OGH 1Ob326/99v

OGH1Ob326/99v14.1.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Ralph K*****, vertreten durch Mag. Hermann Kienast, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen 53.618,20 S sA infolge ordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 26. August 1999, GZ 5 R 30/99t-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 30. November 1998, GZ 6 Cg 14/98z-8, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

I. Der Antrag der klagenden Partei, "der 7. OGH Zivilsenat möge den Anlassfall entscheiden, zumal im bisherigen Verfahren versicherungsrechtliche Fragen im Vordergrund stehen", wird zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Ob das Deckungsbegehren des Klägers gegen den Rechtsschutzversicherer im Vorprozess zutreffend bzw vertretbar abgewiesen worden sei, hänge davon ab, ob der von seinem Vater durch teilweise Nichterfüllung der Unterhaltspflicht bewirkte Erstverstoß adäquat kausal mit dem durch gänzliche Bestreitung der Unterhaltspflicht verwirklichten Folgeverstoß zusammenhänge. Das werfe eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf.

Den Urteilen der Vorinstanzen liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger hatte schon "seit Jahren Schwierigkeiten mit seinem Vater betreffend den Unterhalt", die im Verlauf von 15 Jahren schon "mehrfach zu Verfahren" geführt hatten (Ersturteil im Vorprozess ON 14 S. 8 und 13). Er hatte gegen seinen Vater schließlich aufgrund eines Beschlusses des LGZ Graz als Rekursgericht vom 30. Juli 1993 einen Unterhaltsanspruch von 6.800 S monatlich. In einem gerichtlichen Vergleich vom 15. März 1994 wurde der Anspruch für den Zeitraum vom 1. April bis 31. August 1994 auf 4.500 S monatlich festgelegt. Anlass dafür war, dass sich der Vater 1993 selbständig gemacht und diese berufliche Veränderung finanzielle Belastungen mit sich gebracht hatte. Mit Schreiben vom 5. August 1994 schlug der Vater dem Kläger vor, seine Leistungspflicht auch für den Zeitraum nach dem 31. August 1994 auf 4.500 S monatlich zu beschränken. Als Vergleichstermin wurde der 17. August 1994 vorgeschlagen. Der Kläger antwortete mit Schreiben vom 12. August 1994, am 17. August 1994 keine Zeit zu haben. Er bot statt dessen den 13. September 1994 als Vergleichstermin an. Sein Schreiben hatte ferner folgenden Wortlaut:

"Ich sehe auch kein Problem, wenn Du mir bis zum Vergleichsabschluß für September wie bisher 4.500 S überweist, sodaß Dir bis zur Vergleichsabwicklung keine unnötige Mehrbelastung erwächst."

Anfang September 1994 überwies der Unterhaltsschuldner 4.500 S. Die Vergleichsgespräche am 13. September 1994 scheiterten. Mit Schreiben vom 15. September 1994 begehrte der Kläger den Differenzbetrag für September 1994 von 2.300 S. Einer Androhung entsprechend brachte er auch eine Klage gegen seinen Vater zur Durchsetzung einer rückwirkenden Unterhaltserhöhung für den Zeitraum vom 16. Oktober 1991 bis 21. Februar 1993 ein. Sein Vater zahlte nicht und stellte die Unterhaltszahlungen ab Oktober 1994 gänzlich ein, nachdem er dem Kläger vorher noch mit Schreiben vom 18. September 1994 erfolglos angeboten hatte, weiterhin 4.500 S monatlich zu zahlen (Ersturteil im Vorprozess ON 14 S. 10 f). Daraufhin wurde dem Kläger die Exekution zur Hereinbringung des Unterhaltsrückstands für September 1994 und des laufenden Unterhalts bewilligt. Dagegen wendete sich sein Vater mit Oppositionsklage. Dieser Prozess wurde in der Folge bei gegenseitiger Kostenaufhebung verglichen.

