OGH 5Ob172/99a

OGH5Ob172/99a29.6.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Klinger als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann, Dr. Baumann, Dr. Hradil und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Hurch als weitere Richter in der Mietrechtssache der Antragsteller 1.) F. B*****, und 2.) Claudia N*****, beide vertreten durch Dr. Karl Newole, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Antragsgegner Gerold F. L*****, vertreten durch Dr. Herbert Mayer, Rechtsanwalt in Wien, wegen § 37 Abs 1 Z 8 MRG, infolge Revisionsrekurses der Antragsteller gegen den Sachbeschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 15. Dezember 1998, GZ 40 R 485/98i-13, womit der Sachbeschluß des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 17. Juli 1998, GZ 6 Msch 45/98s-8, bestätigt wurde, folgenden

Sachbeschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Zweitantragstellerin ist zufolge einer Weitergabe der Mietrechte durch die Erstantragstellerin Hauptmieterin eines für gastgewerbliche Zwecke gemieteten Geschäftslokals im Haus des Antragsgegners *****. Der Mietvertrag wurde am 14. 6. 1993 abgeschlossen und enthält in § 9 folgende Vereinbarung:

"Der Mieter und Vermieter vereinbart wechselseitig auf die Einrede der Verjährung - aus welchem Titel immer - zu verzichten."

Am 6. 3. 1998 stellten die Antragsteller bei der zuständigen Schlichtungsstelle der Stadt Wien das später gemäß § 40 Abs 1 MRG gerichtsanhängig gewordene Begehren, den seit Beginn des Mietverhältnisses eingehobenen Hauptmietzins auf seine gesetzliche Zulässigkeit zu prüfen.

Die Antragsgegnerin hat vor allem die Verfristung dieses Begehrens eingewendet.

Das Erstgericht wies den Mietzinsüberprüfungsantrag ab. Es vertrat die Ansicht, daß die auch für Altmietverträge geltende, im konkreten Fall ab 1. 3. 1994 laufende Dreijahres-Frist des § 16 Abs 8 MRG nicht gewahrt sei. Auf die Einrede der Verjährung könne gemäß § 1502 ABGB im voraus nicht wirksam verzichtet werden.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung aus folgenden Erwägungen:

Es sei unerheblich, ob der im Mietvertrag vereinbarte Verjährungsverzicht auch die Präklusivfrist des § 16 Abs 8 MRG mitumfaßt habe, weil auch diesfalls der Verzicht nicht greife.

Ausgangspunkt der Untersuchung sei zunächst die gesetzliche Regelung der Verjährung, zumal das Gesetz zwar eine Reihe von Ausschlußfristen enthält (zB §§ 933, 936, 1082 ABGB; § 6 DHG; § 34 AngG), aber über die Präklusion keine weiteren Regelungen trifft, sodaß im gewissen Umfang die Verjährungsvorschriften analog herangezogen werden (SZ 49/106; EvBl 1991/123; SZ 64/91). Bei dieser Gleichbehandlung bzw analogen Heranziehung von Verjährungsvorschriften sei aber Vorsicht geboten:

So werde die Regelung des § 1501 ABGB (Bedachtnahme auf die Verjährung nur aufgrund von Einwendungen, nicht von Amts wegen) nach wohl herrschender Meinung nicht auf Präklusivfristen angewendet. Diese seien vielmehr von Amts wegen zu beachten (JBl 1960, 493; SZ 45/80; SZ 59/137; EvBl 1990/45; EvBl 1991/123). Von diesem Grundsatz der amtswegigen Wahrnehmung sei der Oberste Gerichtshof jedoch in mehreren Entscheidungen (insbesondere zu arbeitsrechtlichen Ausschlußfristen) abgegangen. Er habe in EvBl 1972/113 eine amtswegige Bedachtnahme auf die Ausschlußfrist des § 34 AngG verneint; auch die in Kollektivverträgen festgelegten Ausschlußfristen seien nicht von Amts wegen zu beachten (EvBl 1990/45; Arb 10.819; Arb 10.889).

