OGH 2Ob203/97k

OGH2Ob203/97k9.10.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj.Manuela H*****, vertreten durch Dr.Gottfried Lindner und Mag.Thomas Fragner, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagten Parteien 1) Anton G*****, und 2) ***** Versicherungs-AG, ***** beide vertreten durch Dr.Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in St.Pölten, wegen S 250.666,34 sA und Feststellung, infolge außerordentlicher Revision der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 28. Februar 1997, GZ 12 R 105/96s-23, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten vom 15. März 1996, GZ 9 Cg 283/94v-17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben; das angefochtene Urteil wird in dem die zweitbeklagte Partei betreffenden klagestattgebenden Teil aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung

Am 27.2.1993 ereignete sich auf einer Landesstraße in Niederösterreich ein Verkehrsunfall, an dem die damals zehneinhalbjährige Klägerin als Fußgängerin und der Erstbeklagte als Lenker eines bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKWs beteiligt waren. Wegen dieses Verkehrsunfalles wurde der Erstbeklagte mit einem rechtskräftig gewordenen Urteil wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs 1, Abs 4 erster Fall StGB zu einer Geldstrafe verurteilt.

Die Klägerin begehrt unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von einem Drittel die Zahlung von S 250.666,34 sA sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien im Ausmaß von zwei Dritteln. Sie brachte vor, den Erstbeklagten treffe das überwiegende Verschulden am Zustandekommen des Unfalles, weil er nicht mit der gehörigen Aufmerksamkeit an einem in einem Einmündungstrichter stehenden Autobus vorbeigefahren sei, obwohl er beobachtet habe, wie Schulkinder auf der straßenabgewandten Seite des Busses ausgestiegen seien.

Die Beklagten wendeten ein, die Klägerin treffe das Alleinverschulden; sie sei für den Erstbeklagten völlig überraschend hinter dem Postautobus hervorgelaufen, um die Fahrbahn zu überqueren. Trotz sofortiger Reaktion sei eine Kollision nicht vermeidbar gewesen. Sie wendeten außerdem eine Gegenforderung von 20.000 S ein.

Das Erstgericht stellte die eingeklagte Forderung mit S 158.000 und die eingewendete Gegenforderung mit S 6.960 als zu Recht fest und verurteilte die beklagten Parteien zur Zahlung von S 151.040. Weiters stellte es fest, daß die Beklagten der Klägerin für die Hälfte aller künftigen Schadenersatzansprüche haften, die zweitbeklagte Partei jedoch nur im Rahmen des Versicherungsvertrages.

Dabei wurden - soweit für das Revisionsverfahren noch relevant - kurz zusammengefaßt folgende Feststellungen getroffen:

Die vom Erstbeklagten benützte Freilandstraße verläuft, in seiner Fahrtrichtung gesehen, von Osten nach Westen. Von Süden mündet rechtwinkelig trichterförmig ein Güterweg in die Straße ein. Östlich der Einmündung des Güterweges, also in Fahrtrichtung des Erstbeklagten gesehen vor dem Güterweg, sind beiderseits der Straße Bushaltestellen vorhanden. Zum Unfallszeitpunkt herrschte Tageslicht. Im Gelände um und im Bereich der Bushaltestellen lag Schnee. Die asphaltierte Fahrbahn der vom Erstbeklagten benützten 6,2 m breiten Straße war schneefrei, teils feucht, teils trocken. Er fuhr mit einer Geschwindigkeit von ca 60 bis 70 km/h und hielt zum rechten Fahrbahnrand einen Seitenabstand von etwa 0,5 m ein. Bei Annäherung an die Einmündung des Güterweges sah er in diesem einen Postautobus stehen, dessen Front nach Osten zeigte und dessen linke Fahrzeugbegrenzung von der Fahrbahnmitte rund 0,5 bis 1 m entfernt war. Er nahm wahr, daß bei der hinteren rechten Türe des Postautobusses mehrere Kinder ausstiegen. Zu diesem Zeitpunkt war er noch ca 160 bis 130 m von der Mitte des Autobusses entfernt. Er reagierte auf den Postautobus damit, daß er den Fuß vom Gaspedal wegnahm, wodurch es jedoch zu keiner nennenswerten Verringerung der Geschwindigkeit kam. Ein akustisches Zeichen gab er nicht.

