Spruch:
Der Revision der beklagten Parteien wird Folge gegeben; das angefochtene Urteil zweiter Instanz wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.
Text
Begründung
Am 11. 9. 1992 ereignete sich auf der A 2 (Südautobahn) bei Kilometer 45,5 ein Verkehrsunfall, der durch einen auf der Richtungsfahrbahn Wien entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung fahrenden sogenannten "Geisterfahrer" verursacht wurde. Dkfm Wolfgang K***** lenkte seinen PKW auf dem zweiten Fahrstreifen Richtung Wien und wechselte auf den dritten Fahrstreifen, um einen LKW zu überholen. Als er den entgegenkommenden PKW wahrnahm, konnte er durch ein Auslenken gerade noch zwischen dem LKW und dem "Geisterfahrer" durchfahren und verriß sodann sein Fahrzeug nach links, um eine Kollision mit einem vor ihm fahrenden Fahrzeug zu vermeiden. Dadurch geriet sein PKW ins Schleudern, prallte gegen die Mittelleitschiene, durchstieß diese und gelangte auf die Gegenfahrbahn. Dabei lösten sich einige Fahrzeugteile und beschädigten den PKW der Klägerin, die mit ihrem Fahrzeug Richtung Graz unterwegs war.
Der Erstbeklagte wurde wegen dieses Verkehrsunfalles mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 30. 11. 1992, 12 Hv 615/92-18, bestätigt durch das Oberlandesgericht Wien am 10. 5. 1993, 22 Bs 120/93, wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung unter besonders gefährlichen Verhältnissen gem. § 88 Abs 1 und 4 zweiter Fall (§ 81 Z 1) StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten verurteilt. Danach wurde er für schuldig befunden, er habe am 11. 9. 1992 im Stadtgebiet von Wiener Neustadt Dkfm Wolfgang K***** dadurch fahrlässig am Körper schwer verletzt, daß er mit dem von ihm gelenkten PKW die Richtungsfahrbahn Wien der Autobahn A 2 in entgegensetzter Fahrtrichtung befuhr, sodaß der entgegenkommende PKW-Lenker Dkfm Wolfgang K*****, um einen Frontalzusammenstoß zu vermeiden, sein Fahrzeug auf Höhe des Kilometers 45,5 verreißen mußte und dadurch ins Schleudern kam, wodurch das Fahrzeug die Mittelleitschiene durchstieß, auf der Gegenfahrbahn zu stehen kam und dort ausbrannte und wodurch Dkfm Wolfgang K***** die im Spruch des Strafurteiles näher beschriebenen schweren Verletzungen erlitt. Ein Wiederaufnahmeantrag des Erstbeklagten gegen dieses Urteil wurde mit Beschluß des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 20. 7. 1993, 12 Hv 615/92-28, bestätigt mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 23. 9. 1993, 22 Bs 397/93, rechtskräftig abgewiesen. Einen neuerlichen Wiederaufnahmeantrag vom 14. 6. 1995 stellte der Erstbeklagte erst nach Schluß der Verhandlung erster Instanz des hier gegenständlichen Zivilverfahrens am 10. 5. 1995; über diesen Antrag war zum Zeitpunkt der hier angefochtenen Entscheidung des Landesgerichtes Wiener Neustadt noch nicht entschieden.
Die Klägerin nimmt den Erstbeklagten als Lenker des bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten Fahrzeuges auf Zahlung von Schadenersatz in Höhe von zuletzt S 54.015.- mit dem Vorbringen in Anspruch, der Erstbeklagte habe als "Geisterfahrer" den Unfall verursacht, und verwies auf seine strafrechtliche Verurteilung.