Auch die Regelung des § 1502 ABGB (Unwirksamkeit eines Vorwegverzichts auf die Verjährung und der Vereinbarung einer längeren als der gesetzlichen Verjährungsfrist) werde nicht (uneingeschränkt) auf Präklusivfristen angewendet. Letztere sollen durch Vereinbarung verlängert werden können (Klang in Klang2, VI, 567; Gschnitzer in Klang2, IV/1 554; SZ 48/39; Arb 9.702; Arb 10.174); ein Verzicht sei zulässig (Mader in Schwimann, Rz 9 zu § 1451; Schubert in Rummel II2, Rz 2 zu § 1502; Koziol/Welser I10, 190; SZ 45/80).

Die Ansicht, ein Verzicht auf die Verfristungseinrede sei zulässig, müsse aber differenziert betrachtet werden:

Soweit überblickbar, scheine unbestritten, daß die Verjährung das Recht nicht zur Gänze beseitigt, vielmehr eine Naturalobligation zurückbleibt, die zwar nicht einklagbar ist, aber gültig erfüllt werden kann (Koziol/Welser I10, 189; Mader in Schwimann, Rz 4 zu § 1451 ABGB; Schubert in Rummel II2, Rz 1 zu § 1451 ABGB). Demgegenüber soll der Ablauf der Präklusivfrist das Recht völlig vernichten, mit der Wirkung, daß auch keine Naturalobligation zurückbleibt (Mader in Schwimann, Rz 9 zu § 1451 ABGB; Honsell in Schwimann, Rz 5 zu § 1432 ABGB; Schubert in Rummel II2, Rz 5 zu § 1451; JBl 1960, 493; ZVR 1979/44).

Stelle man die eben zitierten Ansätze (völliger Rechtsverlust durch Präklusion, amtswegige Wahrnehmung) der Verzichtsproblematik gegenüber, werde deutlich, daß zumindest ein nachträglicher Verzicht auf die Einrede der Präklusion unmöglich bzw unwirksam ist. Das Recht ist bereits (durch Präklusion) erloschen, was auch ohne Einrede von Amts wegen wahrzunehmen ist, sodaß ein derartiger "Verzicht" keine Rechtswirkungen zeitigen könne und insbesondere das schon erloschene Recht nicht wieder aufleben lasse (so auch Mader in Schwimann Rz 9 zu § 1451 ABGB; Arb 9.702).

Demgegenüber erscheine ein Verzicht während des Laufs der Präklusivfrist zulässig. Wenn das Frist auslösende Ereignis schon eingetreten, die Präklusivfrist aber noch nicht abgelaufen ist, sollte - dem Grundsatz der Vertragsfreiheit folgend - von den Parteien die Verlängerung der Frist vereinbart und auf sie auch während ihres Laufs verzichtet werden können (vgl dazu den Bericht des Justizausschusses zur Präklusivfrist des § 6 DHG, 653 der Beilagen zu den stenografischen Protokollen, X. GP, Seite 3). So habe der Oberste Gerichtshof (in SZ 48/39) eine vertragliche Verlängerung der Präklusivfrist des § 6 DHG - während ihres Laufens - zugelassen.

Gehe man von der Zulässigkeit einer solchen Verlängerungsvereinbarung aus, sei der Weg zum zulässigen (gänzlichen) Verzicht nicht mehr weit, da bloß um eine Zeiteinheit länger.

Anders aber sei der Vorwegverzicht auf die Präklusion zu beurteilen. Generell könne festgehalten werden, daß ein Vorwegverzicht regelmäßig kritischer beurteilt wird als ein späterer Verzicht (vgl etwa JBl 1962, 605 - Verzicht auf künftige Ehescheidungsgründe; JBl 1981, 317 - Vorweg-Gewährleistungsausschluß; SZ 48/68 - Verzicht auf Schenkungswiderruf wegen künftiger Straftaten; SZ 50/139 - Vorausverzicht der Mitbewerber auf Klagerecht nach UWG). Eben weil im Zeitpunkt der Abgabe des Verzichts dessen Tragweite nicht oder kaum überschaubar ist, werde er kritischer zu beurteilen sein.