Der Kläger war seit 11. März 1994 rechtsschutzversichert (Ersturteil im Vorprozess ON 14 S. 9). Der Versicherer lehnte die Übernahme der Kosten der Unterhaltsexekution und des Oppositionsprozesses mit der Begründung ab, der Versicherungsfall habe sich innerhalb der bei Vertragsabschluss vereinbarten Wartefrist von 6 Monaten ereignet. Daraufhin nahm der Kläger den Versicherer klageweise in Anspruch und verlor den Deckungsprozess, weil der Versicherungsfall nicht erst am 13. September, sondern schon am 1. September - somit innerhalb der Wartefrist von 6 Monaten - eingetreten sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Antrag auf Entscheidung durch den 7. Senat und die Revision sind unzulässig.

I. Gemäß Art 87 B-VG sind die Geschäfte unter die Richter eines Gerichts für die in der Gerichtsverfassung bestimmte Zeit im Voraus zu verteilen. Die einem Richter (einem Senat) nach dieser Geschäftsverteilung zufallende Sache darf ihm nur durch Verfügung des durch die Gerichtsverfassung hiezu berufenen Senats und nur im Falle seiner Verhinderung oder dann abgenommen werden, wenn er wegen des Umfangs seiner Aufgaben an deren Erledigung innerhalb angemessener Frist gehindert ist.

Die Verteilung der richterlichen Geschäfte besorgt der jeweilige Personalsenat in richterlicher Funktion (Mayer, B-VG2 Art 87 III.1.). Eine Verletzung der festen Geschäftsverteilung begründet eine (relative) Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 2 ZPO (zuletzt 3 Ob 246/98t; Rechberger in Rechberger, Kommentar zur ZPO Rz 15 f zu § 261 je mwN).

Nach der durch den Personalsenat des Obersten Gerichtshofs für das Jahr 1999 beschlossenen Geschäftsverteilung fallen dem 1. Senat in seiner Funktion als Fachsenat u. a. alle Rechtssachen zu, die "Fragen der Amtshaftung" betreffen. Klagegrund im Anlassfall ist ein Amtshaftungsanspruch. Die Revision des Klägers langte am 15. November 1999 beim Obersten Gerichtshof ein. Über dieses Rechtsmittel hat daher nach der festen Geschäftsverteilung des Obersten Gerichtshofs der 1. Senat zu entscheiden.

Den Parteien steht das prozessuale Recht zum Antrag, dass ein anderer als der nach der festen Geschäftsverteilung eines Gerichtshofs berufene Senat über ihr Rechtsmittel entscheide nicht zu, sollen sie doch den ihren genehmen Richter(-senat) nicht wählen können. Derartiges zu verhindern, ist einer der Zwecke des Prinzips der im Voraus zu beschließenden festen Geschäftsverteilung. Demgemäß ist der Antrag, den 7. Senat zur Entscheidung über die Revision zu berufen, zurückzuweisen.

II. 1. Der Kläger versucht vorerst zu begründen, die Gerichte seien im Deckungsprozess in unvertretbarer Weise zum Ergebnis gelangt, dass er seinem Vater mit Schreiben vom 12. August 1994 keine "volle", sondern bloß eine "reine" Stundung gewährt habe.

Ob bloße reine Stundung oder die Fälligkeit hinausschiebende Stundung vereinbart wurde, ist eine Auslegungsfrage, wobei im Zweifel bloß "reine" Stundung anzunehmen ist. Das gilt nicht nur für Stundungsabreden nach Eintritt der Fälligkeit (idS allgemein 1 Ob 2299/96m [bereits eingetretene Fälligkeit im Anlassfall]; Binder in Schwimann, ABGB2 Rz 46 zu § 904; Reischauer in Rummel, ABGB2 Rz 13 zu § 904).

In der Auslegung des Sinngehalts des Schreibens vom 12. August 1994 als "reine" Stundung (auch) durch die Vorinstanzen im Amtshaftungsprozess ist daher vor dem erläuterten rechtlichen Hintergrund - entgegen der Ansicht des Klägers - kein Rechtsirrtum zu erblicken, der eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufwürfe und deshalb einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte.