Die Beklagten wenden ein, der Erstbeklagte sei an dem Verkehrsunfall nicht beteiligt gewesen; dem gegen den Erstbeklagten ergangenen Strafurteil komme keine Bindungswirkung zu.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit dem der Höhe nach außer Streit gestellten Betrag von S 52.568.- sA Folge und wies das Mehrbegehren ab. Es stellte unter anderem fest, daß der Erstbeklagte am 11. 9. 1992 infolge Übermüdung bei der Anschlußstelle Wiener Neustadt West der A 2 Südautobahn die unmittelbar nebeneinanderliegenden Auf- und Abfahrten der Autobahn verwechselte und über die Abfahrt der Richtungsfahrbahn Wien auf die Autobahn auffuhr. Er kam mit seinem Fahrzeug dem in der vorgeschriebenen Fahrtrichtung fahrenden Fahrzeug des Dkfm Wolfgang K***** entgegen, der einen Zusammenstoß nur durch Auslenken vermeiden konnte, wodurch sein Fahrzeug ins Schleudern geriet, die Mittelleitlinie durchstieß und auf die Gegenfahrbahn geschleudert wurde; dadurch lösten sich einige Teile von seinem Fahrzeug und beschädigten das Fahrzeug der Klägerin, die mit ihrem Fahrzeug in Richtung Graz unterwegs war. Den Erstbeklagten treffe deshalb wegen Verletzung des § 46 Abs 4 StVO das alleinige Verschulden am Unfall.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses von den beklagten Parteien in seinem klagestattgebenden Teil angefochtene Urteil. Ohne die Mängel- und Tatsachenrüge in der Berufung zu behandeln, hielt es diese bereits aus rechtlichen Gründen für verfehlt. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des verstärkten Senates 1 Ob 612/95 hielt es den Einwand des Erstbeklagten, nicht er sei der den Unfall auslösende "Geisterfahrer" gewesen, für unzulässig; das gegen den Erstbeklagten ergangene rechtskräftige Strafurteil entfalte nämlich Bindungswirkung dahin, daß sich der Erstbeklagte gegenüber der Klägerin nicht darauf berufen könne, jene Tat, wegen der er strafgerichtlich verurteilt worden ist, nicht begangen zu haben. Die zivilgerichtliche Feststellung, der Schaden am Fahrzeug der Klägerin sei durch vom Fahrzeug des Dkfm Wolfgang K***** abgelöste Teile verursacht worden, hätten die Beklagten aber nicht bekämpft. Ohne auf die Berufungsgründe weiter eingehen zu müssen, könne daher das Klagebegehren im zugesprochenen Ausmaß jedenfalls als berechtigt erkannt werden. Das Berufungsgericht bejahte auch eine Bindungswirkung des Strafurteiles hinsichtlich der Zweitbeklagten auf Grund deren Stellung als Gesamtschuldnerin mit dem Erstbeklagten; das dem Geschädigten eingeräumte direkte Klagerecht auch gegen den Haftpflichtversicherer müsse notwendig zu einem einheitlichen Urteil gegen diesen und den beteiligten Lenker führen. Das Berufungsgericht sprach aus, daß in Ansehung des Erstbeklagten die Revision nicht zulässig sei; in Ansehung der Zweitbeklagten hielt es die Revision für zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen dieses Urteil erhobene außerordentliche Revision des Erstbeklagten und die Revision der Zweitbeklagten sind zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichtes - wie im folgenden darzulegen sein wird - von der jüngsten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage der Bindungswirkung eines verurteilenden strafgerichtlichen Erkenntnisses im nachfolgenden Zivilprozeß abweicht; sie sind im Sinne ihres Eventualantrages auf Aufhebung auch berechtigt.
