OGH 2Ob243/99w

OGH2Ob243/99w2.9.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Katrin Sofie H*****, vertreten durch Saxinger-Baumann & Partner, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagten Parteien 1. Zoran D*****, 2. J***** AG, ***** 3. E***** AG, ***** vertreten durch Dr. Oswald Karminski-Pielsticker, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 141.684 sA, Rente (S 133.200) und Feststellung (S 100.000), Gesamtstreitwert S 374.884, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 29. April 1999, GZ 17 R 58/99w-47, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 20. Jänner 1999, GZ 14 Cg 73/96z-42, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 19.302,70 (darin S 3.217,10 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 20. 12. 1993 ereignete sich ein Verkehrsunfall, bei dem der Vater der Klägerin getötet wurde. Der Erstbeklagte war der Lenker des LKW, der mit dem PKW kollidierte, dessen Insasse der Vater der Klägerin war. Die zweitbeklagte Partei ist Halterin, die drittbeklagte Partei Haftpflichtversicherer des LKW.

Die Klägerin begehrte den Zuspruch von S 141.804 sA, eine monatliche Rente von S 3.700 beginnend mit Oktober 1997 und die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden, bei der Drittbeklagten beschränkt auf die Haftpflichtversicherungssummen. Sie brachte vor, der Getötete sei ihr gegenüber zum Unterhalt verpflichtet gewesen und aufgrund seiner Ausbildung auch dazu in der Lage gewesen. Aufgrund seiner Einkommensansprüche sei es ihm jedenfalls zumutbar gewesen, die Regelbedarfssätze an Unterhalt zu bezahlen. Aufgrund seines Todes sei wegen des Untergangs der gesetzlichen Unterhaltsforderung der Klägerin ein positiver Schaden entstanden. Auch wenn der Unterhaltspflichtige tatsächlich keinen Unterhalt geleistet hätte, sei er der Klägerin gegenüber dazu verpflichtet gewesen; hinsichtlich ihres Schadens sei auf ihren Unterhaltsanspruch abzustellen, der zumindest im Umfang des Unterhaltsregelbedarfes bestehe. Nicht zuletzt habe sie auch deshalb einen Schaden erlitten, weil sie bis zum Tode ihres Vaters Unterhaltsvorschußzahlungen erhalten habe, die aufgrund dessen Todes eingestellt worden seien. Jedenfalls dieser Entfall der Unterhaltsvorschußzahlungen stelle einen konkreten Schaden dar. Durch den Tod des Vaters sei ihr endgültig jede Möglichkeit genommen worden, ihre Unterhaltsansprüche diesem gegenüber durchzusetzen.

Die Beklagten wendeten ein, daß die Forderung der Klägerin nicht berechtigt sei, weil ihr Vater vor seinem Tod tatsächlich keinen Unterhalt geleistet habe und es nicht auf die Höhe des gesetzlichen Unterhaltsanspruches ankomme, sondern auf den tatsächlich entzogenen Unterhalt. Daran, daß der Vater der Klägerin keiner Berufstätigkeit nachgegangen sei und kein Einkommen erzielt habe, treffe ihn kein Verschulden; er wäre gar nicht in der Lage gewesen, Regelbedarfssätze an Unterhalt zu bezahlen. Darüber hinaus habe die Mutter alle Unterhaltsverpflichtungen übernommen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit S 141.684 sA sowie einer monatlichen Rente von S 3.700 beginnend mit Oktober 1997 und dem Feststellungsbegehren statt und wies lediglich ein Mehrbegehren von S 120 sA ab. Es traf unter anderem folgende Feststellungen:

Im Jänner 1987 fuhr der Vater der Klägerin über Hamburg nach Brasilien, verließ also Frau und Kind, ohne eine Nachricht (außer in der Folge Karte und Brief) zu hinterlassen. Seine berufliche Tätigkeit dort kann ebensowenig wie Einkommen oder Vermögen festgestellt werden. Etwa 1992 kehrte der Vater der Klägerin aus Brasilien zurück und war in der Folge in Deutschland selbständig tätig, nämlich als Maschinenbautechniker mit dem Transfer von Maschinen befaßt. Die Höhe seines daraus erzielten Einkommens kann nicht festgestellt werden. Aufgrund seiner Ausbildung wäre er in der Lage gewesen, etwa folgendes monatliche Nettoeinkommen (inklusive Sonderzahlungen) zu erzielen: 1994 S 17.200, 1995 S 17.700, 1996 S 18.100, 1997 S 18.600. Tatsächlich leistete er keinen Unterhalt, sodaß der Klägerin nach dem Unterhaltsvorschußgesetz Unterhaltsvorschüsse in der Höhe zwischen S 864 (ab 1. 1. 1989) bis S