Die Klägerin ging nach dem Aussteigen aus dem Autobus an dessen rechter Fahrzeugseite entlang zum Heck und überquerte hinter diesem mit normaler Gehgeschwindigkeit die Straße, ohne auf den für sie von rechts herannahenden PKW des Erstbeklagten zu achten. Etwa im Bereich der Fahrbahnmitte stieß sie mit ihrem Unterschenkel gegen den linken Kotflügel des Fahrzeuges des Erstbeklagten. Die Distanz von der linken hinteren Fahrzeugecke des Busses bis zur linken Fahrzeugbegrenzung des vom Erstbeklagten benützten Autos betrug ca 1,4 bis 1,9 m. Diese Strecke konnte die Klägerin bei normaler Gehgeschwindigkeit in einer Zeit von 1 bis 1,4 Sekunden zurücklegen. Bei der vom Erstbeklagten gefahrenen Geschwindigkeit von 60 bis 70 km/h hätte die Anhaltestrecke 38 bis 49 m betragen. Durch eine Verminderung seiner Geschwindigkeit auf rund 35 km/h hätte er den Unfall vermeiden können.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, der Erstbeklagte hätte bei gehöriger Aufmerksamkeit damit rechnen müssen, daß eines der Kinder versuchen werde, die Fahrbahn zu überqueren. Er hätte die von ihm eingehaltene Geschwindigkeit erheblich reduzieren und durch akustische Zeichen gemäß § 22 StVO auf sein Herannahen aufmerksam machen müssen. Das strafgerichtliche Erkenntnis binde im nachfolgenden Zivilprozeß insoweit, als sich der Täter nicht darauf berufen könne, die Tat nicht begangen zu haben. Es sei daher von einem Verschulden des Erstbeklagten auszugehen. Im Hinblick auf das Fehlverhalten der Klägerin erachtete das Erstgericht eine Verschuldensteilung von 1 : 1 angemessen.

Gegen dieses Urteil erhoben alle Parteien Berufung, wobei die beklagten Parteien auch die Feststellungen des Erstgerichtes bekämpften.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Parteien teilweise Folge und sprach aus, daß die eingeklagte Forderung mit 133.000 S zu Recht bestehe und die eingewendete Gegenforderung mit S

6.960. Es verurteilte die beklagten Parteien zur Zahlung von S 126.040 sA und stellte deren Haftung für die Hälfte aller künftigen Ersatzansprüche fest; die ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erachtet.

Das Berufungsgericht ging auf die Beweisrüge der Beklagten nicht ein, sondern vermeinte, es sei aufgrund des verurteilenden Erkenntnisses des Strafgerichtes von einem Verschulden des Erstbeklagten am Zustandekommen der Verletzungen der Klägerin auszugehen. Der Erstbeklagte könne sich nicht darauf berufen, eine Tat, deretwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen zu haben.

Im übrigen schloß sich das Berufungsgericht der Ansicht des Erstgerichtes, der Schaden sei im Verhältnis 1 : 1 zu teilen, an, es erachtete aber ein geringeres Schmerzengeld für angemessen.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision beider beklagten Parteien mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der erstbeklagten Partei wurde mit Beschluß des Obersten Gerichtrshofes vom 26.Juni 1997 zurückgewiesen.

Die Klägerin hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Die Revision der zweitbeklagten Partei ist zulässig, weil das Berufungsgericht - wie im folgenden darzulegen sein wird - von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgegangen ist, sie ist im Sinne ihres Eventualantrages auf Aufhebung auch berechtigt.

Die zweitbeklagte Partei macht in ihrem Rechtsmittel geltend, daß ihr gegenüber keine Bindung an das verurteilende Erkenntnis des Strafgerichtes bestehe, das Berufungsgericht hätte sich daher mit der Beweisrüge in der Berufung auseinandersetzen müssen.

Diese Ausführungen sind grundsätzlich zutreffend. Wie der erkennende Senat bereits mehrfach ausgesprochen hat (SZ 69/131 = RdW 1997, 18 = ZVR 1996/80; 2 Ob 2287/96d), erstreckt sich die Bindungswirkung des Strafurteils auf den Haftpflichtversicherer, der im Strafprozeß kein rechtliches Gehör hatte, nicht, weil es sonst zu einer Verletzung des verfahrensrechtlichen Grundgesetzes des rechtlichen Gehörs gemäß Art 6 MRK komme. Rechtliches Gehör ist nicht nur dem an einem Verfahren förmlich Beteiligten zu gewähren, sondern greift der Grundsatz des rechtlichen Gehörs auch dann durch, wenn jemand an ein Ergebnis eines zwischen anderen Personen abgeführten Verfahrens, durch das er unmittelbar rechtlich betroffen wird, gebunden sein soll.

Das Berufungsgericht ist entgegen dieser Rechtsprechung offenbar von einer Bindung auch der zweitbeklagten Partei an das verurteilende Erkenntnis des Erstbeklagten ausgegangen und hat sich daher mit der Beweisrüge in der Berufung der zweitbeklagten Partei nicht auseinandergesetzt. Das berufungsgerichtliche Verfahren ist insoweit mangelhaft geblieben, weshalb die Entscheidung des Berufungsgerichtes im Umfange der Verurteilung der zweitbeklagten Partei aufzuheben und ihm eine neue Entscheidung aufzutragen war.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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