Auch der Ansatz, nach dem Zweck der Norm sei zu entscheiden, welche Vorschriften des Verjährungsrechts auf die Präklusivfristen anzuwenden sind (EvBl 1984/2; EvBl 1986/30), indiziere die Unzulässigkeit eines Vorwegverzichts auf die Präklusivfrist des § 16 Abs 8 MRG. Zweck dieser die Geltendmachung der Unwirksamkeit von Mietzinsvereinbarungen zeitlich befristenden gesetzlichen Regelung sei die rasche Klärung der Rechtslage und die Hintanhaltung der Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn auf weit zurückliegende Sachverhalte abgestellt werden muß (Ausstattungszustand der Wohnung im Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses). Der Normzweck wäre verfehlt, würden durch einen Vorwegverzicht auf die Präklusion erst recht wieder Feststellungen über einen lange zurückliegenden Zeitraum notwendig.

Ähnliche Argumente hätten im übrigen den Obersten Gerichtshof schon in SZ 14/10 veranlaßt, die Aufrechnung mit einer wegen Ablaufs der Frist des § 17 MG verjährten Forderung nicht zuzulassen: Die aus § 17 MG hervorleuchtende Absicht des Gesetzgebers gehe nämlich dahin, die zwischen Vermieter und Mieter getroffene, gegen das Gesetz verstoßende und darum an sich unzulässige Vereinbarung eines übermäßigen Zinses dann zu einer unanfechtbaren zu machen, wenn sich der Mieter seines Anfechtungsrechtes durch einen Zeitraum von 3 Monaten verschwiegen hat. Durch die Festsetzung dieser kurzen Frist solle verhindert werden, daß die oft mit verwickelten Berechnungen verbundenen Streitigkeiten über die Höhe des Bestandzinses vielleicht erst nach Jahren zur richterlichen Entscheidung kommen.

Gehe man von der Unwirksamkeit eines Vorwegverzichts auf die Präklusivfrist des § 16 Abs 8 MRG aus, dann sei die relevierte Bestimmung im Mietvertrag - selbst im Sinne der Rekurswerber verstanden - unwirksam und das Mietzinsüberprüfungsrecht der Antragsteller verfristet. Zu Recht habe daher das Erstgericht den Antrag abgewiesen.

Diese Entscheidung enthält den Ausspruch, daß der Revisionsrekurs zulässig sei. Zur entschiedenen Frage der Wirksamkeit eines Verzichts auf die Präklusion fehle nämlich - soweit ersichtlich - eindeutige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes.

Im jetzt vorliegenden Revisionsrekurs vertreten die Antragsteller - aufbauend auf der Argumentation des Rekursgerichtes über die Unterschiede zwischen Verjährungs- und Präklusionsfristen - die Rechtsansicht, daß die Zulässigkeit einer Verlängerung von Präklusionsfristen auch die Zulässigkeit eines Vorausverzichtes auf die Einrede der Verfristung nahelege. Daß ein solcher Vorausverzicht rechtswirksam ist, ergebe sich schon aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit. Eine analoge Anwendung des § 1502 ABGB auf Präklusionsfristen scheide mangels erkennbarer planwidriger Regelungslücke aus. Nicht zu folgen sei jedoch dem Rekursgericht in der Ansicht, daß ein Vorwegverzicht wegen der Schwierigkeit einer Abschätzung der Folgen kritischer zu beurteilen sei. Dem Antragsgegner, einem Hausbesitzer und Unternehmer iSd KSchG sei die Tragweite seiner Erklärung sehr wohl bewußt gewesen. Auch aus der mangelnden Vorhersehbarkeit einer Befristung des Mietzinsüberprüfungsanspruchs durch § 16 Abs 8 nF MRG sei kein Argument gegen die Rechtswirksamkeit der Verzichtserklärung zu gewinnen, weil der Verzicht im Grunde nur jenen Zustand wieder hergestellt habe, der von der betreffenden Gesetzesnovellierung bestanden hat. Schließlich spreche auch der Zweck des § 16 Abs 8 MRG, Beweisprobleme zu vermeiden, nicht gegen die Rechtswirksamkeit eines Vorausverzichtes auf die Einrede der Verfristung, weil eine Parteienvereinbarung dem öffentlichen Interesse auf rasche Klärung einer Streitigkeit vorgehen müsse. Normzwecküberlegungen hätten hinter dem Parteiwillen zurückzutreten.

Der Revisionsrekursantrag geht dahin, den rekursgerichtlichen Sachbeschluß so abzuändern, daß dem Mietzinsüberprüfungsantrag stattgegeben wird; in eventu soll die rekursgerichtliche Entscheidung aufgehoben und die Mietrechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an eine der Vorinstanzen zurückverwiesen werden.