2.156 (bis 31. 12. 1993) erhielt. Weitere Unterhaltsverpflichtungen des Vaters der Klägerin konnte das Erstgericht nicht feststellen.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den Sachverhalt dahin, es sei nicht entscheidend, daß im Todeszeitpunkt der unterhaltsverpflichtete Vater der Klägerin keinen Unterhalt geleistet habe, vielmehr komme es auf die gesetzliche Unterhaltsverpflichtung an.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Parteien nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es führte folgendes aus:

Das Berufungsgericht vermöge die Rechtsauffassung der Berufung nicht zu teilen, daß es im gegenständlichen Fall zu keinem Schadenersatzanspruch der Klägerin nach § 1327 ABGB kommen könne, weil nicht feststellbar sei, daß der verstorbene Unterhaltsverpflichtete tatsächlich Unterhalt geleistet habe. Es sei dem Erstgericht beizupflichten, daß der gesetzliche Unterhaltsanspruch zur Zuerkennung des "Regelbedarfsunterhaltes" ausreiche. Hiezu verwies das Berufungsgericht auf die Ausführungen von Reischauer in Rummel2 § 1327 ABGB Rz 22 und von Harrer in Schwimann2 § 1327 ABGB Rz 15.

Mit Rücksicht darauf, daß jüngere Judikatur des Obersten Gerichtshofes zu diesem Problem explizit nicht vorliege, und die veröffentlichten Leitsätze eine einheitliche Meinung nicht transparent widerspiegelten, sei die Revision zuzulassen gewesen.

Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die Revision der beklagten Parteien wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Interesse der Rechtseinheit zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Im drittinstanzlichen Verfahren ist nur mehr die Frage zu beantworten, ob es beim Schadenersatzanspruch der Klägerin auf die tatsächlichen Unterhaltsleistungen ankommt, wie die Rechtsmittelwerber meinen, oder ob der Ersatzpflicht des Schädigers die Leistung zugrundezulegen ist, zu der der Verstorbene nach dem Gesetz verpflichtet war, wie die Revisionsgegnerin behauptet.

Hiezu wurde erwogen:

Nach ständiger Rechtsprechung richtet sich der Schadenersatzanspruch gemäß § 1327 ABGB nach dem tatsächlich entzogenen Unterhalt; maßgebend für die Berechnung des Entgangenen sind die tatsächlich erbrachten, Unterhaltscharakter aufweisenden Leistungen, sofern sie nicht auffallend über das gesetzliche Maß des Unterhalts hinausgehen, also noch einigermaßen im Verhältnis zu diesem stehen (ZVR 1994/90, 1994/129, 1998/20 uva; RIS-Justiz RS0031410; weitere Nachweise bei Reischauer in Rummel2 § 1327 ABGB Rz 22; Apathy, EKHG § 12 Rz 20; Harrer in Schwimann2 § 1327 ABGB Rz 15).

In einigen Entscheidungen wurde ausgesprochen, daß der tatsächlich entzogene Unterhalt auch dann zu ersetzen sei, wenn er niedriger als der gesetzliche ist (ZVR 1956/40, 1959/11 und 1973/39 mwN). In anderen Entscheidungen wird hingegen der gesetzliche Unterhalt als Mindestanspruch gewährt (SZ 14/97; ZVR 1960/335, 1967/39, 1978/23 und 1979/181; RIS-Justiz RS0031601, RS0031607). So wurde schon in SZ 14/97 ausgeführt, der sich nach dem Gesetz ergebende anständige Unterhalt bilde (die Leistungsfähigkeit des Getöteten vorausgesetzt) das geringste Ausmaß dessen, was nach § 1327 ABGB zu ersetzen sei. Ergebe das Verfahren, daß die Leistungen des Getöteten an die Unterhaltsberechtigten den nach seinem Reineinkommen zu beurteilenden anständigen Unterhalt überschritten haben, so werde dies für die Verpflichtung der beklagten Partei maßgeblich sein. Eine Leistung unterhalb der Verpflichtung hingegen werde nicht beachtlich sein, weil auch bei seinen Lebzeiten in diesem Fall die Unterhaltsberechtigten den angemessenen anständigen Unterhalt hätten fordern können, dieses Recht ihnen durch die Tötung genommen worden sei und daher sein Wertinhalt ihnen entgangen, daher nach § 1327 ABGB zu ersetzen sei. In ZVR 1978/23 mwN und 1979/181 wurde die tatsächliche Unterhaltsleistung des Verpflichteten (nur) dann als maßgeblich angesehen, wenn nicht behauptet werde und hervorkomme, daß der Getötete weniger geleistet habe, als seiner Verpflichtung entsprochen hätte (vgl auch RIS-Justiz RS0031321).