II. 2. Nach Meinung des Klägers haben die Gerichte für die Beurteilung der Vertretbarkeit einer Rechtsfrage "bei vergleichbarer Rechtslage die deutsche Rechtsprechung und Lehre heranzuziehen", was besonders für den Bereich der Vertragsversicherung gelte. Das ergebe sich aus der Entscheidung 1 Ob 9/85 (= JBl 1986, 182).

Der Oberste Gerichtshof sprach in dieser Entscheidung aus, dass die deutsche Rechtsprechung und Lehre in Ermangelung einer Rechtsprechung inländischer Höchstgerichte bei vergleichbarer Rechtslage als Entscheidungshilfe "in Betracht" komme, sodass eine daran orientierte Rechtsansicht nicht unvertretbar sein könne.

Für die Entscheidungen im Vorprozess war jedoch in der Kernfrage, wie im Folgenden näher zu begründen sein wird, nicht eine inhaltliche Abweichung von der herrschenden deutschen Ansicht bei vergleichbarer Rechtslage ausschlaggebend. Streitentscheidend war vielmehr, dass die Wertung des Einzelfalls nicht der Erwartung des Klägers entsprach, obgleich die Kernfrage im Grundsätzlichen ohnehin in Übereinstimmung mit dem deutschen Vorbild gelöst wurde.

II. 2. 1. Art 2 Z 3 ARB 1988, dessen Bestimmungen im Anlassfall bedeutsam sind, ist mit der deutschen Parallelregelung (§ 14 Abs 3 ARB 1975) fast wortgleich. Bei mehreren Verstößen gegen gesetzliche oder vertragliche Pflichten ist der Versicherungsschutz - im Einklang mit der deutschen Praxis - zu verneinen, wenn der erste Verstoß "nach der Lebenserfahrung" für sich allein geeignet war, "den Rechtskonflikt auszulösen, oder ... zumindest noch erkennbar" nachwirkte und "den endgültigen Ausbruch der Streitigkeit nach dem Vorliegen eines oder mehrerer weiterer Verstöße noch" mitauslöste, "sohin adäquat kausal war". War "nach der Sachlage schon beim ersten Verstoß mit weiteren gleichartigen Verstößen zu rechnen", so ist eine Mehrzahl solcher Verstöße als Einheit zu qualifizieren. Nur in Ermangelung eines insofern einheitlichen Verstoßverhaltens ist jeder weitere Verstoß ein rechtlich selbständiger neuer Verstoß (OGH 28. 4. 1999 7 Ob 202/98a [Verneinung der Rechtsschutzdeckung für eine Schadenersatzklage gegen das Land Vorarlberg zufolge unterlassener Unterhaltserhöhungsanträge]).

Schon die Gerichte des Vorprozesses beurteilten das Deckungsbegehren des Klägers auf dem Boden der voranstehenden Grundsätze und kamen bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls (siehe dazu Harbauer, Rechtsschutzversicherung6 [1998] Rz 57 zu § 14 ARB 75) zum Ergebnis, die mit Ablauf des 1. September 1994 verwirklichte teilweise Nichterfüllung des Unterhaltsanspruchs des Klägers weise einen engen inneren und äußeren Sachzusammenhang mit den weiteren Unterhaltsverletzungen auf; diese Verstöße gegen Unterhaltspflichten hätten das Exekutions- und das Oppositionsverfahren verursacht.