In seinem Beschluß vom 2. 4. 1998, 2 Ob 257/97a, hat sich der erkennende Senat neuerlich eingehend mit der Frage der Bindungswirkung eines verurteilenden strafgerichtlichen Erkenntnisses im nachfolgenden Zivilprozeß auseinandergesetzt und dabei erwogen:
Gemäß § 24 des (damals wie auch hier) noch anzuwendenden KHVG 1987 (nunmehr § 28 KHVG 1994) wirkt ein rechtskräftiges Urteil, soweit dadurch ein Schadenersatzanspruch des geschädigten Dritten aberkannt wird, wenn es zwischen dem geschädigten Dritten und dem Versicherer ergeht, auch zugunsten des Versicherten; wenn es zwischen dem geschädigten Dritten und dem Versicherten ergeht, wirkt es auch zugunsten des Versicherers. Diese Bestimmung regelt somit einen Fall der Rechtskrafterstreckung (Rechberger/Simotta, ZPR4 Rz 699), die schon deshalb aus der Sicht des Art 6 MRK unbedenklich ist, weil der - hiedurch allein belastete - Geschädigte an dem früheren Verfahren beteiligt war (Musger, Verfahrensrechtliche Bindungswirkungen und Art 6 MRK, JBl 1991, 420, 499 [504]).
Gemäß § 1 Abs 2 der (damals wie hier) maßgebenden AKHB 1988 BGBl 107 (im wesentlichen gleichlautend nunmehr § 2 Abs 2 KHVG 1994) sind mitversichert der Eigentümer, der Halter und die Personen, die mit Willen des Halters bei der Verwendung des Fahrzeugs tätig sind, mit seinem Willen mit dem Fahrzeug befördert werden oder den Lenker einweisen. Ein Lenker, der das Fahrzeug mit Willen des Halters verwendet, ist daher (Mit-)Versicherter, weshalb er grundsätzlich von der im § 24 KHVG 1987 geregelten Rechtskrafterstreckung erfaßt wird.
Wenngleich in den Materialien zu § 63 Abs 3 KFG 1967, in dem erstmals die in der Folge wörtlich in den § 24 KHVG 1987 und § 28 KHVG 1994 übernommene Regelung getroffen wurde, als Grund für die Rechtskrafterstreckung nur der Fall angeführt wird, in dem der Geschädigte den Versicherer über den Haftungshöchstbetrag hinaus klagt und bezüglich des Mehrbetrages abgewiesen wird, weil das Gericht Gefährdungshaftung annimmt (186 BlgNr 11 GP 105), ist dem Gesetz gewordenen Wortlaut eine Einschränkung in dieser Richtung nicht zu entnehmen. Eine Einschränkung ergibt sich aus dem Zweck der Regelung nur in den in der Rechtsprechung bereits anerkannten Fällen, in denen die Dispositionsfähigkeit der Parteien zu unterschiedlichen Ergebnissen führt, also etwa, wenn die Entscheidung gegen eine der beklagten Parteien infolge Unterlassung eines Rechtsmittels (ZVR 1982/368) oder eines Rechtsbehelfes (ZVR 1990/108) rechtskräftig wurde, oder weil wegen verschiedener Haftungsvoraussetzungen (Verschuldens- und Gefährdungshaftung) derselbe Sachverhalt zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann (ZVR 1976/84).
Wird nun ein Schadenersatzbegehren des Geschädigten, das gegen den von der Bindungswirkung des Strafurteils nicht betroffenen Versicherer geltend gemacht wurde, rechtskräftig abgewiesen, weil der rechtskräftig verurteilte Schädiger die Tat, derentwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen hat, so stehen einander bei der Beurteilung des Schadenersatzanspruches gegen den versicherten Schädiger die Bindungswirkung des rechtskräftigen Strafurteils einerseits und die Rechtskrafterstreckung des das Klagebegehren abweisenden Urteils gemäß § 24 KHVG 1987 (nunmehr § 28 KHVG 1994) andererseits gegenüber. In diesem Fall ist letzterer gegenüber ersterer der Vorzug zu geben, weil die ausdrückliche gesetzliche Regelung der bloß aus allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen ableitbaren Bindungswirkung vorgehen muß (ebenso im Ergebnis auch Albrecht, Probleme der Bindung an strafgerichtliche Verurteilungen im Zivilverfahren, ÖJZ 1997, 201 [212 FN 95]).
