderung, dass also das Erstgericht den betreffenden Sachverhalt ohnehin - entgegen ihren Berufungsausführungen - in diesem Sinne zutreffend festgestellt habe, wird auch noch dadurch offenbar, dass die Klägerin eine Zurückverweisung der Rechtssache ausdrücklich an das Erstgericht (zur Klärung der Höhe ihrer Ansprüche) und nicht an das Berufungsgericht (zur Nachholung der Behandlung der Beweisrüge) begehrt.

Davon, dass die erstgerichtlichen Feststellungen im Sinne der Revisionsausführungen verstanden bzw interpretiert werden könnten, kann aber gar keine Rede sein. Der Erstrichter hat unmissverständlich festgestellt, dass die Klägerin, die angegeben hat, sich selbst an kein Aufklärungsgespräch erinnern zu können, "über die typischen Operationsrisken durch Dr. G***** und vermutlich auch durch Dr. P***** aufgeklärt wurde" (US 4, letzter Absatz) und dass die Klägerin dies auch ausdrücklich schriftlich bestätigt hat (US 5, erster Absatz). Anhaltspunkte dafür, dass diese Feststellungen einschränkend dahin verstanden werden müssten, dass über das typische Lähmungsrisiko zufolge Durchtrennung oder Einnähen des Peronaeusnervs nicht aufgeklärt worden wäre, sind nicht vorhanden.

Mangels einer entsprechenden Rüge der Revisionswerberin ist daher davon auszugehen, dass sie über alle typischen Operationsrisken aufgeklärt wurde. Die vom Berufungsgericht relevierte Rechtsfrage, ob im Falle irgendeines Aufklärungsdefizits - das stets nur typische Risken betreffen kann - auch bei Verwirklichung eines atypischen Risikos zu haften sei, stellt sich daher im Revisionsverfahren nicht (mehr).

Es kann daher auch die von der Revisionsgegnerin aufgeworfene Frage dahingestellt bleiben, ob eine Aufklärung über das Risiko einer Durchtrennung oder eines Einnähens des Peronaeusnervs gar nicht erforderlich gewesen wäre, weil es sich dabei um ein sogenanntes iatrogenes Risiko (Gefahrenmomente, die für den Patienten in einem Unterschreiten des geforderten ärztlichen Qualitätsstandards liegen - vgl Engljähringer, Ärztliche Aufklärungspflicht vor medizinischen Eingriffen, 12) handelte. Über iatrogene Risken müsse nicht aufgeklärt werden, da der Arzt bzw Krankenhausträger dann für einen Behandlungsfehler zu haften hätte.

Aber auch sonst wird von der Revision keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die beklagte Partei habe keinen Aufklärungsmangel zu vertreten, hält sich im Rahmen der oberstgerichtlichen Judikatur, wonach der mit dem Arzt abgeschlossene Behandlungsvertrag auch die Pflicht umfasst, den Patienten über die möglichen Gefahren und schädlichen Folgen der Behandlung zu unterrichten (SZ 55/114; SZ 59/18; JBl 1992, 520; SZ 63/152 uva; vgl Koziol, Haftpflichtrecht2 II, 120; Aicher in Rummel ABGB2 Rz 17 zu § 16), wobei die Aufklärungspflicht insbesondere auch auch bei operativen Eingriffen gilt. Da dem Kranken in aller Regel die Kenntnisse fehlen, um die Mitteilungen des Arztes richtig einzuschätzen, muss der Umfang der Aufklärung auf Grund gewissenhafter ärztlicher Übung und Erfahrung nach den Umständen des Einzelfalles unter Bedachtnahme auf die Besonderheiten des Krankheitsbildes beurteilt werden. In welchem Umfang der Arzt den Patienten aufklären muss, damit dieser die Tragweite seiner Erklärung, in die Behandlung einzuwilligen, überschauen kann, also weiss, worin er einwilligt, stellt eine - nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilende (RIS-Justiz RS0026529) - Rechtsfrage dar (SZ 55/114; SZ 62/154). Auf alle nur denkbaren Folgen der Behandlung muss der Arzt nicht hinweisen (RIS-Justiz RS0026529 mit zahlreichen weiteren Entscheidungsnachweisen). Auf objektiv unbedeutende Risken oder Nebenwirkungen ist nur dann hinzuweisen, wenn für den Arzt erkennbar ist, dass diese aus besonderen Gründen für den Patienten wichtig sind. Nur auf typische Risken einer Operation ist ganz unabhängig von der prozentmäßigen statistischen Wahrscheinlichkeit, also auch bei einer allfälligen Seltenheit, hinzuweisen (vgl SZ 57/207; 7 Ob 12/97h ua).

Die klagsabweislichen Entscheidungen der Vorinstanzen entsprechen diesen Grundsätzen. Bei der Klägerin trat kein typisches Operationsrisiko auf. Wenn Schäden nur in äußerst seltenen Fällen eintreten und anzunehmen ist, dass der Hinweis auf eine äußerst unwahrscheinliche Schädigung für den Entschluss des Patienten in die Operation einzuwilligen, nicht ernsthaft ins Gewicht gefallen wäre, dann ist eine Aufklärung über solche mögliche schädliche Folgen nicht erforderlich (vgl SZ 62/18; SZ 62/154; JBl 1991, 316; JBl 1992, 520; RdM 1994, 27; RdM 1994, 92; RdM 1995, 69; SZ 67/9 uva, vgl etwa zuletzt 2 Ob 197/97b; 10 Ob 286/99b).

Die Frage der Dauer der dem Patienten nach entsprechender Aufklärung durch den Arzt einzuräumenden Überlegungsfrist, hängt ebenfalls von den Umständen des Einzelfalles, insbesondere von der Dringlichkeit der ärztlichen Behandlung ab. Eine erhebliche Rechtsfrage kann daher darin nur im Falle einer krassen Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen erblickt werden. Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen die Einräumung einer Überlegungsfrist, die nach den erstgerichtlichen Feststellungen mehr als 10 Stunden betragen hat, als ausreichend angesehen. Darin liegt entgegen der Ansicht der Klägerin keine erheblich Fehleinschätzung und bildet daher auch dieser Umstand keinen tauglichen Revisionsgrund.

Die Revision der Klägerin war daher zurückzuweisen, wobei sich der Oberste Gerichtshof gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken konnte.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO. Die beklagte Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision ausdrücklich hingewiesen und in erster Linie die Zurückweisung des Rechtsmittels der Klägerin beantragt.

Stichworte