Der Antragsgegner hat in einer fristgerecht erstatteten Revisionsrekursbeantwortung mit den bereits vom Rekursgericht gelieferten Argumenten, denen er hinzufügte, daß eindeutig auf die Verjährungseinrede, nicht aber auf die Präklusion des Mietzinsüberprüfungsanspruchs verzichtet worden sei, die Bestätigung der vorinstanzlichen Entscheidungen beantragt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Zutreffend hat das Rekursgericht darauf hingewiesen, daß Judikatur und Lehre die Verjährungs- und Präklusivfristen nicht durchgehend gleichbehandeln, was etwa für die Frage gilt, ob eine Präklusivfrist anders als eine Verjährungsfrist (für die das § 1502 ABGB ausdrücklich ausschließt) vertraglich verlängert oder überhaupt unwirksam gemacht werden kann. Den diesbezüglichen Rechtsausführungen ist nichts Wesentliches hinzuzufügen (§ 37 Abs 3 Z 16 MRG iVm § 528, § 510 Abs 3 Satz 2ZPO). Sie geben richtig zu erkennen, daß es letztlich auf den Zweck der konkret zu beurteilenden Frist ankommt, inwieweit die für Verjährungsfristen geltenden gesetzlichen Regeln auf die undeterminiert gebliebenen Präklusionsfristen anzuwenden sind.

Bei dieser am jeweiligen Gesetzeszweck orientierten Betrachtungsweise ist dem Rekursgericht auch darin zu folgen, daß auf die Einrede - genau gesagt die Geltung - der in § 16 Abs 8 MRG für die Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Mietzinsvereinbarung normierten Frist nicht im voraus verzichtet werden kann. Der Zweck dieser Fristbestimmung liegt, wie das Rekursgericht zutreffend erkannte, darin den Beweisproblemen auszuweichen, die sich bei einer Mietzinsüberprüfung lange nach dem Abschluß der Mietzinsvereinbarung stellen (AB zu Art II Z 15 des 3. WÄG, abgedruckt bei Würth/Zingher, Wohnrecht 94, 57; 5 Ob 137/98b = EWr I/16/166). In dieser Zielsetzung nähert sich die Frist des § 16 Abs 8 MRG, obwohl sie der Gesetzgeber als Präklusivfrist verstanden haben wollte (AB aaO; idS auch die Judikatur zur genannten Gesetzesstelle, zuletzt WoBl 1999, 165/74 mwN), den Verjährungsfristen (vgl RZ 1992, 262/85; ÖA 1996, 21; SZ 67/97 ua). Der Gesetzgeber des 3. WÄG ging sogar so weit, daß er unzulässige Mietzinsvereinbarungen mit Ablauf der für die Anfechtung gesetzten Frist generell als saniert gelten lassen wollte (vgl Würth/Zingher aaO, Rz 27 zu § 16 MRG; 5 Ob 149/95). Mit diesem Gesetzeszweck ließe sich ein von den Mietvertragsparteien vorweg erklärter Verzicht auf die Geltendmachung der Unwirksamkeit der Mietzinsvereinbarung nicht in Einklang bringen. Daß dies den Grundsatz der Vertragsfreiheit einschränkt, ist gerade im Mietrecht kein tragfähiges Gegenargument. Bei einem einseitig den Vermieter treffenden Verzicht auf die Präklusion des Mietzinsüberprüfungsanspruchs ist zwar der Mieterschutz nicht in Gefahr (der eine vertragliche Verkürzung der Frist des § 16 Abs 8 MRG ausschließen würde), doch bleiben Gründe der Rechtssicherheit, die auch für den Vermieter gelten, die Frist des § 16 Abs 8 MRG nicht zur Parteiendisposition zu stellen.

Schon aus diesem Grund erweist sich die von beiden Vorinstanzen herangezogene Grund für die Abweisung des Mietzinsüberprüfungsbegehrens der Antragsteller als richtig. Es kann dahingestellt bleiben, ob sich der unmißverständlich formulierte Verzicht auf die Verjährungseinrede tatsächlich in einen Verzicht auf die Anwendung der (im Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses noch gar nicht geltenden) Fristbestimmung des § 16 Abs 8 MRG umdeuten ließe.

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