Nach dem Wortlaut des § 24 KHVG 1987 (§ 28 KHVG 1994) könnte dem vom Geschädigten geklagten versicherten Schädiger aber nur ein (im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung gegen den Versicherten) bereits rechtskräftig gewordenes Urteil, das zwischen dem Geschädigten und dem Versicherer ergangen ist, zugute kommen. Bliebe man am Wortlaut haften, würde dies dazu führen, daß der Kläger den Verfahrensausgang steuern könnte je nach dem, ob die Klage zuerst gegen den Versicherer und erst später gegen den Versicherten erhoben wird, ob der Versicherte und der Versicherer gemeinsam geklagt werden oder ob die Klage zuerst gegen den Versicherten und erst später (oder nie) gegen den Versicherer eingebracht wird. Die Art der Klagsführung des Geschädigten darf hier aber nicht den entscheidenden Unterschied machen.
Das Gesetz enthält für die angeführten Fälle zwar keine ausdrückliche Regelung, es ist aber anzunehmen, daß es sich dabei um eine vom Gesetzgeber nicht gewollte und deshalb planwidrige Unvollständigkeit und damit um eine Gesetzeslücke handelt (vgl Koziol/Welser I10, 24 mwN). Zu deren (gebotenen) Schließung ist dem § 24 KHVG 1987 (§ 28 KHVG 1994) der Grundgedanke zu entnehmen, daß ein auf denselben Sachverhalt gegründeter Schadenersatzanspruch gegenüber dem Versicherten und dem Versicherer einheitlich beurteilt werden soll, soweit und solange dies möglich ist. Von dieser Bestimmung ausgehend ist also ganz allgemein die Forderung nach einer einheitlichen Entscheidung für den Kfz-Haftpflichtbereich zu erheben, soweit nicht besondere, bereits dargelegte Umstände abweichende Entscheidungen rechtfertigen. Es ist daher auch in einem gegen den Versicherten und den Versicherer gemeinsam geführten Rechtsstreit darauf Bedacht zu nehmen, daß über den eingeklagten Anspruch grundsätzlich einheitlich entschieden wird. Selbst dann, wenn (zunächst) nur der Versicherte geklagt wird, muß - schon im Hinblick auf die bloße Möglichkeit der Abweisung einer späteren Klage gegen den Versicherer - der Gefahr von Entscheidungsdivergenzen begegnet werden. Dies bedeutet, daß für den Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung eine Bindung an die strafgerichtliche Verurteilung des versicherten Lenkers im allgemeinen unabhängig davon nicht besteht, wen der Geschädigte klageweise in Anspruch nimmt und wann dies geschieht. Nur wenn auszuschließen ist, daß es noch zu einem das Klagebegehren abweisenden Urteil zugunsten des Versicherers kommen kann, wäre dem versicherten Lenker der Einwand, er habe die Tat, derentwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen, verwehrt. Diese Auffassung steht mit der Entscheidung des verstärkten Senates SZ 68/195 nicht im Widerspruch, weil bei der damaligen Fallgestaltung (Fußballfoul) die sich aus § 24 KHVG 1987 (§ 28 KHVG 1994) ergebenden Besonderheiten nicht zu berücksichtigen waren.
Das Berufungsgericht ist entgegen dieser jüngsten Rechtsprechung des erkennenden Senates, durch die seinen Argumenten bezüglich der Zweitbeklagten, die im übrigen mit bereits vorhandenen jüngeren Entscheidungen des erkennenden Senates (SZ 69/131 = RdW 1997, 18 = ZVR 1996/80; ecolex 1997, 251; 2 Ob 2287/96d; 2 Ob 2348/96z; 2 Ob 79/95; 2 Ob 203/97k) in Widerspruch stehen, der Boden entzogen ist, von einer Bindung beider Beklagten an das den Erstbeklagten verurteilende strafgerichtliche Erkenntnis ausgegangen und hat sich daher mit der Mängel- und Beweisrüge in der Berufung der Beklagten nicht auseinandergesetzt. Das berufungsgerichtliche Verfahren ist insoweit mangelhaft geblieben, weshalb die Entscheidung des Berufungsgerichtes aufzuheben und ihm eine neue Entscheidung aufzutragen war.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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