In der Lehre hat Koziol, Haftpflichtrecht II2 156 f, die Auffassung vertreten, zum Ergebnis des zuletzt dargestellten Rechtsprechungszweiges könnte man nur gelangen, wenn auch im Bereich des § 1327 ABGB eine objektiv-abstrakte Berechnung angewendet werde. Das vernichtete Vermögensgut, auf das bei der Berechnung abzustellen wäre, sei die Unterhaltsforderung, die ohne Rücksicht auf die konkreten Umstände des Einzelfalles, wie vor allem die tatsächliche Erfüllung, bewertet werden könne. Für die Möglichkeit, daß der Hinterbliebene eine objektive Bewertung verlangen könne, spreche, daß der Unterhaltsberechtigte in der Zukunft stets die Möglichkeit gehabt hätte, die volle Erfüllung der Unterhaltspflicht zu erzwingen, und ihm diese Möglichkeit jedenfalls mit dem Untergang der Forderung entzogen worden sei. Ferner sei zu bedenken, daß die nicht vollständige Begleichung der Unterhaltsschuld auch auf einer Begünstigung beruhen könne, die der Berechtigte dem Getöteten eingeräumt habe, die aber keineswegs den Zweck haben sollte, einen allfälligen Täter zu entlasten.

Reischauer aaO hat jenen Entscheidungen, die den gesetzlichen Unterhaltsanspruch als Mindestanspruch gewähren, zugestimmt, weil im Ausmaß des gesetzlichen Unterhaltsanspruches die Unterhaltsforderung (für die Zukunft) untergegangen und insofern ein positiver Schaden entstanden sei; dies unabhängig davon, ob bis zum Tod weniger als der gesetzliche Unterhalt geleistet worden sei. Dem Unterhaltsberechtigten wäre es jederzeit freigestanden, den vollen Unterhalt zu begehren. Was man einem nahen Angehörigen (ohne dazu verpflichtet zu sein) belasse, müsse man einem Verletzer nicht belassen. Mit einer abstrakten Schadensberechnung habe dies freilich nichts zu tun. Eine im Vermögen des Hinterbliebenen existierende konkrete Forderung sei vernichtet worden. Das sei konkreter positiver Schaden, genauso wie die Entstehung von Verbindlichkeiten.

Apathy aaO hält den Entscheidungen, die die Ersatzpflicht auf den tatsächlich entzogenen Unterhalt beschränken, wenn dieser niederer als der gesetzliche ist, entgegen, daß der Unterhaltsberechtigte jederzeit die - durch die Tötung entzogene - Möglichkeit gehabt hätte, den gesetzlichen Unterhalt zur Gänze einzufordern.

Auch Harrer aaO folgt jener Rechtsprechungslinie, derzufolge Ersatz in Höhe des gesetzlichen Unterhalts zu leisten ist, wenn der Getötete weniger leistete, als er aufgrund des Gesetzes hätte leisten müssen.

Schließlich will Christian Huber, Fragen der Schadensberechnung 558 ff, unter Hinweis auf § 12 Abs 2 EKHG (vgl auch Koziol aaO 155; anders hingegen Reischauer aaO und Apathy aaO) ganz allgemein auf den gesetzlichen Unterhalt abstellen; durch das Abstellen auf die tatsächliche Ebene könne sich auch ein geringerer Betrag ergeben (FN 133).

Der erkennende Senat folgt jener Rechtsprechungslinie und jenen Lehrmeinungen, die den gesetzlichen Unterhaltsanspruch als Mindestanspruch ansehen (ebenso 2 Ob 22/97t). Die gegenteiligen Entscheidungen sind dem Rechtssatz, daß es auf den tatsächlich entgangenen Unterhalt ankommt, ohne hinreichende Differenzierung gefolgt. Die Rechtsprechung verlangt aber - wie bereits erwähnt - nunmehr schon in den Fällen, in denen mehr als der gesetzliche Unterhalt geleistet wurde, daß die Unterhaltsleistung noch einigermaßen ins Verhältnis zur gesetzlichen Unterhaltspflicht gesetzt werden kann. Ist der tatsächlich entzogene Unterhalt hingegen niedriger als der gesetzliche, so liegt der Schaden des Unterhaltsberechtigten darin, daß seine Unterhaltsforderung für die Zukunft untergegangen ist; durch die Tötung verliert er die Möglichkeit, den gesetzlichen Unterhalt (zur Gänze) einzufordern.

Im vorliegenden Fall ist der Klägerin somit ihr Schaden im Ausmaß des gesetzlichen Unterhaltsanspruches zu ersetzen, obwohl ihr Vater vor seinem Tod tatsächlich keinen Unterhalt geleistet hat.

Die Vorinstanzen haben die erörterte Rechtsfrage somit richtig gelöst, weshalb der Revision ein Erfolg zu versagen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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