Der erkennende Senat vermag darin unter Berücksichtigung aller im Einzelfall maßgeblichen Umstände keine unvertretbare Rechtsansicht zu erblicken, hatte doch der Kläger schon "seit Jahren Schwierigkeiten mit seinem Vater betreffend den Unterhalt", die im Verlauf von 15 Jahren schon "mehrfach zu Verfahren" geführt hatten. Nach dieser Vorgeschichte ist es insbesondere von Bedeutung, dass sich der Vater des Klägers 1993 selbständig gemacht und die finanziellen Belastungen dieser beruflichen Veränderung die befristete Reduktion des Unterhaltsanspruchs von 6.800 S auf 4.500 S monatlich mittels Vergleichs veranlasst hatten, der Unterhaltsstreit nach dem Scheitern der Vergleichsgespräche am 13. September 1994 durch die vom Kläger bekundete Entschlossenheit zur exekutiven Geltendmachung aller Unterhaltsrückstände, aber auch durch die Androhung und Einbringung einer Klage zur Durchsetzung einer rückwirkenden Unterhaltserhöhung für den Zeitraum vom 16. Oktober 1991 bis 21. Februar 1993 eskalierte und der Vater in dieser Situation ab Oktober 1994 schließlich überhaupt keine Unterhaltszahlungen mehr leistete, nachdem er dem Kläger zuvor noch mit Schreiben vom 18. September 1994 erfolglos angeboten hatte, weiterhin 4.500 S monatlich zu zahlen. Diese Sachlage lässt die Wertung, der Erstverstoß habe bereits den "Keim" des anschließenden Konflikts in sich getragen, sodass der Folgeverstoß durch gänzliche Einstellung der Unterhaltszahlungen ab Oktober 1994 adäquat kausal mit dem Erstverstoß zusammenhänge, (zumindest) als vertretbar erscheinen.

II. 2. 2. Der Kläger meint, er müsse "für die Berechtigung des Amtshaftungsanspruches" bloß nachweisen, "dass die für seinen Rechtsstandpunkt günstige Rechtsmeinung vertretbar" sei, "da es seitens des Gerichtes unvertretbar" gewesen sei, "bei einer vertretbaren Rechtsansicht des Klägers hinsichtlich der Auslegung des Rechtsschutzvertrages nicht gemäß § 915 S 2 ABGB der Klage stattzugeben". Darauf ist unter Hinweis auf die voranstehenden Erwägungen zu erwidern, dass es allein darauf ankommt, ob die für die Abweisung des Klagebegehrens im Deckungsprozess ausschlaggebende Einzellfallbeurteilung vor dem Hintergrund einer im Grundsätzlichen zutreffenden Rechtsansicht nicht unvertretbar war; zu den für die Bejahung der Vertretbarkeit einer Rechtsansicht maßgebenden abstrakten Beurteilungskriterien kann dabei auf die zutreffenden Ausführungen im Ersturteil verwiesen werden.

II. 2. 3. Nach allen bisherigen Erläuterungen wirft das angefochtene Urteil keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf, wird doch das - auch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs zutreffende - Vertretbarkeitsurteil des Berufungsgerichts zu den Fragen nach der rechtlichen Einordnung einer Stundungszusage und des Vorliegens eines adäquaten Kausalzusammenhangs des Erstverstoßes mit dem Folgeverstoß allein durch die besonderen Umstände des Einzelfalls determiniert. Wegen der für letzteren Streitpunkt bedeutsamen, unter II. 2. 1. referierten Grundsatzentscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 7 Ob 202/98a bedarf es insofern keiner weiterführenden Ausführungen zum Verständnis des Art 2 Z 3 ARB 1988, um dadurch die Grundlage für die Beurteilung der Vertretbarkeit einer Rechtsansicht erst zu ermitteln. Der Anlassfall erfordert aber auch keine Weiterentwicklung jener Grundsätze, an welchen der Oberste Gerichtshof die Vertretbarkeit einer Rechtsansicht misst.

Der Oberste Gerichtshof ist bei Prüfung der Zulässigkeit einer Revision zufolge § 508a Abs 1 ZPO nicht an einen Ausspruch des Berufungsgerichts gemäß § 500 Abs 2 Z 3 ZPO gebunden. Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision zurückzuweisen. Gemäß § 510 Abs 3 ZPO kann sich der Oberste Gerichtshof dabei auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

II. 3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 40, 41 in Verbindung mit § 50 Abs 1 ZPO. Die beklagte Partei unterließ einen Hinweis auf die Unzulässigkeit der Revision. Ihre Revisionsbeantwortung ist daher einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nicht dienlich, sodass sie deren Kosten selbst zu tragen hat.

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